30 Jahre „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“

Wie im Leben, nur viel schneller und dramatischer

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Bereits seit 1992 wird die RTL-Daily-Soap Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ) ausgestrahlt und ist nach wie vor erfolgreich. Welche besonderen Produktionsbedingungen braucht ein solch umfangreiches Programmangebot, wie sind die Geschichten aufgebaut und welche ethischen Maßstäbe werden auf welche Weise vermittelt? Für viele Zuschauer stellt das regelmäßige Ansehen der Serie eine Art zweites Leben dar, sie interagieren mit den Figuren auf einer parasozialen Ebene – fast wie mit Menschen aus ihrem realen Leben.

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 3/2022 (Ausgabe 101), S. 6-11

Vollständiger Beitrag als:

Auf NBC lief 1992 die letzte Folge der Golden Girls, der Ägypter Boutros Boutros-Ghali wurde als erster Afrikaner Generalsekretär der Vereinten Nationen, in München nahm der neue Flughafen seinen Betrieb auf, der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) und der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) begannen mit der Ausstrahlung ihrer Programme und am 11. Mai 1992 startete RTL mit der ersten Daily Soap im deutschen Fernsehen: Gute Zeiten, schlechte Zeiten, eine Adaption der australischen Serie The Restless Years.

Viele belächelten damals die Absicht, eine Daily Soap zu starten. Eine tägliche Serienfolge zu produzieren, bedeutete einen enormen Aufwand. Zwei Monate brauchte die Produktionsgesellschaft UFA, um die ersten Folgen zu produzieren, damals noch in Berlin-Tempelhof, seit 1995 auf dem Gelände der historischen Filmstudios in Potsdam-Babelsberg. Am Anfang war die Serie nicht sehr erfolgreich, die erste Folge hatte nur 850.000 Zuschauer (Aures 2018). Offenbar schufen die kulturellen Unterschiede Distanz und durch die bereits bestehenden Konzepte konnte nicht schnell genug auf neue gesellschaftliche Trends in Deutschland reagiert werden. Deshalb wurde bald die Entscheidung getroffen, GZSZ zu einer hundertprozentigen Eigenproduktion zu machen.
 

Making Of: Jubiläumstrailer GZSZ (Gute Zeiten, Schlechte Zeiten, 03.05.2022)



Logistische Herausforderung

Dazu musste man zunächst einmal ein Autorenteam ausbilden, in der Anfangsphase gab es nur zwei deutsche Autoren. Weil in Deutschland niemand Erfahrungen mit einer Daily Soap hatte, musste die UFA zu Beginn noch Experten aus Australien hinzuziehen, um die nötige Logistik aufzubauen. Inzwischen gibt es ein Team von über 20 Autor*innen, die eng zusammenarbeiten müssen, damit die Geschichten logisch weitererzählt werden können und die einzelnen Szenen und Folgen zusammenpassen.

Pro Jahr werden etwa 250 Folgen produziert, am 28. April 2022 lief die 7.500. Folge, ein hoher logistischer Aufwand, selbst wenn alles planmäßig läuft. Wenn Schauspieler*innen aussteigen, muss die Figur „sterben“ oder wegen eines neuen Berufs oder einer neuen Liebesbeziehung ins Ausland abwandern. Und man muss sich etwas einfallen lassen, wenn plötzlich neue Figuren im Kernteam auftauchen. Auf der einen Seite braucht es Kontinuität, um etwas Verbindendes zu schaffen, damit die Zuschauer zu den Figuren eine Beziehung aufbauen können. Auf der anderen Seite müssen sich die Figuren ständig verändern, weil sonst die Geschichten langweilig werden würden. Im Grunde wird das normale Leben dramatisch aufgepeppt. Die Figuren geraten in Schwierigkeiten, sie stürzen sich in abenteuerliche Liebesbeziehungen mit den Partner*innen von Freundinnen oder Freunden, die am Ende jeder Folge in einem dramatischen Cliffhanger münden. Auch positive Charaktere müssen zuweilen aus dem Rahmen fallen, kehren aber später, wenn sie aus ihren Fehlern gelernt haben, wieder zu ihrem moralisch positiven Charakter zurück. Niemand ist nur gut oder böse; und jeder muss manchmal auch eine schlechte Phase durchmachen.

Viele Schauspieler*innen sind durch GZSZ bekannt geworden und arbeiteten später erfolgreich in Kino- und Fernsehfilmen mit. Einige haben Karrieren im Musikbereich gestartet, die bekanntesten sind wohl Jeanette Biedermann und Yvonne Catterfeld. Die Darsteller*innen der Soap sind auch auf Social Media sehr aktiv. Außerdem sind sie regelmäßig Thema in der Yellow Press (vgl. VIP.de 2022).
 

Breites Spektrum an Berufen und Persönlichkeiten

Die handelnden Personen bei GZSZ gehören unterschiedlichen Berufs- und Altersgruppen sowie unterschiedlichen Nationalitäten an. Die Zuschauer sind keineswegs nur Teenager, tatsächlich wird die Serie von allen Altersgruppen gesehen: „Das Format kam zur besten Sendezeit auf immerhin 1,14 Millionen Zuseher unter den 14- bis 49‑Jährigen (11,2 Prozent MA), im Gesamtpublikum bleibt es bei 1,96 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von knapp 7 Prozent stabil“ (tt 2022). Das Interesse an GZSZ beginnt etwa im Alter von 10 Jahren, für diese Altersgruppe ist die Sendung eine Art Fenster zur Welt älterer Jugendlicher oder junger Erwachsener. Aber auch viele Ältere bleiben der Serie treu: „46 Jahre beträgt das Durchschnittsalter und der Frauenanteil liegt bei 67 Prozent“ (Aures 2018). Aufgrund der Popularität der Serie spielen auch manchmal Prominente aus anderen Bereichen des Lebens mit: „Im April legte DJ Felix Jaehn (‚Bonfire‘) im GZSZ-Club ‚Mauerwerk‘ auf. Nicht der einzige Promi-Gastauftritt: Thomas Gottschalk löste eine verlorene Wette ein, Hape Kerkeling spielte einen Möbelpacker, Gerhard Schröder sich selbst als Ministerpräsident in Folge 1500“ (ebd.).

Man erlebt mit den Figuren der Serie die ersten Freundschaften, aber auch die erste Untreue und Trennungen. Probleme, die entstehen, wenn sich beispielsweise eine Christin in einen Moslem verliebt, dessen Eltern ihm eine solche Beziehung aber verbieten, werden verhandelt: Darf man die Eltern unter diesen Umständen anlügen? Darf man eine ernsthafte Liebesbeziehung geheim halten?
 

Die Figuren

Beispiel 1: Prof. Dr. Dr. Jo Gerner

Eine besonders vielschichtige Persönlichkeit stellt der zwielichtige Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Hans-Joachim (genannt Jo) Gerner (Wolfgang Bahro) dar, der seit Folge 185/1993 dabei ist. Bahro wollte eigentlich nur für zwei Monate in der Soap mitspielen, aber GZSZ kann auf ihn schlecht verzichten (vgl. Giere 2022). Gerner ist ein skrupelloser Bösewicht, ein Schlitzohr, der im Leben und als Anwalt häufig an der Grenze zum Rechtsbruch agiert und alles unternimmt, was ihm Vorteile bringt – ohne Rücksicht auf die Interessen anderer. Gleichzeitig ist er aber auch ein liebender Familienmensch. Er ist also weder richtig gut noch richtig böse, aber immer für eine Überraschung gut.

Trotz seines vielschichtigen Charakters ist Gerner eine der wichtigsten und beliebtesten Figuren in GZSZ und wird in aller Ausführlichkeit erzählt: Sein Vater hatte ihn immer in ein Vogelgehege eingesperrt, wenn er etwas ausgefressen hatte. Schon damals war er ein Schlitzohr und in der Lage, sich selbst zu befreien und stattdessen die Katze des Vaters oder die der Nachbarn, Familie Zimmermann, einzusperren. Daher entwickelte Gerner einen Hass auf Vögel und auf Familie Zimmermann, obwohl er in deren Textilkonzern mit 16 Jahren seinen ersten Job bekam. Allerdings begann er dort ein Verhältnis mit einer Bedienung der Damenoberbekleidung, wurde von seinem Chef erwischt, der ihn zur Strafe zwang, als Transvestit mit Frauenkleidern durch das ganze Haus zu laufen, was bei der Belegschaft zur Erheiterung und bei ihm zur Demütigung führte. Worauf er beschloss, alles zu tun, um die Firma Zimmermann fertigzumachen.
 

Die Akte Gerner | Facetten des GZSZ-Urgesteins | Gute Zeiten, Schlechte Zeiten (Gute Zeiten, Schlechte Zeiten, 20.11.2017)



Gerner ist begabt, spielt hervorragend Golf, trinkt gerne Cognac und raucht ab und zu Zigarren. In einer Folge singt er mit einem Bekannten für dessen Tochter zum Geburtstag einen Rapsong. Er ist charmant, eher konservativ, trägt feine Anzüge, kann sich gut benehmen, wenn er will. Bei Frauen kommt er gut an und ist diesbezüglich sehr aktiv. Als Rechtsanwalt und Geschäftsmann geht er über Leichen und vertritt gnadenlos seine Interessen. Um beispielsweise eine Fluggesellschaft pleitegehen zu lassen, zwingt er seinen Freund, den Piloten Hannes Bachmann (Klaus-Dieter Klebsch), bei einem Flugzeug mangelhafte Ersatzteile einzubauen. Gerner zeigt selten Gefühle, hat meist einen kühlen Kopf, kann aber auch sehr verletzt und hilflos sein. Am Anfang hat er zu seiner Familie – dem Vater, seinem Halbbruder sowie seinem Onkel – kein besonders gutes Verhältnis. Zum Familienmenschen entwickelt er sich erst, als dessen ältere Tochter Vanessa auftaucht. Gerner hat insgesamt vier Kinder, seine zwei Söhne kommen aber ums Leben.

Je älter Gerner wird, desto mehr entwickelt er sich zum Positiven. In den letzten Folgen wird er z. B. verdächtigt, für den Mord an Miriam (Sara Fuchs) verantwortlich zu sein. Er hat sie zwar entführt, aber als er ihr erzählt, was ihr Vater alles auf dem Kerbholz hat, wendet sie sich von diesem ab. Es kommt zum Streit zwischen Miriam und ihrem Vater, in dessen Verlauf der Vater sie erschießt. Er ruft die Polizei und beschuldigt Gerner, den Mord begangen zu haben. Natürlich löst sich der Vorwurf auf.
 

Beispiel 2: John Bachmann

Am Beispiel von John Bachmann (Felix von Jascheroff) kann man sehen, wie Figuren eingeführt und entwickelt werden. Er ist der Sohn von Patrizia (Christin Baechler) und Hannes Bachmann, seine älteren Geschwister sind Lena (Uta Kargel) und Ben Bachmann (Peer Kusmagk). Die Familie lebt zuerst in den USA, bis Vater Hannes angeblich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt. Patrizia und der 15-jährige John kehren nach Berlin zurück, feiern dort ein Wiedersehen mit Patrizias Schwester Senta Lemke (Hanne Wolharn) und kommen so in die Serie. John hing sehr an seinem Vater und findet sich in seiner neuen Umgebung nicht richtig zurecht. Mangels Alternativen gerät er an die falschen Freunde. Es ärgert ihn, dass seine Mutter bereits wenige Wochen nach der Ankunft in Berlin ein Verhältnis mit Jo Gerner anfängt. John verliebt sich in Julia Blum (Yvonne Catterfeld) und sie beginnen eine feste Beziehung, aber sie will auf ein Sportgymnasium wechseln, auf das John aus gesundheitlichen Gründen nicht aufgenommen werden kann. Es kommt zu einem dramatischen Abschied.

Johns Freunde handeln mit illegalen Waffen und er wird in schmutzige Geschäfte verwickelt. Als Julia nach Berlin zurückkehrt und von Johns kriminellen Machenschaften erfährt, trennt sie sich von ihm. Er gerät zunehmend auf die schiefe Bahn, als Höhepunkt schießt er Julia versehentlich ins Bein: Er hantiert mit einer Waffe, aus der sich unbeabsichtigt ein Schuss löst. Julia erleidet eine Knieverletzung, sodass sie ihre Karriere als Leistungssportlerin abschreiben muss.

Dann taucht völlig unerwartet Johns tot geglaubter Vater Hannes wieder auf, der angibt, seinen Tod nur vorgetäuscht zu haben, weil er mit seiner Geliebten jenseits der Beziehung zu Patrizia ein neues Leben beginnen wollte. Seine Familie ist darüber verständlicherweise nicht begeistert, aber John vergibt ihm und die beiden verbringen viel Zeit miteinander.
 

Rückblick auf 20 Jahre: So dramatisch war Felix' GZSZ-Rolle Gute Zeiten, Schlechte Zeiten (Promiflash, 31.07.2021)



Die Geschichte geht mit Höhen und Tiefen weiter. Es gibt Probleme mit Lehrern, später erwartet Caroline Neustädter (Jessica Ginkel) ein uneheliches Kind von John, sie hält das jedoch zunächst vor ihm geheim. Als er die Wahrheit erfährt, ist er zunächst wütend. Sie versöhnen sich jedoch später wieder und wollen gemeinsam für das Kind sorgen. Aber John betrügt Caroline, sie erfährt das und erleidet in der Endphase der Schwangerschaft einen Zusammenbruch. Daraufhin trennt sich Caroline von John und kommt mit Tim Böcking (Roman Roth) zusammen. Beide beschließen, nach Kanada zu gehen.

Aus Enttäuschung über die gescheiterte Beziehung lässt sich John mit Pia Koch (Isabell Horn) ein, aber nachdem die Affäre zunächst rein sexuell motiviert ist, verliebt sich Pia in John. Dieser kämpft mit sich, als er hört, dass sein Sohn Benjamin auf die Welt gekommen ist. Er ist schon auf dem Weg, um zu ihm nach Kanada zu reisen, kehrt jedoch am Flughafen um, weil er Angst hat, seinen Sohn noch einmal verlassen zu müssen. Dann wird Pia schwanger, will aber das Kind nicht bekommen. So kommt es zu gegenseitigen Vorwürfen zwischen den beiden.
 

Ethische Dilemmata

Beispiel 3: Julia und Nico, Cora und Leon

Nach dem Zerwürfnis mit John benötigt Julia Nachhilfe und findet diese bei Nico A. Weimershaus (Raphaël Vogt). Beide verlieben sich. Die Tragik beginnt, als Nicos kleine Tochter Antonia, die er zusammen mit seiner Ex Cora Hinze (Nina Bott) hat, an Blutkrebs erkrankt und nur durch eine Knochenmarkspende zu retten ist, für die jedoch kein passender Spender gefunden werden kann. Cora ist inzwischen mit Leon Moreno (Daniel Fehlow) verheiratet. Die einzige Möglichkeit, das Kind zu retten, besteht darin, dass Cora mit ihrem Ex-Freund Nico über künstliche Befruchtung ein Kind zeugt, um als Spender für die kranke Antonia zu dienen. Ein solches Vorgehen ist jedoch in Deutschland verboten, in Italien jedoch erlaubt. Ausführlich wird das Für und Wider einer solchen Aktion aus ethischer Sicht in verständlichen Dialogen diskutiert: Die Mutter würde alles tun, um ihr Kind zu retten, einige Freunde halten dagegen, dass Coras neues Kind als Ersatzteillager für die Schwester gezüchtet werden würde. Cora wird tatsächlich schwanger, der kleine Sebastian wird geboren. Letztlich wird dann aber die Knochenmarkspende doch noch von Isabel Eggert (Natalie Alison) geliefert. Allerdings wird das Verhältnis zwischen Nico und Julia auf eine harte Probe gestellt, da Julia auch gerne ein Kind von Nico hätte.


Beispiel 4: Jasmin und ihre Mutter Katrin

Auch das Thema der sexuellen Selbstbestimmung wird verhandelt. Jasmin Flemming (Janina Uhse) ist lesbisch, ihre Mutter Katrin (Ulrike Frank) hat nach einem Schlaganfall ihre Agentur wieder aufgebaut. Der einzige Kunde ist ein Optiker, der im Fernsehen öffentlich die Meinung vertritt, homosexuelle Paare seien pervers. Es kommt zum Streit zwischen Jasmin und ihrer Mutter, die Jasmin bittet, die Liebe zu ihrer Freundin Anni Brehme (Linda Marlen Runge) nicht öffentlich zu machen, weil sie Angst hat, dadurch ihren einzigen Kunden zu verlieren. Die Tochter fordert ihre Mutter auf, stattdessen die Konsequenzen daraus zu ziehen und nicht mehr für jemanden zu arbeiten, der solche Positionen vertritt. Es geht um die Frage, ob die Mutter zu ihr und ihrer Freundschaft steht oder nicht. Die Mutter argumentiert, Jasmin könne zusammen sein, mit wem sie wolle, aber sie müsse daraus doch nicht unbedingt ein öffentliches Statement machen. Sie könne deshalb möglicherweise ihren einzigen Kunden verlieren: „Wenn du dich ausprobieren willst, bitte schön, aber nicht auf Kosten meiner Agentur.“ Jasmins Freundin Anni sieht das entspannter, sie meint, Jasmin möge ihrer Mutter etwas Zeit geben, ihre Eltern wüssten seit Jahren, dass sie lesbisch sei, glaubten aber immer noch, sie wolle sich sexuell nur ausprobieren. Jasmins Mutter kommt eines Abends zu ihr und will sich mit Jasmin versöhnen, sie hätte für ihren Kunden eine Erklärung formuliert, in der sich dieser für seine Äußerungen entschuldigt (siehe dazu Folge 5.539/2014).

Insgesamt spielen in fast allen Geschichten solche ethischen Diskurse ohne pädagogischen Zeigefinger eine Rolle und Zuschauende können sich entscheiden, für welche Positionen sie moralisch eintreten.
 

GZSZ Classics: Anni und Jasmin (Gute Zeiten, schlechte Zeiten, 20.06.2022)



Das fiktionale Miterleben

Bei GZSZ geht es um Alltagsnähe, um dramatische Höhen und Tiefen. In jeder Folge werden drei oder vier Episoden mit eigenen Handlungssträngen parallel weitererzählt. Oft ist auch eine Episode dabei, die ein gesellschaftlich relevantes ethisches Thema aufgreift, wie oben beschrieben. Dabei geht es auch um typische jugendrelevante Themen wie beispielsweise Drogenmissbrauch oder Bulimie: Die 17-jährige Lilly Seefeld (Iris Mareike Steen) galt eigentlich in ihrer Familie als die Vernünftige, stand aber immer ein bisschen im Schatten ihrer rebellischen Schwester. In der Pubertät und nach dem Scheitern ihrer ersten Liebesbeziehung denkt sie zunehmend über ihr Schönheitsideal nach, was sie in die Magersucht führt. Bei solchen Themen arbeitet die Redaktion auch mit Sozialarbeitern zusammen, in diesem Fall mit dem Verein Dick und Dünn e. V., einer Selbsthilfegruppe für Mädchen mit Essstörungen (Ghosh 2012, S. 58).

Die Zuschauer*innen kennen alle Figuren, sie fühlen sich in die Konflikte ein und sind gespannt, ob sich in der nächsten Folge der Konflikt löst oder weiter eskaliert. Wie die vorangegangene Schilderung einzelner Figuren deutlich gemacht hat, ist die Story sehr komplex. Man muss sich konzentrieren und regelmäßig einschalten, weil man sonst der Handlung nicht mehr folgen kann. Dadurch wird die Bindung verstärkt, man muss in der Handlung leben.


Die Story ist sehr komplex. Man muss in der Handlung leben.



Dabei entwickeln sich fiktive Freundschaften und Feindschaften, man überlegt, wie man selbst in entsprechenden Situationen handeln würde, ob man bestimmte Handlungen anderer verurteilt oder sie letztlich trotz Gewissensbissen toleriert. Gerade mit Blick auf die fragilen sexuellen Beziehungen, in denen trotz großer gegenseitiger Emotionen dem Reiz des Fremden und Neuen oft nachgegangen wird, erlebt man die Verführung, aber auch die Trauer und Enttäuschung der Betrogenen. Dadurch lernen Rezipierende, eigene Positionen zu entwickeln. Gleichzeitig ist ihnen natürlich klar, dass sie daran nicht wirklich beteiligt sind und die fiktive Beziehung jederzeit beendet werden kann. Es handelt sich um eine Art Probehandeln in der Fantasie, in dem man sich austoben kann, ohne realen Schaden anzurichten. Dieses fiktive Leben ist ein bisschen spannender als das eigene, aber eben nicht komplett anders. Und wenn man tagsüber Sehnsucht nach der fiktiven Beziehung hat, verfolgt man die Figuren in den sozialen Netzwerken, in der Yellow Press oder man schaut in die Mediathek.
 

Das Selbstverständnis der Redaktion

Bei allen dargestellten moralischen Höhen und Tiefen sieht sich die Redaktion selbst einer verantwortbaren Moral verpflichtet: „Ja, wir sind grundsätzlich moralisch, weil die Antagonisten, die durchaus Intrigen verantworten oder moralisch verwerflich handeln, auf lange Sicht nie belohnt werden. Insofern ist das moralische Konstrukt intakt“, formulierte es Christiane Ghosh (ebd.), die viele Jahre für GZSZ zuständige Redakteurin bei RTL. Dabei beziehen die Folgen selbst nie Stellung, sondern beschreiben die unterschiedlichen Perspektiven und Verhaltensweisen: „Wir versuchen eben, keine Meinungen vorzugeben, wir beleuchten die Themen prinzipiell von mehreren Seiten. Dabei immer bewusst Denkanstöße bietend und eine Meinungsvielfalt abbildend. Dadurch werden die Serieninhalte doch erst abwechslungsreich und vermeiden Klischeehaftigkeit“ (ebd.).
 

Wolfgang Bahro, alias Jo Gerner, über 30 Jahre Gute Zeiten, Schlechte Zeiten (FilmTV, 31.05.2022)



Literatur:

Aures, F.: Phänomen GZSZ: Was du über den Soapklassiker wissen musst. In: TV Spielfilm, 18.05.2018. Abrufbar unter: https://www.tvspielfilm.de

Ghosh, C.: „Ein Fenster zum Leben in der modernen Großstadt!“ Gute Zeiten, schlechte Zeiten wendet sich an verschiedene Generationen. Interview mit Joachim von Gottberg. In: tv diskurs, Ausgabe 62, 4/2012, S. 56–58

Giere, L.: GZSZ ohne Jo Gerner? Wolfgang Bahro wäre beinah aus RTL-Soap ausgestiegen. In: Der Westen, 10.05.2022. Abrufbar unter: https://www.derwesten.de

GZSZ: Folge 5539, 18.07.2014. Abrufbar unter: https://www.rtl.de

tt: TV-Quoten. RTL-Dauerbrenner „GZSZ“ landet ganz vorne. In: Horizont, 14.06.2022. Abrufbar unter: https://www.horizont.net

VIP.de: GZSZ, Soap. Erfahren Sie alles rund um die erfolgreichste Daily Soap Deutschlands. In: VIP.de, 2022. Abrufbar unter: https://www.vip.de