Alles wird immer schneller

Beschleunigung und die Sehnsucht nach Resonanzbeziehungen

Joachim von Gottberg im Gespräch mit Hartmut Rosa

Wer in den 1970er-Jahren einen Freund in Australien hatte, musste mindestens drei Wochen warten, bis er auf einen geschriebenen Brief eine Antwort bekam. Telefonieren war teuer und aufgrund der Zeitverschiebung kompliziert. Heute kommunizieren wir mit Menschen in aller Welt über E-Mail oder soziale Netzwerke in Sekunden. Wenn wir nicht innerhalb kurzer Zeit eine Antwort bekommen, werden wir nervös und machen uns Gedanken. Kein Zweifel: Alles geht immer schneller. Über die Folgen der Beschleunigung und Möglichkeiten, uns darauf einzustellen, sprach tv diskurs mit Dr. Hartmut Rosa, Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Printausgabe tv diskurs: 21. Jg., 3/2017 (Ausgabe 81), S. 34-39

Vollständiger Beitrag als:

Die Resonanzverhältnisse in der modernen Welt sind gestört. Das ist eine der Kernaussagen Ihres aktuellen Buches. War das denn jemals anders?

Mir ist ganz wichtig zu betonen, dass meine These nicht lautet: Früher war die Welt resonant – und heute ist sie es nicht mehr; was man leicht denken könnte, wenn man nicht den gesamten Theorieentwurf sieht. Meine Idee ist eine kritische Gesellschaftsbeobachtung, die man vermutlich in jeder Gesellschaft und in jeder Zeit betreiben kann. Immer gab und gibt es eine gewisse Sehnsucht nach Resonanzbeziehungen, doch gleichzeitig wirken eben andere Dinge darauf hin, die Resonanzmöglichkeiten zu untergraben. Die Formen ändern sich einfach, und deshalb muss eine Kritik der Resonanzverhältnisse immer wieder neu formuliert werden. In der Vergangenheit gab es viele Gründe, z.B. Traditionen oder Repressionen, die Menschen daran hinderten, so etwas wie eine eigene Stimme zu entwickeln. Das ist heute nicht mehr das Problem. Stattdessen haben wir es mit Gründen zu tun, die ich unter dem Begriff „Entfremdung“ zusammenfasse.

Heute spielen die Medien bei unserer Wahrnehmung von Welt eine zentrale Rolle. Wir erhalten eine enorme Fülle von Eindrücken und Informationen und sind über die Medien sehr direkt mit allen möglichen Orten dieser Welt verbunden.

Worin auch ein Problem liegt, denn wir sind nicht in der Lage, ständig mit allen möglichen Dingen in Resonanz zu treten. E-Mails sind hier ein ganz gutes Beispiel, da man beim Lesen von Mails auf einer kognitiven Ebene permanent Kontakt mit ganz unterschiedlichen Zusammenhängen hat. In der ersten Mail lese ich: „Wusstest Du, dass unser gemeinsamer Schulfreund gestorben ist?“ Da empfinde ich beim Lesen einen Moment der Trauer. In der nächsten Mail erhalte ich eine Einladung nach Shanghai und reagiere mit Freude. Binnen kürzester Zeit sehe ich mich also in ganz verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Resonanzachsen, die sich aber nicht im Sekundentakt aktivieren und deaktivieren lassen. Oder es kann anderenfalls zu einer Form von Überstimulation kommen. Wenn wir mit einer Vielzahl unterschiedlicher Resonanzanforderungen konfrontiert werden, kann es sein, dass der Reizschutzfilter immer größer wird, sodass man gar nicht mehr reagiert. Oder aber, man reagiert auf alles und verliert das, was ich die eigene Stimme, die Antwortfähigkeit, nenne.

Wir haben manchmal Schwierigkeiten, mit unserer Empathie zu haushalten, weil wir ja nicht nur mit Medieninformationen konfrontiert werden. Real müssen wir ja auch ständig reagieren, z.B., wenn uns ein Obdachloser nach Kleingeld fragt …

… und wir dann so überfordert sind, dass wir den Resonanzappell ausblenden und es quasi zu einer Verdinglichung von Menschen kommt. Mein Rat wäre hier aber: Dieser kleine Moment der Kontaktaufnahme und des Sich-in-die-Augen-Schauens ist wahnsinnig wichtig für den anderen und auch für uns selbst, weil Wegschauen und Ausblenden zu einer Verhärtung führen. Die meisten von uns kämpfen mit einer Überstimulation von Sphären – Familie, Freunde, Arbeitskollegen, Trump. Der Witz dabei ist, dass alle unsortiert und über den gleichen Kanal an uns herangelangen: über das Smartphone. Ich vertrete wahrlich nicht die These, dass Smartphones böse sind, aber in diesem Monokanal zur Welt – über dessen konturlose Oberfläche unser Finger immer wieder streicht, egal, ob wir spielen, uns unterhalten oder erotische Abenteuer suchen – scheint ein wirkliches Problem in unserer Weltbeziehung zu liegen.

Sie diagnostizieren die Beschleunigung als ein Phänomen unserer Zeit. Handelt es sich hierbei um ein subjektives Gefühl?

Genau aus dieser Frage heraus habe ich meine Beschleunigungsstudien begonnen. Sozialwissenschaftler sagen gern, dass Beschleunigung vor allem ein rhetorischer Topos oder ein Rechtfertigungsmodus sei. Ich wollte dem nachgehen und Beschleunigungsphänomene operationalisieren, um sie empirisch messbar machen zu können. Das Ergebnis ist recht eindeutig: Es gibt drei Dimensionen von Beschleunigung, die nicht unmittelbar kausal aufeinander bezogen sind, sondern in einem komplexen Wechselwirkungsgeflecht stehen. Dabei handelt es sich zum einen um eine technische Beschleunigung, die seit dem 18. Jahrhundert gravierend zugenommen hat. Diese kann man systematisch von der Beschleunigung des sozialen Wandels unterscheiden. Die Frage ist hier, wie lange die durchschnittliche Haltbarkeit oder Stabilität eines Weltzustandes ist. Es scheint so zu sein, dass die Dauer bestimmter Hintergrundbedingungen unseres Handelns – in der Berufswelt, in der politischen und medialen Welt – abnimmt. Als Drittes steht dann die Beschleunigung des Lebenstempos. Menschen versuchen, im Laufe einer bestimmten Zeiteinheit die Zahl der Handlungs- und Erlebnisepisoden zu erhöhen.

Zeit scheint doch eine relative Sache zu sein: Stehe ich unter Stress, scheint mir die Zeit zwischen den Fingern zu zerrinnen, sitze ich aber in einem Wartezimmer, kommen mir zehn Minuten wie eine halbe Ewigkeit vor. Handelt es sich entsprechend nicht um eine Wahrnehmungsfrage unseres Gehirns?

Es handelt sich dabei um das psychologische Zeitparadoxon, wie es schon Thomas Mann und William James beschrieben haben. Wenn ich während einer Urlaubsreise interessante und spannende Dinge unternehme, vergeht die Zeit wie im Flug, aber sie dehnt sich in der Rückschau. Genau umgekehrt ist es im Wartezimmer: Zehn Minuten kommen einem wie zehn Stunden vor, aber wenn man abends im Bett liegt, hat man das Gefühl, man sei gerade erst aufgestanden. Unser Gehirn verarbeitet Zeit also offenbar dergestalt, dass es im Wartezimmer keine Erinnerungsspuren oder Spuren emotionaler Beteiligung anlegt, wohingegen das bei Reisen oder anderen schönen Dingen sehr stark der Fall ist. Was unsere Mediennutzung angeht, gibt es so etwas wie ein Fernsehparadoxon, bei dem ein interessantes Kurz-Kurz-Muster entsteht. Wenn ich beim Zappen nicht gerade auf einen wahnsinnig spannenden Film stoße, vergeht die Zeit zwar sehr schnell, doch wenn ich den Fernseher irgendwann abschalte, schrumpft sie auf nichts zusammen. Meine These ist, dass diese Zeiterfahrung ein Phänomen der spätmodernen Gesellschaft überhaupt darstellt. Wir hetzen den ganzen Tag hin und her, es ist immer spannend und viel los, aber ganz wenig berührt uns so, dass es in eine Erfahrung transformiert wird, die bleibt.

In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich auch mit der ökonomischen Situation: Sie deuten an, dass technologische Entwicklungen, die das Leben vereinfachen sollen, nicht dazu führen, dass wir mehr Zeit haben, sondern ganz im Gegenteil: Wir müssen immer mehr tun, allein um unseren Status quo zu halten. Immer weniger Menschen müssen immer mehr leisten – und produzieren immer mehr. Das führt dazu, dass immer mehr Menschen aus diesem System herausfallen, der Leistungsdruck steigt. Leben wir in einem System, dass irgendwann zusammenbrechen wird?

Meine große Hoffnung ist, dass wir es nicht auf ein Desaster ankommen lassen müssen. Viele fürchten sich vor einer ökologischen Katastrophe, ich als Soziologe denke, dass wir eher ein kulturelles, politisches oder ökonomisches Desaster erleben werden, da die Steigerungszwänge nicht von Institutionen, sondern von den Menschen erfüllt werden müssen, was zu Desynchronisationen kultureller, demokratischer und sozialstruktureller Art führen wird. Wir erzeugen in diesem System viele Verlierer, die gar nicht mehr in einem Steigerungszusammenhang stehen, weil sie schon herauskatapultiert worden sind. Dadurch kommt es zu Desynchronisationen demokratischer Prozesse und zu kulturellem Widerstand. Der sogenannte Islamische Staat ist dafür ein gutes Beispiel. Viele Anhänger kommen nicht aus dem arabischen Raum, sondern leben in Europa. Das zeigt, dass die Attraktivität zumindest z.T. aus der Logik moderner westlicher Gesellschaften selbst kommt und auch recht einfach zu erklären ist. Den radikalen Islamisten schwebt radikale Entschleunigung vor. Es ist das Gegenteil von dynamischer Stabilisierung und verfolgt die Vorstellung, dass man die Welt in einem imaginären Zustand einfrieren sollte – keine Innovationen, kein Wachstum, keine Beschleunigung. Der Witz dabei ist allerdings, dass der IS zwar die Ideologie des Einfrierens propagiert, aber selbst die Methoden der dynamischen Stabilisierung anwendet: immer radikalere Anschläge, die Ausdehnung des Anspruchs auf ihren Einzugsbereich etc.

Wir sprechen viel von Weltoffenheit. Sind manche Menschen damit vielleicht schlicht überfordert, weil sie in einer immer schneller werdenden Welt, die eher Dissonanzen erzeugt, das Problem haben, einen Platz im Leben zu finden?

Die einfache Offenheit führt ja dazu, dass man die eigene Stimme und damit die Resonanzfähigkeit verliert. Das, was wir als Flüchtlingskrise bezeichnen, und die Diskussion darum würde ich als Symptom eines prekär gewordenen Weltverhältnisses beschreiben. Resonant auf die Welt Bezug nehmen, bedeutet, bereit und fähig zu sein, sich von etwas anderem ansprechen zu lassen, aber nicht im Sinne von Überwältigung und Aufgabe des Eigenen, sondern derart, dass ich mit meiner eigenen Stimme antworte und mich auf ein Geschehen einlasse, das eine transformative Kraft entfaltet. Aber wenn die Erwartung die ist, dass Veränderung nur Niedergang heißt oder gar Verletzung, dann entsteht der Wunsch nach Abschottung.

Seit Kant und der Aufklärung spielt die Vernunft eine zentrale Rolle. Erst seit ein paar Jahren fällt das Augenmerk in Philosophie und Psychologie verstärkt auf hohe Bedeutung der Emotionen. Nun ist die zentrale Frage, wie wir unsere Emotionen und – als Reaktion der Gefühle – die Resonanz mit der Vernunft in Einklang bringen. Sind wir eine zu vernunftorientierte Gesellschaft?

Auf jeden Fall! Wir denken, dass Vernunft und Verstand die Hauptorgane unserer Orientierung in der Welt sind. Das ist meiner Meinung nach de facto falsch, denn so merken wir gar nicht mehr, was uns eigentlich leitet. In meiner Theorie habe ich drei Dimensionen von Resonanz entwickelt: Zum einen ist es die horizontale Resonanz zu anderen Menschen, die sich in Liebe und Freundschaft in ihrer Reinform findet. Weiterhin unterscheide ich die diagonale Resonanz zu den Dingen, mit denen wir umgehen, und die vertikale Resonanz, unter der ich unseren Sinn verstehe, wie wir zu Kunst, Natur, Religion oder zum Leben als Ganzem stehen. Nun muss ich aber eine kleine Einschränkung machen. Es gibt natürlich eine leibliche Bezugnahme auf Welt, an der man ablesen kann, wie es einem Menschen geht, aber wenn jemand sagt: „Du musst mehr auf deine Gefühle achten!“, dann ist mir das zu subjektivistisch und individualistisch. Die Resonanztheorie ist eine relationale Theorie. Es kommt nicht darauf an, was ich fühle, sondern Resonanz ist im Grunde die Wahrnehmung eines anderen als ein anderer, was mich angeht. Die Gefühle sind nicht in uns drin, sondern sie sind zwischen uns und der Welt. Der deprimierende Zustand – und dies lese ich als Krisensymptom und als Grundangst der Moderne – ist das Verstummen und das Schweigen der Welt, indem wir genau diese Beziehungsqualität nicht mehr wahrnehmen, sondern sie nur noch verstandesgemäß beherrschen. Deshalb deute ich auch die Sinnsuche, die auf einer kognitiven Ebene stattfindet, als ein Krisensymptom.

Adorno hat den Satz geprägt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Die Frage ist: Können wir ein vernünftiges Leben in einer Welt führen, die nach Ansicht vieler völlig aus den Fugen zu geraten droht?

Früher habe ich diesen Satz immer zustimmend zitiert, heute bin ich etwas anderer Auffassung. Es gibt zwar kein richtiges Leben im falschen, aber ich glaube, dass die Resonanzfähigkeit zur anthropologischen Grundausstattung des Menschen gehört. Menschen sind immer Resonanzwesen, denn durch Resonanzen werden sie erst zu Subjekten. Ich meine: Leben heißt, resonanzfähig zu sein. Deshalb bin ich an dieser Stelle etwas optimistischer als Adorno und überzeugt: Die Grundfähigkeit, mit Welt in Kontakt zu treten, kann nie ganz verloren gehen. Sie kann vielleicht verschüttet werden oder wir können sie in vielerlei Hinsicht verlernen, aber dennoch haben wir immer einen Sinn dafür, was es z.B. heißt, sich zu verlieben oder sich ganz und gar von Kunst begeistern zu lassen.

Wenn wir unsere Gesellschaft betrachten, geht es vielleicht gar nicht so sehr um ein richtiges oder ein falsches Leben, sondern es geht darum, eine Gruppe von Menschen, die am Rand stehen, in irgendeiner Weise wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Natürlich lassen sich nicht alle Probleme lösen, aber es sollte doch möglich sein, eine Grundversorgung zu bieten. Solidarität – da sind wir wieder bei der Resonanz – und Mitfühlen mit Schwächeren sollte uns eine Herzensangelegenheit sein.

Als Gesellschaftskritiker ist meine derzeitige Wahrnehmung, dass wir uns in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Gleichwohl wir uns alle einig darüber sind, dass sich die Obdachlosigkeit in den Großstädten massiv verschlimmert hat, ist es in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt kein Thema. Stattdessen herrscht der Grundton, dass jeder Einzelne schon genügend Probleme hat und sich jetzt nicht auch noch um andere kümmern kann. Deshalb lautet meine Diagnose, dass wir dispositional in einen Verhärtungsmodus gezwungen werden: Die Flüchtlinge sollen sich selbst versorgen, wir haben genug Probleme, und um die Obdachlosen kann ich mich individuell jetzt nicht auch noch kümmern. Das ist nicht als Vorwurf gemeint, mir persönlich geht das auch so. Es geht mir um die Beschreibung des Modus, der derzeit nicht resonanter erscheinen mag.

Möglicherweise böte sich hier eine Chance auf Veränderung über medialem Wege: ein Film etwa über einen Obdachlosen, der dem Zuschauer die Möglichkeit bietet, sich in die Lage der Betroffenen hineinzuversetzen.

Die Idee ist gut, aber leider ist es nicht nachhaltig. Meistens gibt es eine kurze Welle, die dann aber relativ schnell wieder abebbt. Dennoch haben Sie recht: Empathie lässt sich über Narration evozieren.

Anerkennung ist ein Moment der Resonanz. Wenn eine Fußballmannschaft ein wichtiges Spiel gewinnt, erfahren auch deren Fans eine Form von Anerkennung, die sie sich streng genommen gar nicht selbst verdient haben. Das zeigt: Ich identifiziere mich mit jemandem und wenn dieser erfolgreich ist, freue ich mich, als wäre es mein eigener Zustand.

Das sind in der Tat ganz interessante und eigenartige Phänomene. Das, was man selbst wertschätzt, will man auch wertgeschätzt als solches erfahren. Anerkennung gehört nach meiner Definition zur horizontalen Dimension von Resonanzbeziehungen, auch wenn beide Dinge sich doch voneinander unterscheiden. Anerkennung ist zwar auch wechselseitig, aber Resonanz hat einen dynamischeren Charakter. Es ist das, was sich zwischen uns einstellt und unverfügbar hin- und hergeht. Die Phänomene sind nicht identisch, aber sie sind eng miteinander verknüpft.

Sie schreiben in Ihrem Buch auch über das Phänomen der Entfremdung. Wir leben in einer Gesellschaft, in der nur wenige von uns mitbekommen, wie Dinge produziert werden. Wir wissen weder, wo unser Strom produziert noch wo unser Brot gebacken wird. Das seelenlose Stück Rinderfilet auf unserem Teller nehmen wir meist nicht als Teil eines Tieres wahr. Selbst das Sterben findet hinter verschlossenen Türen statt. Letztlich führt uns die Entfremdung weg von den Dingen und stattdessen verwalten wir viel mehr. Müssen wir Resonanz also wieder neu lernen?

Es gibt durchaus ein Bewusstsein dafür und eine Suche danach, in Resonanz mit Dingen zu treten. Der entscheidende Punkt scheint mir momentan in unserer modernen Welt aber darin zu liegen, dass der Umgang mit unserem Umfeld extrem verdinglicht ist. Wir haben etwas und wir wissen, was wir damit zu tun haben – und nutzen es genau in dieser einen Dimension. Gleichzeitig wollen wir Einzelobjekte haben, zu denen wir eine ganz besonders intensive und reine Beziehung aufbauen möchten, nämlich keine instrumentelle. Tiere sind hier ein gutes Beispiel: Auf der einen Seite haben wir Massentierhaltung und Versuchstiere, zu denen wir ein ausschließlich verdinglichtes Verhältnis haben, auf der anderen Seite haben wir die Haustiere, zu denen wir ein ausschließliches Resonanzverhältnis suchen. Ich glaube, dass wir tatsächlich eines kulturellen Umbaus bedürfen, der uns die beiden Dimensionen auch im Alltag spürbar werden lässt. Indem wir Dinge produzieren, nutzen und mit ihnen umgehen, haben sie immer noch eine Art von Überschussdimension. Vielleicht wird sich mein nächstes Buch mit Unverfügbarkeit beschäftigen, denn der Moment des Unverfügbaren im anderen ist eine wesentliche Resonanzerfahrung. Wenn ich eine Sache vollständig beherrschen und kontrollieren kann, kann ich mit ihr nicht mehr in Resonanz treten. Die ganze Logik der Politik und der Wissenschaft zielt jedoch auf vollständige Verfügbarmachung ab. Ich muss genau wissen, wie viel ein Ding wiegt, wie viel es kostet, wer dafür rechtlich verantwortlich ist. Alle Aspekte der Dinge sollen berechenbar, beherrschbar, verfügbar und justiziabel werden. Dieses Verfügbarmachen von Welt ist der sicherste Weg, Resonanzen auszutreiben und Entfremdung zu verbreiten.

Wie würden Sie vor dem Hintergrund Ihrer Resonanztheorie ein gelingendes Leben definieren?

Menschen führen dann ein gelingendes Leben, wenn sie über stabile Resonanzachsen in horizontaler, vertikaler und diagonaler Richtung verfügen. Stabil heißt dabei nicht, dass sie unveränderbar und für alle Zeit garantiert sind, aber sie sollen in nachhaltigem Sinne verlässlich sein.

Seit Anbeginn der Menschheit gibt es die Angst vor der Apokalypse. Hängt das vielleicht mit dem Bewusstsein unserer eigenen Sterblichkeit zusammen und kann Ihre Resonanztheorie hier weiterhelfen?

Ich gebe Ihnen recht: Die Erwartung des Weltendes ist eine Art von anthropologischer Konstante. Die naheliegende Erklärung ist vielleicht die, dass wir wissen: Wir alle müssen irgendwann sterben. Und ehrlich gesagt, ist der eigene Tod ja auch eine Art Ende der Welt, weil die Resonanzen dann erst einmal aufhören. Aber de facto gibt es natürlich unterschiedliche kulturelle Möglichkeiten, mit der Endlichkeit umzugehen. Wenn ich mich resonant mit dem Leben und der Welt verbunden erfahre, liegt darin eine Chance, das Problem der Endlichkeit zu überwinden, weil ich mich eben auch mit nachkommenden Generationen und Gesellschaften verbunden fühle. Erst, wenn ich mich als isoliert und abgeschnitten empfinde, wird die Frage nach den zukünftigen Generationen zu einer moralischen: Was schulde ich ihnen? Wenn ich mich hingegen lebendig verbunden fühle und weiß: Das, was ich tue, hat eine unmittelbare Auswirkung auf die Zukunft und das Wissen um die zukünftigen Generationen hat wiederum eine unmittelbare Auswirkung auf mich – dann ist der Tod nicht mehr die letzte, schreckende und trennende Grenze, sondern nur ein Medium der Wandlung von Resonanzbeziehungen. Wenn wir an Nachhaltigkeit interessiert sind, sollten wir nicht fragen, was wir zukünftigen Generationen schulden, sondern was uns mit ihnen verbindet. Wie wecken wir den Sinn dafür, dass der Strom des Lebens durch uns hindurch und zu ihnen führt? Wenn wir diesen Sinn zurückgewinnen, werden wir wohl auch wieder zukunftsoptimistischer und wahrscheinlich auch nachhaltiger leben.

Dr. Hartmut Rosa ist Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.