„Authentizität ist immer wichtig.“
Wie müssen historische Ereignisse im Podcast aufgearbeitet werden?
Indem man sie vielleicht gar nicht als ein Ereignis behandelt. Ich glaube, das würde dazu führen, dass man sich nur auf das Hier und Jetzt konzentriert, also auf das, was gerade passiert. Wir versuchen immer, unsere Geschichten zu kontextualisieren, denn eigentlich ist der Weg zum Ereignis viel interessanter als das Ereignis selbst. Also die Frage, wie etwas überhaupt passieren konnte. Das führt dazu, dass man Ereignisse besser versteht.
Kannst du das an einem Beispiel erklären?
Sagen wir mal, du hast einen Storytelling-Podcast, in dem es um die aktuelle Wirtschaftslage geht. Und du sagst, Donald Trump hat Zölle auf alles erhoben, was nicht niet- und nagelfest ist. Meine Arbeit wäre jetzt zu fragen: Wie ist es dazu gekommen? Da würde ich locker 20, 30 Jahre zurückgehen und erst mal versuchen zu verstehen: Was für ein Wirtschaftssystem ist das eigentlich? Wie kommt so jemand wie Donald Trump überhaupt auf so eine Idee? Ist das vielleicht eine logische Konsequenz dessen, wie in den letzten Jahrzehnten Wirtschaftspolitik gemacht worden ist? Diese Fragen würde ich mir erst einmal stellen und daraus dann eine Geschichte bauen, die ich erzählen möchte.

Welche Aspekte wählst du aus, um eine Geschichte zu erzählen? Bei eurem Podcast über die Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette z. B. habt ihr ausführlich nachgezeichnet, wie ihr nach ihr gesucht habt, nachdem ihr einen Tipp bekommen hattet, wo sie möglicherweise zu finden ist. Geht es dir darum zu zeigen, wie du bei deinen Recherchen von A nach B gekommen bist? Oder gibt es ein übergeordnetes Ziel – eine Erkenntnis oder eine Botschaft, die unbedingt rüberkommen soll?
Hauptsächlich suchen wir Geschichten danach aus, ob sie eine Bedeutung haben, die über sie selbst hinausgeht. Dass sie eine gesellschaftliche Komponente haben, dass wir an ihnen ein Stück weit Deutschland erzählen können oder die Welt. Das Interesse hinter Daniela Klette dagegen war journalistische Neugier. Da bekam ich diesen Hinweis eines Hörers und wir haben in der Redaktion gedacht: Wir gehen dieser Spur nach. Und erzählen Journalismus. Erklären Stück für Stück, was wir machen, um das, was er behauptet, zu verifizieren oder zu falsifizieren. So sind wir durch einen Zufall dieser Daniela-Klette-Geschichte auf die Spur gekommen.
Was kennzeichnet modernes Erzählen?
Geschichtenerzählen hat Jahrhunderte überdauert. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Aber: Erzählen ist das Medium der Wahl, wenn du dich für Podcasting entscheidest. Da hast du eine spezielle Art und Weise, deine Zuhörer:innen zu erreichen, weil sie das auf dem Weg zur Arbeit hören oder während sie die Wohnung putzen. Auf diese ganz bestimmten Hörsituationen arbeitet man hin in der Art und Weise, wie man Geschichten erzählt. Das macht es, glaube ich, modern. Und was es natürlich auch modern macht, ist, dass wir verfolgen können, wie unsere Geschichten gehört werden. Wir wissen beispielsweise, ab welcher Minute jemand aussteigt. Und wenn das bei einer Podcast-Episode ganz viele tun, gucken wir, was da passiert ist, dass alle ausgestiegen sind. Da kann man schon schlau werden, wenn man sich einfuchst in diese neue Datenwelt.
Gibt es bestimmte Regeln beim Erzählen, z. B. wie ein Einstieg aussehen muss?
Es gibt Mittel, die immer funktionieren. Beispielsweise direkt szenisch einzusteigen. Ich glaube aber, Leute, die sich direkt für einen Podcast entscheiden, geben dem auch ein bisschen mehr Zeit, um zu testen, ob das, was da erzählt wird, für sie auch funktioniert. Das ist nicht so wie ein YouTube-Video, bei dem Leute, wenn du sie in der ersten Minute nicht hast, sofort abschalten. Sondern man hört schon ein bisschen neugieriger zu und gibt dem eine größere Chance. Aber das sind Erfahrungswerte, die jeder für sich machen muss.
Hauptsächlich suchen wir Geschichten danach aus, ob sie eine Bedeutung haben, die über sie selbst hinausgeht.“
Wie muss ein Narrativ aufgebaut sein?
Das ist von Fall zu Fall verschieden. Bei jemandem wie Ken Jebsen war es wichtig, ihn in der ersten Episode als einen gefeierten Moderator aufzubauen, damit die Dekonstruktion in den Episoden gut funktioniert. Das war eine sehr individuelle Entscheidung für diese eine Geschichte. Aber ich glaube, das funktioniert nicht in jedem Fall. Es kommt immer darauf an: Was möchtest du letzten Endes erzählen? Worauf soll das Ganze hinauslaufen? Das sollte nicht einfach nur Selbstzweck sein. Auch ein Intro sollte nicht nur Selbstzweck sein – nach dem Motto: Hauptsache, es ist spannend und modern. Es muss auch einen Grund geben, warum man sich für diese eine Szene entscheidet
Wann ist es sinnvoll, einen Host einzusetzen?
Der Host ist bei einem Storytelling-Podcast unentbehrlich. Er ist meine Vertrauensperson für die Geschichte. Er erklärt, warum die Geschichte überhaupt gemacht wird. Wichtig ist aber auch, wie er die Geschichte erzählt. Der Host ist für mich wie der Direktor in der Manege, der sich manchmal zurückhält und das Geschehen arbeiten lässt und manchmal aber einsteigt, um etwas einzuordnen, um den Hörern zu helfen, die Geschichte besser zu verstehen. Ich finde, das Wort beschreibt es eigentlich ganz gut. Der Host ist ein Gastgeber und muss genau das erfüllen, wofür ein Gastgeber beim Abendessen auch sorgen muss. Dass sich die Leute wohlfühlen, dass sie einander aufmerksam zuhören.
Muss man als Host immer authentisch sein? In dem Sinne, dass es wirklich das ist, was du jetzt denkst, fühlst, was dir jetzt in dem Moment wichtig ist? Oder gibt es da Grauzonen?
Authentizität ist immer wichtig. Die Frage ist, wie sich diese Authentizität ausdrückt und in welchen Momenten. Ich glaube, das muss nicht in einer Zeile stecken, sondern man kann es schon variabler gestalten. Ich finde nicht, dass man sich als Host immer in den Vordergrund drängen sollte, sondern dass man diesen Vordergrund gezielt einsetzen sollte. Es ist authentisch, wenn ich verstehe, warum du mir das erzählst.
Welche Verantwortung hat ein Erzähler gerade im Dokumentarischen? Weil man mit den Geschichten, die man erzählt, ja auch ein kulturelles Gedächtnis füttert, Erinnerungen wachhält oder eben auch nicht, Dinge triggern oder auch nicht triggern kann.
Grundsätzlich haben wir als Journalist:innen eine Verantwortung dafür, was wir veröffentlichen, und vor allem auch für das, was wir mit dem, was wir veröffentlichen, erreichen. Das gilt sowohl nach innen, also den Protagonist:innen in unseren Geschichten gegenüber, als auch nach außen. Das heißt, dass wir in weiser Voraussicht darüber nachdenken, wie die Reaktionen auf das sein könnten, was wir gerade veröffentlichen. Wie kann ich mich vielleicht schon von vornherein entweder darauf vorbereiten, dass ich erst mal gute Antworten parat habe. Wenn ich keine guten Antworten parat habe, dass ich vielleicht an meinem Format noch mal arbeite und dass ich am Text noch mal arbeite, an dem Podcast noch mal arbeite.
Dokumentarisches Erzählen dient der Wissensvermittlung, aber es soll auch unterhalten durch ein spannendes Storytelling. Wie findet man die Balance zwischen der Vermittlung von Fakten und einer emotionalen Erzählung, mit der man das Publikum fesselt?
Unterhaltung und Faktenvermittlung kann man nicht getrennt sehen. Das gehört für mich zusammen, zumindest bei unseren Produktionen. Das andere ist: Wie bei jedem guten journalistischen Produkt brauchst du eine Redaktion. Das wird oft vergessen, dass hinter allem, was publiziert wird, Redaktionen stehen. Themen werden redaktionell verhandelt. Und da kommt man ganz schnell zu der Frage: Wie sind Redaktionen ausgestattet? Wer kann etwas sagen, wenn ihm etwas auffällt? Wer ist vertreten in diesen Redaktionen? Ich glaube, die Redaktionsprozesse werden sehr unterschätzt. Auch dass da Perspektiven drin sind, dass z. B. jemand sagen kann: „Hey, ich glaube, wir sind da gerade ein bisschen zu salopp in der Tonalität. Das wird dem Thema überhaupt nicht gerecht.“ Deswegen ist es wichtig, dass das eben nicht nur einköpfige Geschichten sind, wo etwas blind veröffentlicht wird, sondern dass das ein Aushandlungsprozess ist. Und als Host brauchst du Fingerspitzengefühl, eine bestimmte Sensibilität. Die hat man hoffentlich oder entwickelt man vielleicht auch, wenn man aufmerksam ist und Menschen zuhört und in den Austausch kommt. Ich glaube, ganz oft geht es einfach darum, dafür offen zu sein, dass einem jemand mal sagen kann: „Da liegst du daneben.“
Unterhaltung und Faktenvermittlung kann man nicht getrennt sehen.“
Wann setzt man faktisches, wann fiktives Erzählen ein?
Wir vermischen das im Podcast gar nicht. Aber im Filmischen passiert das natürlich oft, dass Szenen nachgestellt werden. Also man hat Schauspieler:innen, die irgendwelche Rollen verkörpern und bestimmte, vermeintlich echte Szenen nachspielen. Da kommt schon die erste Schwierigkeit, weil das natürlich impliziert, dass ein Ereignis so stattgefunden hat. Ich glaube, im Literarischen, im Schriftlichen ist es noch mal anders. Sobald du etwas siehst, manifestiert sich das. Ich glaube, Zuschauer:innen könnten das Gefühl haben, dass das, was sie da sehen, tatsächlich so passiert ist. Und das ist es nicht. Das ist ja quasi nacherzählt, nachgebaut. Man glaubt, sie haben sich so unterhalten und diese Dinge einander gesagt. Das weiß man natürlich nicht. Ich glaube, da muss man im Filmischen mit diesen fiktionalen Elementen immer vorsichtiger sein. Es gibt ja auch andere, die dann z. B. nur abstrakte Bilder benutzen, abstrakt effektive Bilder. Beispielsweise Hände, die irgendwie sprechen. Man sieht nur, ob Figuren, die im Raum sind, sich unterhalten, aber man hört nicht, was sie sagen. Man kann besser belegen, dass tatsächlich zwei Leute in einem Raum waren und sich unterhalten haben, als genau die Sätze, die sie ausgetauscht haben, darzustellen. Das ist, glaube ich, noch mal eine Spur schwieriger.
Warum bist du mit deinem aktuellen Projekt über die Gaming-Industrie zum Film gewechselt? Hat das Hörmedium nicht mehr ausgereicht, um Geschichten zu erzählen?
Das Hörmedium reicht aus. Es ist überhaupt kein gegenseitiges Ausstechen. Es hat sich hier einfach die Möglichkeit ergeben. Das ist auch als Podcast gestartet und hat sich weiterentwickelt zu einem Film. Wir fanden die Herausforderung spannend, mal einen Film zu machen. Und vor allem die Learnings, die wir aus unseren Podcasts gezogen haben, auch für den Film anzuwenden. Film ist natürlich ein ganz anderes Medium. Aber ich finde nicht, dass das jetzt das Upgrade ist, dass man sagt, man fängt mit Podcasts an, wird endlich besser und dann macht man Filme, weil man reif dafür ist. Beide haben gute Herausforderungen. Sehr gute Podcaster können schlechte Filme und sehr gute Filmemacher schlechte Podcasts machen. Wir werden auf jeden Fall weiterhin für beides offen sein.
Welche großen Geschichtsthemen sollten aus heutiger Sicht noch erzählt werden?
Alles, was damit zu tun hat, wie wir das Heute besser verstehen, sind interessante Themen. Ich lese gerade ein Buch über The Great Migration in den Vereinigten Staaten. Also wie schwarze Amerikaner aus dem Süden in den Norden gewandert sind. Ich lese da wahnsinnig viel Aktualität heraus über das Jetzt. Ich habe das Gefühl, wenn ich das Buch lese, verstehe ich unsere Gegenwart besser. Und im besten Fall ist Geschichte genau das: dass es hilft, unser Jetzt ein bisschen besser zu verstehen.

Khesrau Behroz (Foto: Pauline Bossdorf)
Khesrau Behroz ist Co-Gründer und ‑Geschäftsführer der Berliner Produktionsfirma Undone, die journalistische und narrative Formate für alle Medien konzipiert, entwickelt und produziert.

Vera Linß (Foto: Jörg Wagner)
Vera Linß ist Medienjournalistin und Moderatorin.