Babylon Berlin und die filmische (Re-)Modellierung der 1920er-Jahre
Medienkulturwissenschaftliche Perspektiven
Baden-Baden 2024: Rombach Wissenschaft
Rezensent/-in:
Michael Wedel
Babylon Berlin als Zeitdokument
Als die ersten beiden Staffeln von Babylon Berlin 2017 zunächst im Stream und ein Jahr später auch in der ARD zu sehen waren, zeichnete sich schnell ab, dass die Serie „einen Nerv der Zeit“ (S. 10) getroffen hatte. Dies gilt auch für die akademische Welt, die Babylon Berlin seither in Symposien, Vortragsreihen und Aufsätzen aus geschichts-, kultur- oder medienwissenschaftlicher Warte in den Blick genommen hat.
Andreas Blödorn und Stephan Brössel markieren mit ihrem Sammelband somit nicht den Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sie können im Gegenteil bereits an einen breiten Diskurs anschließen. Die versammelten „medienkulturwissenschaftlichen Perspektiven“ bündeln dabei eine über disziplinäre Fachgrenzen hinaus verstreute Diskussion und bieten in der Summe eine hervorragende Synthese der relevanten Gesichtspunkte, unter denen Babylon Berlin als „medialer Verhandlungsort“ und „kultureller Speicher“ von Geschichtsbildern (S. 11) von Interesse ist.
Angeordnet sind die einzelnen Beiträge in vier Sektionen, deren Interessenlagen sich teilweise überschneiden. Von der Einordnung in die aktuelle Serienästhetik geht es über verschiedene Themen (wie die Bedeutung der Tanzszenen, die verhandelten ideologischen Positionen und medizinischen Diskurse oder das Verhältnis zwischen optischen Medien, Psychotherapie und Kriminalistik) zu dem von der Serie entworfenen Menschenbild, der Repräsentation mentalen Geschehens (am Beispiel der Figur Gereon Raths), fluiden Geschlechterkonstruktionen sowie Okkultismus und Mystik. Weitere Kontexte beleuchten die abschließenden Studien zum Designcharakter der „Goldenen 1920er-Jahre“, zur Inszenierung von Rauschzuständen, zum Mensch-Maschine-Verhältnis und zum Topos einer „Verhaltenslehre der Kälte“ (S. 309), der schon für die zugrunde liegenden Romane Volker Kutschers leitend war.
In seiner Bandbreite wie in der Präzision der einzelnen Fallstudien bietet das reich bebilderte Buch für jede zukünftige Beschäftigung mit Babylon Berlin eine unverzichtbare Grundlage.
Prof. Dr. Michael Wedel