Beyond Television

TV Production in the Multiplatform Era

Andreas Halskov

Odense 2021: University Press of Southern Denmark
Rezensent/-in: Lothar Mikos

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 2/2022 (Ausgabe 100), S. 94-95

Vollständiger Beitrag als:

Fernsehproduktion in der Ära des Streamings

Auch wenn immer wieder behauptet wird, das Fernsehen sei tot, ist es eigentlich lebendiger denn je – oder wie es der Autor Andreas Halskov ausdrückt: „Fernsehen ist nicht alles, aber es scheint überall zu sein“ (S. 355). In seinem Buch Beyond Television setzt er sich sehr ausführlich mit den Veränderungen der Fernsehlandschaft in den letzten Jahren auseinander. Dazu greift er auf Statistiken und Daten sowie die Analysen von Fernsehserien zurück, die er um Aussagen von Medienpraktikern und selbst geführte Interviews mit zahlreichen Menschen aus der Fernseh- und Streamingindustrie ergänzt. Aus seinen theoretischen Überlegungen, seinen detailreichen Analysen und den Interviewaussagen ergibt sich ein facettenreiches Bild der aktuellen Fernsehlandschaft in der Ära des Streamings bzw. der Multiplattform.

Das Buch besteht aus zwei Teilen mit jeweils drei Kapiteln. Im ersten Teil setzt sich Halskov mit der Fernsehindustrie und der Infrastruktur der Plattformen auseinander. Im zweiten Teil geht es um neue Formen des Erzählens, neue Stile und Genres, die sich immer mehr vermischen, sodass man von hybriden Genres sprechen kann. Ziel des Buches ist, die Leser hinter die Kulissen der Fernsehproduktion blicken zu lassen. Dabei reicht es weit über die behandelten Serien hinaus, indem es „untersucht, wie sie auf unterschiedliche Weise die Grenzen und Konventionen des Fernsehens herausfordern“, und versucht, „die Metanarrative über das moderne Fernsehen, die in der Branche existieren, aufzudecken“ (S. 13). Ein zentrales Argument des Autors ist, dass „moderne Serien oft das traditionelle Verständnis von Fernsehen herausfordern, sich jenseits traditioneller Stile, traditioneller Arten des Erzählens und konventioneller Genres und Formate bewegen“, sich aber zugleich auch an die Konventionen des Fernsehens anlehnen (S. 14). Halskov wehrt sich gegen Vereinfachungen und Pauschalisierungen, weil wir es mit einer „riesigen und komplexen Medienlandschaft“ zu tun haben, in der es „auf der einen Seite wichtige Variationen und entscheidende Unterschiede zwischen Streaming- und mobilen Videoplattformen [gibt], die auf der anderen Seite mit dem traditionellen Fernsehen“ verbunden sind (S. 57). Es ist das Verdienst von Halskov, diese Differenzen in den verschiedenen Kapiteln ausgeleuchtet zu haben. Es zeigt sich, dass das Internet – ursprünglich auch als Totengräber des Fernsehens bezeichnet – stattdessen die Zukunft des Fernsehens beflügelt (vgl. S. 75).

Halskov macht auch darauf aufmerksam, dass wir es mit einem transnationalen Phänomen und einer globalen Perspektive zu tun haben. So ist es die Strategie von Netflix, mit den sogenannten „local originals“ ein globales Publikum anzusprechen. Das wird in den Serien erreicht durch eine „Kombination von lokalen Umgebungen, Erzähltraditionen und Genrevorlieben mit universellen Qualitäten von Geschichten und wiedererkennbaren Formeln“ (S. 110). Auf diese Weise werden viele Grenzen überschritten: zwischen verschiedenen Verbreitungswegen, zwischen verschiedenen Territorien und nationalen Traditionen sowie zwischen Film und Fernsehen (vgl. S. 123). So zeigt sich, dass viele aktuelle Serienproduktionen „grenzüberschreitend und wie Filme gedreht worden sind sowie verschiedene Medien als Teil des Erzählprozesses nutzen“ (S. 353). Darüber hinaus beschreibt Halskov Tendenzen des Transmedia Storytelling, neue Formen des Sounddesigns sowie Genretraditionen wie die des Film noir, die nicht nur in zahlreichen Krimis wiederbelebt wurden, sondern gerade in Verbindung mit skandinavischen Serien zu einer Art eigenem Genre verdichtet wurden: Nordic noir. Wie immer legt Halskov auch hier Wert auf Differenzierungen und belegt z. B. anhand der isländischen Serie Trapped und ihrer Eigenschaften, dass sie keine typische Nordic-noir-Serie ist (vgl. S. 281 ff.). Ausgehend von der norwegischen Serie SKAM setzt er sich ausführlich mit dem globalen Trend von Teenagerserien auseinander (vgl. S. 295 ff.).

In der Zusammenschau der verschiedenen Kapitel wird deutlich, dass sich die Fernsehlandschaft durch die Einführung des Streamings grundlegend gewandelt hat und von einem nationalen Phänomen zu einem globalen geworden ist (vgl. S. 351). Zusammenfassend stellt Halskov fest, dass wir noch nicht „jenseits des Fernsehens“ angekommen sind, wie es der Titel des Buches suggeriert, aber die modernen transnationalen Fernsehserien unser „traditionelles und begrenztes Verständnis des Mediums Fernsehen herausfordern“ (S. 355). Das Buch ist die bisher konziseste und detailreichste Beschreibung dieser Veränderungen. Sie besticht vor allem auch durch die exemplarische Analyse von Serien, an denen verschiedene Aspekte der Veränderungen illustriert werden.

[Anmerkung: Die Zitate wurden vom Rezensenten ins Deutsche übertragen.]

Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos