Breit aufgestellte Kommission für altersgerechte Freigaben

Jugendmedienschutz in Litauen

Jens Dehn

Jens Dehn arbeitet als freiberuflicher Filmjournalist.

Seit 2012 hat Litauen eine zentrale Anlaufstelle für die nationale Filmwirtschaft: Mit dem Lietuvos kino centras, kurz LKC, ist dem baltischen Staat ein großer und wichtiger Schritt zur Verbesserung der Infrastruktur gelungen. Unter der Führung des LKC kommt auch regelmäßig eine siebenköpfige Kommission zusammen, die dem Kulturministerium Empfehlungen zur Altersklassifizierung von Kinofilmen gibt. Für Fernsehausstrahlungen sind hingegen die jeweiligen Sender eigenverantwortlich.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 1/2018 (Ausgabe 83), S. 5-9

Vollständiger Beitrag als:

Litauen ist ein kleines Filmland. Nur rund 40 Kinos besitzt der baltische Staat, mit insgesamt weniger als 100 Leinwänden. In der Hauptstadt Vilnius mit ihren fast 600.000 Einwohnern gibt es drei kommerzielle Kinokomplexe, dazu kommen noch drei Arthouse Cinemas mit jeweils zwei oder drei Leinwänden. 2016 wurden elf Filme produziert, der Marktanteil litauischer Produktionen liegt bei etwa 18 %. Die Fernsehlandschaft besteht aus einem staatlichen Sender sowie drei privaten, die alle landesweit empfangbar sind. Die einheimische Filmwirtschaft verfügte in der Vergangenheit nie über große finanzielle Mittel, doch zumindest hat sich die Situation seit 2012 etwas gebessert. Gesetze zur Filmförderung wurden geändert bzw. angepasst, es wurden Programme für Schulkinder entwickelt, um auch das junge Publikum an die einheimischen Filme heranzuführen. Die wohl wichtigste Neuerung aber: Mit dem LKC wurde eine zentrale Anlaufstelle ins Leben gerufen, auf die viele Filmschaffende in Litauen seit Jahrzehnten warteten.

Das Lietuvos kino centras, gegründet im Mai 2012, ist eine staatliche Einrichtung, die dem Kulturministerium unterliegt. Es richtet sich nach dem litauischen Filmgesetz, das zuletzt 2011 modifiziert wurde. Zu den Aufgaben des LKC gehören u.a. die Förderung der nationalen Filmindustrie, die Bereitstellung von Mitteln für Filmentwicklung, Produktion, Vertrieb und Bildungsprojekte sowie die Erhaltung des Filmerbes. Darüber hinaus verwaltet das LKC das Filmregistrierungs- und Filmindexierungssystem.
 

Registrierung und Indexierung

Die sogenannte Filmindexierung (Filmų indeksavimas) ist letztlich nichts anderes als eine Altersklassifizierung. Alle Filme, die in litauischen Kinos gezeigt werden, müssen im Filmregister registriert sein und einen bestimmten Filmindex haben, der auf dem geeigneten Mindestalter der Zuschauer basiert. Die Filmindizes müssen auf Filmplakaten und anderen Anzeigen und jeglichen gedruckten Informationen zu dem entsprechenden Film ausgewiesen sein. Ausgenommen hiervon sind Filme, die zu kulturellen, künstlerischen oder pädagogischen Zwecken in Kinos gezeigt werden (z.B. auf Festivals, Seminaren, Retrospektiven etc.). Seit 2013 legt das LKC die Indizes fest (zuvor wurde dies direkt vom Kulturministerium gemacht), basierend auf den Vorschlägen einer sogenannten „Filmindexierungskommission“. Die Kommission besteht aus sieben Mitgliedern verschiedener staatlicher und öffentlicher Institutionen. Eines davon ist zurzeit Jurgita Kažukauskaitė-Sarnickienė von der Abteilung für Filmvermittlung, Information und Filmerbe des LKC. „Die Kommission hat einen eher empfehlenden Charakter“, erklärt Kažukauskaitė-Sarnickienė. „Mit der Zusammensetzung soll sichergestellt werden, möglichst viele Blickwinkel und Ansichten abzudecken, bevor wir zu einer Beurteilung kommen.“ So gehören der Kommission ein Vertreter des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft an, ein Experte für den Schutz der Rechte von Kindern, ein Abgesandter kommt vom litauischen Verband der Filmemacher, je ein Repräsentant vom Hochschulrat, der Vereinigung litauischer Psychiater und dem litauischen Rat für Jugendorganisationen sowie einer, der für das LKC teilnimmt. „Wir beurteilen alle Filme mit einem regulären Kinostart“, sagt Jurgita Kažukauskaitė-Sarnickienė, „bis auf die erwähnte Ausnahme von Filmen, die z.B. auf Festivals laufen – diese benötigen keinen Index. Das jeweilige Festival trägt in diesen Fällen die Verantwortung, dass die Filme von einem altersgerechten Publikum gesehen werden. Auch das Fernsehen ist selbstverantwortlich: Filme, die im TV gezeigt werden, werden von den entsprechenden Sendern beurteilt.“ Die Alterseinteilungen sind dabei für Kinofilme und Fernsehausstrahlungen unterschiedlich. Bei Kinofilmen gibt es fünf Indizes, beginnend bei einer generellen Freigabe für alle Altersstufen. Die weiteren Stufen liegen bei 7 Jahren, 13, 16 und 18 Jahren. Im Fernsehen sind die Indizes geringfügig anders. Hier liegen die Stufen lediglich bei 7 Jahren, 14 Jahren und einer Freigabe nur für Erwachsene. Sender müssen sowohl Filme als auch Serien und Shows indexieren.
 

Unterschiede bei der Indexierung in Litauen

 

Bekanntes Problem, litauische Lösung

Vor einigen Jahren wurde das Kinogesetz dahin gehend novelliert, dass es jüngeren Kindern ab 7 Jahren mittlerweile erlaubt ist, in Begleitung von Erwachsenen auch Filme mit dem Index N-13 zu sehen. Präzedenzfall hierfür war der Mittelteil von Peter Jacksons Hobbit-Trilogie Der Hobbit: Smaugs Einöde. Der Film war ab 13 Jahren freigegeben, doch es gab viel Unverständnis – auch und zumeist von Eltern – darüber, dass jüngere Zuschauer ihn somit nicht sehen konnten. Die Diskussion ist vergleichbar mit der alten und regelmäßig aufkommenden Forderung, in Deutschland eine Freigabe ab 9 Jahren einzurichten, da es viele Filme gibt, für die Kinder ab 6 Jahren zu jung, ab 12 aber schon zu alt sind. In Litauen wurde mit dieser Gesetzesänderung eine Kompromisslösung installiert.

Im Kino muss auch schon bei Trailern erwähnt bzw. kenntlich gemacht werden, ab welchem Alter der Film freigegeben ist. Bei Fernsehausstrahlungen wird diese Klassifizierung wie in einigen anderen Ländern auch während der Übertragung in einer Ecke des Bildschirms eingeblendet, um Eltern darauf aufmerksam zu machen, ob der Film für ihre Kinder geeignet ist oder nicht. Sendungen für Jugendliche ab 14 Jahren dürfen erst nach 21.00 Uhr ausgestrahlt werden, Programme ab 18 Jahren dürfen die Sender lediglich zwischen 23.00 und 06.00 Uhr zeigen. Gleiches gilt auch für Radiosendungen.

Beurteilungskriterien und Struktur der Kommission

Die Kommission bewertet die Filme nach inhaltlichen Kriterien, wie die Darstellung von Gewalttaten und Mobbing, Nacktheit, die Verwendung von Drogen bzw. Szenen, in denen Abhängigkeit und Sucht dargestellt werden. Auch im Hinblick auf Selbstmordtendenzen, Waffengebrauch und sprachliche Verletzung (Beschimpfungen, Flüche, Beleidigungen etc.) werden die Filme betrachtet. Dabei berücksichtigt die Kommission bei der Beurteilung den künstlerischen Kontext des Films und die Zweckmäßigkeit, Dauer, Häufigkeit und Intensität der jeweiligen Szenen. Grundlage hierfür ist das nationale Kinogesetz. Darin ist auch geregelt, wie die Kommission sich zusammensetzen und wie, wann und wie oft sich die Mitglieder treffen sollen. „Es gibt die Regelung, dass innerhalb von zwei Jahren drei Mitglieder wechseln müssen“, erklärt Jurgita Kažukauskaitė-Sarnickienė die gesetzlichen Vorgaben. „Es gibt also immer eine gewisse Zirkulation, mit der sichergestellt wird, dass neue Mitglieder nachrücken, aber trotzdem eine gewisse Erfahrung vorhanden ist.“ Zum momentanen Zeitpunkt wird das Kinogesetz überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht. Es wurde dem Parlament bereits vorgelegt, nun muss darüber diskutiert und schließlich abgestimmt werden. Für die Filmbewertungskommission und ihr Arbeitsfeld wird sich allerdings so oder so nicht allzu viel ändern. Die wohl einzig relevante Neuerung in diesem Bereich: Bisher konnten Repräsentanten bestimmter Institutionen Mitglieder der Kommission werden, wie etwa Vertreter des Ministeriums für Erziehung, von Kinderschutzorganisationen etc. In Zukunft werden nur noch Felder benannt, wie z.B. „Erziehung“. Diese müssen durch die nachgewiesenen Kompetenzen der Mitglieder abgedeckt werden, sind aber nicht mehr gebunden an einzelne Institutionen.
 


Kontroverse um Nymphomaniac und Love

Ebenfalls gesetzlich geregelt ist der Weg zur Indexierung von Kinofilmen: Die Filmverleiher sind angehalten, beim LKC eine Freigabe ihrer Filme zu beantragen. Sie müssen dann ein Screening arrangieren, sodass die Kommission den Film ansehen und einen Index geben kann. Das sollte 20 Tage vor der Filmpremiere geschehen. Wenn das Ganze im Rahmen eines Kinoscreenings geschieht, sehen sich die sieben Mitglieder den Film gemeinsam an. Ist eine Kinovorführung nicht möglich, bekommen sie Links, unter denen sie den Film zu Hause anschauen können. Nachdem alle sieben Kommissionsmitglieder den Film gesehen haben, setzen sie sich zusammen und beraten über die Indexierung. Dass es dabei nicht immer zu einer einstimmigen Beurteilung kommt, liegt auf der Hand, umso wichtiger ist nach Einschätzung von Jurgita Kažukauskaitė-Sarnickienė auch die offene Diskussion untereinander, um letztlich einen Konsens zu finden, mit dem alle Mitglieder gut leben können. Doch es kann auch vorkommen, dass sich Protest regt, der von außerhalb der Kommission kommt. „In der jüngeren Vergangenheit gab es zwei Fälle, bei denen unsere Entscheidungen Diskussionen hervorgerufen haben“, so das Mitglied des LKC. Der erste Film war Nymphomaniac von Lars von Trier. „Unsere ursprüngliche Empfehlung lautete, Aufführungen des Films aus pornografischen Gründen komplett zu untersagen. Denn in Litauen ist Pornografie gesetzlich verboten. Filme, die dementsprechend eingestuft sind, bekommen keine Aufnahme ins Filmregister und dürfen nicht in Kinos gezeigt werden. Doch nachdem im Fall von Nymphomaniac u.a. Kinobesitzer intervenierten, dass das Gezeigte eine künstlerische Ausdrucksform darstellt und der Film deshalb öffentlich laufen sollte, hat sich die Kommission nochmals mit Nymphomaniac und dieser Argumentation beschäftigt und ist zu dem Schluss gekommen, den Film doch zu erlauben und ihn ab 18 Jahren freizugeben.“ Die durch die öffentliche Diskussion hervorgerufene Aufmerksamkeit sorgte dafür, dass Nymphomaniac in Litauen ein beachtlicher Publikumserfolg wurde. Es war wohl gewissermaßen der Reiz des Verbotenen: „Selbst Zuschauer, die sich den Film unter normalen Voraussetzungen sicher nicht angesehen hätten, waren plötzlich interessiert und gingen ins Kino.“ Die zweite Kontroverse entstand um den Film Love von Gaspar Noé. Aufgrund des Präzedenzfalls Nymphomaniac wurde er ebenso mit einem Index belegt, der Zuschauern ab 18 Jahren den Kinobesuch erlaubte. Das war dem Verleiher von Love allerdings gar nicht so recht, hatte er wohl ursprünglich gehofft, dass auch sein Film verboten und anschließend eine ähnliche Aufmerksamkeit erhalten würde wie zuvor Nymphomaniac. Aus diesem Marketinggeschenk wurde somit nichts, doch letzten Endes konnte sich der Verleiher auch mit der Freigabe ab 18 anfreunden, wie Kažukauskaitė-Sarnickienė schmunzelnd anmerkt.
 


Strafen bei Fehlverhalten

Von diesen beiden Kinofilmen abgesehen, bekommt die Kommission von Zeit zu Zeit auch Beschwerden von Fernsehzuschauern darüber, dass ein bestimmter Film gezeigt wird. Meistens in den Sommerferien, wenn mehr Menschen Fernsehen schauen, wie Jurgita Kažukauskaitė-Sarnickienė erklärt. „In der Öffentlichkeit ist unsere Arbeit nicht so bekannt und viele Menschen wissen nicht, dass wir für Fernsehausstrahlungen gar nicht zuständig sind.“ Tatsächlich gibt es eine Aufsichtsbehörde, die Radio- und TV-Kommission Litauens, die aktiv wird, wenn Verstöße von Sendern gegen die Klassifizierungen gemeldet werden, wenn also z.B. ein Film mit Erwachsenenfreigabe im Nachmittagsprogramm gezeigt wird. Die Kommission kann finanzielle Strafen an TV-Sender verhängen. Kinos auf der anderen Seite können bestraft werden für administrative Verstöße, etwa wenn ein Film ab 18 vor einem Publikum aufgeführt wird, in dem Kinder sitzen. Hierfür zuständig ist zurzeit noch das Kulturministerium. Diese Verantwortlichkeit, so Kažukauskaitė-Sarnickienė, wird in Zukunft jedoch an das LKC übergehen, sobald der entsprechende Passus in der Überarbeitung des Kinogesetzes vom Parlament abgesegnet worden ist.