Computerspielverhalten von Kindern und Jugendlichen
Gefahr der Abhängigkeit und des Rückzugs aus der Realität
Während sich die Gesellschaft lange Zeit um Gewaltdarstellungen oder erotische Inhalte im Fernsehen, in Filmen oder Computerspielen sorgte, steht seit einiger Zeit ein anderes Problem im Vordergrund. Dieses lässt sich nicht so einfach durch die Altersfreigaben der Selbstkontrollen lösen, sondern nur durch die Familien selbst: Die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen nimmt ständig zu. Laut einer forsa-Studie, die 2018 für die DAK-Gesundheit durchgeführt wurde, spielten schon vor der Pandemie rund drei Millionen Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren regelmäßig am Computer. 15,4 % der Minderjährigen gelten als sogenannte Risiko-Gamer, rund 465.000 Jugendliche dieser Altersgruppe zeigen also ein riskantes oder pathologisches Spielverhalten im Sinne einer Gaming-Sucht. (Vgl. forsa 2019)
Jungen liegen in der Nutzung weit vorne
Nach der DAK-Studie nutzen 72,5 % der Jugendlichen in Deutschland regelmäßig Computerspiele, beispielsweise Fortnite, FIFA oder Minecraft. Dabei liegen die Jungen mit 90 % weit vor den Mädchen, von denen nur 50 % solche Spiele nutzen.
Als Motiv geben Jugendliche an, Spaß haben zu wollen. 75 % der Befragten meinten, bei ihrem Lieblingsspiel „gut abschalten“ zu können. Ebenfalls in Bezug auf ihr Lieblingsspiel gab ungefähr die Hälfte an, es zu spielen, weil Freunde es spielten. Auch Ablenkung von den Problemen des Alltags spielt eine große Rolle. 29 % der Befragten gaben an, zu spielen, um nicht „an unangenehme Dinge“ denken zu müssen. Aber auch negative Folgen wurden genannt: 14 % der Spieler fühlen sich unglücklich, wenn sie keine Möglichkeiten zum Spielen haben. 5 % der Befragten gaben an, durch das Spielen „ernsthafte Probleme“ mit Freunden oder der Familie zu haben. (Vgl. forsa 2019)
Problematisch sind auch die Ausgaben für solche Spiele: Durchschnittlich wurden in sechs Monaten rund 92 € für Spiele bezahlt (vgl. ebd.). Laut DAK wird das meiste Geld dabei für Fortnite und FIFA ausgegeben (vgl. DAK). Ein Spieler gab an, im letzten halben Jahr bis zu 1.000 € für Spiele bezahlt zu haben (vgl. ebd.).
Anstieg während der Coronabeschränkungen
Durch die Coronapandemie und die vor allem für Jugendliche extrem belastenden Kontaktbeschränkungen hat sich das Nutzungsverhalten und das Suchtrisiko noch einmal erheblich verschärft. In der Bewertung einer Studie des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) heißt es:
„Die Ergebnisse zeigen insgesamt Rekordwerte in den Nutzungszeiten während des ersten Lockdowns im April 2020 – digitale Spiele wurden von regelmäßigen Nutzer:innen (mind. einmal wöchentlich) im Durchschnitt täglich 2,3 Stunden werktags und 3,1 Stunden am Wochenende gespielt, während die Nutzungszeiten für soziale Medien bei 3,1 Stunden werktags und 3,9 Stunden am Wochenende lagen. Die häufigsten Nutzungsmotive zu der Zeit waren die Bekämpfung von Langeweile und die Aufrechterhaltung von Kontakten.
Im weiteren Verlauf der Pandemie zeigte sich zunächst ein signifikanter Rücklauf der Nutzungszeiten zwischen April und November 2020. Seit November 2020 stagnieren die Nutzungszeiten für digitale Spiele auf einem ähnlich hohen Niveau, das bei fast zwei Stunden werktags und rund drei Stunden am Wochenende liegt. Bei den sozialen Medien hingegen gab es bei der letzten Erhebung im Juni 2022 wieder einen signifikanten Anstieg der Nutzungszeiten verglichen zum Vorjahr. Die aktuellen Nutzungszeiten liegen bei 2,7 Stunden werktags und bei 3,8 Stunden am Wochenende. Gegenüber dem Jahr 2019 liegt der Nutzungsanstieg bei digitalen Spielen insgesamt bei 33,7 % unter der Woche und 14,5 % am Wochenende. Bei den sozialen Medien lässt sich über denselben Zeitraum ein Anstieg von 35,5 % unter der Woche und 21,1 % am Wochenende verzeichnen.“ (DZSKJ)
Suchtfaktoren
Nach Einschätzung des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters (DZSKJ) gelten Spiele als besonders suchtfördernd, wenn sich die virtuellen Welten und die Spielerlebnisse ohne endgültiges Ziel ständig verändern, wenn sie personalisiert auf die Spieler eingehen, wenn sie einen Teamverbund schaffen und abhängig vom Spielfortschritt Anerkennung und Wertschätzung vermitteln. Auch Geld intensiviert das Spielerlebnis, etwa wenn bestimmte Gamebereiche nur gegen Aufpreis betreten werden können. (Vgl. DAK)
Suchtberatungsstellen überlastet
Eine erhebliche Zunahme des Suchtpotenzials aufgrund von Computerspielen stellen auch Kinderpsychologen und Jugendtherapeuten fest, die speziell für Mediensuchtverhalten Sprechstunden anbieten. Jakob Florack leitet als Kinder- und Jugendpsychiater am Berliner Vivantes Klinikum die Sprechstunde für spielsüchtige Jugendliche. „Wir merken, dass wir durchgehend ausgebucht sind, es gibt selten freie Termine. Die Neuvorstellungen müssen mitunter mehrere Monate warten“, so Florack in einem Interview mit rbb24. „Über die Phase der Pandemie habe er beobachtet, dass diejenigen, die ohnehin schon von einer exzessiven Mediennutzung betroffen waren, sich noch weiter in diese Richtung bewegt haben.“ (rbb24 2023)
Kontrollverlust und Leidensdruck
Florack zufolge spricht man dann von Sucht, wenn die jungen Spieler ihr Spielverhalten nicht mehr selbst kontrollieren könnten und alles andere vernachlässigten, um mehr zu spielen. Dadurch würde die sonstige Lebensführung stark beeinträchtigt: Soziale Beziehungen würden vernachlässigt, die Schulnoten würden schlechter. Praktisch ginge es den Suchtbetroffenen in ihrer medialen Welt besser als in der realen, der sie zu entfliehen versuchten. Die Auswirkungen machten sich meist nicht unmittelbar bemerkbar, sondern erst, wenn Schulversagen und familiärer Stress hinzukämen. Meist führe das zu einem Leidensdruck und erst der könne einen Behandlungswunsch entstehen lassen. (Vgl. ebd.)
Mädchen bevorzugen soziale Netzwerke
Florack weist darauf hin, dass es einen deutlichen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gäbe: Wegen einer Computerspielsucht kämen fast ausschließlich männliche Jugendliche in die Praxis. Bei Mädchen führe eher die exzessive Nutzung sozialer Medien zu Problemen. Der regelmäßige Vergleich mit anderen, scheinbar erfolgreichen Menschen kann Minderwertigkeitsgefühle zur Folge haben, und es „können Essstörungen entstehen, wenn man sieht, dass andere erfolgreiche Frauen sehr viel schlanker sind als man selbst.“ (Ebd.)
Medienzeiten und die Eltern als Vorbild
Florack empfiehlt, „‚früh anzufangen, mit den Kindern digitale Medien gemeinsam zu nutzen, sie aber auch in den ersten Jahren vor allem intensiv dabei zu begleiten.‘ Wichtig sei, feste Medienzeiten einzuführen, medienfreie Zeiten zu haben und vor allem: Vorbild zu sein, da die Kinder ‚nicht das tun, was wir ihnen sagen, sondern eher das tun, was wir vormachen.‘“ (rbb24 2023)
Quellen:
DAK-Gesundheit (DAK): Computerspiele: 465.000 Jugendliche sind Risiko-Gamer. In: www.dak.de. Abrufbar unter: www.dak.de (letzter Zugriff: 06.06.2023)
Deutsches Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ): Längsschnittstudie zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland vor und während der Pandemie (2019-2022). In: www.mediensuchthilfe.de. Abrufbar unter: www.mediensuchthilfe (letzter Zugriff: 06.06.2023)
forsa Politik- und Sozialforschung GmbH (forsa): Geld für Games – wenn Computerspiel zum Glücksspiel wird. Berlin 2019. Abrufbar unter: www.dak.de (letzter Zugriff: 06.06.2023)
rbb24 Inforadio (rbb24): Interview. Kinderpsychologe zu Mediennutzung: Eltern müssen Vorbild sein. In: www.inforadio.de, 02.06.2023. Abrufbar unter: www.inforadio.de (letzter Zugriff: 06.06.2023)