Cybergrooming

Thomas-Gabriel Rüdiger

Dr. iur. Thomas-Gabriel Rüdiger ist Kriminologe und Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Er beschäftigt sich mit kriminologischer Ursachenforschung für digitale Deliktsbegehungen, digitaler Polizeiarbeit und digitalen Risiken vor allem für Minderjährige. Seine Dissertation hat er an der Universität Potsdam zum Phänomenfeld Cybergrooming verfasst.

Der folgende Beitrag setzt sich einerseits mit dem grundsätzlichen Phänomen des Cybergroomings, seiner definitorischen Eingrenzung und den Modi Operandi auseinander und diskutiert andererseits mögliche kriminalpolitische Bekämpfungsstrategien.1

Printausgabe tv diskurs: 26. Jg., 1/2022 (Ausgabe 99), S. 90-94

Vollständiger Beitrag als:


Die Nutzung des digitalen Raumes ist gegenwärtig vor allem durch soziale Medien geprägt. Diese Programme – die auch Onlinespiele einschließen – schaffen dabei einen globalen vernetzten Interaktionsraum für Menschen jeglicher Alters- und Geschlechtsstruktur. Über diesen Kommunikationsraum können TäterInnen weltweit auch auf Kinder aus allen Ländern einwirken und über digitale Medien Formen des sexuellen Missbrauchs einleiten. Diese onlinebasierte Anbahnung oder Intensivierung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes wird als Cybergrooming bezeichnet und findet auf fast allen digitalen Plattformen (vgl. Stelzmann u.a. 2020, S. 480 ff.) und teilweise in einer überaus aggressiven und flächendeckenden Form statt (vgl. Rüdiger 2020, S. 406 ff.). Im Rahmen einer Studie zur sexuellen Belästigung und Gewalt im Internet aus Österreich wurden solche Übergriffe teilweise als Normalität und Begleiterscheinung des digitalen Raumes angesehen (vgl. Kohout u.a. 2018, S. 29). Sicherheitsbehörden sind offenbar bisher weitgehend nicht in der Lage, diese „Normalität“ digitaler Delikte, gar eine Art Unrechtskultur im Netz, hinreichend zu bekämpfen (vgl. Rüdiger 2019).
 

Begriffsverortung „Cybergrooming“

Der Ursprung der wissenschaftlichen Begriffsauseinandersetzung mit Cybergrooming bzw. der Vorstellung zu Tätertypen im deutschsprachigen Raum basiert primär auf der Begründung zur Einführung des entsprechenden damaligen Straftatbestandes § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. StGB aus dem Jahr 2003. Im Rahmen dieser Gesetzesbegründung bezog sich der Antragsteller auf eine Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses aus dem Jahr 2001, wonach sich „Pädophile im Schutze der Anonymität des Internets als Kinder ausgegeben und Treffen herbeigeführt [hätten], die in mehreren Fällen mit einer Vergewaltigung geendet hätten“ (Deutscher Bundestag, BT.-Drs.: 15/350, S. 17). Diese Darstellung des Phänomens beinhaltete mehrere – aber drei primäre – Vorstellungen, die die kriminalpolitische, aber auch wissenschaftliche Diskussion über Cybergrooming teilweise bis heute im deutschsprachigen Raum prägen.

Die erste Vorstellung bezieht sich auf die Frage, wer überhaupt Täter von Cybergrooming werden kann. So wird mit dem Begriff des „Pädophilen“ vermutlich überwiegend eher ein erwachsener und zudem männlicher Täter assoziiert. Womit die Frage von minderjährigen Tatverdächtigen und damit die von Peerdelikten in diesem Bereich weniger in den Mittelpunkt gerückt wird. Dies ist umso problematischer, als allein die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2016 insgesamt 42 % minderjährige Tatverdächtige bei Cybergrooming verzeichnete, hier kann von einem steigenden Trend ausgegangen werden (Rüdiger 2020, S. 139). Auch da sich eine ähnliche Entwicklung im Bereich der sogenannten „kinderpornographischen Inhalte“ nach § 184b StGB zeigt, bei dem mittlerweile etwa 43 % der Tatverdächtigen selbst minderjährig sind (Biedermann/Rüdiger 2021).

Insbesondere im juristischen Bereich hat sich aber die Vorstellung eines idealen Täters bei Cybergrooming etablieren können, da bis zum Jahr 2020 nach herrschender Meinung § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. StGB in den Rechtswissenschaften mit diesem konkreten Phänomen gleichgesetzt wird (vgl. Eisele 2012, S. 697; Hube 2011; Kriminalpolitischer Kreis 2019; Malek/Popp 2015). Am 1. Juli 2021 ist zudem eine neue Sexualstrafrechtsreform in Kraft getreten, die das Phänomen Cybergrooming im Prinzip wortgleich von § 176 Abs. 4 Nr. 3 (a.F.) in den neuen § 176b StGB überführt hat (BGBL 2021).2

Diese historische Entwicklung des Delikts könnte auch ein Erklärungsansatz dafür sein, warum häufig gerade bei juristischen, aber auch kriminologischen Abhandlungen zu lesen ist, dass unter Cybergrooming die „[…] Anbahnung sexueller Kontakte seitens erwachsener Täter gegenüber Kindern […]“ (Kriminalpolitischer Kreis 2019, S. 1) verstanden werden kann. Dies ist aber tatsächlich eine verblüffende Eingrenzung des Tatbestandes darauf, dass nur Erwachsene Täter sein könnten.

Weder der § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. StGB noch der neue § 176b StGB grenzen den Täterkreis tatbestandsmäßig derartig ein. Hier muss sich tatsächlich die Vorstellung eines „älteren männlichen Sexualtäters“, der auf Kinder über das Netz einwirkt, festgesetzt haben. Auch der Hinweis auf „Vergewaltigungen“ von Kindern in Kombination mit dem Begriff des „Pädophilen“ ist begrifflich und in der Assoziation eher mit männlichen Tätern verknüpft. Insgesamt muss auch festgehalten werden, dass Sexualtäterinnen sowieso ein sehr gering erforschtes Themengebiet sind (vgl. Krahé 2004), aber digitale Sexualtäterinnen bisher kaum erfasst werden, was einen Forschungsbedarf eröffnet (vgl. Rüdiger 2020, S. 141 ff.). Diese häufige Eingrenzung auf männliche Täter mag auch damit einhergehen, dass im Durchschnitt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) lediglich knapp 5 % weibliche Tatverdächtige bei Cybergrooming festhält (vgl. ebd., S. 145), wobei interessanterweise diese weiblichen Tatverdächtigen fast alle Minderjährige waren (vgl. ebd., S. 165). Aber nicht nur im Bereich der Rechts- und Kriminalwissenschaften ist diese Verengung auf erwachsene Tatverdächtige zu finden, sondern auch in eher sozialwissenschaftlich orientierten Publikationen (vgl. Dekker u.a. 2016, S. 22; Mathiesen 2014, S. 18).

Die zweite Diskussionsebene verläuft bei der Frage, welche Altersgruppe eigentlich Opfer von Cybergrooming werden kann. Die juristische und kriminologische Betrachtung ist bei dieser Einordnung sehr eindeutig und ohne großen Spielraum. Demnach kann nur ein Kind – also eine Person unter 14 Jahren – Opfer im Sinne des Grundtatbestandes gem. § 176b StGB werden. Da sich die juristischen und kriminologischen Betrachtungen ganz überwiegend auf den Tatbestand beziehen, werden bei diesen auch faktisch nur Kinder als Opfer erfasst. Diskussionen dazu, dass der Tatbestand auch Jugendliche als Opfer erfassen sollte, sind nur spärlich vorhanden (vgl. Alexiou 2018, S. 344 f.; Rüdiger 2020, S. 372 ff.). Insbesondere sozialwissenschaftliche Erhebungen zu Cybergrooming erfassen hingegen ganz selbstverständlich Jugendliche auch als Opfergruppen; und vieles deutet dabei darauf hin, dass diese noch wesentlich höhere Konfrontationsraten aufweisen als Kinder (vgl. Dekker u.a. 2016, S. 159; Rüdiger 2020, S. 232; Waller u.a. 2016, S. 42 f.).

Als drittes Diskussionsfeld kann die Frage ausgemacht werden, welches Ziel der oder die Täter durch Cybergrooming eigentlich verfolgen. Im Rahmen der genannten Gesetzesbegründung gab es einen klaren Verweis darauf, dass entsprechende Delikte mit den Vergewaltigungen von Kindern geendet hätten. Hier herrschte faktisch also die Vorstellung vor, dass Cybergrooming in sogenannten Hands-on-Delikten – also Handlungsweisen, bei denen es zu körperlichen Missbrauchsberührungen zwischen Täter und Opfer kommt – endet. Hierfür muss sich der Täter – wenn es nicht zu fremdgesteuerten Eigenhandlungen des Kindes kommt – faktisch mit dem Kind treffen, seine Tathandlungen und Vorgehensweisen sind auf dieses Treffen im physischen Raum ausgerichtet. Insbesondere im nicht juristischen Bereich wird bei der Definition von Cybergrooming auf diese Vorgehensweise Bezug genommen und meist in Verbindung hierzu ein Vertrauensaufbau zum Opfer und eine strategische Planung des Täters gefordert (vgl. Bergmann u.a. 2016, S. 88 ff.; Wachs u.a. 2012). Interessanterweise ist diese Sichtweise im juristisch-kriminologischen Bereich nicht so überwiegend vertreten, denn der Gesetzgeber hat – trotz der anders formulierten Gesetzesbegründung – den Tatbestand so offen formuliert, dass eine Eingrenzung der Modi Operandi und Zielstellungen des Täters auf eine Vergewaltigung nicht vorgesehen ist. So muss der Täter für eine Strafbarkeit lediglich mit dem Ziel eines sexuellen Kindesmissbrauchs auf das Kind einwirken gem. § 176b StGB bzw. § 176 Abs. 4 Nr. 3 a.F. StGB (vgl. Eisele 2012, S. 698; Malek/Popp 2015, S. 131; Rüdiger 2020, S. 43). Dieses Ziel ist jedoch nicht eingeschränkt auf Hands-on-Delikte, sondern vielmehr hat es von Beginn an auch bereits begrifflich reine Hands-off-Delikte – also Sexualdelikte ohne körperliche Berührung – erfasst. Hierunter kann verstanden werden, dass der Täter handelt, um das Kind dazu zu bewegen, von sich aus sexualbezogene Medien wie Bilder und Videos anzufertigen und dem Täter zu übersenden, oder dass der Täter beispielhaft vor dem Kind über Livevideofunktionen am Computer, der Spielekonsole oder dem Smartphone sexuelle Handlungen vornehmen kann (vgl. Malek/Popp 2015, S. 143). Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Sexualstrafrechtsreform 2015 diesen Umstand noch einmal konkretisiert, indem er hier mit dem damals neu geschaffenen § 176 Abs. 4 Nr. 3b a.F., nun § 176b Abs. 1 Nr. 2 StGB, dargestellt hat, dass auch derjenige das Delikt erfüllen kann, dem es mit seiner Handlung um den Besitz von kinderpornografischen Medien geht und gerade nicht um ein Treffen mit dabei stattfindenden Hands-on-Delikten (vgl. Rüdiger 2020, S. 286 ff.).

Eine Debatte über diese drei primären Diskussionsebenen ist nicht nur für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung relevant. Vielmehr scheint gerade in der kriminalpolitischen Betrachtung nicht selten die Vorstellung eines älteren, männlichen Intimitätstäters, der sich mit einem Kind treffen will oder im Sinne eines hypersexualisierten Täters sexualbezogen kommuniziert, zu dominieren. Die Tatsache, dass offenbar immer mehr Minderjährige selbst als Tatverdächtige in Erscheinung treten, es sich also bei Cybergrooming offenbar immer häufiger auch um eine Art Peerdelikt handelt (vgl. ebd., S. 150), verdeutlicht jedoch, dass ein eingeschränkter Blick auf Erwachsene auch die gesellschaftlichen Bekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen unnötig beschränkt.
 

Einführung von Versuchsstrafbarkeit für Cybergrooming als kriminalpolitische Maßnahme

Polizeiliche Bekämpfungsstrategien beschränkten sich in der Vergangenheit weitestgehend auf die Vermittlung von Informationen im Rahmen von Präventionsveranstaltungen und nur vereinzelt auf sogenannte polizeiliche Scheinkindoperationen (ebd., S. 11, S. 347). Bei solchen Scheinkindoperationen geben sich Ermittlungspersonen weltweit als Kinder im digitalen Raum aus, um dann über entsprechende strafbare Konstellationen potenzielle TäterInnen zu überführen. Diese Operationen scheinen jedoch bisher kaum in der Lage, einen flächendeckenden Strafverfolgungsdruck auf Täter auszuüben. Im Rahmen eines Zeitschriftenbeitrags verglich ein Polizist, der entsprechende Operationen durchführt, seine Erlebnisse beispielhaft mit einem Piranhabecken. Sobald ein Kind im digitalen Raum unterwegs sei, würden sich die aggressiven und sexualbasierten Kontaktaufnahmen sofort häufen – als ob man also ein Stück Fleisch in ein Piranhabecken werfen würde (Schulzki-Haddouti 2016, S. 64). Dies zeigt offenbar auch, dass Täter entweder nur von einer geringen Wahrscheinlichkeit ausgehen, im Netz statt eines Kindes an einen Polizisten zu geraten, oder für diese Handlung überhaupt bestraft werden zu können.

Für beide Varianten könnten einige Aspekte sprechen. Denn nach dem deutschen Strafrecht konnten sich TäterInnen bis zum Jahr 2020 nicht strafbar machen, wenn diese glaubten, mit einem Kind zu kommunizieren, aber tatsächlich mit einem Polizisten – oder anderen Personen über 14 Jahren – in Interaktion standen, da es sich um einen straflosen, sogenannten untauglichen Versuch handelte. Eine Überführung war dennoch bereits möglich, sobald TäterInnen – im Glauben, mit einem Kind zu sprechen – vor einer Kamera sexuelle Handlungen vornahmen, da hier eine Versuchsstrafbarkeit gegeben war (Rüdiger 2020, S. 348). Der deutsche Gesetzgeber hatte im März 2020 diesen Umstand zum Anlass genommen, um bereits den Versuch der onlinebasierten Anbahnung des sexuellen Missbrauchs mit einem Kind unter Strafe zu stellen (Deutscher Bundestag, BT.‑Drs.: 19/13836). Konkret besteht eine Strafbarkeit nun gem. § 176b Abs. 3 StGB auch in Fällen, „[…] in denen eine Vollendung der Tat [nach Absatz 1 Nummer 2] alleine daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind“. Der Gesetzgeber hat hierbei keine Eingrenzung vorgenommen, dass es sich bei der Person, auf die der Täter einwirkt, nur um eine Ermittlungsperson – also im Normalfall einen Polizisten – handeln solle. Er hat im Gegenzug aber auch keine reine Versuchsstrafbarkeit für alle denkbaren Fallkonstellationen eingeführt. Bereits hieraus kann man erkennen, dass es dem Gesetzgeber vornehmlich um eine Stärkung der Ermittlungsbefugnisse von Strafverfolgungsbehörden gegangen sein muss.
 

Kriminalpolitische Handlungsfelder und Fazit

Auch wenn die Einführung der Versuchsstrafbarkeit für Cybergrooming in Deutschland auf den ersten Blick eine durchaus nachvollziehbare Forderung dargestellt hat, muss doch festgehalten werden, dass diese kaum dazu geeignet ist, das Phänomen Cybergrooming grundlegend einzudämmen. Dies liegt auch daran, dass in der Politik offenbar davon ausgegangen wird, dass Cybergrooming mit nationalen strafrechtlichen Regelungen begegnet werden kann und andererseits nur eine Art singuläres Phänomen darstellt. Beides ist in der Form nicht vollumfänglich nachvollziehbar. Einerseits können Cybergroomer über digitale Medien auf kindliche Opfer in der ganzen Welt einwirken, es handelt sich faktisch um ein globales Phänomen (vgl. Rüdiger 2020, S. 137 ff.). Ende 2019 stand beispielhaft in Österreich ein 20-jähriger Wiener vor Gericht, der sich als 15-jähriges Mädchen ausgegeben und klassisch über soziale Medien sexuell auf Kinder eingewirkt hatte. Seine Opfer kamen dabei nicht nur aus Österreich, sondern auch aus der Schweiz, Deutschland und Serbien (vgl. Die Presse 2019). Es ist davon auszugehen, dass durch die immer weiter voranschreitende Automatisierung von Übersetzungsprogrammen perspektivisch auch die sprachlichen Hürden bei Cybergrooming schwächer werden, was den globalen Charakter des Phänomens weiter unterstreichen wird.

Eine ernsthafte kriminalpolitische Strategie zur Bekämpfung von Cybergrooming erfordert daher vielmehr eine Verzahnung unterschiedlicher Präventions- und Repressionsmechanismen und zumindest auf längere Sicht auch die Einbindung einer globalen Perspektive. Dies könnte ähnlich strukturiert werden wie im Straßenverkehr. Auch hier ist es nicht ein einziger Mechanismus, der die Risiken für die Verkehrsbeteiligten auf ein durch die Mehrheit akzeptables Niveau senkt. Eltern vermitteln ihren Kindern hier aufgrund eigener Erfahrungen, wie sie Risiken begegnen können und sich im Straßenverkehr verhalten sollen. Kindergärten und Schulen greifen dieses Wissen auf und vertiefen es. Diese Kompetenzvermittlung kann nur funktionieren, da es Regeln gibt wie rote Ampeln, Zebrastreifen und Verkehrszeichen und weil es Kontrollmechanismen wie die Polizei und das Ordnungsamt gibt, um diese Regeln durchzusetzen. Die Politik wiederum gibt durch entsprechende Gesetzgebungen den Rahmen für diese Mechanismen vor. Dabei ist es naheliegend, dass selbst Kinder, deren Eltern kein Interesse oder nicht die Fähigkeiten haben, sich risikominimiert auf dem Bürgersteig bewegen können. Diese grundlegenden Mechanismen sind aber bei digitalen Themen insgesamt im Sinne einer digitalen Generalprävention nur gering ausgeprägt. So wird immer wieder auf die fehlende Vermittlung von Medienkompetenz durch Eltern und Schulen hingewiesen. Wie dargestellt, ist auch die gegenwärtige Rechtsdurchsetzung und Sichtbarkeit der Polizei im Netz nicht ansatzweise in der Lage, Kinder in allen sozialen Medien und Onlinespielen z.B. durch Scheinkindoperationen vor Cybergrooming zu beschützen. Auch fehlt es im Netz an einer sicheren digitalen Infrastruktur für Kinder, so gibt es im Prinzip bis zum heutigen Zeitpunkt keine wirksamen bzw. angewandten Altersverifikationssysteme, damit Kinder nicht von unbekannten Erwachsenen beispielhaft in Onlinegames sexuell kontaktiert werden können – also eine Art digitalen Bürgersteig (vgl. Rüdiger 2020, S. 415 ff.).

Eine Übertragung dieses Prinzips der flächendeckenden Vermittlung von Medienkompetenz an Eltern und Kinder ab der 1. Klasse, der Schaffung einer auch für Kinder sicheren digitalen Infrastruktur und der Erhöhung der Strafverfolgungswahrscheinlichkeit für Cybergrooming durch Ermittlungsbehörden wäre die Grundlage einer solchen kriminalpolitischen Strategie. Die zweite Frage wäre, wie diese Mechanismen auch in einem globalen digitalen Kontext umgesetzt werden können – und sei es mit der Diskussion über ein globales digitales Strafrecht, so utopisch es sich jetzt auch anhören mag. Auf europäischer Ebene gibt es hierfür bereits zaghafte erste Initiativen, die aber nur einen ersten Schritt darstellen können (Deutsche Welle 2020). Dabei zeigen fast wöchentliche Missbrauchsdelikte mit digitalem Bezug, wie notwendig diese Auseinandersetzung eigentlich ist. Gleichzeitig fehlt es aber noch an entsprechenden Studien, die gerade Besonderheiten eines globalen digitalen Raumes für die digitale Tatbegehung erforschen (vgl. Stelzmann u.a. 2020, S. 476 ff.).

Kinder verbringen heutzutage einen großen Teil ihres Lebens auch im digitalen Raum und werden hier zumindest teilsozialisiert. Sie vor der Konfrontation mit Sexualtätern, aber auch Extremisten und anderen Formen von Kriminalität zu schützen, muss auch die Aufgabe einer verantwortungsvollen Gesellschaft sein. Dieser Schutz wird vermutlich nicht ohne Einschränkungen der heutigen Mediennutzung durch Erwachsene funktionieren können.  
 

Anmerkungen:

1 Es handelt sich hierbei um den gekürzten und aktualisierten Aufsatz Cybergrooming. Kriminalpolitische Auswirkungen der Einführung der Versuchsstrafbarkeit. Er erschien in: Berthel, R. (Hrsg.): Kriminalistik und Kriminologie in der VUCA-Welt. Kriminalität und digitaler Raum, Gefahren für den Rechtsstaat. Rothenburg/Oberlausitz 2020, S. 241 – 262

2 Der Autor erfasst unter Cybergrooming zudem auch § 176 Abs. 4 Nr. 4 a.F. StGB, wenn es mit dem Tatmittel Internet begangen wird und eine sexuelle Motivation erfasst (Rüdiger 2020). Dieser Tatbestand wurde in der Reform in den neuen § 176a Abs. 1 Nr. 3 StGB überführt.
 

Literatur:

Alexiou, E.: Cyber-Grooming. Eine kriminologische und strafrechtsdogmatische Betrachtung. Berlin 2018

Bergmann, M. C./Beckmann, L./Krieg, Y./Schepker, K./Baier, D./Mößle, T.: Cyberbullying, Cyberstalking und Cybergrooming – Gefahren der Nutzung neuer Medien. Eine Befragung an Katholischen Schulen in Nordrhein-Westfalen. Hannover 2016

Biedermann, J./Rüdiger, T.-G.: Der sexuelle Missbrauch von Kindern und kinderpornografische Delikte – Längerfristige Entwicklungsverläufe und ein empirischer Vergleich verschiedener Fallgruppen. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, Band 104, 4/2021, S. 375 – 393

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Dekker, A./Koops, T./Briken, P.: Sexualisierte Grenzverletzungen und Gewalt mittels digitaler Medien. Zur Bedeutung digitaler Medien für Phänomene sexualisierter Grenzverletzungen und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Expertise. Berlin 2016. Abrufbar unter: http://docs.dpaq.de

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Deutscher Bundestag: BT.-Drs.: 15/350, Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28.01.2003. Abrufbar unter: https://kripoz.de

Deutscher Bundestag: BT.-Drs.: 19/13836, Einführung von Versuchsstrafbarkeit für Cybergrooming. Berlin, 09.10.2019

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Eisele, J.: Tatort Internet: Cyber-Grooming und der Europäische Rechtsrahmen. In: E. Hilgendorf/R. Rengier (Hrsg.): Festschrift für Wolfgang Heinz: Zum 70. Geburtstag. Baden-Baden 2012, S. 697 – 713

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Malek, K./Popp, A.: Strafsachen im Internet. Heidelberg/Hamburg 2015

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