Das ist Murks

Jürgen Bruhn

Dr. Jürgen Bruhn ist Politikwissenschaftler, Journalist und freier Schriftsteller.

KI-Forscher wie Ray Kurzweil, Hans Peter Moravec, Marvin Minsky und Jürgen Schmidhuber sind davon überzeugt, dass intelligente Maschinen noch in diesem Jahrhundert unsere Gesellschaft beherrschen werden, da ihre künstlichen Gehirne den menschlich-biologischen Hirnen milliardenfach überlegen sein werden. Ihnen stehen ihre Kritiker wie Noam Chomsky, Jaron Lanier oder Douglas R. Hofstadter frontal gegenüber. Sie betrachten die Ergebnisse der KI-Forscher als „Science-Fiction“.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 4/2019 (Ausgabe 90), S. 28-29

Vollständiger Beitrag als:

Ray Kurzweil, Leiter der technischen Entwicklung bei Google, prophezeite, dass der „nicht intelligente Kosmos“ durch eine einzige universelle künstliche Intelligenz nach dem Ende dieses Jahrhunderts „aufgewertet“ wird und molekulare künstliche Wesen – sogenannte Nanobots – das Universum besiedeln werden.

Der Robotikwissenschaftler Hans Peter Moravec gilt seit den 1980er-Jahren als Vorreiter der modernen Roboterentwicklung. Seine zahlreichen Arbeiten und Versuche befassen sich mit einer künstlichen Intelligenz, die zum Transhumanismus führt. Im Jahre 2003 gründete Moravec die Seegrid Corporation, ein Robotikunternehmen, das die Entwicklung von „autonomen Robotern“ zum Ziel hat, die sehr bald selbst in der Lage sein werden, Roboter herzustellen. Nach Moravec wird es noch in diesem Jahrhundert möglich sein, den menschlichen Geist zu transplantieren, indem man die Neuronenbündel des Gehirns an die Kabel eines Computers anschließt, der dann in der Lage sein wird, das menschliche Denken von „seiner Fessel an den sterblichen Körper loszulösen“. Das wäre dann die Vollendung des Menschen in ein virtuelles Wesen, in eine Denkmaschine, die vom menschlichen Körper befreit ist. Er nennt diese transhumanen Wesen Mind Children.


Das menschliche Hirn ist […] eine Maschine, die nach ihrer Befreiung vom Körper reiner Geist wird und als posthumanes Wesen die Weltherrschaft übernimmt.


Einer der Väter und Vordenker vieler KI-Forscher im Silicon Valley war der Computerwissenschaftler Marvin Minsky. Er prognostizierte, dass alle Aspekte des Lernens, des Denkens und der Intelligenz prinzipiell von Maschinen übernommen werden können. Dabei verachtete Minsky die menschliche Hirnmasse, die er als „Fleischmaschine“ abtat, und bekannte sich zu seinem Ekel vor dem menschlichen Körper, den er als „blutigen Dreck“ bezeichnete. Nach Minskys Forschungen ist jedoch eine „Loslösung“ des Denkens, Fühlens, des Bewusstseins und der Intelligenz von der „Fleischmaschine“ und dem „blutigen Dreck“ in Zukunft möglich. Wenn sich Denken, Intelligenz und Bewusstsein von beiden befreien, können sie später in „höchste Sphären“ aufsteigen. Er nennt das die „Verfeinerung des Denkens“. Denken, Geist, Fühlen, Intelligenz und Bewusstsein sind für Minsky gleichgesetzt. Das menschliche Hirn ist für ihn selbst eine Maschine, die nach ihrer Befreiung vom Körper reiner Geist wird und als posthumanes Wesen die Weltherrschaft übernimmt.

Jürgen Schmidhuber, Chef von IDSIA, einem Luganer Institut für künstliche Intelligenz, leistet mit seiner Gruppe Pionierarbeit beim sogenannten Deep Learning. Das Prinzip der biologischen neuronalen Netze in unseren Gehirnen nahmen die Luganer KI-Forscher schon vor Jahren auf, um die komplizierten neuronalen Phänomene algorithmisch zu erfassen und durch künstliche neuronale Netze nachzuvollziehen. Die Deep-Learning-Methode ist heutzutage im Silicon Valley hoch angesehen. Schmidhuber prognostiziert eine Revolutionierung der Menschheitsgeschichte. Alles, was mit Intelligenz assoziiert wird, so behauptet er, werde von künstlichen neuronalen Netzwerken erledigt werden. Der Luganer prophezeit das Kommen einer wirklichen künstlichen Intelligenz, die mit steigender exponentieller Rechenleistung viele Milliarden Male intelligenter als die menschliche Intelligenz sein wird. Er nennt diese KI-Wesen „Superintelligenzen“, die dann die Erde verlassen werden und in Schwärmen das Weltall besiedeln.

Die Ergebnisse dieser KI-Forscher nennt der US-amerikanische Kognitionsforscher Noam Chomsky „Science-Fiction“, sie hätten mit wirklicher wissenschaftlicher Forschung „wenig zu tun“. Kurzweils, Moravecs und Schmidhubers Prognosen, dass um die Jahrhundertwende eine künstliche Intelligenz die biologische Intelligenz des Menschen milliardenfach überflügeln werde, hält Chomsky für einen „gefährlichen Irrglauben“, der mit falsifizierten wissenschaftlichen Aussagen verbrämt sei. Superintelligenzen, Nanobots und Mind Children, also posthumane KI-Wesen, würden niemals dem Erinnerungsvermögen, dem kritisch-analytischen Denkpotenzial oder der Schöpfungskraft des menschlichen Gehirns überlegen sein. Künstliches Speicherpotenzial könne nicht mit menschlichem Denkpotenzial verglichen werden. KI-Wesen, die das neutrale Universum intelligent gestalten sollen, sind nach Chomsky „reine Fantastereien“, Sprache, auch entstanden durch ständige Bewusstseinserweiterung, Erlebnisse und Erfahrungen aller vor uns da gewesenen Generationen, sei das „größte Kunstwerk des Menschen“. Kein Speicherpotenzial von Computern, keine algorithmengesteuerten Superintelligenzen könnten dieses Kunstwerk nachvollziehen. Und selbst heute, so Chomsky, wüssten wir immer noch nicht, wie Bewusstsein in die Materie (Gehirn) kommt. 

Der bedeutendste Kritiker der erwähnten KI-Forscher ist neben Noam Chomsky und Jaron Lanier der Informatiker und Kognitionswissenschaftler Douglas R. Hofstadter, Sohn des Physik-Nobelpreisträgers Robert Hofstadter. Er war 34 Jahre alt, als er für seinen Bestseller Gödel, Escher, Bach, in dem er die menschliche Schöpfungskraft über jegliche kommende KI stellte, den Pulitzerpreis erhielt. Er beschrieb in dem Buch die schöpferischen Arbeiten, Ideen und Kompositionen der drei berühmten Männer, des Logikers, des Künstlers und des Komponisten. Als man ihn fragte, was er mit diesem Werk zum Ausdruck bringen wollte, antwortete er, es sei ihm darum gegangen, darzustellen, wie es möglich sei, dass das „lebendig Geistige aus der nicht lebendigen Materie herauskommen kann oder wie es dort hineinkommt […]. Wie kann das Selbst, das ICH, diese Schöpfungskraft aus einem Stoff herauskommen, der so ohne Selbst ist wie ein Stein“. Um seine Nichtübereinstimmung mit Kurzweils, Moravecs, Schmidhubers und Minskys künstlichen Superintelligenzen, Nanobots und Mind Children einem breiten Publikum vor Augen zu führen, organisierte Hofstadter seine berühmten „Stanford-Symposien“ an der Stanford University im Herzen des Silicon Valley. Zu diesen Symposien lud er die oben genannten und andere KI-Forscher ein.


Es ist Murks. Und der Grund, warum ich mich so lange damit beschäftigt habe, ist der Wunsch, dieser Verirrung menschlichen Denkens entgegenzutreten.“ (Douglas R. Hofstadter)


Zeitschriften wie der „American Scientist“ berichteten über diese Symposien. Einer seiner Journalisten, Greg Ross, interviewte Hofstadter und fragte, wie er zu Kurzweils, Moravecs und Schmidhubers Prognose stehe, dass es nach 2050 zu einer „Explosion künstlicher Intelligenz“ käme, und was er davon halte, dass diese KI-Forscher prophezeiten, dass während der Jahrhundertwende künstliche Intelligenzen das Universum besiedeln würden. Darauf Hofstadter: „Herr Ross, Sie wissen doch, dass an meinen Symposien diese Herren teilgenommen haben. Und ich habe ihnen meine Einstellung zu ihren Ergebnissen mitgeteilt. Ich habe ihnen gesagt, dass ich mich lange genug in diesem Dreck herumgewälzt habe, und wenn Sie meine eindeutige Antwort hören wollen: Es ist Murks. Und der Grund, warum ich mich so lange damit beschäftigt habe, ist der Wunsch, dieser Verirrung menschlichen Denkens entgegenzutreten. Die Nanobotwesen und Mind Children und die Superintelligenzen werden, wenn sie denn entstünden, seinslos und bewusstlos sein.“

Jaron Lanier, Informatiker und Computerwissenschaftler bei Microsoft und am International Computer Science Institute der University of California in Berkeley, betrachtet in seinem Buch Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht die Zukunftsvisionen von Kurzweil, Moravec und Schmidhuber als eine „Art Heilslehre und Ersatzreligion“. Sie seien von einem „digitalen Utopismus“ befangen, der zum Ziel habe, die gesamte Menschheit durch KI zu verändern. Diese Technowissenschaftler seien geradezu von einem messianischen Eifer angetrieben. Sie wollen eine bessere – d.h. für sie künstliche – Welt schaffen. „lch kenne die Hauptbeteiligten der posthumanen Bewegung“, so Lanier, „die im Herzen der Silicon-Valley-Kultur sitzt, und ich bin der Ansicht, die meisten von ihnen leben in einer Traumwelt, die weit weg von jeder rationalen Wissenschaft ist“.

Dieser Beitrag entstand auf Grundlage seines Buches KI – Schlägt die Maschine den Menschen?


Weiterführende Literatur:

Hofstadter, D. R-: Gödel, Escher, Bach: an Eternal Golden Braid. New York 1979
Lanier, J.: Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht. Berlin 2010
Moravec, H. P.: Mind Children. Der Wettkampf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Hamburg 2001