„Das Weibliche ist oft das Abweichende!“

Über die Repräsentationen von künstlicher Intelligenz im Film

Barbara Weinert im Gespräch mit Martin Hennig

Künstlich erschaffene Wesen kennt die Filmgeschichte seit ihren Anfängen. An ihnen wurden und werden vor allem anthropologische und ethische Grundfragen diskutiert, die eine Gesellschaft beschäftigen. Dr. Martin Hennig forscht am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW, Bereich „Gesellschaft, Kultur und technischer Wandel“) der Eberhard Karls Universität Tübingen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Narrative der Digitalisierung (KI, Simulation und Überwachung) in fiktionalen und faktualen Medienkontexten. mediendiskurs sprach mit ihm über klassische Narrative, ethische Fragen und das Weibliche im KI-Film.

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 2/2022 (Ausgabe 100), S. 44-47

Vollständiger Beitrag als:


Der Begriff „künstliche Intelligenz“ (KI) begegnet uns in den verschiedensten Kontexten und ist, ganz allgemein gesprochen, ein Überbegriff für Anwendungen, bei denen Maschinen menschenähnliche Intelligenzleistungen erbringen. Gibt es ein typisches Bild, das wir vor Augen haben, wenn von KI die Rede ist, oder sind die Vorstellungen davon sehr heterogen?

Es gibt sicherlich individuelle Unterschiede, welche Bilder sich bei dem Begriff „KI“ ergeben. Als Medienkulturwissenschaftler kann ich aber sagen, dass die medialen Repräsentationen von KI nicht allzu divers angelegt sind. Dahin gehend wurde z. B. die filmische Aufbereitung von KI untersucht, aber auch die Frage, was eigentlich passiert, wenn man KI in die Google-Bildersuche eingibt. Oder: Wie sieht es mit Stock-Footage-Datenbanken aus, auf denen man Bilder lizenzfrei herunterladen kann? Welche bildlichen Repräsentationen von KI sind hier vorhanden? Es zeigt sich immer wieder, dass diese Bilder meist sehr ähnlich angelegt sind. Gerade mit Blick auf Diversität haben die Repräsentationen in der Regel einen ethnischen Bias, d. h., sie sind schlicht weiß und reproduzieren ein bestimmtes Gender. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass wir künstliche Intelligenz in eine Kategorie wie Geschlecht einordnen. Auch in Bereichen, in denen KI nicht unbedingt einen Körper hat, aber z. B. sprachlich repräsentiert ist, wie bei digitalen Sprachassistenten, sind ganz bestimmte Standardvarianten von Sprache dominant.

Die von Ihnen erwähnten Assistenzsysteme tragen meist Frauennamen und kommunizieren dementsprechend auch mit Stimmen, die wir Frauen zuordnen würden. Ist das Weibliche auch bei den Repräsentationen von KI im fiktionalen Bereich dominant?

Interessanterweise beobachten wir gerade in den letzten Jahren einen steigenden Anteil von weiblicher KI im Roboter- und KI-Film. Man sollte sich jedoch genau anschauen, in welche Narrative diese jeweils männlich oder weiblich ausgewiesenen Roboter oder Intelligenzen eingebunden sind, denn hier sehen wir, dass wir es häufig mit relativ stereotypen Vorstellungen von „männlich“ und „weiblich“ zu tun haben. Ein typisch „männliches“ Narrativ ist das des männlichen Schöpfers, der seine Vorstellungen auf einen weiblichen Roboterkörper projiziert. Ganz klassisch finden wir das in Metropolis, aber auch in neueren Beispielen wie Ex Machina. Zudem haben wir Narrative der Machterlangung durch KI, wie in der Terminator-Reihe, in der sich ein männlich konnotierter Androide in der Verteidigung hegemonialer Männlichkeit versuchen muss, um die KI zurückzuschlagen. Häufig werden außerdem allgemeine anthropologische Diskurse der Menschwerdung verhandelt. Dabei ist der Protagonist, bei dem die Grenzen zwischen Mensch und KI verwischen, häufig männlich.
 

Universal Pictures Germany: Ex Machina - Trailer (2014)



Typisch „weibliche“ Narrative sind klassischer Art, wie etwa das Weibliche als Abweichendes. Auch dies finden wir in Metropolis, wo an einen weiblich konnotierten Roboter zahlreiche Bedeutungen angelagert sind, die kulturell Abweichendes repräsentieren. In diesem Film der frühen Moderne ist das z. B. konkret eine im damaligen Kontext der Zeit als nicht wünschenswert gedachte Erotik von Frauen, nämlich eine selbstbestimmte Erotik. Eine Frau, die sich nimmt, was sie will, und sich die Männer gefügig macht, wird als problematisch dargestellt. Sie wird dämonisiert und endet schließlich auch auf dem Scheiterhaufen.

Interessant, dass das Weibliche als das Abweichende kontextualisiert wird …

Das zeigt sich auch in weiteren Narrativen: Natürlich gibt es ebenso Erzählungen weiblicher Machterlangung, aber auch hier wird auf klassische kulturelle Bilder mächtiger Frauen zurückgegriffen. Das bekannteste Narrativ ist das der Femme fatale, also der Frau, die Macht erlangt, indem sie ihre eigene Erotik und Sexualität funktionalisiert. Deshalb ist sie auch gefährlich für den männlichen Protagonisten und muss gezügelt werden. Zwei weitere Narrative, die wir im Bereich weiblich konnotierter Roboter finden, sind solche, die sich mit Emanzipation beschäftigen – zum einen mit gelingender, zum anderen mit scheiternder Emanzipation. Letztere finden wir im Film Die Frauen von Stepford. Gelingende Emanzipation finden wir eher in neueren filmischen Beispielen wie Ex Machina oder Her. Wir haben es sicherlich auch zunehmend mit Protagonistinnen im Roboterfilm zu tun, weil der Zusammenhang zwischen Macht und Geschlecht für unsere Gesellschaft ein immer virulenteres Thema wird. Und vielleicht lassen sich diese Emanzipationserzählungen mit unseren klassischen Mitteln eben nicht mehr weitererzählen, sodass wir sie auf die Technologie projizieren, die immer auch die Verheißung in sich trägt, dass man Gesellschaft abseits etablierter biologischer Kategorien neu denken und strukturieren kann – eben auch in der Genderfrage.

Stichwort: Technik als Chance. In früheren Filmen ging es häufig um die Übernahme der Kontrolle über die Menschheit durch KI und damit einhergehend um den Kontrollverlust des Menschen über die Technik. Hat sich das also in neueren Filmen gewandelt?

Ein eher älteres Narrativ ist sicherlich, dass der Kontrollverlust dazu führt, dass man sich von der Technologie vollständig emanzipieren muss, indem man sie verhindert oder vernichtet. In Filmen wie Vernetzt – Johnny Mnemonic ist immer die Fiktion enthalten, dass man den Digitalisierungsphänomenen grundsätzlich entgehen kann. In neueren Narrationen ist es hingegen so, dass die Technologie selbst als unhintergehbar gesetzt wird. Sie ist gesellschaftlicher Alltag. Nehmen wir als Beispiel die Überwachung. Sie ist überall, und es geht eher um die Frage: Wie müssen sich die Menschen in einer überwachten Gesellschaft verhalten oder in einer Gesellschaft, in der immer die Gefahr besteht, dass die Technik autonom wird? Bei dieser Übertragung der Verantwortung auf das Individuum handelt es sich letztlich um eine neoliberale Idee. Sprich: Du musst mit deinen Daten sorgfältig umgehen, das kann keine staatliche Struktur mehr leisten. In einer Serie wie Black Mirror, in der Fiktionen ganz verschiedener Technologien gezeigt werden, geht es zentral um die Vermittlung von Menschenbildern, die für eine digitalisierte Gesellschaft als adäquat gedacht werden. Wir haben es hier häufig mit problematischen Jugendkulturen zu tun, die sich grenzüberschreitend und normverletzend verhalten und die lernen müssen, sich regelkonform zu verhalten, weil in einer absolut überwachten Gesellschaft jegliches regelwidrige Verhalten irgendwann auf dich zurückfallen kann.

Das heißt, es werden also nicht nur Gefahren und Grenzen von KI im Modus der Fiktion ausgelotet, sondern auch ethische Fragen diskutiert?

Ganz genau. Man kann grundsätzlich sagen, dass sich KI-Filme nicht primär um KI oder Fragen der Technikgestaltung drehen. Künstliche Intelligenz stammt kulturgeschichtlich von Beispielen ab, die noch gar nicht von KI handeln, wie wir sie heute verstehen, wie etwa vom Frankenstein-Motiv, vom Pygmalion-Mythos oder von Pinocchio. Künstliche Intelligenz dient in der Regel erst einmal der Projektion anthropologischer Grundfragen: Ab wann kann etwas eigentlich Künstliches überhaupt als menschlich gelten? Welche Geschlechtermodelle sind adäquat und welche abweichend oder problematisch? Diese Frage etwa lässt sich gut austarieren, wenn man sie auf etwas nicht Menschliches projiziert. Die Geschlechtermodelle bekommen dadurch allerdings einen universalistischen Charakter, weil sie offenbar nicht nur für die menschliche Sphäre zu gelten scheinen, sondern auch darüber hinaus. Wenn aber menschliche Kategorien plötzlich auf Technik projiziert werden, ist das ein grundsätzliches ethisches Problem, denn hier werden wie gesagt teilweise sehr problematische Vorstellungen und Stereotype vermittelt.
 


Diskurse des künstlichen Menschen werfen immer die Frage auf, was den Menschen menschlich macht.



Aber noch einmal konkret zurück zu Ihrer Frage: Man findet in diesen Narrativen auch definitiv Tendenzen der Technikentwicklung. Selbst wenn es nicht um konkrete Fragen der Technikgestaltung geht, kann man sagen, dass künstliche Intelligenz ebenfalls mehr und mehr als etwas Alltägliches thematisiert wird. Im Vordergrund steht eine digitalisierte Gesellschaft, Roboter sind in Alltagsvollzüge eingebettet.

Spannend, dass Sie gerade auch solch frühe filmische Beispiele wie Frankenstein oder Pinocchio genannt haben.

Solche Diskurse des künstlichen Menschen – und das gilt nicht nur für den Film, sondern auch ganz allgemein – werfen immer die Frage auf, was den Menschen menschlich macht. Wenn wir aktuell z. B. die Frage stellen, welche Arbeitsprozesse in unserer Gesellschaft automatisiert ablaufen und durch KI substituiert werden können, dann muss man sich auch fragen, welche Bereiche legitim eigentlich nur dem Menschen zustehen? Die Idee der Automatisierung von Arbeitsprozessen lässt sich bis zu der Zeit der Aufklärung zurückverfolgen, in der Menschen grundsätzlich als maschinennah gedacht wurden. Damals spielte eine göttliche Belebung der Seele eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr wurden Körperlichkeit und Geist als Folge von komplexen biologischen Vorgängen gedacht. Dieses Denken pflanzt sich bis heute fort.

Kommen wir noch einmal auf die anfangs angesprochenen Gender-Stereotype zurück: Gerade in fiktionalen Formaten wäre KI doch eine großartige Chance, um Gesellschaft ganz abseits der binären Codes zu denken.

Absolut! Natürlich gibt es solche Beispiele auch schon, aber sie sind eben noch recht selten. Nehmen wir noch einmal die Sprachassistenzsysteme: Hier ist es virulent und aus kulturkritischer Perspektive völlig unnötig, dass ein so starkes Gendering betrieben wird. Oft wird dann mit Nutzerstudien argumentiert, dass Nutzerinnen und Nutzer z. B. positiver auf weibliche Stimmen ansprächen. Aber das sind natürlich auch Dinge, die sich im Fluss befinden. Nachdem es an diesem Gendering starke Kritik gegeben hat, kann man bei Alexa jetzt auch eine männliche Stimme wählen. Das löst allerdings nicht das grundsätzliche Problem des Genderings. Hier müssten viel weiter gehende Fragen gestellt werden: Wollen wir als Gesellschaft Technik überhaupt in Kategorien wie „männlich“ oder „weiblich“ einordnen? Oder noch breiter gefasst: Wollen wir Technik wie eine soziale Identität behandeln? Hier braucht es einen stärkeren gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs, um eben auch einen Wandel herbeiführen zu können. Ein spannendes Beispiel kommt hierzu aus Dänemark: Ein Team aus Kopenhagen hat den ersten genderlosen Sprachassistenten entwickelt: Q soll für mehr Inklusion in der Sprachtechnologie sorgen und liegt von der Stimmlage her genau zwischen „männlich“ und „weiblich“. Q wurde in Zusammenarbeit mit Personen entwickelt, die sich selbst als nonbinär bezeichnen. Inwiefern sich ein solcher Gegenentwurf durchsetzen kann, ist natürlich eine andere Frage.

Was ist Ihre Prognose, wie sich dies zukünftig entwickeln wird?

Man kann das vielleicht mit anderen Diskursen vergleichen, und ich setze einmal den Link auf den Privatheitsdiskurs: Vor 20 Jahren war es noch kein großes Thema, Daten im Internet preiszugeben. Mittlerweile gibt es dafür ein viel stärkeres gesellschaftliches Bewusstsein und zahlreiche Angebote, die ein datensensibles Agieren möglich machen. Ich bin mir recht sicher, dass auch Diversität ein noch größeres Thema in unserer Gesellschaft werden wird. Digitale Computerspiele, bei denen ein extremes Gendering beklagt wurde, sind mittlerweile viel diverser und richten sich an eine breitere Zielgruppe. Auch in den Entwicklungsstudios selbst wird viel stärker darauf geachtet, dass hier unterschiedliche Arten von Produkten entstehen. Wenn wir demgegenüber von Repräsentationen von Robotern in Stock-Footage-Datenbanken oder in der Google-Bildersuche sprechen, wird es sicherlich noch etwas dauern, bis sich da wirklich etwas verschiebt.

 

Dr. Martin Hennig forscht am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Barbara Weinert leitet das Referat „Medienarbeit“ an der Universität Passau. Sie war langjähriges Mitglied der tv-diskurs-Redaktion und schreibt heute als freie Autorin für das Magazin.