„Der bestmögliche Schutz für Kinder!“

Claudia Mikat im Gespräch mit Marc Jan Eumann

Seit Januar 2020 ist Dr. Marc Jan Eumann Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Der promovierte Historiker hat das Amt in einer herausfordernden Zeit übernommen: Die gesetzlichen Regelwerke zum Jugendmedienschutz werden überarbeitet, europäisches Medienrecht muss umgesetzt werden. Neue mediale Trends und daraus resultierende Risiken sind zu beobachten und erfordern angepasste Lösungen und technische Schutzkonzepte.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 2/2020 (Ausgabe 92), S. 52-55

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Sie haben das Amt des KJM-Vorsitzenden in einer Zeit übernommen, in der vieles in Bewegung ist: Was ist Ihrer Meinung nach derzeit die größte Herausforderung für den Jugendmedienschutz?

In der Tat ist momentan vieles in Bewegung – vor allem der Regulierungsrahmen, innerhalb dessen die KJM tätig ist. Die Novellierungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) und des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) stehen an – und alle sind gefordert, dem gemeinsamen Ziel gerecht zu werden: einen zuverlässigen Kinder- und Jugendmedienschutz in Deutschland zu gewährleisten. Es kommt deshalb jetzt darauf an, dass die Gesetzgeber die Regelwerke so überarbeiten, dass sie gut ineinandergreifen und einen deutlichen Mehrwert für den Kinder- und Jugendmedienschutz im digitalen Zeitalter bieten. Dabei ist es besonders wichtig, Lösungen für eine effektivere Rechtsdurchsetzung bei Anbietern mit Sitz im Ausland zu finden. Denn ausgerechnet in diesem relevanten Bereich setzt der derzeitige Rechtsrahmen dem Aufsichtshandeln – im wahrsten Sinne des Wortes – leider Grenzen.

Die Umsetzung der europäischen AVMD-Richtlinie steht an, doch im Medienstaatsvertrag ist zum Thema „Jugendschutz“ nicht viel zu finden. Kommt da noch etwas?

Die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab hat erst kürzlich im Beck-Blog darauf hingewiesen, dass die Länder in Absprache mit dem Bund im Medienstaatsvertrag zunächst nur die jugendschutzrechtlichen Vorgaben der AVMD-Richtlinie umgesetzt haben. Eine weitere Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags solle dann – auch mit Blick auf die Überarbeitung des Jugendschutzgesetzes – in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern und unter Wahrung der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes erfolgen, schrieb sie dort. Kurzum: Die Länder tun das, was sie zu Beginn des Prozesses erklärt haben.

Wie stehen die Chancen für solch einen konvergenten Rechtsrahmen, der Inhalte unabhängig vom Vertriebsweg regelt und JuSchG- sowie JMStV-Bestimmungen konsistent miteinander verzahnt?

Das ist einer der großen Knackpunkte bei der Frage, wie ein zeitgemäßer kohärenter Kinder- und Jugendmedienschutz gestaltet werden kann. Eine Antwort darauf können Bund und Länder nur gemeinsam finden. Hierzu sollten aus meiner Sicht weitere Gespräche im Rahmen der bereits existierenden Bund-Länder-AG geführt werden, in die sich die KJM als plurales Gremium mit von Bund und Ländern entsandten Mitgliedern weiterhin gerne mit ihrer Expertise einbringen wird.

Neben den klassischen Wirkungsrisiken im Jugendmedienschutz sollen im Jugendschutzgesetz Interaktionsrisiken wie Cybergrooming oder Cybermobbing verankert werden. Passt das aus Ihrer Sicht? Wie können solche Bestimmungen im Rahmen der Inhaltebewertung umgesetzt werden?

Interaktionsrisiken wie Cybergrooming und Cybermobbing sind verhältnismäßig neue Risikodimensionen im Jugendmedienschutz, die bislang noch nicht ausreichend gesetzlich geregelt sind. Insofern ist es zu begrüßen, dass Novellierungsbestrebungen auch diese Risiken umfassen. Denkbar wären hier verschiedenste Lösungsansätze wie Verbreitungsbeschränkungen, Deskriptoren oder Verpflichtungen zu Safety-by-Design- und Safety-by-Default-Einstellungen. Aber ganz egal, wo man bei der Regulierung solcher Risiken ansetzt: Wichtig ist, dass Erziehungsberechtigte sowie Kinder und Jugendliche selbst nicht durch irreführende Altersbewertungen die Orientierung im Risikodschungel verlieren. Wenn eine Vielzahl von Risiken – auch solche, die über die Inhalte hinausgehen – in die Altersfreigabe einfließt, könnte dies die bewährten Freigaben verwässern und Erziehende verwirren.
 


In unserem sensiblen Feld, in dem gewissenhaft und rechtssicher zwischen Jugendschutz und Meinungsfreiheit abgewogen werden muss, ist und bleibt der menschliche Sachverstand aber absolute Prämisse.



Welche Rolle spielt heute noch die Bewertung von Inhalten unter Jugendschutzgesichtspunkten? Sollte sie weiterhin durch sachverständige Menschen erfolgen oder können dies technische Systeme übernehmen?

Wenn technische Innovationen die Arbeit der Prüferinnen und Prüfer erleichtern können, dann sollten diese Möglichkeiten nutzbar gemacht und eingesetzt werden. In unserem sensiblen Feld, in dem gewissenhaft und rechtssicher zwischen Jugendschutz und Meinungsfreiheit abgewogen werden muss, ist und bleibt der menschliche Sachverstand aber absolute Prämisse.

Was bedeutet Medienkompetenz im Zeitalter der Digitalisierung? Hat das Sperren von beeinträchtigenden Inhalten auch heute noch Priorität?

Medienkompetenz und Kinder- und Jugendmedienschutz sind nach wie vor zwei Seiten einer Medaille. Einerseits ist es wichtig, das Risiko von Konfrontationen mit beeinträchtigenden oder gefährdenden Inhalten so weit wie möglich zu minimieren. Das hat gerade bei besonders kinderaffinen Angeboten eine große Bedeutung. Andererseits bleibt im digitalen Zeitalter und der damit verbundenen Flut von verfügbaren Inhalten aber immer auch ein Restrisiko bestehen. Deshalb ist es wichtig, Kinder und Jugendliche frühzeitig fit zu machen für einen kompetenten Umgang mit den Medienangeboten, die sie nutzen.

Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sollten z.B. 12-Jährige im Hinblick auf Medieninhalte haben?

Sie sollten auf jeden Fall eine kritische Reflexionsfähigkeit haben. Was im Umgang mit Texten und Zeitungen wichtig ist, gilt auch für das Netz und vor allem mit Blick auf Bilder und Videos, bei denen die Möglichkeiten der Manipulation immens sind. Kinder müssen wissen, dass Videos manipuliert werden können. Sie müssen lernen, zwischen seriösen und nicht seriösen Quellen zu unterscheiden. Mit Blick auf Medienkompetenz bei dieser Altersgruppe ist Datensparsamkeit auch ein wichtiges Thema. Kinder sollten sorgfältig mit ihren Daten umgehen und wissen, wo sie was hinterlegen, welche Fotos von ihnen kursieren und dass sie nicht jedem Kontakt vertrauen können. Und natürlich gehört zur Medienkompetenz die Auseinandersetzung mit Netiquette, also mit der Frage, wie man selbst kommunizieren und welche Art von Kommunikation man anderen erlauben möchte. Je achtsamer man mit sich und seiner eigenen Sprache umgeht, desto größer darf die entsprechende Erwartungshaltung an das Gegenüber sein. Zur Netiquette gehört auch, nicht alles sofort weiterzuverbreiten, weil man es spontan witzig findet, sondern einen zweiten Blick darauf zu werfen und vielleicht festzustellen, dass ein Inhalt eine diskriminierende, verletzende oder auch strafrechtlich relevante Botschaft hat. Ganz generell gilt: Wie über gute und schlechte Ereignisse in der analogen Welt sollten Kinder mit ihren Eltern auch darüber sprechen können, was im Netz passiert. Je besser das Verhältnis zu den Erziehungsberechtigten, desto sicherer die Kommunikation.

In der KJM haben Sie gemeinsam mit Jochen Fasco von der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) die Themenverantwortung für „Neue Trends und Phänomene“. Welches interessante Phänomen ist Ihnen in jüngster Zeit untergekommen?

Gerade im Bereich der Telemedien hat die KJM mit einer solchen Bandbreite von schnelllebigen neuen Trends und Phänomenen zu tun, dass ich mich nicht auf ein einziges Beispiel beschränken möchte. Die KJM beschäftigt der Trend, Games durch In-App-Käufe zu monetarisieren und dabei auch Kinder direkt zum Kauf aufzufordern, genauso wie das Phänomen, dass sich immer neue gefährliche Challenges – beispielsweise ganz aktuell die „Skullbreaker“-Challenge – viral verbreiten. Wir beobachten simuliertes Glücksspiel, eine massive Verbreitung antisemitischer Hassrede auf jugendaffinen Plattformen oder neue soziale Netzwerke mit unzureichenden Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche. Die KJM agiert hier im Verbund mit den Landesmedienanstalten und jugendschutz.net bei Bedarf schnell. Genaues Hinschauen ist dabei wichtig: Gerade im Internet ist nicht immer absehbar, ob sich Trends oder Phänomene entwickeln. Wir hatten z.B. einen Streamer unter Beobachtung, der sich live über Stunden hinweg alkoholisierte. Da er viele Follower hatte, die sich von ihm gut unterhalten fühlten, befürchteten wir, er könnte einen Trend setzen und der Drunk-Stream zu einem Phänomen werden. Das hat sich erfreulicherweise nicht bewahrheitet. Für uns war die Beobachtung dennoch wichtig, um mehr Erfahrungen darüber zu sammeln, wie die Influencer-Szene funktioniert.

Der Vorsitz der KJM hat in den vergangenen vier Jahren viermal gewechselt. Wie lange werden Sie im Amt bleiben? Wollen Sie in Ihrer Zeit als Vorsitzender ein besonderes Problem aus der Welt schaffen?

Ich freue mich, als neuer Vorsitzender der KJM an die gute Arbeit meiner Vorgänger anknüpfen zu dürfen, und plane langfristig. Mit den KJM-Mitgliedern inklusive der ehemaligen Vorsitzenden habe ich versierte Kolleginnen und Kollegen um mich, deren kontinuierliches Engagement im Kinder- und Jugendmedienschutz schon viel bewegt hat. Gemeinsam mit ihnen werde ich mich weiterhin den verschiedenen Problemlagen widmen. Einen besonderen Fokus möchte ich dabei auf Medienangebote richten, die bei Kindern besonders beliebt sind. Vor allem diese Angebote müssen unbedingt so sicher ausgestaltet sein, dass Kinder sie risikolos nutzen können. Mit anderen Worten: Mir geht es vor allem um den bestmöglichen Schutz für Kinder. Hier ist bei den meisten relevanten Angeboten, die überwiegend aus dem Ausland kommen, noch sehr viel Luft nach oben.

Aus organisatorischen Gründen wurde das Gespräch überwiegend im schriftlichen Austausch geführt (Anm. d. Red.).
 

Dr. Marc Jan Eumann ist Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM).

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e.V.