Der Digital Services Act (DSA) und die Altersverifikationen für Pornoangebote
Praktisch ist Pornografie aber seit einigen Jahren über das Internet für jeden kostenlos und ohne irgendeine funktionierende Alterskontrolle zugänglich. Die Portale stammen aus anderen europäischen Ländern, beispielsweise aus Zypern. Der Nachweis darüber, ob der Nutzer erwachsen ist, beschränkt sich darauf, dass er anklickt, über 18 Jahre alt zu sein. Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) der Landesmedienanstalten hat diese in Deutschland illegalen Portale mehrfach aufgefordert, zumindest für Nutzende in Deutschland ein Altersverifikationssystem einzuführen – ohne Erfolg. Auch verschiedene Gerichtsurteile, welche die Position der Landesmedienanstalten bestätigten, konnten daran nichts ändern. Der Grund: Zwar ist auch nach der Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste der EU (AVMD-Richtlinie) die Bereitstellung von Pornografie für Jugendliche nicht gestattet, wie dieses Jugendverbot allerdings umgesetzt wird, ist den Mitgliedstaaten überlassen. Und alle Bemühungen, die deutsche Position in Zypern durchzusetzen, waren bisher erfolglos.
Praktisch ist Pornografie aber seit einigen Jahren über das Internet für jeden kostenlos und ohne irgendeine funktionierende Alterskontrolle zugänglich.“
Jugendschutz und der Digital Services Act
Nun aber gibt es den Digital Services Act (DSA), und die sehr großen Onlineplattformen – „Very Large Online Platforms“ (VLOPs) – unterliegen zusätzlichen Pflichten. Dazu gehört, dass die großen Plattformen Minderjährige stärker schützen müssen. Untersuchungen der EU-Kommission ergaben, dass mindestens drei Pornoanbieter die Schwelle von 45 Mio. durchschnittlichen monatlichen Nutzerinnen und Nutzern in der EU erreichen. „Zusätzlich zu den allgemeinen Bestimmungen des DSA müssen Pornhub, XVideos und Stripchat innerhalb von vier Monaten nach ihrer Einstufung als VLOP auch spezifische Maßnahmen ergreifen. Ziel ist, ihre Nutzer, einschließlich Minderjähriger, zu befähigen und zu schützen. Sie müssen alle systemischen Risiken, die sich aus ihren Diensten ergeben, ordnungsgemäß bewerten und abmildern“ (EU-Pressemitteilung).
VLOPs müssen ihre Dienste einschließlich ihrer Schnittstellen so gestalten, dass Risiken für Minderjährige minimiert werden. Wenn sie Pornografie anbieten, müssen sie durch Filtersysteme und Instrumente zur Altersüberprüfung den Zugang von Kindern und Jugendlichen verhindern. Sie müssen Risikobewertungsberichte abgeben, in denen alle negativen Auswirkungen auf den Schutz der geistigen und körperlichen Gesundheit von Minderjährigen detailliert aufgeführt werden. „Die Kommissionsdienststellen werden die Einhaltung der DSA-Verpflichtungen durch diese Plattformen sorgfältig überwachen, insbesondere hinsichtlich der Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen vor schädlichen Inhalten und zur Bekämpfung der Verbreitung illegaler Inhalte. Die Kommissionsdienststellen sind bereit, eng mit den neu benannten Plattformen zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass diese Maßnahmen ordnungsgemäß durchgeführt werden“, heißt es in der Pressemitteilung der EU (vgl. ebd.).
Wenn sie [die Plattformen] Pornografie anbieten, müssen sie durch Filtersysteme und Instrumente zur Altersüberprüfung den Zugang von Kindern und Jugendlichen verhindern.“
Der DSA ist kein Jugendschutzgesetz
Die Pornoportale sind relativ spät in den DSA aufgenommen worden, da sie ihre Nutzerzahlen gar nicht oder erst nach der Frist gemeldet haben. Es ist davon auszugehen, dass diese allerdings unter den tatsächlichen Zahlen liegen. Erst nach verschiedenen Protesten und Nachfragen gerieten sie ins Visier der EU. Pornhub und xHamster haben zunächst 33 Mio. Nutzende gemeldet, und diese Angabe nach der nach Abgabefrist gemacht. XVideos, ein Konkurrent dieser beiden Plattformen, gab anschließend an, von 160 Mio. Menschen in der EU genutzt zu werden, weshalb die EU die vermeintlichen Nutzerzahlen der anderen Plattformen stark in Zweifel zog.
Das Problem ist, dass die Kriterien für Interaktionsrisiken nach dem DSA andere sind als nach den Jugendschutzbestimmungen. Nach dem deutschen Straf- und Jugendschutzrecht wird Pornografie als jugendgefährdend definiert, ebenso nach der AVMD-Richtlinie der EU. Nach dem DSA muss es sich allerdings allgemein um ein Potenzial für systemkritische Gefahren handeln. Und da entsteht die Frage, ob Pornografie generell darunterfällt. Der Aktivist und IT-Rechtsanwalt Alessandro Polidoro arbeitet in dem Bereich der digitalen Intimität. Polidoro hat einen offenen Brief der NGOs koordiniert. Er sagt, es gebe bisher keine offizielle, anerkannte Taxonomie, die speziell die großen Pornowebsites als ein systemisches Risiko ausmacht (vgl. Richter et al. 2024).
Aber ist die Darstellung ganz normaler sexueller Handlungen, die einvernehmlich vollzogen werden, automatisch auch schädlich?“
Offensichtlich rechtswidrige Inhalte
Aber auf Pornowebsites gibt es Videos mit sehr diversen Spielarten sexueller Vorlieben, und darunter befindet sich auch illegales Material wie Videos von sexualisierter Gewalt. Letztere nehmen auch durch KI immer mehr zu, da durch sie Deepfakes einfach hergestellt werden können, die alle möglichen extremen Gewalthandlungen zeigen. Hinzu kommen Videos von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die vom DSA ganz besonders vor schädlichen Inhalten geschützt werden sollen.
Klar ist: Der DSA regelt, dass die Betreiber sehr großer Onlineplattformen illegale Inhalte, die von Nutzenden gemeldet werden, schnell entfernen müssen. Auch sind diese Plattformen verpflichtet, der EU-Kommission Risikobewertungsberichte zuzusenden, die nachweisen, wie illegale Inhalte beseitigt werden. Beim DSA geht es aber immer um schädliche Inhalte, und die müssen definiert werden. Gerade über das Thema „Darstellung von Sexualität“ kann man kontroverse Ansichten vertreten. Bei der Verbindung sexueller Handlungen mit Gewalt, auf jeden Fall im Zusammenhang mit Kindern, kann man sich bezüglich der Schädlichkeit wahrscheinlich schneller einigen. Aber ist die Darstellung ganz normaler sexueller Handlungen, die einvernehmlich vollzogen werden, automatisch auch schädlich? Im Straf- und Jugendschutzrecht in Deutschland wird das so definiert, aber ist das auch einfach auf den DSA übertragbar?
Der Rechtsanwalt Alessandro Polidoro verweist auf die Forschung, wonach zum Beispiel Frauenhass, toxische Maskulinität und rape culture schädliche Inhalte sind, die auf einigen Plattformen angeboten werden. Polidoro sieht auch ein Problem darin, dass es eine Verzerrung durch die Empfehlungsalgorithmen gibt, die dazu führt, dass die Seiten vor allem heteronormative Videos vorschlagen. Das könnte insofern schädlich sein, als das gesellschaftliche Bild von Pornografie, Sexualität und Intimität dadurch einseitig geprägt wird (vgl. Richter et al. 2024).
Bei der Verbindung sexueller Handlungen mit Gewalt, auf jeden Fall im Zusammenhang mit Kindern, kann man sich bezüglich der Schädlichkeit wahrscheinlich schneller einigen.“
Kontroverse Sichtweisen: Altersverifikationen
Der DSA macht erstmal die Umstände sichtbar, indem er von den großen Onlineplattformen eine Risikobewertung verlangt, und dabei geht es nicht nur um Pornoanbieter. Unterschiedlichste Konzerne gelten unter dem DSA als Very Large Online Platform, etwa Meta, aber auch Handelsplattformen wie Zalando. Und diesen schreibt das Gesetz auch vor, dass sie ihre Daten der Wissenschaft übermitteln müssen, auch die, die ihre digitale Infrastruktur und ihre Algorithmen betreffen. Darüber hinaus fließt Geld der Unternehmen in die wissenschaftliche Untersuchung dieser Daten. Das finden einige Konzerne nicht in Ordnung und haben auch dagegen geklagt, zum Beispiel Zalando, Meta und TikTok, die beklagen, diese Gebühr sei unverhältnismäßig.
Völlig unklar ist allerdings noch, ob und in welcher Weise für pornografische Videos, die strafrechtlich unbedenklich sind, Altersverifikationen über den DSA gefordert werden können und wie sicher diese sein müssen. Das ist selbst innerhalb der Digital Intimacy Coalition umstritten, eine Gruppe von Organisationen sowie Aktivisten und Aktivistinnen, zu denen auch der Rechtsanwalt Polidoro gehört. Sie setzen sich für ethische und inklusive Intimität im Internet ein. Nach Polidoro gibt es innerhalb dieser Gruppe ganz unterschiedliche Standpunkte zu der Altersverifikation. Innerhalb des Kollektivs sind unterschiedliche Interessengruppen vertreten, einige kämpfen für digitale Grundrechte und wollen die Tech-Unternehmen in Verantwortung nehmen, dann sind dort aber auch Sexarbeitende vertreten, die gegen die Stigmatisierung und Moralisierung ihrer Arbeit vorgehen wollen. Aber auch Überlebende von sexualisierter Gewalt sind vertreten, die vor allem die Gewaltrisiken eindämmen wollen.
In Deutschland ist bezüglich der Altersverifikation ganz klar geregelt, dass die Anbieter das Alter der Nutzenden überprüfen müssen, zum Beispiel durch das Postident-Verfahren: Die Freigabe wird erst genehmigt, wenn ein ausgedruckter Vertrag mit Personalausweis durch einen Mitarbeiter der Post bestätigt und von diesem an das Unternehmen versandt wird. Das ist allerdings wohl in der EU in Bezug auf den DSA nicht geplant, er gibt sich technologieoffen. Thomas Renier, Sprecher für Digitalpolitik bei der EU-Kommission, erklärt: „Wir sagen nicht den Plattformen, wie sie das tun müssen, konkret, […] die können mit konkreten Maßnahmen auf uns zurückkommen und sagen, das sind die Altersverifikationssachen, die wir auf unserer Plattform haben, und sie können uns damit zufriedenstellen oder auch nicht. […] Der DSA sieht keine spezifische Altersverifikationsweise vor“ (vgl. Richter et al. 2024).
Quellen:
EU-Pressemitteilung: DSA verpflichtet Pornhub, Stripchat und XVideos zu mehr Schutz ihrer Nutzerinnen und Nutzer. In: germany.representation.ec.europa.eu, 20.12.2023. Abrufbar unter: https://germany.representation.ec.europa.eu (letzter Zugriff: 27.08.2024)
Richter, M./Behme, P./Genzmer, J./Kunz, Ch./Dreier, J.: Digitalpolitik - "Safer Porn" durch die EU? In: Breitband, Deutschlandfunk Kultur, 08.06.2024. Abrufbar unter: www.ardaudiothek.de (letzter Zugriff: 27.08.2024)