Der kalte Tech-Krieg

Adrienne Fichter

Adrienne Fichter ist Politologin und Redakteurin beim Onlinemagazin Republik.

2020 wird zum Schicksalsjahr. Entweder setzt sich die chinesische Tech-Diktatur, Donald Trumps Tech-Nationalismus oder die europäische Tech-Demokratie durch.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 2/2020 (Ausgabe 92), S. 28-31

Vollständiger Beitrag als:

2020 stehen in der Technologiewelt drei wichtige Ereignisse bevor:

  • Im Januar trat in den USA ein Regelwerk in Kraft, von dem in deutschsprachigen Medien noch kaum die Rede war, das Europa aber indirekt auch betreffen wird: der California Consumer Privacy Act.
  • Die Vereinigten Staaten wählen ihren Präsidenten. Entweder bleibt Donald Trump im Amt – oder es wird ein neuer, gegenüber dem Silicon Valley vermutlich kritischer eingestellter Demokrat gewählt.
  • Ein radikales Experiment wird zum politischen Programm: das Social-Scoring-System in China, bisher nur im Testbetrieb, tritt landesweit in Kraft und teilt chinesische Bürgerinnen und Bürger in gut und schlecht ein.

Diese drei Ereignisse sind nicht nur für Tech-Firmen von großer Bedeutung. Sondern auch für die Zukunft des Internets. Sie markieren den bisherigen Höhepunkt eines immer offensichtlicher werdenden Konflikts.

Des Konflikts um die Vorherrschaft über das Internet.
 

Kaliforniens europäischer Weg

Ein Ort, an dem dieser Konflikt besonders hart ausgefochten wird, ist Kalifornien. Dort befinden sich die Hauptsitze von Apple, Google und Facebook. Ein Datengesetz, das im US-Gliedstaat beschlossen wird, betrifft nicht nur dessen 40 Mio. Einwohner, sondern über 1 Mrd. Internetnutzerinnen und ‑nutzer weltweit.

Der California Consumer Privacy Act (CCPA) ist eine Lightversion der Datenschutz-Grund­ver­ord­nung (DSGVO), des Datenschutzgesetzes der Europäischen Union. Letzteres ist seit 2018 in Kraft und verlangt von Datenkonzernen Transparenz über die Verwendungszwecke aller Arten von Daten. Und es gibt Konsumentinnen und Konsumenten die Möglichkeit, den Datenhandel auf Tausenden von Websites zumindest teilweise abzulehnen.

Zwar ist der CCPA im Wortlaut nur an kalifornische Bürgerinnen und Bürger gerichtet. Doch Firmen wie Microsoft haben bereits angekündigt, das Gesetz mindestens USA-weit umsetzen zu wollen. Google hat derweil ein CCPA-konformes Protokoll für dessen Umsetzung entwickelt, das Websitebetreiber auf der ganzen Welt einsetzen können.
 


Vision 1: Das globale Internet wird bürgerorientierter, ethischer – aber auch bürokratischer.



In einem Land wie den Vereinigten Staaten, wo es kein landesweites Gesetz für den Datenschutz gibt, ist der CCPA ein Meilenstein. Nicht nur in den USA, sondern weltweit dürften die Regeln damit ein Stück „europäischer“ werden – also stärker ausgerichtet auf digitale Bürgerrechte. Zum Durchbruch verhelfen dürften dem CCPA, wie dies in Amerika üblich ist, millionenschwere Sammelklagen von Verbraucherorganisationen.

Auch eine neue Präsidentin könnte die Umsetzung des CCPA beschleunigen, sofern sie denn Eliza­beth Warren hieße. Die demokratische Anwärterin für die Wahlen im Herbst will die Big Player der Tech-Welt zerschlagen: Zu mächtig, zu wettbewerbsbehindernd und zu demokratiegefährdend seien Google und Facebook geworden, sagt sie.1

Um eine Präsidentschaft Warrens zu verhindern, haben die Tech-Konzerne 2019 bereits allerlei Initiativen gestartet:

  • Facebook hat einen eigenen „Supreme Court“ eingerichtet, eine Art unabhängiges Gericht, das über Wahrheit in politischen Anzeigen und über deren Sperrung entscheiden soll.
  • Google will allen Nutzerinnen und Nutzern eine „Privacy Sandbox“ schenken, eine Art Guthaben, mit dem sie ihre Identität etwas mehr verschleiern können.
  • Twitter hat die Politik vollständig aus seinem Werbegeschäft verbannt.
     

Doch die Selbstregulierung funktioniert kaum. Das geht etwa aus einer neu erschienenen Studie der Nato-Organisation StratCom hervor: Sie zeigt, wie einfach man auf dem Markt Beeinflussungsoperationen einkaufen kann. Für nur 300,00 Dollar schreiben Hunderte von bezahlten Kommentarschreibern gegen beliebige Präsidenten und Premierministerinnen an. Wie kinderleicht die Verbreitung von Fake News ist, zeigte ein Experiment von Elizabeth Warren: Ihr Team erlaubte sich einen Jux und startete auf Facebook eine Kampagne mit dem Titel Mark Zuckerberg unterstützt Donald Trump. Die Schlagzeile war natürlich falsch, dennoch rutschte die Anzeige in Minuten durch alle Kontrollinstanzen. Eine Blamage für den umstrittenen Facebook-Gründer.
 


Vision 2: Das globale Internet wird national reglementiert, der Datenkapitalismus floriert weiterhin.



In den USA wächst nicht nur deshalb parteiübergreifend der Konsens, dass die Tech-Giganten zu viel Marktmacht besitzen. Institutionen wie die Wettbewerbsbehörde FTC werden sich daher 2020 alle „Großen“ – also Amazon, Apple, Google und auch nochmals Facebook – vorknöpfen.

In Kombination mit dem kalifornischen CCPA, dem härteren Durchgreifen eines Demokraten im Weißen Haus und den europäischen Ambitionen, nächstes Jahr kartell- und datenschutzrechtlich noch härter vorzugehen, hätte dies klare Konsequenzen: Das globale Internet würde strenger reguliert.

Der Datenkapitalismus würde eingeschränkt, Bürgerrechte würden ausgebaut.
 

Trumps protektionistische Tech-Politik

Ganz anders sieht jedoch das Internet aus, wie es sich der amtierende US-Präsident ausmalt. Wird Donald Trump am 3. November 2020 wiedergewählt, bleibt es beim regulatorischen Status quo. Trump vertritt in Bezug auf die Datenwirtschaft eine Laisser-faire-Haltung. Und er knüpft in militärischen Angelegenheiten bewusst engere Bande mit der Big-Tech-Szene.

So hat das US-Verteidigungsministerium in den vergangenen Jahren etwa Kooperationen mit Amazon und Google im Bereich von Gesichtserkennungstechnologien und Drohnen angestrebt. Die Vorhaben wurden erst abgeblasen, als der Widerstand aus der Belegschaft der Konzerne zu groß wurde.
 


Vision 3: Das globale Internet wird stärker überwacht und mit totalitären Normen geprägt.



An eine Zerschlagung der Tech-Giganten denkt Donald Trump nicht einmal ansatzweise. Im Gegenteil: Mit der Sanktionierung der chinesischen Firma Huawei betreibt der US-Präsident eine geopolitische Tech-Politik. Sein Ziel ist, die großen Firmen aus dem Silicon Valley zu stärken. Ganz Protektionist, wirbt er für Aufträge an amerikanische Mobilnetzausrüster und droht europäischen Staaten, sollten sie mit Huawei zusammenarbeiten.

Die Einsicht, dass das Onlinewerbegeschäft rund um die Politik von Grund auf neu gedacht werden muss, teilt der Republikaner nicht. Im Gegenteil: Trump selbst nutzt die Social-Media-Plattformen geschickt, um sich als Opfer des Impeachment-Verfahrens zu inszenieren. Und dass künstliche Intelligenz nicht genügt, um manipulative Meinungsmache und Betrügermaschen online in Echtzeit zu identifizieren und zu stoppen, kommt ihm gerade recht.

Trump ist mit seinem Tech-Nationalismus allerdings nicht allein. Russland hat 2019 alle gesetzlichen Grundlagen für sein RuNet gelegt: ein eigentliches Staatsinternet, das das Land unabhängig vom Westen betreiben und kontrollieren kann. Putin will in diesem abgekoppelten Netz nicht nur seine eigenen Gesetze besser durchsetzen, sondern auch die russische Tech-Industrie (die Suchmaschine Yandex, das Netzwerk VKontakte) stärken.

Neben dem Tech-Nationalismus à la Trump und Putin und der konsumentenfreundlich regulierten Tech-Demokratie von Europa gibt es noch ein drittes Konkurrenzmodell.
 

Chinas totales Überwachungsnetz

Es wird seit einigen Jahren in China aufgebaut und folgt nicht bloß einer protektionistischen, sondern einer totalitären Logik: das Social-Scoring-System.

Hierbei verschmelzen alle Datenströme der Wirtschaft und der Politik zu einer einzigen Symbiose, einem einzigen Überwachungssystem, das Bürgerinnen und Bürgern laufend Punkte für ihr Verhalten gibt.

Wer konform ist, wird belohnt – wer nicht, wird bestraft.

Noch ist die Idee manchenorts erst Propaganda, der Überwachungsapparat ist zu wenig feinmaschig, und die vielen Straßen sind zu unübersichtlich, um alle Datenpunkte lückenlos zu erfassen. Doch mit der zunehmenden Ausstattung des öffentlichen Raumes mit Sensoren werden immer mehr Winkel und Ecken des Landes durchleuchtet. Das Social-Scoring-System, von vielen Bürgerinnen und Bürgern als gute Sache wahrgenommen, wird damit zur Realität.

Auf digitale Abschottung gegenüber dem Westen setzt die Kommunistische Partei zwar auch: Aufgrund der chinesischen Great Firewall sind sämtliche US-Dienste wie etwa Twitter nicht verfügbar. Und die chinesische Regierung verkündete jüngst, alle Technologien „zu säubern“: Beamte dürfen dann nicht mehr mit ausländischer Hard- und Software arbeiten.

Doch den Chinesen geht es um mehr: Sie wollen das Internet von Grund auf verändern – nicht nur im eigenen Land, sondern auf der ganzen Welt.

Bisher gingen Beobachter davon aus, dass das Social-Credit-System von China für China konzipiert ist. Der Westen würde von der Big-Data-Dystopie verschont. Doch im Hintergrund weitet sich Chinas Technologiediktatur immer mehr aus: Das orwellsche Überwachungs-Know-how wird zum Exportschlager.

So sendet etwa die Regierung von Zimbabwe der chinesischen Firma CloudWalk, einer Anbieterin für Gesichtserkennung, Trainingsdaten von ihren Bürgern. Damit kann die Software bald Gesichter von Einwohnern auf den Straßen des afrikanischen Landes erkennen. Chinesische Tech-Firmen haben auch Verträge mit Regierungen von Südafrika, Uganda und Singapur abgeschlossen.

Kulturelle „soft power“ gewinnt China derweil mit seiner Videosharing-App TikTok – dem am stärksten wachsenden Netzwerk weltweit, das mit 1,5 Mrd. Downloads die beliebte App Instagram überholt hat und weitreichende Zensurmöglichkeiten bietet. Kritische Inhalte über Hongkong oder die Zwangslager in Xinjiang werden auf TikTok effizient unterdrückt.

China will mit seiner Technologiekompetenz auch die internationalen Standards beeinflussen. Firmen wie Dahua, ZTE und China Telecom versuchen zurzeit, bei der Internationalen Fernmeldeunion, einem Gremium der Vereinten Nationen, auf die Regulierung der Felder Gesichtserkennung, Videomonitoring und Sicherheit sehr stark Einfluss zu nehmen. Und dies natürlich gemäß ihren Ideologien.
 

Ausblick auf 2020: globales Splitternet

Der Kalte Krieg des 20. Jahrhunderts wurde auf dem wirtschaftspolitischen Feld ausgefochten: Kapitalistische Länder standen im Einflussbereich der USA, kommunistische Staaten in jenem der Sowjetunion.

Im 21. Jahrhundert kommt diese Rolle der Netzpolitik zu: Je mehr Staaten sich der diktatorischen Variante zuwenden, desto mehr Macht gewinnt China. Mehr digitaler Protektionismus gekoppelt mit unreguliertem Datenkapitalismus auf der Welt spielt Donald Trump in die Hände. Mehr Netzdemokratie der EU und ihren Verbündeten.

Natürlich ist im kalten Tech-Krieg nicht alles schwarz oder weiß. Auch in Europa sind Gesichtserkennungstechnologien aus sicherheitspolitischen Gründen auf dem Vormarsch. Allerdings werden Überwachungssysteme hier kritischer begleitet und mit ethischen Leitplanken versehen.

Trotzdem ist der Clash real. Drei Visionen stehen sich gegenüber:

  • Das globale Internet wird bürgerorientierter, ethischer – aber auch bürokratischer.
  • Das globale Internet wird national reglementiert, der Datenkapitalismus floriert weiterhin.
  • Das globale Internet wird stärker überwacht und mit totalitären Normen geprägt.

Welche Vision sich durchsetzt, ist offen. Für die Zukunft des Internets und von Big Tech könnte bereits 2020 zu einem ersten Schicksalsjahr werden.2
 

Anmerkungen:

1) Am 5. März 2020 gab Elizabeth Warren ihr Ausscheiden aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten bekannt. (Anm. d. Red.)
2) Dieser Beitrag erschien erstmalig im Onlinemagazin Republik, 07.01.2020.