Die Banalisierung des Bösen

Warum Parodien auf den Nationalsozialismus den Rechtsextremisten in die Karten spielen

Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.

Seit einiger Zeit häufen sich in Filmen, Comics und auf Internetplattformen die Persiflagen auf Adolf Hitler und andere Nazigrößen. Der amerikanische Historiker Gavriel D. Rosenfeld hält diese Entwicklung für bedenklich, weil sie die moralischen Dimensionen der Vergangenheit in den Hintergrund treten lasse. Er betrachtet die Parodien als Verharmlosung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen, was wiederum jenen in die Karten spiele, die schon lange ein Ende des sogenannten „Schuldkults“ forderten: den Rechtsextremisten.

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 3/2021 (Ausgabe 97), S. 66-69

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Wenn sich Politiker und Funktionäre gegenseitig einen unerlaubten Tiefschlag verpassen wollen, greifen sie gern zur Nazikeule. Zuletzt musste gar der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Fritz Keller, sein Amt niederlegen, weil er den Kontrahenten Rainer Koch, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München, als „Freisler“ bezeichnet hatte; Roland Freisler war Präsident des Volksgerichtshofes in der Zeit des Nationalsozialismus. Solche Äußerungen sind nicht nur beleidigend; sie gelten vor allem als Verharmlosung der zwischen 1933 und 1945 begangenen Verbrechen. Deshalb ist es auch absurd, wenn Mitglieder der sogenannten „Querdenker“-Bewegung und andere vom Verfassungsschutz beobachtete Coronaleugner Parallelen zum Schicksal der verfolgten und ermordeten Juden im Dritten Reich ziehen.
 

Merkel = Hitler

International wird ebenfalls gern zum Nazivergleich gegriffen. Angela Merkel z.B. muss sich regelmäßig mit Adolf Hitler vergleichen lassen, wenn ausländische Politiker meinen, ihrem Staat widerfahre ein Unrecht, an dem die deutsche Kanzlerin schuld sei. Als sich Deutschland während der Finanzkrise schwertat, die darbenden Griechen zu unterstützen, gab es in Athen Plakate, die Merkel mit Hitler-Bärtchen zeigten. Ein unerhörter Affront, natürlich! Aber solche Analogien passen in das Bild, das Gavriel D. Rosenfeld in seinem Buch Hi Hitler! Der Nationalsozialismus in der Populärkultur entwirft. Der amerikanische Historiker hat die Darstellung des Nationalsozialismus in Romanen, Kinofilmen und auf Internetplattformen untersucht. Während die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus im 20. Jahrhundert weitgehend seriös ablief, sind mittlerweile auch Parodien auf Nazigrößen salonfähig. Begonnen hat diese Entwicklung nach Ansicht von Rosenfeld, Professor für Geschichte an der Fairfield University im US-Bundesstaat Connecticut, vor ca. 20 Jahren. Seither „bricht in weiten Teilen der westlichen Welt eine mächtige Welle der Normalisierung mit der traditionellen Vorstellung, dass die Erinnerung an das Dritte Reich aus einer moralischen Perspektive wachgehalten werden sollte“ (Rosenfeld 2021, S. 12).

Der entscheidende Begriff in diesem Satz ist „Normalisierung“. Geschichtswissenschaftler verwenden dieses Konzept, um zu verstehen, wie und warum sich unser Bild der Vergangenheit im Laufe der Zeit wandelt, wenn historische Ereignisse oder ein Zeitabschnitt wie die Diktatur des deutschen Nationalsozialismus ihren singulären Charakter und damit ihren Ausnahmestatus verlieren. Dafür müsse diese Vergangenheit laut Rosenfeld „die Merkmale ablegen, die sie von anderen Vergangenheiten“ (ebd., S. 13) unterscheide. Das lässt sich gerade für Menschen mit Geschichtsbewusstsein nur schwer nachvollziehen: Der deutsche Faschismus war für den Tod von rund 60 Mio. Menschen im Zweiten Weltkrieg verantwortlich; allein der Holocaust hat fast 6 Mio. Juden das Leben gekostet.


Trauma, Schuld, Scham

Im kollektiven deutschen Gedächtnis ist die Erinnerung an den Nationalsozialismus daher mit Trauma, Schuld und Scham behaftet. Individuell sieht das jedoch ganz anders aus, denn der Wunsch nach Normalität – von Rosenfeld mit Attributen wie „typisch, nicht außergewöhnlich oder durchschnittlich“ (ebd., S. 14) definiert – ist ein Grundbedürfnis. Das erklärt, warum sich die Deutschen in den 1950er-Jahren nicht ihrer Vergangenheit gestellt, sondern am Wirtschaftswunder erfreut haben. Der Kinofilm war damals geprägt von Heimatdramen, in denen die Welt zwar vorübergehend in Unordnung geriet, aber am Ende wieder heil war. Rosenfelds Mahnung zielt daher vor allem auf rechtskonservative bis rechtsextremistische Kreise, die einen Schlussstrich unter die Zeit des Nationalsozialismus ziehen wollen, von einem „Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“1 sprechen und ein Ende des „Schuldkults“ fordern. Diese Haltung wird selbst von Menschen geteilt, die ihr Wahlkreuz vermutlich eher nicht bei einer Partei machen würden, die solche Ziele verfolgt: weil die Vergangenheit, wie Rosenfeld schreibt, auch aus ihrer Sicht „noch immer von einer moralischen Aura geprägt ist, die sie zum Gegenstand übermäßiger, wenn nicht gar zwanghafter Aufmerksamkeit mache“ (ebd., S. 17). Parodien, sagen die einen, trügen dazu bei, den Nationalsozialismus zu entmythologisieren; auf diese Weise seien womöglich sogar neue Einsichten in historische Realitäten möglich. Die anderen, zu denen auch Rosenfeld gehört, sehen dagegen die Gefahr, dass solche humorvollen Ansätze „leicht zum Selbstzweck werden und die moralischen Dimensionen der Vergangenheit in den Hintergrund treten lassen“ (ebd., S. 19).
 

Charlie Chaplin: Adenoid Hynkel Speech - The Great Dictator (1940)



Anders gesagt: Wer Hitler parodiert, bagatellisiert seine Verbrechen. Also gilt das auch für Der große Diktator? In dem Meisterwerk von und mit Charlie Chaplin (1940) kommt es zum zufälligen Rollentausch zwischen Diktator Hynkel und einem aus dem Konzentrationslager geflohenen jüdischen Barbier, der dem Gewaltherrscher zum Verwechseln ähnlich sieht. Und was ist mit Sein oder Nichtsein von Ernst Lubitsch (1942)? In der tragikomischen Satire werden Gestapo und Wehrmacht nach der Besetzung Polens von polnischen Schauspielern an der Nase herumgeführt. Diese Filme, räumt Rosenfeld ein, nutzen „Humor als Waffe, um Hitlers mythische Aura der Allmacht zu entzaubern“ (ebd., S. 281); beißender Spott also als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Allerdings hat Chaplin später versichert, er habe sich „über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können“, wenn er von den Konzentrationslagern gewusst hätte.2 Außerdem münden beide Filme in einen flammenden Appell an Toleranz.
 

Hitler-Persiflagen waren tabu

Mit dem Wissen um die Verbrechen der Nationalsozialisten galten Hitler-Persiflagen nach dem Zweiten Weltkrieg als tabu. Fortan waren Filme, die sich mit dem Dritten Reich beschäftigten, in der Regel von einem realistischen Ansatz geprägt. Gerade in Deutschland gab es jahrzehntelang regelrechte Vorbehalte gegen Komödien, die sich über diese Epoche lustig machten, weshalb z.B. die Broadway-Parodie und Nazisatire Frühling für Hitler von Mel Brooks (1967) erst 1976 in die deutschen Kinos kam. Das Land hatte infolge der Studentenunruhen erst in den 1970ern endlich damit begonnen, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wie groß zuvor die Berührungsängste gewesen waren, zeigt der Umgang mit dem Weltkriegsmelodram Casablanca (1942): Die Fassung, die hierzulande 1952 gezeigt wurde, war 25 Minuten kürzer als das Original, weil jeder Nazibezug akribisch getilgt worden war. Die Premiere der ungekürzten und auf Initiative der ARD neu synchronisierten Fassung bekamen die Deutschen erst 1975 zu sehen.
 

Trailer The Producers (1967, Frühling für Hitler)



Für die Mitglieder der Babyboomer-Generation war die Zeit des Nationalsozialismus ohnehin lange ein schwarzes Loch, weil die Epoche im Geschichtsunterricht häufig ausgeblendet wurde; womöglich, weil viele Lehrer Kriegsteilnehmer waren und die Konfrontation scheuten. Das änderte sich ausgerechnet durch eine amerikanische Fernsehserie. Holocaust: Die Geschichte der Familie Weiss von Marvin J. Chomsky (1978), 1979 nur in den Dritten Programmen gezeigt, weil einige ARD-Anstalten gegen eine Ausstrahlung im „Ersten“ waren, hatte 20 Mio. Zuschauer. Die Miniserie war gerade für junge Zuschauerinnen und Zuschauer eine Art Erweckungserlebnis; viele Jugendliche befassten sich zum ersten Mal überhaupt intensiv mit dem Völkermord an den Juden, der nun auch reguläres Unterrichtsthema wurde. Die durch Holocaust angestoßene Erinnerungs- und Betroffenheitskultur führte in konservativen Kreisen zwar prompt zu einer Gegenreaktion, aber die Saat war gelegt. Ihren Höhepunkt erlebte die Beschäftigung mit dem Faschismus in den 1990er-Jahren: Schindlers Liste von Steven Spielberg (1993) gehörte 1994 auch in Deutschland zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres; Daniel Goldhagens Buch Hitlers willige Vollstrecker (1996) war ein Bestseller; die Besucherzahlen einer Wanderausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht (1995 – 1999) übertrafen alle Erwartungen; im Fernsehen erzielte ZDF-Historiker Guido Knopp mit Reihen wie Hitler – eine Bilanz (1995), Hitlers Helfer (1996), Hitlers Krieger (1998) oder Hitlers Kinder (2000) beeindruckende Quotenerfolge. Doch dann schlug das Pendel in die andere Richtung aus.
 

Ein Mensch wie du und ich

Natürlich hat es auch vorher schon Filme gegeben, die dem Entsetzen tragikomische Seiten abgewinnen konnten, etwa Das Leben ist schön (Italien 1997) von und mit Roberto Benigni als jüdischem Buchhändler, der samt Sohn in ein KZ deportiert wird und dem kleinen Jungen erzählt, es handele sich alles nur um ein kompliziertes Spiel. In Zug des Lebens (1998), einer europäischen Koproduktion von Radu Mihăileanu, tarnen die jüdischen Bewohner einer osteuropäischen Kleinstadt ihre Flucht nach Palästina als Deportation in ein Konzentrationslager. Nach der Jahrtausendwende mehrten sich jedoch Filme, die Adolf Hitler ins Zentrum rückten und den „Führer“ als Menschen wie du und ich zeigten, allen voran Der Untergang (2004) von Oliver Hirschbiegel. Bis dahin war Hitler meist aus moralischer Perspektive und als Inbegriff des Bösen dargestellt worden, was es gerade dem deutschen Publikum leicht machte, sich von den Gräueltaten der Nationalsozialisten zu distanzieren; der selbstentlastende Mythos vom verführten Volk hatte ohnehin den Blick auf die Geschichte geprägt. Rosenfeld deutet die Vermenschlichung Hitlers zudem als Zeichen für eine „zunehmende Sättigung mit moralisierenden Darstellungen“ (ebd., S. 285). Entsprechend groß war die Kontroverse, die Der Untergang auslöste. Ein Film, der zuweilen mindestens Mitgefühl mit dem Diktator weckte, wenn nicht gar Sympathie: Für den Historiker ist dieser Tabubruch ein Beleg für den konservativen Wunsch nach einer normalisierten Sicht auf die deutsche Geschichte.
 

Trailer Das Leben ist schön (1997)



Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler (2007) von Dani Levy – ausdrücklich als Replik auf Der Untergang konzipiert – war die erste deutschsprachige Komödie über Hitler und hatte prompt eine polarisierende Wirkung. In Levys Film ist der Diktator demoralisiert und ausgebrannt; ein jüdischer Schauspiellehrer soll den alten Elan in ihm wecken. War Hitler in Der Untergang eine tragische Figur, so wurde er in der Darstellung Helge Schneiders zur Karikatur, die auch noch Züge eines notorischen Pechvogels trägt. Während sich das Publikum in der kontrafaktischen Popcorn-Kriegsposse Inglourious Basterds von Quentin Tarantino (2009) johlend über den Tod des Diktators freuen darf, feiert der Führer in Er ist wieder da (2015) von Mizzi Meyer und David Wnendt ein lazarusgleiches Comeback als TV-Star: weil die Sendervertreter seine Sprüche von der Weltherrschaft als gelungene Parodie betrachten. Wie in Der Untergang wollte auch Timur Vermes, Autor der gleichnamigen Romanvorlage (Köln 2012), Hitler entdämonisieren, um den Deutschen ihr Alibi zu nehmen.
 

Constantin Film: ER IST WIEDER DA - offizieller Teaser 1 (2015)



„Äch bin wieder da!“

Rosenfeld bettet seine Beobachtungen in ein allgemeines Bild, zu dem die heiteren Hitler-Comics von Walter Moers (Adolf – Äch bin wieder da!) ebenso gehören wie die seit einigen Jahren in digitalen Netzwerken äußerst beliebten Hitler-Memes, auf die sich auch der Buchtitel Hi Hitler! bezieht. In diesen Hunderten von Cartoons und Videoclips wird das ganze Humorspektrum von intelligenter Ironie bis zum geschmacklosen Wortspiel abgedeckt. Auch sie tragen selbstredend zur Untermauerung von Rosenfelds Kernthese der Verharmlosung und somit Bagatellisierung des Nationalsozialismus bei; eine Banalisierung des Bösen, die ausgerechnet dem Rechtsextremismus in die Karten spielt. Verharmlosung ist nur der Anfang. Das Ende ist Geschichtsvergessenheit – und womöglich erklärt das auch den neuen Antisemitismus, der in Wirklichkeit wahrscheinlich immer noch der alte ist.
 

Anmerkungen:

1) Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland am 2. Juni 2018 in seinem Grußwort auf dem Bundeskongress der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative im thüringischen Seebach.

2) Vgl. Chaplin 1964, S. 399
 

Literatur:

Chaplin, C.: Die Geschichte meines Lebens. Frankfurt am Main 1964

Rosenfeld, G. D.: Hi Hitler! Der Nationalsozialismus in der Populärkultur. Darmstadt 2021