Die britische BBC feiert ihren 100. Geburtstag

Das Vorbild für den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Die Idee, einen Rundfunksender mit dem Namen British Broadcasting Company zu gründen, kam zunächst von den Elektrogeräteherstellern, die ein Radioprogramm brauchten, um ihre neuen Rundfunkapparate absetzen zu können. Deshalb gründeten sie am 18. Oktober 1922 die BBC, die einen Monat später, am 15. November 1922, zum ersten Mal auf Sendung ging. Der Hörerkreis war eher übersichtlich, in London konnten ungefähr 10.000 Menschen die BBC hören, eine Ausstrahlung in Manchester erreichte ungefähr 3.000 Menschen.

Online seit 31.10.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/die-britische-bbc-feiert-ihren-100-geburtstag-beitrag-1122/

 

 

Aber die Erfahrung mit privater Presse war in Großbritannien nicht sehr gut, viele Menschen hatten Angst vor Falschinformationen, durch die auch Wahlen hätten beeinflusst werden können. Man hatte „die Erfahrung, dass die britische Presse während des Ersten Weltkriegs die Bevölkerung nicht immer wahrheitsgemäß informiert hatte – etwa, wenn es darum ging, wie viele Soldaten gefallen waren. […] [Das hat] dazu geführt, die BBC als öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu gestalten, der unabhängig vom Staat und unabhängig von der Wirtschaft sein sollte und der Bevölkerung ermöglichen sollte, sich ihre eigene Meinung zu bilden.“ (Köhler 2022)

Die BBC verfolgte von Anfang an das Ziel, Information, Bildung und Unterhaltung miteinander zu verbinden. Ihre Grundsätze wurden in einer Royal Charta zusammengefasst, in etwa vergleichbar mit dem deutschen Medienstaatsvertrag. Die Finanzierung erfolgt über eine Art Rundfunkbeitrag, genannt Licence Fee. Die BBC nimmt jährlich etwa 3,8 Milliarden Pfund (4,2 Milliarden Euro) ein, die Rundfunkgebühreneinnahmen in Deutschland betrugen 2021 insgesamt circa 8,4 Milliarden Euro (vgl. Köhler 2022 / FOCUS online 2022).

Die BBC hält die Menschen im Vereinigten Königreich immer noch zusammen, wie beispielsweise die enorme Zuschauerzahl bei der Beerdigung von Königin Elizabeth gezeigt hat. „Steven Barnett, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Westminister [sic], hält die BBC für einen nationalen Schatz. Auf die Frage, welche Rolle sie für die Demokratie im Land spielt, sagte er: ‚Ich glaube, die ist fundamental. Die BBC fungiert immer noch als eine Art Bollwerk gegen solche Organisationen und Populisten, die letzten Endes versuchen wollen, die Demokratie zu untergraben.‘“ (Köhler 2022)

Die BBC diente auch Deutschland als Vorbild für den Aufbau des Rundfunks. 1934 kam der BBC-Journalist Hugh Greene als Korrespondent nach Berlin und berichtete kritisch über das Dritte Reich, 1939 musste er Deutschland als Revanche für den vorher aus London ausgewiesenen NS-Propagandisten Rudolf Rösel verlassen. Aufgrund seiner guten Deutschkenntnisse – er hatte in Marburg studiert – wurde Greene Chefredakteur beim deutschsprachigen Dienst der BBC und galt in Deutschland bei vielen als die „Stimme der Wahrheit“ im Kampf gegen das Naziregime.

Nach Kriegsende kam Greene nach Deutschland zurück: „In der britischen Besatzungszone suchte man umgekehrt nach einer geeigneten Person, die eine schwierige Aufgabe zu erfüllen hatte: Man wollte den Rundfunk möglichst bald an die Deutschen übergeben. ‚What we need‘, so Major General Alexander Bishop, der Leiter der Information Services Control Section bei der britischen Militärregierung in Deutschland, ‚is an expert in Germany rather than an expert in broadcasting‘. Greene war sogar beides: Deutschlandkenner und ein Experte des Rundfunks. Am 1. Oktober 1946 wurde Greene Chief Controller für das Rundfunkwesen in der gesamten britischen Zone.“ (Wagner 2017)

So hatte Greene maßgeblichen Einfluss auf die Gründung des damaligen NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk), der in den Bundesländern des Nordens und Westens sendete und 1955 in den NDR und den WDR aufgeteilt wurde. Vor allem aufgrund seines Einflusses entstand in Deutschland das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das maßgeblich durch seine Erfahrungen bei der BBC mitbestimmt wurde (vgl. ZDF 1965).

Greene ging später nach London zurück und prägte als Generaldirektor der BBC (1960–1968) die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Großbritannien. Er führte politische Satiresendungen ein und modernisierte das Programm, um den aufkommenden Privatsendern etwas entgegenzusetzen und das BBC-Publikum zurückzugewinnen. Vor allem im Bereich der Popmusik musste sich die BBC deutlich modernisieren, um gegen die auf Schiffen vor der Küste ausgestrahlten Piratensender zu konkurrieren. Die BBC schuf 1967 unter anderem den äußerst erfolgreichen Jugendsender radio one, ohne den manche Popband niemals bekannt geworden wären (vgl. Zayed 2022).

Heute steht die BBC allerdings ebenso unter politischem Druck wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich, wo die Rundfunkgebühr abgeschafft wurde – was möglicherweise mit einer zu kritischen Berichterstattung über manche Politiker*innen zusammenhängt (vgl. Gottberg 2022). Auch in Deutschland stehen ARD und ZDF in der Kritik, weil ihnen wiederholt das zu großzügige Umgehen mit den Geldern der Gebührenzahler*innen vorgeworfen wird. Die Kritik an der BBC hat hingegen andere Gründe: „Bereits im Wahlkampf hatte Regierungschef Boris Johnson angekündigt, die Finanzierung der BBC im Falle eines Wahlsiegs überprüfen zu wollen. Er habe noch keine Pläne, die Rundfunkgebühren vollständig abzuschaffen, sagte der konservative Politiker. Aber man müsse sich fragen, ob diese Art der Finanzierung langfristig noch Sinn mache. […] Flankiert wird diese Debatte von Boris Johnsons persönlichem Streit mit den öffentlich-rechtlichen Sendern: Der 55-Jährige – früher selbst Journalist und bereits als solcher polarisierend – hatte sich im Wahlkampf entschieden, nicht an Debatten und Interviews teilzunehmen. Zuletzt – kurz vor der Wahl – verweigerte Johnson dem für seine konfrontativen Interviews bekannten BBC-Moderator Andrew Neil das Gespräch. Der machte sich darüber in einem Video lustig, das daraufhin millionenfach in sozialen Medien angeschaut wurde.“ (Borges 2019)
 

Quellen:

Borges, M.: Großbritannien – So will Boris Johnson die BBC angreifen. In: Deutschlandfunk, 19.12.2019. Abrufbar unter: www.deutschlandfunk.de

FOCUS online: 311 Millionen mehr als 2021 – Erhöhung des Rundfunkbeitrags beschert Öffentlich-Rechtlichen Geldsegen.In: FOCUS online, 14.06.2022. Abrufbar unter: https://amp.focus.de/

Gottberg, J. v.: Frankreich will die Rundfunkgebühr abschaffen. In: mediendiskurs.online, 12.08.2022. Abrufbar unter: https://mediendiskurs.online/

Köhler, I.: Jubiläum der BBC – "Ein nationaler Schatz" wird 100. In: Tagesschau.de, ARD-Studio London, 18.10.2022. Abrufbar unter: www.tagesschau.de

Wagner, H.-U.: Hugh Carleton Greene – Ein Glücksfall für den Rundfunk.In: NDR.de, 10.10.2017. Abrufbar unter: www.ndr.de

Zayed, A.: BBC-Jubiläum – „Auntie Beeb“ wird 100 Jahre alt. In: Deutschlandfunk Kultur, 18.10.2022. Abrufbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/

ZDF: Sir Hugh Carlton Greene – "Vater" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dokumentation. In: ZDF.de, 20.05.1965. Abrufbar unter: www.zdf.de
 

Weiterlesen:

> Frankreich will die Rundfunkgebühr abschaffen
Joachim von Gottberg in mediendiskurs.online, 12.08.2022

> Kolumne: Auf zu neuen Ufern!
Steffen Grimberg in: tv diskurs 97, 3/2021, S. 50-51

> Public Value. Ein neuer Qualitätsbegriff?
Julia Serong in: tv diskurs 97, 3/2021, S. 18-24