Die Gesichter hinter den Stimmen

Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.

Im Rahmen seines Projekts „Faces Behind the Voices“ (Die Gesichter hinter den Stimmen) hat Marco Justus Schöler 30 bekannte Synchronsprecherinnen und -sprecher fotografiert. Für die Ausstellung dieser Bilder haben die Frauen und Männer kurze Sprechproben abgegeben, die oft aus Filmzitaten bestehen.

Weitere Informationen zum Projekt: http://www.facesbehindthevoices.de

Printausgabe tv diskurs: 20. Jg., 4/2016 (Ausgabe 78), S. 80-81

Vollständiger Beitrag als:

Im Rahmen seines Projekts „Faces Behind the Voices“ (Die Gesichter hinter den Stimmen) hat Marco Justus Schöler 30 bekannte Synchronsprecher fotografiert. Für die Ausstellung dieser Bilder, die noch bis zum nächsten Jahr in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf ausgewählten Bahnhöfen zu sehen sein werden, haben die Frauen und Männer kurze Sprechproben abgegeben, die oft aus Filmzitaten bestehen. Besonders verblüffend ist z.B. die akustische Begegnung mit Dietmar Wunder, der sowohl James-Bond-Darsteller Daniel Craig wie auch den Komiker Adam Sandler spricht und mittendrin von einem zum anderen umschaltet.

Witzig ist auch die Vorstellung, dass bei einem Familientreffen im Hause Schmidt-Foß Leonardo DiCaprio (Gerrit), der Esel aus Shrek (sein Bruder Dennis), Keira Knightley (dessen Frau Dascha) sowie Bruce Willis (Manfred Lehmann, Vater von Dascha) am selben Tisch sitzen. Für ein Aha- Erlebnis sorgt Claudia Urbschat-Mingues, die ihre seit einer Stimmband-Insuffizienz leicht heisere Stimme nicht nur Angelina Jolie leiht, sondern Tag für Tag Millionen ARD-Zuschauer mit dem Satz „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau“ begrüßt. Viele Sprecher erklären, warum sie diesen Beruf ergriffen haben: weil sie es vorziehen, in der Anonymität zu arbeiten. Deshalb war es auch gar nicht so leicht für Schöler, die Synchronschauspieler zur Mitarbeit zu bewegen: Das Publikum, sagt David Nathan (Johnny Depp), soll kein anderes Gesicht mit einer Stimme assoziieren als das des Schauspielers, den man gerade auf der Leinwand sieht. Die meisten hätten allerdings nichts dagegen, wenn sie zumindest im Abspann genannt würden.

Trotz ihrer z.T. markanten Stimmen werden die Sprecher nur selten in der Öffentlichkeit erkannt; das Auge ist im Alltag stärker als das Ohr. Oft klingen sie privat allerdings auch ganz anders. Benjamin Völz z.B. muss gewissermaßen in den Keanu-Reeves-Modus umschalten, und auch Tobias Meister ist nicht anzuhören, dass er die Stimme von Brad Pitt ist. Männer wie Lehmann, der auch Gérard Depardieu spricht, oder Ronald Nitschke (Tommy Lee Jones) sind akustisch allerdings derart markant, dass man sofort die Gesichter der Stars vor Augen hat. Mit Ausnahme von Joachim Tennstedt, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Jeff Bridges hat, scheinen physiognomische Parallelen kein Kriterium bei der Auswahl der Sprecher zu sein. Das gilt natürlich auch im Umkehrschluss, was Santiago Ziesmer vermutlich begrüßen wird; er spricht u.a. SpongeBob. Schöler hat ein Buch zur Ausstellung herausgegeben, das ausschließlich aus den großformatigen Fotografien besteht. Dem Band liegt der Code für eine App bei, mit der man das multimediale Projekt auch daheim erleben kann.

Weitere Informationen zum Projekt abrufbar unter: http://www.facesbehindthevoices.de

Literatur

M. J. Schöler: Faces Behind the Voices. Lüdenscheid 2016. Ca. 80 Seiten, 35,00 Euro