Eine Frage der Haltung

Unternehmensethik als Verkaufsargument?

Joachim von Gottberg im Gespräch mit Frauke Kurbacher

Unternehmen, die ihre Mitarbeiter auch auf der Toilette überwachen oder zurückgesandte Waren vernichten, statt sie zu verwerten: Medien decken unethisches Verhalten auf und stellen die Verantwortlichen an den Pranger. Kann sich bald keiner mehr leisten, gegen ethische Grundregeln zu verstoßen? Oder bleibt die Werbung mit ethischer Verantwortung ein Marketinggag? Verbraucher werden zunehmend kritisch und hinterfragen Produktionsbedingungen oder die Umweltbilanz. Damit sich aber ethisches Verhalten langfristig etabliert, muss sich eine unternehmerische Haltung dazu entwickeln, meint Dr. Frauke Kurbacher, Philosophin und Professorin für Ethik an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV NRW) in Münster.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 1/2020 (Ausgabe 91), S. 30-34

Vollständiger Beitrag als:

Manche verwenden den Begriff „Haltung“ synonym mit Gesinnung. Wo liegt da der Unterschied?

Haltung interessiert, weil sie im Deutschen so etwas wie die mentale Einstellung, Körperhaltung und emotionale Disposition bedeuten kann. Gesinnung hat sicher auch etwas mit Lebensführung zu tun, aber sie kann schnell etwas Tendenziöses bekommen. Der Haltungsbegriff besitzt stabile oder stabilisierende Elemente, gleichzeitig ist er aber ebenso geöffnet und flexibel. Man kann zu unterschiedlichen Fragen sehr differenzierte Haltungen haben …

Als Christ könnte man beispielsweise auch die Ehe für alle befürworten?

Ja, das wäre ein spannendes Projekt. Wir Menschen sind komplex. Es gibt einen weiten und einen engen Begriff von Haltung. In diesem weiten Verständnis bezieht er sich auf unsere Existenz. Wir sind immer in verschiedenen Weisen ausgerichtet oder angebunden, auf etwas oder jemanden bezogen. Und wenn wir das spezifizieren, ist es dieser konkrete, engere Begriff von Haltung: Sie drückt immer ein spezifisches Verhältnis unseres Selbst zur umgebenden Wirklichkeit aus.

Kann man Haltung als eine spezifische Sichtweise zu bestimmten ethischen Verhaltensregeln bezeichnen? Oder zu bestimmten Verhaltensfragen?

Nicht nur, aber auch. Haltungen entstehen häufig intuitiv. Manche Menschen haben wertkonservative und andere progressive Haltungen. Das Denken kann aber partiell im Einzelfall auch komplett anders ausgerichtet sein. Also vielleicht ist jemand ein Tierschützer und hat dann aber plötzlich trotzdem Lust an der Jagd. Oder jemand, der sich als Vegetarier sieht, hat plötzlich Lust, Fleisch zu essen.

Wie entsteht Haltung? Resultiert sie aus der Umgebung oder aus angeborenen emotionalen Affekten?

Ich würde noch weiter gehen: Menschliche Existenz gibt es nicht ohne Haltung. Insofern ist sie schon immer da. Wir sind als Wesen so eingerichtet und eingebunden. Wir kommen schon mit Haltungen auf die Welt, wir können auch nie ohne Haltung sein. Wir bilden sie natürlich aus. Sie wächst und verändert sich in dem Maße, wie sich all unsere Fähigkeiten entwickeln. Natürlich spielen auch bestimmte Erfahrungen eine Rolle, wie ich mich zu Dingen positioniere, ob ich mir etwas bewusst mache oder nicht. Aber es gibt auch eine Art der Haltung, die ich immer an den Tag lege. Und in dem Moment, in dem ich darüber nachdenke, wird dann eine spezifische Haltung daraus. Haltungen sind insofern aber auch immer reflexiv und keine bloßen Affekte.

Hätte sich Greta Thunberg vor zehn Jahren in Schweden vor das Parlamentsgebäude gesetzt, wäre sie vermutlich von niemandem außer den Menschen auf dem Platz wahrgenommen worden. Voraussetzung dafür ist das Zusammenspiel sozialer und klassischer Medien. Gibt es so etwas wie eine globale Haltung, die sich verändert?

Das ist eine spannende Frage. Der Haltungsbegriff gilt tatsächlich nicht nur für das einzelne Individuum. Wir sprechen auch von der Haltung einer Gesellschaft. Und insofern trifft Greta Thunberg gerade einen Nerv der Zeit. Aber natürlich stecken da auch ernste Veränderungen hinter, die Menschen überall auf der Welt bemerken. Alle bekommen mit, dass die Art und Weise, wie wir mit Tieren und mit der Umwelt umgehen, nicht ohne Folgen bleibt, die man so nicht akzeptieren kann. Gleichzeitig hat man keine Lösung, wie sich unser Verhalten schnell ändern kann, weil das etwas mit unserer gesamten Lebensführung zu tun hat. Aber hier gibt es zumindest schon einmal den Entschluss, daran etwas ändern zu wollen. Und aus diesen Entscheidungen heraus resultieren dann auch spezifische Haltungen. Wir diskutieren darüber, ob wir in Europa den Klimanotstand ausrufen. Das ändert vielleicht für die Umwelt zunächst nicht sehr viel, aber es sind Signale und Zeichen, die vielleicht wichtig werden, damit es zu notwendigen Regelungen und Veränderungen kommt.

Aber es gibt auch Gegenbewegungen. Donald Trump oder Wladimir Putin machen gerade deutlich, dass es so etwas wie einen positiven ethischen Wandel in der Weltpolitik nicht gibt, auf den wir nach Beendigung des Kalten Krieges gehofft hatten.

Vielleicht gehen wir zwei oder drei Schritte zurück. Erst einmal lässt sich gerade an diesen Gegenbewegungen gut sehen, dass man durch bloße Haltung noch nicht automatisch etwas ethisch Gutes erzeugt. Haltungen sind zunächst einmal offen. Und wir haben derzeit eher das Problem, dass viele Leute eine Haltung an den Tag legen, die man demokratisch-rechtsstaatlich nicht wirklich gut vertreten kann. Und was macht man dann damit? Wir müssen begreifen, dass Haltungen keinen Diskurs ersetzen. Auf den Begriff und das Phänomen der Haltung wird derzeit oft inflationär rekurriert, und das erzeugt den Eindruck, als würde eine Haltung als solche schon genügen. Das ist aber nicht der Fall. Haltungen ersetzen weder Diskussionen noch die Reflexion, noch die Kommunikation. Und die muss natürlich dringend gerade mit denen gesucht werden, die anderer Meinung sind, um zu schauen, wie man vielleicht Überzeugungsarbeit leisten kann.

Ist Toleranz auch eine Haltung?

Alles kann Haltung sein. Deshalb ist sie als solche auch ambivalent und bedeutungsoffen. Also man muss wirklich schauen, wozu die Haltung führt: Passt das, was ich da verbal vertrete, zu dem, wie ich dann auch konkret lebe? Im Haltungsbegriff, wenn man ihn ethisch nimmt, steckt der Anspruch, dass es da eine Korrespondenz gibt, dass also die Absicht mit dem Verhalten nicht weit auseinanderklafft.

Zur Haltung der Toleranz gehört doch auch, dass man denjenigen achtet, der eine völlig andere Meinung hat? Haltung hat ja immer etwas mit Kommunikation zu tun …

Das würde ich nicht ganz so sehen, es sei denn, wir gehen von einem sehr weiten Kommunikationsbegriff aus, wie Watzlawick ihn vertreten hat: Man kann nicht keine Haltung haben in Anlehnung an den Satz: Man kann nicht nicht kommunizieren, weil wir uns immer auch über unsere Gesten, Blicke etc. etwas mitteilen. Wenn man Ethik ganz basal nimmt, ließe sich sagen, es macht sich jeder darüber Gedanken, wie wir in idealer Weise miteinander verbunden sind und uns optimal verhalten. Wo kommt in modernen Gesellschaften Verbindlichkeit zwischen Menschen her? Und Haltung ist eben meine Art und Weise, mich an andere, an die Wirklichkeit, aber auch an mich selbst zurückzubinden. Ich vertrete etwas im Leben. Mir ist das bewusst: Ich lebe nicht einfach nur so. Und mit diesem Potenzial gehe ich in Gespräche oder in Kontakte, in denen ich mich befinde. Insofern ist es ein ganz grundlegender Blick auf Verbindlichkeit in der Gesellschaft. Haltung habe ich ja nicht allein gegenüber mir selbst, sondern vor allem natürlich gegenüber anderen. Und da – im Aufeinander-Bezogensein – wird dann genau die von Ihnen angesprochene Toleranz und Achtung des anderen und des Andersdenkenden wichtig.

Wir können auch eine ganz unsympathische Haltung haben, z.B.: Jeder ist für sich selbst verantwortlich, und wenn es ihm schlecht geht, dann hat er halt Pech gehabt, es kümmert mich nicht weiter.

Deshalb muss man Haltungen auch immer kritisch anschauen. Logisch betrachtet gibt es drei mögliche Haltungen: negative, affirmative oder indifferente. Und diese von Ihnen gerade als neoliberal gekennzeichnete Position würde auf Dauer vermutlich in ihrer Reinkultur sehr negativ auf Personen selbst zurückschlagen, weil sie vor allem auf die eigene Person konzentriert ist und wenig Raum zum anderen hin entfalten kann, während das Soziale als solches schon immer nach außen gerichtet ist. Diese Position ist vielleicht so etwas wie gesellschaftliche Atomisierung. Hier läge insgesamt eine eher negative Haltung gegenüber anderen vor. Wenn wir auf der anderen Seite so solidarisch sind, dass andere grundsätzlich mit einbezogen werden, ist das ein wichtiger Effekt für eine mögliche Kollektivierung, bei der allerdings auch darauf geachtet werden muss, dass das Individuelle noch genügend berücksichtigt wird. Bleibe ich aber indifferent, positioniere mich also gar nicht, ist das letzten Endes besonders negativ.

Weil sich die ehemaligen Volksparteien aufeinander zubewegen, hinterlassen sie auf der rechten und linken Seite einen Rand, den sie nicht mehr bedienen und der sich nun laut artikuliert. Da haben wir eine neue, klare Haltung. Wir müssen jetzt wieder an den Satz von Franz Josef Strauß denken: „Rechts von uns ist nur noch die Wand.“ Das bedeutet: Diese Menschen müssen integriert werden. Dadurch nahmen wir sie lange nicht wahr. Aber jetzt artikulieren sich rechte Gruppen, vor allem in sozialen Netzwerken. Man kann sagen: Das ist ja ganz furchtbar. Man kann aber auch sagen: Jetzt gibt es zumindest eine erkennbare Haltung.

Da ist leider ein Stück weit etwas dran. Ich arbeite zusammen mit einer Kollegin, Vanessa Salzmann, an einem Forschungsprojekt gegen rechte Gewalt. Und in dem Moment, in dem eine rechte Haltung klar erkennbar wird, kann man sich besser überlegen, wie man dem Phänomen begegnet. Aber da kommen viele Schwierigkeiten zusammen. Ich glaube, ein Riesenproblem ist, dass Parteien z.T. jahrelang versucht haben, sich eher nach rechts zu bewegen, als den rechten Rand in die Mitte zu holen. Man hätte demokratische Überzeugungen fördern sollen, statt mit der Abwehr von Fremden zu punkten. Das scheint mir grundverfehlt für eine plurale, moderne Gesellschaft. Wir brauchen die Haltung von Toleranz und Offenheit. Das andere ist, dass wir mittlerweile eine soziale Schieflage haben, die diese Abwehr befördert. Viele Probleme, von denen man meint, sie kämen von außen, sind im Grunde hausgemacht. In der Tat: Kenne ich mein Gegenüber, kann ich besser handeln und mich darauf einstellen. Philosophisch stecken darin solche Probleme wie die der Selbsttäuschung, aber auch der Fremdtäuschung. Aber warum ist Selbsttäuschung eigentlich so ein Problem? Wenn ich mir selbst darüber im Unklaren bin, wer ich bin, gebe ich anderen gar nicht die Möglichkeit, in irgendeiner Weise adäquat mit mir umzugehen. Dann weiß man wirklich am Ende nicht mehr, wer oder was mein Gegenüber ist. Indifferenz ist moralisch ein altes Problem. Im Mittelalter war das schlimmer als das Böse.

Fehlen in der Politik nicht auch oft Haltungen? Indem man beispielsweise zu sehr auf Meinungsumfragen schielt?

Im Grunde werden hier oft quantitative Prinzipien vor die qualitativen gestellt. Ich schiele nach der Mehrheitsmeinung und bin gar nicht an der Substanz, an der Qualität von etwas interessiert. Das sehen wir leider bei vielen Prozessen der Moderne. Das haben uns gegenwärtig nicht so sehr die Philosophen, sondern vor allem die Soziologen klargemacht, z.B. Hartmut Rosa mit seiner Beschleunigungstheorie. Da ergibt sich ein ethisches Problem. Durch die Beschleunigungsprozesse, durch die Digitalisierung und auch durch die Menge an Menschen, die wir mittlerweile auf der Erde sind, sowie durch ökonomische Primate werden Entscheidungen, die früher im Konsens von konkreten Personen beschlossen wurden, auf einmal durch irgendwelche Prozesse, Dynamiken, an die wir uns anschließen, nicht nur immer schneller getroffen, sondern qualitative Prinzipien durch quantitative ersetzt. Wir fühlen uns z.B. unter Druck, alle E-Mails zu beantworten, ohne dass darüber jemand befunden hätte, ob wir das wirklich wollen. Und vielleicht ist deshalb der Haltungsdiskurs auch gerade so attraktiv: weil irgendwie gehofft wird, man könne dadurch wieder Subjekt seiner eigenen Geschichte werden und sagen: „Hier stehe ich und will nicht anders.“

Jo Reichertz, Soziologe und Kulturwissenschaftler, meint, unsere pluralen Medien verbreiteten überhaupt keine Ethik, sondern seien nur Werteagenturen: Sie böten vollkommen widersprüchliche und unterschiedliche Sichtweisen an, und jeder Einzelne müsse daraus seine individuelle Haltung konstruieren.

So ist es. Ich wäre auch sehr irritiert, wenn Medien Ethik verbreiten würden. Ich sehe das hinsichtlich der Verfassungswerte vielleicht eher so: Medien sind Organe der Freiheit. Und indem sie mit dieser Freiheit dem Einzelnen ermöglichen, sich aus einer Vielzahl von Möglichkeiten etwas auszuwählen, fordern sie den ethischen Standpunkt. Aber sie schreiben ihn zum Glück nicht vor. Wir leben in einer Demokratie, die wir schützen wollen. Gleichzeitig sehen wir, dass wir in dieser Freiheit häufig ganz irrational agieren. Es gibt Fernsehformate, bei denen man denkt, die seien nur zum Fremdschämen gemacht. Oder wir haben diese Hasskommunikation in den sozialen Medien. Da gibt es Entwicklungen, die wir gesellschaftlich reflektieren sollten. Vielleicht brauchen wir eine Medienkultur, so eine Art Knigge, ein paar Höflichkeitsdirektiven in der Kommunikation.

Brauchen wir hier ein paar Grundregeln der Kommunikationskultur? Wie gehe ich mit dem anderen um? Bin ich grundsätzlich gegenüber Menschen freundlich, kritisiere andere Meinungen sachlich und respektvoll? Oder gehe ich auf jeden los, der eine andere Meinung vertritt als ich?

Das ist auch etwas, was an Haltungen unheimlich spannend ist. Einerseits zeichnen sie sich in Einstellungen zu bestimmten Themen ab. Aber die Art und Weise, wie wir mit anderen Menschen umgehen, ist ebenfalls eine Haltung. Und über die unterhalten wir uns, wenn wir auf die Medien schauen. Natürlich ist der freundlich-respektvolle, sachlich-kritische Umgang entscheidend. Beim Fernsehen denke ich oft, dass der mündige Bürger unterschätzt wird. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender sollten ihre besten Programme und Filme nicht in den Nachtstunden oder allein auf Spartenkanälen zeigen und uns im Hauptabendprogramm mit Florian Silbereisen und Co. abspeisen. Da dürften die Birnen ein bisschen höher hängen.

Ein weiteres wichtiges, wenn auch sehr abstraktes Prinzip ist die Verantwortung. Angesichts der gegenwärtigen Weltlage: Gehört zur Verantwortung nicht auch, worauf vor allem der Soziologe Claus Leggewie hinweist, dass wir mehr auf Kooperation mit dem anderen als allein auf Konkurrenz setzen sollten?

Das halte ich für richtig. Leggewie ist ja auch zu den Themen „Klima“ und „Flüchtlinge“ aktiv. Ich musste gerade bei diesen Themen an Kant denken, der bereits in der damals noch intakteren Umwelt reflektiert hat, das Erdenrund sei begrenzt. Wir tun gut daran, uns die Welt friedlich miteinander zu teilen. Wir haben gar keine andere Möglichkeit. Und Kant reflektiert im Grunde auch schon auf so etwas wie Ressourcen – und darauf, dass auch dieser begrenzte Raum auf der Erde noch weiter begrenzt ist, weil es unwirtliche Räume gibt. Und wir sind gerade aktiv dabei, sie durch den Klimawandel und den ansteigenden Meeresspiegel noch weiter zu beschränken. Aber Kant hat schon das Prinzip der Hospitalität aufgestellt: Jedem auf der Welt muss ein Besuchsrecht eingeräumt werden und keiner hat ein Vorrecht auf diese Welt vor anderen.

In der Flüchtlingspolitik tun wir immer so, als sei das eine rein rationale Abwägungsfrage. Aber: Der eine würde selbst dann, wenn erhebliche Nachteile in Kauf genommen werden müssten, aus Gründen der Empathie niemals hinnehmen, wenn wir bewusst Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken ließen. Andere sagen: „Empathie ja, aber nur für meine Gruppe oder mein Volk, das es vor allem zu schützen gilt. Unsere Politiker sind für uns zuständig und nicht für Afrika.“ Hängt unsere Haltung in dieser Frage also nicht auch stark von unseren Emotionen ab?

Vermutlich ja. Wobei ich auch Empathie wie Haltung nur u.a. als etwas Emotionales sehen würde. Aber das Emotionale hat natürlich einen starken Anteil bei dieser Abwehr von Migranten und Flüchtlingen. Aber dass wir Menschen – auch aufgrund einer fehlenden gemeinsamen europäischen Haltung – im Mittelmeer ertrinken lassen, geht einfach nicht. Emotionen hin oder her.

Wie gehen wir mit Menschen um, die Flüchtlingen gegenüber menschenverachtende Haltungen vertreten? Ich glaube, nichts ist schlimmer, als wenn wir uns über sie hinwegsetzen oder sie ignorieren.

Das ist richtig, wobei es sicherlich Härtegrade gibt, bei denen man das Gespräch verstummen lassen würde. Emotionen und genauso Haltung haben immer auch mit dem eigenen Willen zu tun. Da stehen Leute mit ihren Überzeugungen. Deshalb gerät auch ein Gespräch so schnell an eine existenzielle Grenze, weil etwas vertreten wird, bei dem man als ganze Person dahintersteht. Aber wir brauchen eben auch diesen erklärenden Diskurs, der auf Einsicht setzt.

Compliance wird in letzter Zeit sehr großgeschrieben. Es gibt große Unternehmen, die nur noch Waren von Zulieferern kaufen, die als nachhaltig gelistet sind.

Die Gesellschaft hat mit Blick auf die notwendige Nachhaltigkeit erkannt, dass Haltung und die daraus resultierende Unternehmensethik Themen sind, die unsere Gesellschaft heute stark bewegen. Da soll der reinen Gewinnmaximierung etwas entgegengestellt werden. Und das geht offenbar zum Glück nicht an der Wirtschaft vorbei, sondern sie nimmt es auf und es wird zum Verkaufsargument. Ob das auf die Dauer tragfähig ist, hängt aus meiner philosophischen Sicht davon ab, ob es um mehr geht als um bloße Effizienz. Es müsste tatsächlich getragen sein von Überzeugungen und einer Haltung, dass man tatsächlich verantwortlich handeln möchte und die Effizienzfrage in die zweite Reihe stellt.

Vielleicht gibt es eine Art gesellschaftliche Konditionierung: Wer ethisch handelt, wird durch hohen Absatz belohnt. Wer Ethik nur vortäuscht, wird von den Medien angeprangert und durch den Konsumenten abgestraft.

Umweltsünden z.B. fallen heute ganz vielen auf, und das ist schon ein wichtiger Schritt. Haltung muss sichtbar und spürbar werden. Nur so wird daraus eine Praxis. Und dann bilden sich selbstverständlich Muster aus, und die können Vorbildwirkungen entfalten. Das ist die Hoffnung, die in dieser marktwirtschaftlichen Dynamik liegen könnte. Pragmatisch betrachtet ist es letztlich gleich, warum sich Konzerne entscheiden, ethisch zu handeln. Hauptsache, sie handeln entsprechend. Leider ist die Transparenz nicht immer gegeben, sodass man sich nicht vor Greenwashing schützen kann. Alle schauen darauf, ob etwas nachhaltig ist. Wo und wie wird das gefertigt? Sind da vielleicht Näherinnen verbrannt? Das eine möchten wir, das andere lehnen wir ab. Was aber wirklich mit im Karton ist, wissen wir häufig nicht.

Dr. Frauke Kurbacher ist Philosophin und Professorin für Ethik an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (NRW) in Münster.

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der tv diskurs.