Einsamkeitserfahrungen von Jugendlichen
Für Menschen als soziale Wesen sind die Gestaltung bedeutungsvoller Beziehungen zu anderen und das Empfinden von Zugehörigkeit wesentliche Grundbedürfnisse (Baumeister/Leary 1995). Werden diese Grundbedürfnisse nicht ausreichend befriedigt, z. B., weil die eigenen sozialen Beziehungen zu oberflächlich sind oder man weniger soziale Kontakte hat, als man sich wünscht, können Einsamkeitsgefühle entstehen. In der Psychologie wird Einsamkeit definiert als die wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen einer Person (Perlman/Peplau 1981).
Einsamkeit kann in allen Lebensphasen auftreten (Hawkley u. a. 2020). Dennoch konzentriert sich die Mehrheit der bisherigen Studien zu Einsamkeit auf ältere Erwachsene. Erst in jüngerer Zeit hat die Einsamkeit bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowohl akademische als auch gesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangt – und das aus gutem Grund. Das junge Lebensalter ist eine besonders prägnante Phase für Einsamkeit, da Kinder und Jugendliche mit zahlreichen sozialen Veränderungen konfrontiert sind (Danneel u. a. 2018). In Deutschland geben 13,2 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 11 bis 15 Jahren an, dass sie sich meistens einsam fühlen (Schütz/Bilz 2023). Der Anteil der stark einsamen deutschen Jugendlichen zwischen 16 bis 20 Jahren lag zwischen 16,3 und 18,5 % (Luhmann u. a. 2023). Viele Kinder und Jugendliche überwinden phasenweise Gefühle der Einsamkeit, sodass sie im Erwachsenenalter nicht zwangsläufig weiterhin einsam sind. Jedoch zeigt sich auch, dass etwa ein Viertel der sozial isolierten Kinder auch im Erwachsenenalter weiterhin sozial isoliert bleibt (Lay-Yee u. a. 2021). Gerade diese Kinder, die ein erhöhtes Risiko für dauerhafte Einsamkeitsgefühle haben, benötigen frühzeitige Unterstützung. Zudem scheinen sich später geborene Generationen junger Menschen etwas einsamer zu fühlen als früher geborene Generationen junger Menschen, was darauf hindeutet, dass Einsamkeit bei jungen Menschen leicht angestiegen ist (Bücker u. a. 2021).
Viele Kinder und Jugendliche überwinden phasenweise Gefühle der Einsamkeit, sodass sie im Erwachsenenalter nicht zwangsläufig weiterhin einsam sind.“
Ursachen für Einsamkeit bei jungen Menschen
Während bei älteren Erwachsenen meist gesundheitliche Einschränkungen, Immobilität oder der Verlust des Lebenspartners bzw. der Lebenspartnerin als Ursachen für Einsamkeit diskutiert werden (Dahlberg u. a. 2021), liegen die Gründe für Einsamkeit bei jüngeren Menschen weniger auf der Hand, da diese Altersgruppe typischerweise viele Möglichkeiten hat, soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. In qualitativen Studien, bei denen Jugendliche und junge Erwachsene nach den Ursachen ihrer Einsamkeit befragt wurden, sind häufig genannte Themen ein niedriges Selbstwertgefühl und Schwierigkeiten, die richtige Balance zwischen zunehmender Unabhängigkeit und emotionaler Nähe zu anderen Menschen zu finden. Aber auch Mobbing-Erfahrungen und kritische Lebensereignisse – z. B. ein Umzug, ein Schulwechsel oder die Trennung der eigenen Eltern – wurden als Einsamkeitsursachen genannt (Turner u. a. 2024). Viele junge Erwachsene beschrieben zudem, dass ihre Vorstellungen davon, wie ihr Leben aussehen müsste, und der soziale Vergleich mit anderen häufige Ursachen für Einsamkeit sein können (Kirwan u. a. 2023). Teilnehmende der Befragung empfanden auch, dass gesellschaftliche Erwartungen an junge Menschen, in ihrem sozialen Leben selbstbewusst und kontaktfreudig zu sein, die Einsamkeit beeinflussen (ebd.). In einigen qualitativen Äußerungen der Teilnehmenden wurde in diesem Kontext auch auf die sozialen Medien hingewiesen, in denen Menschen überwiegend positive und oft soziale Aktivitäten ihres Lebens darstellten, sodass eine verzerrte Realität präsentiert werde (ebd.).
Nutzung sozialer Medien und Einsamkeit
Soziale Medien haben die Art und Weise, wie Menschen soziale Beziehungen knüpfen und pflegen, grundlegend verändert. Diese Veränderungen werfen Fragen bezüglich des möglichen Qualitätsverlusts sozialer Beziehungen und einer Zunahme der Einsamkeit auf. Trotz umfangreicher Forschungen zu diesem Thema bleibt die genaue Wirkung der sozialen Medien auf Einsamkeit meist unklar.
Metaanalysen zeigen ein breites Spektrum an Zusammenhängen zwischen der Nutzung sozialer Medien und Einsamkeit, das von vernachlässigbar kleinen Effekten (Hancock u. a. 2022) bis zu moderaten Effekten (Appel u. a. 2020) reicht. Experimentelle Studien, bei denen die Nutzung sozialer Medien von Teilnehmenden während des Studienzeitraumes reduziert wurde, führten zu unklaren Ergebnissen (Hall u. a. 2021; Hunt u. a. 2018). Längsschnittstudien dagegen deuten auf eine wechselseitige Beziehung hin (Lawrence u. a. 2022), d. h., dass mehr soziale Mediennutzung zu mehr Einsamkeit führt, aber auch umgekehrt mehr Einsamkeit eine stärkere soziale Mediennutzung zur Folge hat. Die unterschiedlichen Ergebnisse können auf verschiedene Bewertungsmethoden der Mediennutzung (wie subjektive Selbsteinschätzungen oder objektives Tracking der App-Nutzung), verschiedene Nutzungsarten der Medien sowie unterschiedliche Altersgruppen der Studienteilnehmenden zurückgeführt werden.
Verschiedene Nutzungsarten sozialer Medien und Einsamkeit
Eine Studie aus dem Jahr 2023 untersuchte unterschiedliche Nutzungsarten sozialer Medien bei Jugendlichen, indem sie das Versenden von Nachrichten und das Veröffentlichen von Beiträgen – beides aktive Formen der Mediennutzung – mit passivem Browsen verglich. Die Autor*innen stellten fest, dass Nachrichtenversand und das Posten von Beiträgen positiv mit dem Wohlbefinden korrelierten und nicht signifikant mit Einsamkeit in Verbindung standen. Passives Browsen hingegen war mit höherer Einsamkeit verbunden (Karsay u. a. 2023). Diese Ergebnisse wurden durch eine weitere Studie bestätigt, die einen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen aktiver Nutzung sozialer Medien und Einsamkeit aufzeigte (Mao u. a. 2023). Dies deutet darauf hin, dass Teilnehmende, die soziale Medien aktiver nutzten (in Form von häufigerem Nachrichtenversand und Posten), weniger Einsamkeit berichteten.
Ergänzend zu diesen empirischen Befunden entwickelte die Psychologin Rebecca Nowland ein theoretisches Rahmenmodell, das die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und sozialer Mediennutzung betont (Nowland u. a. 2017). Wenn soziale Medien als Brücke genutzt werden, um bestehende Beziehungen zu verbessern und neue soziale Kontakte zu knüpfen, ist das ein nützliches Werkzeug zur Reduzierung von Einsamkeit. Werden soziale Medien jedoch dazu verwendet, sich aus der „echten“ sozialen Welt zurückzuziehen und dem „sozialen Schmerz“ der Interaktion zu entfliehen, verstärken sich Gefühle der Einsamkeit. Nowland und ihre Kolleg*innen gehen davon aus, dass Einsamkeit auch bestimmt, wie Menschen mit digitalen Medien interagieren. Einsame Personen neigen dazu, soziale Medien auf eine Weise zu verwenden, die die Zeit für soziale Aktivitäten abseits der digitalen Welt aus ihrem Alltag verdrängt. Dies deutet darauf hin, dass einsame Menschen mehr Unterstützung bei der Nutzung sozialer Medien benötigen als andere, damit sie diese Medien auf eine Weise einsetzen, die bestehende Freundschaften verbessert oder hilft, neue zu knüpfen. Eine exzessive und in diesem Sinne pathologische Mediennutzung jedoch zeigt eindeutige Zusammenhänge mit einer schlechteren psychischen Gesundheit (Marttila u. a. 2021).
Einsame Personen neigen dazu, soziale Medien auf eine Weise zu verwenden, die die Zeit für soziale Aktivitäten abseits der digitalen Welt aus ihrem Alltag verdrängt.“
Altersunterschiede in den Effekten sozialer Mediennutzung
Längsschnittanalysen von über 17.000 Teilnehmenden im Alter von 10 bis 21 Jahren deuten darauf hin, dass es während der Adoleszenz spezifische Entwicklungsphasen gibt, in denen Jugendliche besonders empfindlich auf soziale Medien reagieren (Orben u. a. 2022). Dabei zeigt sich, dass höherer Konsum von sozialen Medien zu einem niedrigeren Wohlbefinden führt (und umgekehrt: Eine geringere Nutzung sozialer Medien führt zu einer Steigerung des Wohlbefindens). Diese sogenannten sensitiven Perioden treten bei Jungen und Mädchen in unterschiedlichen Altersstufen auf. Bei männlichen Jugendlichen liegen die kritischsten Phasen im Alter von 14 bis 15 Jahren und mit 19 Jahren, während bei weiblichen Jugendlichen die Altersgruppen von 11 bis 13 Jahren und mit 19 Jahren am empfindlichsten sind.
Die genauen neurologischen, pubertären, kognitiven und sozialen Veränderungen, die den sensiblen Entwicklungsperioden zugrunde liegen, sind bislang unzureichend erforscht. Zukünftige Studien könnten diese Zusammenhänge tiefergehend beleuchten und dadurch gezielte Interventionen ermöglichen, die sowohl die negativen Auswirkungen von sozialen Medien minimieren als auch ihre positiven Aspekte verstärken.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Einsamkeit unter jungen Menschen ein gesellschaftlich unterschätztes Problem darstellt. Die Beziehung zwischen Einsamkeit und der Nutzung sozialer Medien ist vielschichtig. Sowohl die Art der Mediennutzung als auch das Alter, in dem Jugendliche soziale Medien verwenden, spielen eine entscheidende Rolle. Beides scheint mitzubestimmen, ob die Nutzung sozialer Medien in Bezug auf Einsamkeit eher schädlich oder eher vorteilhaft wirkt.
Literatur:
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Baumeister, R. F./Leary, M. R.: The Need to Belong: Desire for Interpersonal Attachments as a Fundamental Human Motivation. In: Psychological Bulletin, 3/1995/117, S. 497–529. Abrufbar unter: DOI: 10.1037/0033-2909.117.3.497
Bücker, S./Mund, M./Chwastek, S./Sostmann, M./Luhmann, M.: Is Loneliness in Emerging Adults Increasing Over Time? A Preregistered Cross-Temporal Meta-Analysis and Systematic Review. In: Psychological Bulletin, 8/2021/147, S. 787–805. Abrufbar unter: DOI: 10.1037/ bul0000332
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Danneel, S./Maes, M./Vanhalst, J./ Bijttebier, P./Goossens, L.: Developmental Change in Loneliness and Attitudes Toward Aloneness in Adolescence. In: Journal of Youth and Adolescence, 1/2018/47, S. 148–161. Abrufbar unter: DOI: 10.1007/s10964- 017-0685-5
Hall, J. A./Xing, C./Ross, E. M./Johnson, R. M.: Experimentally manipulating social media abstinence: results of a four-week diary study. In: Media Psychology, 2/2021/24, S. 259–275. Abrufbar unter: DOI: 10.1080/15213269.2019.1688171
Hancock, J./Liu, S. X./Luo, M./Mieczkowski, H.: Psychological Well-Being and Social Media Use: A Meta-Analysis of Associations between Social Media Use and Depression, Anxiety, Loneliness, Eudaimonic, Hedonic and Social Well-Being. In: SSRN Journal, März 2022. Abrufbar unter: DOI: 10.2139/ssrn.4053961
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Hunt, M. G./Marx, R./Lipson, C./Young, J.: No More FOMO: Limiting Social Media Decreases Loneliness and Depression. In: Journal of Social and Clinical Psychology, 10/2018/37, S. 751–768. Abrufbar unter: DOI: 10.1521/jscp.2018.37.10.751
Karsay, K./Matthes, J./Schmuck, D./Ecklebe, S.:Messaging, Posting, and Browsing: A Mobile Experience Sampling Study Investigating Youth’s Social Media Use, Affective Well-Being, and Loneliness. In: Social Science Computer Review, 4/2023/41, S. 1.493–1.513. Abrufbar unter: DOI: 10.1177/08944393211058308
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