„Es geht nicht um Teilhabe, sondern um guten Journalismus!“
Was ist aus Ihrer Sicht am problematischsten, wenn Menschen aus Einwandererfamilien in den Medien dargestellt werden?
Die extreme Orientierung an den Defiziten. Menschen mit Migrationshintergrund kommen überwiegend in Problemkontexten vor, also im Zusammenhang mit Integration, Kriminalität, Terrorismus oder anderen negativ konnotierten Themen. Dadurch entsteht ein mediales Bild, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Das hängt natürlich auch mit den Funktionsmechanismen von Medien zusammen. Wir berichten darüber, wenn irgendetwas von der Norm abweicht, und nicht, wenn alles gut ist. Gegen dieses in den Medien vorherrschende Bild von Minderheiten, die überwiegend als Fremde, Kriminelle oder im Zusammenhang mit Armut in ausgesprochenen Problemkontexten vorkommen, können sich die Betroffenen kaum wehren. Es entsteht ein falsches und diskriminierendes Bild von immerhin einem Viertel der Bevölkerung.
Dass es so wenig beiläufige Bilder von Menschen aus Einwandererfamilien gibt, ist ein Zeichen fehlender Normalität?
Ja, es ist einfach keine Selbstverständlichkeit. Es gibt ja durchaus auch diese ausdrücklich positiven Berichte. Aber oft neigen diese Darstellungen zu Exotismus und zu einer paternalistischen Sicht. Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft, das sollte sich endlich auch in ganz normalen Szenen im Fernsehen spiegeln. In einer Ratgebersendung zu Wirbelsäulenproblemen könnte z.B. ein schwarzer Arzt auftreten etc. So etwas gibt es, aber noch viel zu selten.
Wie kam es 2008 zur Gründung der „Neuen deutschen Medienmacher*innen“?
Vorher gab es schon ein paar Initiativen an Universitäten, beispielsweise Kanak Attak. Unser Netzwerk hat sich etwa zehn Jahre später über das Zusammentreffen an Stammtischen ergeben. Es gab damals nicht so viele Journalistinnen und Journalisten aus Einwandererfamilien, d. h., man kannte sich. Der Austausch untereinander hat vielen gutgetan, es war erleichternd, mit den Problemen in der Redaktion nicht alleine zu sein. Aus diesem Kreis entstand eine erste Veranstaltung, weil klar war, dass das Thema einfach mehr Beachtung verdient. Die Resonanz darauf war so groß, dass wir einfach weiterarbeiten mussten. Und so kam es schließlich zur Gründung unseres Vereins. Auch für mich war das der Anstoß, aktiv zu werden, das war ein sehr empowernder Moment. Und heute ist daraus eine Organisation mit 1.700 Netzwerkmitgliedern und 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewachsen.
In welchen Bereichen sind Sie als Verein aktiv?
Unser wichtigstes Projekt ist meiner Meinung nach unser Mentoringprogramm, mit dem wir junge Leute, die in den Medien arbeiten wollen, unterstützen. Erfahrene Mentorinnen und Mentoren helfen ein Jahr lang, Kontakte zu vermitteln und den Weg in die Berufswelt zu ebnen. Auf diese Weise entsteht ein Netzwerk, auch unter den Teilnehmenden des Programms.
Außerdem veranstalten wir Seminare zu professioneller Berichterstattung über Integration und Migration. Auf Wunsch bieten wir auch externe Blattkritiken an. Und wir koordinieren die deutsche Umsetzung des No Hate Speech Movement, einer internationalen Kampagne des Europarates gegen Hassrede im Netz.
Warum gibt es in den Redaktionen immer noch so wenige Journalistinnen und Journalisten aus Einwandererfamilien?
Das hat verschiedene Gründe: Zum einen gibt es immer noch hanebüchene Vorurteile. Selbst Leuten, die in Deutschland zur Schule gegangen sind, wird regelmäßig unterstellt, dass sie in der deutschen Sprache nicht ganz so firm sind. Und wer einen sehr eindeutig nicht deutschen Namen hat, bei dem wird schnell vermutet, dass er aktivistisch motiviert sei.
Zum anderen gibt es in unserem Beruf keine standardisierten Ausbildungswege. Das hängt damit zusammen, dass alle die Möglichkeit haben sollen, journalistisch zu arbeiten, ohne Beschränkung. Aber das bedeutet auch, dass die Hürden höher werden. Denn dadurch wird es eben wichtig, welche Kontakte man hat, aus welcher Familie man kommt. Medienhäuser rekrutieren ihr Personal immer noch traditionell aus der Mittelschicht und dem Bildungsbürgertum. So etwas wie Stallgeruch spielt durchaus eine Rolle, wenn man sich irgendwo bewirbt. Vorurteile, auf die man dann stößt, sind nicht so einfach auszuräumen.
Was muss sich ändern, damit Menschen aus Einwandererfamilien besser in den Medien repräsentiert sind? Oder anders gefragt: Wie kann bewusstes Diversity Management konkret aussehen?
Die Ansprache ist wichtig. Wenn z.B. Volontariate oder Ausbildungsplätze an Journalistenschulen ausgeschrieben werden, ist nicht allen Medienhäusern bewusst, dass Diversity Management für sie kein Goodwill-Thema ist, das sie aus reiner Nettigkeit umsetzen können. Vielmehr lassen sie – und das versuchen wir in unseren Seminaren und Blattkritiken den Redaktionen deutlich zu machen – diese Zielgruppen links liegen, indem sie sie weder vor der Kamera präsentieren noch ihre Themen journalistisch glaubwürdig verhandeln. Es sind oft kaum Zugänge zu den Communitys in den Redaktionen vorhanden. Aber es gibt immer mehr Medienhäuser, denen klar wird, dass diese Themen und Zielgruppen für sie wichtig sind. Deshalb sind sie interessiert an unserer Hilfe und Beratung, wie sie junge Leute aus Einwandererfamilien dazu motivieren können, sich bei ihnen zu bewerben. Bei den Privaten ist dieses Bewusstsein schon länger vorhanden. Wenn Sie sich z.B. bei ProSieben die Gesichter, die den Sender repräsentieren, anschauen, dann hat mehr als die Hälfte einen sichtbaren Migrationshintergrund.
In der Frauenbewegung wurde lange darüber gestritten, wie man das Ziel der Gleichstellung erreicht. Sollte der Aspekt der Gleichheit oder der der Differenz und damit die Anerkennung der besonderen Erfahrungen und besonderen Situation von Frauen in den Mittelpunkt gerückt werden? War oder ist das bei den „Neuen deutschen Medienmacher*innen“ auch ein Thema?
Bei uns gibt es beide Positionen. Es gibt die, die meinen, sie seien so deutsch, wie man nur deutsch sein kann. Und es gibt diejenigen, die der gegenteiligen Ansicht sind und sagen: Ich bin nicht deutsch, ich bin ja nicht mal hier geboren. Diese Haltung lässt sich bei der älteren, aber mittlerweile durchaus auch bei der jüngeren Generation beobachten, die jetzt zu einer Art „kanakischem“ Selbstbewusstsein findet und feststellt, nein, ich bin eben nicht so wie „ihr“, ich habe andere Gedanken, andere Erfahrungen, und die können wichtig für euch sein. Es ist eine ziemlich persönliche Sache, wie man sich sieht. Aus meiner Sicht geht es nicht primär um Teilhabe. Es geht nicht darum, dass irgendwer auch mitmachen darf. Es geht darum, dass Journalismus nicht gut ist, nicht das ganze Bild zeigen kann, wenn Journalistinnen und Journalisten alle sehr ähnliche Lebenserfahrungen und gleiche Umfelder haben und ein ähnliches Leben führen.
Ihr Verein hat ein Glossar erstellt mit „Formulierungshilfen, Erläuterungen und alternativen Begriffen für die Berichterstattung in der Einwanderungsgesellschaft“.
Ja. Ausgangspunkt war die Berichterstattung über die NSU-Mordserie, die aus unserer Sicht unerträglich war. So war in den Medien immer noch von „Döner-Morden“ die Rede, obwohl bereits bekannt war, dass die Menschen von Neonazis umgebracht worden waren. Auch wurden die Opfer pauschal als „Türken“ bezeichnet, obwohl einige von ihnen z.B. Deutsche waren. Die Medien beschrieben das Motiv als fremden- oder ausländerfeindlich und übernahmen damit die Perspektive der Täter. Völlig ignoriert wurde dabei, dass viele der Opfer seit vielen Jahren hier in Deutschland gelebt hatten. Es waren keine Fremden, das waren sie nur in den Augen des NSU. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass eine solche Art der Berichterstattung in unseren Augen unjournalistisch ist. In unserer Stellungnahme haben wir deshalb auch alternative Formulierungen vorgeschlagen: Benenne das Motiv und sag „rassistisch“, „rechtsextrem“ oder „neonazistisch“, sag nicht „fremdenfeindlich“. Das hat ziemlich Furore gemacht und wurde in den Redaktionen heftig diskutiert. Von da an war uns klar, dass wir an der Sprache zu diesen Themen unbedingt weiterarbeiten müssen.
Fernsehen erzählt sehr viel in Stereotypen und bedient damit immer wieder Vorurteile. Wie ist dieser Falle zu entgehen?
Im Hinblick auf stereotypisierte Bilder sind sehr ähnliche Mechanismen und Muster in der Berichterstattung vorhanden. Deshalb haben wir einen Workshop gemacht und dabei mit Fotografen, dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland, mit den „Sozialhelden“ und ihrer Initiative „Leidmedien“, die für Journalistinnen und Journalisten mit Behinderung stehen, zusammengearbeitet. Aus diesem Workshop ist ein Flyer entstanden. Er zeigt Fotos, aber formuliert auch Fragen, die wichtig sind für all diejenigen, die diskriminierungsarme Bilder machen und nutzen möchten.
Natürlich, es stimmt: Es braucht Symbole. Aber die kann man so oder so zeigen. Nehmen wir die Berichterstattung über Menschen mit Behinderung: Auf dem Bild kann der Rollstuhl z.B. komplett im Vordergrund stehen, sodass die Person dahinter verschwindet und kein Individuum mehr ist. Doch das Motiv kann auch ein selbstbewusstes, junges Mädchen sein, das mit seinem Rollstuhl durch den Park fährt und Spaß hat. Möglich sind beide Varianten. Geht es um Integration, ist es typisch, eine Frau mit Kopftuch zu zeigen. Doch auch hier gibt es Unterschiede: Ist die Frau von hinten zu sehen, beladen mit Plastiktüten und drei Kleinkindern an der Hand? Oder sehe ich sie beim Bezahlen ihrer Brötchen an der Bäckertheke oder in der Fußgängerzone mit ihrem Handy am Ohr?! Beide Bilder funktionieren – wenn man auf diese abgegriffenen Symbole nicht verzichten kann oder will.
Kurz gesagt: Stereotype sollten nicht so überzeichnet werden, dass die Dargestellten nur als Opfer, als per se nicht gleichwertig oder in irgendeiner Form herabgewürdigt oder entindividualisiert erscheinen. Das ist eigentlich gar nicht so schwierig, man muss sich nur Gedanken machen.
Konstantina Vassiliou-Enz (Foto: rbb/Jim Rakete)
Christina Heinen (Foto: Sandra Hermannsen)