EU-Parlament verschärft Regeln für große US-Internetkonzerne

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Mit zwei Gesetzen will die EU den Wettbewerb und den Verbraucherschutz im Internet verbessern. Das Gesetz über digitale Märke – Digital Markets Act (DMA) – soll die inzwischen 20 Jahre alte E‑Commerce-Richtlinie ergänzen und aktualisieren, das Gesetz über digitalen Service – Digital Services Act (DSA) – übernimmt wesentliche Bestimmungen des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Betroffen sind nur besonders mächtige Unternehmen. Kriterien dafür sind unter anderem ein Jahresgewinn von über 6,5 Milliarden Euro in den letzten drei Jahren. Ziel ist es zu verhindern, dass die Netzgiganten ihre Marktmacht ausnutzen und dadurch den Wettbewerb verhindern. Beiden Gesetzen stimmte das Europäische Parlament am 5. Juli 2022 zu, jetzt müssen sie noch vom Europäischen Rat bestätigt werden. Die Zustimmung gilt als sicher.

Online seit 11.07.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/eu-parlament-verschaerft-regeln-fuer-grosse-us-internetkonzerne-beitrag-1122/

 

 

Die Gesetze richten sich vor allem gegen US-Internetgiganten wie Alphabet, Amazon, Apple oder Meta. Der Schutz von Kundendaten wird neu geregelt: In Zukunft dürfen Unternehmen sensible Daten, die zur Abwicklung eines Kaufs nötig sind und angegeben werden müssen, gewerbsmäßig – beispielsweise für personalisierte Werbung – nur nach ausdrücklicher Genehmigung der Kund*innen verwenden.

Große Messengerdienste müssen sich für andere Messengerdienste öffnen, wie das im Bereich der Telefonie schon immer selbstverständlich war: ein*e Vodafone-Kund*in kann mit jemandem von O2 oder der Telekom sowie mit allen Festnetzanbietern problemlos kommunizieren. Bisher sind neue, kleinere Messengerdienste nicht attraktiv, da man die gewünschten Kontaktpersonen nur bei den großen Anbietern wie WhatsApp mit hoher Wahrscheinlichkeit finden konnte. Nun können sich neue Dienste entscheiden, ob sie eine Schnittstelle zu den großen Messengerdiensten bereitstellen wollen, um ihren Nutzer*innen die Möglichkeit zu geben, mit den Nutzer*innen der marktführenden Dienste zu kommunizieren. Was für die kleinen Dienste freiwillig ist, ist aufgrund der Marktmacht für die großen Anbieter verpflichtend.

Das Gesetz legt Pflichten für Unternehmen fest, die über ihre Plattformen Verbraucher*innen Zugang zu Waren, Dienstleistungen oder medialen Inhalten bieten. So soll mehr Wettbewerb ermöglicht werden, um neuen innovativen Unternehmen die Etablierung am Markt zu erleichtern. Wesentliche Punkte sind:

  • die Plattformen müssen wichtige Teile ihrer Algorithmen offenlegen,
  • gewerbliche Nutzer*innen sollen das Recht bekommen, auf Daten zuzugreifen, die entsprechende Plattformen über sie besitzen,
  • Gewerbliche Nutzer*innen bekommen das Recht, ihre Angebote auch über andere Plattformen zu vertreiben,
  • Die Nutzer*innen dürfen nicht daran gehindert werden, vorinstallierte Apps zu löschen und sie dürfen selbst entscheiden, aus welchem App-Store sie ihre Angebote wählen wollen,
  • die Unternehmen dürfen ihre eigenen Produkte in Zukunft nicht besser bewerten als die der Konkurrenz (weitere Informationen dazu: Stemmler 2022).

Insgesamt ist es das Ziel der EU-Gesetzgebung, Rechte und Pflichten aus dem Offline-Markt auf das Onlinegeschäft zu übertragen. Da es sich um finanzkräftige Unternehmen handelt, wurde die Obergrenze für Bußgelder entsprechend auf 10 % des gesamten Jahresumsatzes festgelegt.

Der Digital Service Act (DAS) verlangt von den Anbietern mehr Transparenz gegenüber gewerblichen und nichtgewerblichen Kund*innen, außerdem wird die Haftung der Unternehmen in Europa neu geregelt. Facebook und Co. müssen nun illegale Inhalte, zum Beispiel Hatespeech, Propaganda, Beleidigungen oder Betrug, innerhalb von 24 Stunden löschen. Ziel ist es, die Opfer von digitaler Gewalt besser zu schützen. Unternehmen, die gegen diese Gesetze verstoßen, müssen mit einem Bußgeld von bis zu 6 % des gesamten Jahresumsatzes rechnen. Ob und wie das funktioniert, muss sich zeigen. Die illegalen Angebote werden nicht von den Plattformbetreibern selbst eingestellt, sondern von Dritten, die den Plattformen oft gar nicht bekannt sind. Eine Möglichkeit, auf solche Inhalte aufmerksam zu werden, ist das Überprüfen von Beschwerden – die Frage ist allerdings, ob das reichen wird. Wahrscheinlich werden die Unternehmen aktiv nach illegalen Angeboten suchen müssen, und dazu werden sie wohl auf künstliche Intelligenz setzen. Dabei wird es aber die gleichen Probleme geben, wie sie derzeit bereits im Netzwerkdurchsetzungsgesetz offenkundig werden: die Trennschärfe zwischen Erlaubtem und Verbotenem ist selbst für sachverständiges Fachpersonal oft nicht eindeutig zu bestimmen. Um Bußgelder zu vermeiden, könnten die Unternehmen im Zweifelsfall für die Löschung plädieren, was einen Eingriff in die Meinungsfreiheit bedeuten könnte. (vgl. dazu Liesching 2022)

Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Umweltschutz, Sven Giegold, begrüßt das Gesetz: „Zu lange haben die großen Digitalriesen wie Google, Facebook, Amazon und Co den Markt dominiert, so dass es neuen Wettbewerbern fast unmöglich war, Fuß zu fassen. Künftig gilt für alle großen Digitalunternehmen ein klarer Verhaltenskodex. Das deutsche GWB-Digitalisierungsgesetz hat hierfür einen entscheidenden Anstoß gegeben. […] Darüber hinaus hilft der Digital Markets Act auch den Unternehmen, die auf die Gatekeeper angewiesen sind. Dazu gehören etwa die Hotels, denen die Gatekeeper künftig nicht länger untersagen können, ihre Dienstleistungen günstiger auf eigenen Webseiten anzubieten.“ (Giegold 2022) Bisher haben sich Wettbewerbsverfahren über Jahre hingezogen, nun soll das Gesetz der EU-Kommission die Möglichkeit geben, schnell zu handeln. Giegold kündigte an, auch in Deutschland das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nochmal zu evaluieren und gegebenenfalls nachzubessern.

Dem Co-Vorsitzenden der Linken, Martin Schirdewan, geht das Gesetz nicht weit genug. Er hält es für falsch, dass persönliche Kundendaten überhaupt für kommerzielle Zwecke verwendet werden dürfen (vgl. Schirdewan 2022). Vonseiten der Wirtschaft wird das Gesetz dagegen weitgehend gelobt. Nach Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender des VAUNET und Chief Corporate Affairs Officer von RTL Deutschland, trifft das Gesetz einen wichtigen Kern des Marktes, er sieht aber Risiken bei der Durchsetzung: „DMA und DSA betreffen die DNA der Medienangebote. Mit dem DMA ist ein enorm wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Wettbewerbschancen mit den internationalen Tech-Plattformen gelungen. Der DSA ergreift zwar Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Inhalte, bleibt jedoch im Hinblick auf die Ausgestaltung der Pflichten und Haftung großer Plattformunternehmen hinter den Erwartungen zurück. Die Wahrung und Berücksichtigung der Medienfreiheit darf hier nicht zum bloßen Lippenbekenntnis in den Erwägungsgründen des Gesetzes werden. Eine entscheidende Rolle kommt der Aufsicht zu: Deutschland hat mit dem Medienstaatsvertrag und dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der EU Maßstäbe gesetzt. Diese positive Entwicklung sollte durch die Umsetzung effizienter und staatsferner Aufsichtsstrukturen, wie sie z. B. durch die Landesmedienanstalten wahrgenommen werden, gestärkt werden.“

Auch der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom, Bernhard Rohleder, äußert sich zufrieden: „Insbesondere der DSA wird viele Menschen unmittelbar betreffen: Allein in Deutschland nutzen mehr als 60 Millionen Menschen das Internet, fast drei Viertel von ihnen informieren sich im Web über das Zeitgeschehen, 95 Prozent kaufen online ein. Online-Dienste und Plattformen sind damit ein fester Bestandteil des digitalen Alltags. Bitkom begrüßt daher ausdrücklich, dass Verbraucherinnen und Verbraucher online künftig besser vor Desinformation, Hassrede und Produktfälschungen geschützt werden. Was offline illegal ist, muss auch online illegal sein und entsprechend geahndet werden.“ (Rohleder 2022)

Quellen:

Giegold, S.: Staatssekretär Giegold: „Mehr Fairness und Wettbewerb auf digitalen Märkten“ – EU beschließt neuen Verhaltenskodex für große Digitalunternehmen, Pressemitteilung des Bundeministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vom 25.03.2022, abzurufen unter: https://www.bmwk.de

Grewenig, C.: VAUNET: Digital Markets Act und Digital Services Act müssen effizient und durch staatsferne nationale Behörden durchgesetzt werden, abrufbar unter: https://www.vau.net

Liesching, M.: Vier Jahre NetzDG: Ein Effekt ist kaum erkennbar, in: tv diskurs Heft 99, S. 66–71, Köln 2022, abrufbar unter: https://mediendiskurs.online

Rohleder, Dr. B.: Bitkom zur finalen Abstimmung über DSA und DMA, Presseinformation vom 04.07.2022, abrufbar unter: https://www.bitkom.org

Schirdewan, M.: Zitat, in: Tagesschau vom 05.07.2022, abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=awwSjzjCVNc

Stemmler, P.: „Digital Markets Act“ – EU beschließt neuen Verhaltenskodex für digitale Unternehmen, vom 04.07.2022, abzurufen unter: https://www.fieldfisher.com