EU will staatlichen Einfluss auf Medien in Europa bekämpfen

Geplantes Medienfreiheitsgesetz in der Kritik

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Ist die Medienfreiheit in Europa in Gefahr? Und könnte man sie durch die Gesetzgebung bzw. neue Kontrollinstanzen verbessern? Richtig ist, dass der einschränkende Einfluss der Politik auf die freie Berichterstattung der Medien in Polen und mindestens genauso stark in Ungarn mit den Vorstellungen der meisten Mitgliedsstaaten von Medienfreiheit nicht vereinbar ist. Die EU-Kommission jedenfalls möchte deshalb durch ein Medienfreiheitsgesetz (kurz: EMFA – European Media Freedom Act) Medien in Europa besser vor politischen Einflüssen schützen. Durch das Gesetz soll nationalen Behörden verboten werden, in redaktionelle Entscheidungen einzugreifen.

Online seit 01.11.2022: https://mediendiskurs.online/beitrag/eu-will-staatlichen-einfluss-auf-medien-in-europa-bekaempfen-beitrag-1122/

 

 

„Die für Werte und Transparenz zuständige Vizepräsidentin der Kommission Věra Jourová erklärte: ‚Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie auf unterschiedliche Weise Druck auf die Medien ausgeübt wird. Es ist höchste Zeit zu handeln. Wir müssen klare Grundsätze festlegen: Journalisten dürfen nicht wegen ihres Berufs ausspioniert werden. Öffentlich-rechtliche Medien dürfen nicht zu Sprachrohren der Propaganda gemacht werden. Daher schlagen wir heute erstmals gemeinsame Vorkehrungen zum Schutz der Freiheit und des Pluralismus der Medien in der EU vor.‘“(Europäische Kommission 2022)

Thierry Breton, zuständiger EU-Kommissar für den Binnenmarkt, betont: „Die EU ist der weltweit größte demokratische Binnenmarkt. Medienhäuser spielen eine entscheidende Rolle, sehen sich aber mit sinkenden Einnahmen, Bedrohungen der Medienfreiheit und des Medienpluralismus, der Entstehung sehr großer Online-Plattformen und einem Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Vorschriften ausgesetzt. Im europäischen Medienfreiheitsgesetz sind gemeinsame Schutzvorkehrungen auf EU-Ebene vorgesehen, um die Meinungsvielfalt zu gewährleisten und sicherzustellen, dass unsere Medien ohne jegliche private oder öffentliche Einflussnahme tätig sein können. Eine neue europäische Kontrollinstanz wird die wirksame Anwendung dieser neuen Vorschriften für die Medienfreiheit fördern und Medienkonzentrationen im Auge behalten, damit sie die Pluralität nicht beeinträchtigen.“ (ebd.)

Es geht also um mehr als die Eingriffe in die Medienfreit durch die polnischen und ungarischen Regierungen: „Das Gremium wird auch nationale Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf Medien aus Drittländern, die ein Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellen, koordinieren, damit diese Medien die in der EU geltenden Vorschriften nicht umgehen. Das Gremium WIRD außerdem einen strukturierten Dialog zwischen sehr großen Online-Plattformen und dem Mediensektor organisieren, um den Zugang zu Medienangeboten zu fördern und um zu überwachen, ob die Plattformen Selbstregulierungsinitiativen wie den EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation einhalten“ (ebd.), heißt es in der Pressemitteilung der Europäischen Kommission.

Können aber Behörden, die normalerweise die Medienfreiheit eher einschränken, tatsächlich dafür sorgen, dass die Medienfreiheit verbessert und die Eingriffe von Regierungen verhindert werden? Verlage und Sender kritisieren vor allem, dass ausgerechnet aus den bisherigen EU-Aufsichtsbehörden der Länder eine neue Institution zusammengesetzt werden soll. Nach Angaben der Kommissionsvertreterin Anna Herold soll es sich bei dem geplanten Board for Media Services „um eine Weiterentwicklung der seit 2014 bestehenden ‚European Regulators Group for Audiovisual Media Services‘ (Erga)“ (epd medien 2022) handeln, die sich aus Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden zusammensetzt und die EU-Kommission berät.

Nach Angaben Herolds gehe es nicht darum, eine zentrale Medienregulierungsagentur zu schaffen. Das Board soll ausdrücklich unabhängig bleiben, die EU-Kommission werde sich nur in Ausnahmefällen einschalten. Klar sei auch, dass die Pressefreiheit weiterhin für die Eigentümer von Medien garantiert werden soll, die weiterhin die redaktionelle Linie ihrer Publikationen bestimmen sollen.

Die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab sieht in dem geplanten Gesetz einen grenzüberschreitenden Eingriff in die Kultur- und Medienhoheit der Mitgliedsstaaten. In der Praxis seien noch wichtige Fragen zu klären, zum Beispiel, wie dort die Entscheidungsprozesse ablaufen sollen. Vor allem sei es problematisch, dass der EMFA als Verordnung der EU geplant sei, die unmittelbar in allen EU-Ländern gelten muss. Sie hielte es für besser, wenn die Länder in der Umsetzung mehr Spielraum hätten.

Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen, ist der Ansicht, der EMFA-Entwurf sei „am Rande der Zuständigkeitsfrage“ (ebd.). Allerdings verdiene das Projekt eine Chance. An einigen Stellen müssten auf jeden Fall noch Nachbesserungen durchgeführt werden. Schmid kennt sich in dem Bereich aus: er war von 2020 bis 2021 Vorsitzender der Erga.

Der Entwurf des Gesetzes liegt jetzt beim Europäischen Parlament und beim Europäischen Rat, beide bestehen aus Vertretern der Mitgliedstaaten und können Änderungen vornehmen. Früher oder später müssen sie sich auf einen Text einigen, wenn das Projekt Gesetz werden soll. Ob da Länder wie Polen und Ungarn mitmachen, gegen die sich das Gesetz ja auch – mehr oder weniger offiziell – richtet, bleibt abzuwarten.

Quellen:

epd medien: EU-Kommission und Bundesländer streiten über Medienfreiheitsgesetz. In: epd medien, 20.10.2022. Abrufbar unter: https://w.epd.de/

Europäische Kommission: Europäisches Medienfreiheitsgesetz: Kommission schlägt Vorschriften zum Schutz des Pluralismus und der Unabhängigkeit der Medien in der EU vor. Pressemitteilung der Europäischen Kommission, 16.09.2022. Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/

 

Weiterlesen:

> Fake News und Propaganda in Krisenzeiten. Wie schaffen wir mehr Unabhängigkeit im internationalen Journalismus?
Joachim von Gottberg in mediendiskurs.online, 10.03.2022

> Medien und Wahrheit in digitalen Zeiten
Marlis Prinzing in: tv diskurs 99, 1/2022, S. 38-41