Fortschritte in der künstlichen Intelligenz

ChatGPT setzt neue Maßstäbe

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrift MEDIENDISKURS.

Auch wenn die künstliche Intelligenz bisher noch nicht selbst kreativ ist, so kann sie aus einer großen Menge verschiedenster Vorlagen etwas erzeugen, das wie ein Produkt eines intelligenten Wesens wirkt. Die Firma OpenAI hat im November 2022 ein intelligentes Chatprogramm vorgestellt, das erstaunlich „echte“, wie von Menschen verfasste Texte generieren kann.

Online seit 21.02.2023: https://mediendiskurs.online/beitrag/fortschritte-in-der-kuenstlichen-intelligenz-beitrag-772/

 

 

Maschinen, die bei Anrufen mit den Kund*innen sprechen, ihnen Informationen über die Leistungen des Unternehmens geben oder sie an die zuständigen Mitarbeiter*innen weiterleiten, gibt es schon lange. Auch fast alle beliebigen Informationen, für die man vor der Digitalisierung teure Lexika benötigte, findet man heute digital kostenlos und schnell über Google. Von Amazon gibt es die sprechende Alexa-Box, die man alles Mögliche fragen kann und die, jedenfalls manchmal, verblüffend zutreffende, wenn auch kurze Auskünfte gibt: Künstliche Intelligenz ist also schon längst in den Haushalten angekommen.

Mit ChatGPT ist es der Firma OpenAI, die 2019 von Elon Musk gegründet wurde und inzwischen von Microsoft finanziell unterstützt wird (Linden 2023, Schieb 2022), gelungen, einen erheblichen Schritt weiter zu gehen. Die Maschine antwortet auf Fragen nicht nur mit ein paar Sätzen oder einem Verweis beispielsweise auf Google oder Wikipedia, sondern sie entwirft ganze Texte dazu, und wer mehr will, kann anschließend zusätzliche Fragen stellen, Wünsche über die Länge des Textes angeben oder sich seine Abschlussarbeit schreiben lassen (mehr zur Funktion siehe Linde 2023).
 

Jede*r kann das Programm kostenlos nutzen

ChatGPT ist gegenwärtig noch kostenlos, vermutlich sollen möglichst viele Nutzer*innenanfragen generiert und die Datenmasse vergrößert werden, durch deren Analyse das Programm verbessert wird – um später vielleicht eine Kostenpflicht einzuführen. Das Programm ist derzeit nur per Schrift verfügbar, sprechen kann es noch nicht.

Auf die Frage, was ChatGPT sei, antwortet das Programm:

ChatGPT ist ein Konversations-KI-Modell, das von OpenAI trainiert wurde. Es verwendet eine fortgeschrittene maschinelle Lerntechnologie, um menschenähnliche Texte zu generieren und auf Fragen zu antworten.“

Und es scheint zu interessieren. ChatGPT hat innerhalb von zwei Monaten die Marke von 100 Mio. Nutzer*innen geknackt. Das ist ein Rekord, Tik Tok hat dafür immerhin neun Monate gebraucht, Instagram zweieinhalb Jahre (vgl. Deutschlandfunk Kultur 2023). Jede*r kann ChatGPT ausprobieren: Chat.openai.co. Mit der E-Mail-Adresse und einem Passwort legt man einen Account an, die E-Mail-Adresse muss bestätigt werden. Anschließend gibt man seine mobile Nummer ein und erhält per SMS einen Code, den man eingeben muss – und schon kann es losgehen.

Per Klick auf „New Chat“ kann man seine Frage eingeben. Die Sprache erkennt der ChatGPT automatisch. Weil die Frage zu unserem Interessengebiet gehört, tippen wir ein: „Was ist die Aufgabe der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen?“, und das Programm antwortet:

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist eine deutsche Organisation, die sich für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Fernsehen einsetzt. Sie überwacht und bewertet die Inhalte von TV-Programmen und legt Standards für die Verantwortung und Ethik im Fernsehen fest. Ziel ist es, einen Beitrag zur Förderung eines verantwortungsvollen und kindgerechten Fernsehens zu leisten.“

Das ist jedenfalls nicht falsch.
 

Befürchtung: ChatGPT schreibt Masterarbeiten

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Universitätsdozent*innen befürchten, dass sie demnächst nicht mehr unterscheiden können, ob Hausarbeiten oder Masterarbeiten tatsächlich von den Studierenden oder von einer künstlichen Intelligenz erstellt worden sind. Die einfachste Möglichkeit, dies zu überprüfen: Die künstliche Intelligenz macht weder Rechtschreib- noch Flüchtigkeits- oder Zeichenfehler. Das kommt in Arbeiten von Studierenden selten vor.

Um die Ängste zu zerstreuen, bietet ChatGPT inzwischen eine eigene Software an, die erkennen soll, ob die Arbeit von der künstlichen Intelligenz geschrieben wurde oder nicht. Das Unternehmen muss aber zugeben, dass der Klassifikator nicht vollständig zuverlässig ist. Er funktioniert ohnehin derzeit nur für englischsprachige Texte, und auch da hat er nur 26 % der von der KI geschriebenen Texte richtig als „wahrscheinlich von KI geschrieben“ erkannt. Texte, die von Menschen geschrieben wurden, hat er fälschlicherweise als KI-geschrieben gekennzeichnet. Die Zuverlässigkeit des Klassifikators verbessert sich normalerweise mit zunehmender Länge des Eingabetextes. (Vgl. Rameil 2023)

Aber in dringenden Fällen bietet der Hersteller Hilfe an „Wenn Sie von diesen Problemen direkt betroffen sind (einschließlich, aber nicht beschränkt auf Lehrer, Administratoren, Eltern, Schüler und Anbieter von Bildungsdiensten), senden Sie uns bitte über dieses Formular Feedback. Direktes Feedback zu den vorläufigen Ressourcen ist hilfreich, und wir begrüßen auch alle Ressourcen, die Pädagogen entwickeln oder als hilfreich empfinden (z. B. Kursrichtlinien, Ehrenkodex und Richtlinienaktualisierungen, interaktive Tools, KI-Kompetenzprogramme).“ (Kirchner et al. 2023)
 

Das Ende des traditionellen Lernens

Markus Beckedahl sieht die Notwendigkeit einer neuen Orientierung in der Bildung: „Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit in der Mittelstufe. Damals konnte ich den Erdkunde-Lehrer stets mit meinen Präsentationen beeindrucken, die ich daheim angeblich mühsam in Handarbeit erstellt hatte. Tatsächlich hatte ich sie nur mit Hilfe eines Computerprogramms namens ‚PC Globe‘ ausgedruckt. Die meisten meiner Lehrer:innen besaßen damals noch keinen Computer. So neu und unbekannt sind die Folgen durch ChatGPT also gar nicht. Trotzdem sperren erste Schulen auf ihren Rechnern den Zugang zu ChatGPT. Das ist allerdings kaum mehr als eine hilflose Geste. Denn Schüler:innen besitzen in der Regel ein eigenes Smartphone. Die Sperrung dürfte sie daher eher noch motivieren, die KI auszutesten. Eine bessere Werbebotschaft für ChatGPT können Schulen daher wohl kaum senden. Andere Lehrende finden die Herausforderung hingegen hochspannend, wie etwa Bob Blume, der als @Netzlehrer bereits das Ende des Lernens, wie wir es kennen, verkündet.“ (Beckedahl 2023)
 

KI erstellt Bilder und Musik

Schon länger gibt es auf künstlicher Intelligenz basierende Programme, die beispielsweise nach den Wünschen und Stichworten der Nutzer*innen Bilder malen können, und dabei je nach Geschmack bestimmte Stilrichtungen imitieren. (Vgl. Schieb 2022) Dabei ist die künstliche Intelligenz nicht selbst kreativ, sondern sie komponiert das Bild auf der Grundlage einer sehr hohen Anzahl von eingegebenen Bildern, auf die das System Zugriff hat. Auch dieses Programm ist kostenlos: Hat man einmal einen Account bei OpenAI, kann man dieses Programm aufrufen und kostenlos nutzen (https://openai.com/dall-e-2/). Allerdings gibt es eine sehr viel bessere Version, die aber nur einigen Entwicklern zugänglich ist. (Ebd.) Google hat das System „Music LM“ entwickelt, dem man per Text Vorgaben macht oder Melodien vorsingt und das dann daraus je nach Wunsch eine Hiphop- oder Klassikversion erstellt. (Vgl. Foster 2023, Wilhelm 2023) Dieses System ist allerdings bisher noch nicht öffentlich zugänglich.
 

Microsoft will Google Konkurrenz machen

Aufgrund der enormen Resonanz auf ChatGPT will Microsoft das Programm in seine Suchmaschine Bing integrieren, mit dem Ziel, die Vorherrschaft der Google-Suchmaschine zu brechen: „Microsof‑CEO Satya Nadella hat am Dienstag einen weitgehenden Umbau zahlreicher Produkte des Unternehmens angekündigt. Insbesondere soll die Internetsuche Bing um einen intelligenten Chatbot erweitert werden. Damit fordert die Firma den weltgrößten Suchmaschinenanbieter Google heraus: ‚Heute beginnt das Wettrennen‘, sagte Nadella bei einer Pressekonferenz in der Firmenzentrale in Seattle.“ (Scheuer 2023)

Kurz zuvor hatte Google ein eigenes KI-Programm angekündigt: „Google will im Kampf um die KI-Vormacht keine Zeit verstreichen lassen und kündigt mit dem eigenen Tool ‚Bard‘ einen Konkurrenten zum KI-Überflieger ChatGPT an. Konzernchef Sundar Pichai teilt mit, dass die Software unmittelbar für eine Gruppe ‚vertrauenswürdiger Tester‘ verfügbar sein soll, in einigen Wochen auch für eine breitere Öffentlichkeit. ‚Bard‘ basiert auf Googles Sprachmodell Lamda. Um Rechenleistung zu sparen und von mehr Menschen Feedback zu bekommen, komme zunächst eine leichte Modellversion von Lamda zum Einsatz. Pichai nennt ‚Bard‘ einen ‚experimentellen KI-Dienst für Konversationen‘ und schwärmt von einem ‚Ventil für Kreativität und einer Startrampe für Neugier‘“. (Czieslik 2023)

Bei einer Vorführung erwies sich Googles KI allerdings als weniger zuverlässig: „Demnach wird Bard in dem Werbevideo gefragt, welche neuen Entdeckungen des James-Webb-Weltraumteleskops (JWST) man einem neunjährigen Kind erzählen könne. Bard gibt eine Reihe von Antworten. Eine davon ist, dass mit dem JWST die ersten Bilder eines Planeten außerhalb des Sonnensystems aufgenommen worden seien – was jedoch nicht korrekt ist: Das europäische Very Large Telescope, nicht das JWST, nahm 2004 das erste optische Foto eines Exoplaneten auf. – Google habe eingeräumt, es sei ein rigoroser Testprozess erforderlich, um sicherzustellen, dass die Antworten von Bard die hohen Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Realitätsnähe erfüllten, berichtete Reuters.“ (Donath2023)

Dass Google als Suchmaschine allerdings verdrängt wird, ist angesichts seiner Vorherrschaft im Markt sehr unwahrscheinlich, der Vorsprung ist kaum aufzuholen:

Grafik: Zandt 2023


 

Nicht ganz geklärt: Greift das Urheberrecht?

Weil sich die KI auf bereits von Künstlern produzierte Bilder bezieht und daraus ein neues Bild komponiert, stellt sich die Frage nach der Relevanz des Urheberrechts: Kann jetzt jeder aus der KI produzierte Bilder beispielsweise als Titelbilder von Zeitschriften verwenden? Die rechtlichen Probleme fangen schon mit der Frage an, welches Urheberrecht gilt: „Auch beim Thema KI stellt sich zunächst einmal die wichtige Frage, welches nationale Urheberrecht eigentlich gilt. Überwiegend wird hier das sogenannte Schutzlandprinzip angewendet, nachdem in der Regel das Recht des Landes gilt, in dem der jeweilige Inhalt (z. B. ein Text) das erste Mal veröffentlicht worden ist. Vereinfacht gesagt, gilt also für Inhalte aus Deutschland deutsches Urheberrecht bzw. für Inhalte aus den USA amerikanisches Urheberrecht. Diese Unterscheidung könnte also bereits beim Data Mining von erheblicher Bedeutung sein.“ (Tißler 2023)

Grundsätzlich ist das Verwenden von Material bei der Erstellung eines eigenen künstlerischen Werkes unproblematisch: „Nach § 44b UrhG sind Vervielfältigungen von rechtmäßig zugänglichen Werken (z. B. aus dem Internet) für Text und Data Mining auch ohne Einwilligung des jeweiligen Urhebers unter besonderen Voraussetzungen zulässig. Nach der gesetzlichen Definition ist Text und Data Mining jede automatisierte Analyse von einzelnen oder mehreren digitalen oder digitalisierten Werken, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen. Der eigentliche Analyseprozess im Rahmen eines solchen Data Mining ist daher regelmäßig keine urheberrechtlich relevante Handlung, da die Information für sich genommen kein urheberrechtlicher Schutzgegenstand ist. – Entsprechendes Trainingsmaterial darf also erhoben werden, es sei denn, dass der jeweilige Rechteinhaber seinen Vorbehalt gegen ein solches Data Mining in maschinenlesbarer Form erklärt hat. Rechteinhaber, die ein Mining ‚ihrer‘ Daten verhindern wollen, sollten also einen entsprechenden Vorbehalt auf den eigenen Internetpräsenzen erklären.“ (Ebd.)
 

Probleme: Datensammlung und deren Interpretation

Markus Beckedahl weist auf die Interpretationsvarianz der KI hin: „Natürlich birgt ChatGPT – wie alle anderen Technologien – etliche Risiken. So fantasiert die KI mitunter vermeintliche Fakten herbei. Das tun allerdings auch zahlreiche Menschen im Netz. Man denke etwa an die vielen Verschwörungsgläubigen, die so etwas ohne Hilfe von Technologie prima hinbekommen. Und meistens sind sie dabei sogar noch kreativer als jede aktuelle KI.“ (Beckedahl 2023) Sein Fazit: „Die Technik, die ChatGPT ermöglicht, ist gekommen, um zu bleiben. Und die mächtigen Werkzeuge werden noch besser werden. Und in den falschen Händen können sie erheblichen Schaden anrichten. Auch deshalb müssen wir lernen, mit dieser neuen Technologie umzugehen – indem wir uns alle weiterbilden.“ (Ebd.)
 

Quellen:

Beckedahl, M.: Irgendwas mit Internet. Bildung, wir haben ein Problem. In: Netzpolitik.org, 26.01.2023. Abrufbar unter: netzpolitik.org

Czieslik, B.: Google stellt ChatGPT-Konkurrenten “Bard” vor. In: Turi2, 06.02.2023. Abrufbar unter: www.turi2.de

Deutschlandfunk Kultur: KI-Software ChatGPT knackt Rekord beim Benutzerwachstum. In: Deutschlandfunk Kultur, 02.02.2003. Abrufbar unter: www.deutschlandfunkkultur.de

Donath, A.: Börsenkurs fällt. Googles Chatbot Bard patzt in der ersten Präsentation. In: golem, 09.02.2023. Abrufbar unter: www.golem.de

Foster, T.: Google Music LM – die AI kreiert Musik aus Text. In: Thomas Foster Musikproduktion, 03.02.2023. Abrufbar unter: www.youtube.com

Kirchner, J.H., Scott, L. A.,  Leike, A. J.: New AI classifier for indicating AI-written text. We’re launching a classifier trained to distinguish between AI-written and human-written text. In: OpenAI, 31.01.2023. Abrufbar unter: openai.com

Linde, H.: KÜNSTLICHE INTELLIGENZ. So funktioniert ChatGPT. In: golem.de, 06.02.2023. Abrufbar unter: www.golem.de

Linden, M.: OPENAI. Microsoft investiert in Chat-GPT-Unternehmen. In: golem.de, 23.01.2023. Abrufbar unter: www.golem.de

Rameil, L.: AI Classifier: Wie Sie Texte von Chat GPT erkennen können. In: Südkurier, 01.02.2023. Abrufbar unter: www.suedkurier.de

Scheuer, S.: Microsoft Bing. Suchmaschine will mit KI ChatGPT gegen Google konkurrieren. In: Handelsblatt, 14.02.2023. Abrufbar unter: www.handelsblatt.com

Schieb, J.: Bilder malen mit künstlicher Intelligenz. In: WDR, Aktuelle Stunde, 02.09.2022. Abrufbar unter: www.ardmediathek.de

Tißler, J.: Sind KI-Bildgeneratoren hierzulande überhaupt legal? Gespräch mit Rechtsanwalt Dr. Carsten Ulbricht. In: Upload, 05.02.2023. Abrufbar unter: upload-magazin.de

Wilhelm, K.: Musik von KI. In: WDR 5 Quarks – Wissenschaft und mehr, 03.02.2023, ab 00:36:01. Abrufbar unter: www1.wdr.de

Zandt, F.: Google-Suche ohne Konkurrenz. In: Statista, 09.02.2023. Abrufbar unter: de.statista.com