„Für die Demokratie nicht gut“

Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.

Große Sender wie der WDR oder das ZDF werden gern mit Behörden verglichen. Das hatte lange Zeit nicht zuletzt mit dem quasi unkündbaren Status der Angestellten zu tun, bezog sich aber auch auf die vermeintliche Unangreifbarkeit des öffentlich-rechtlichen Systems: Selbst regelmäßige Skandale änderten nichts daran, dass die Anstalten weitermachen konnten wie bisher. Reformvorschläge, die mehr als bloß Reförmchen waren, versandeten regelmäßig. Das soll sich nun ändern: Die Medienpolitik will im Rahmen einer Reform diverse Radio- und TV-Programme streichen. Die heiligen Kühe der ARD, die dritten Programme, bleiben davon jedoch unberührt.

Online seit 08.11.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/fuer-die-demokratie-nicht-gut-beitrag-772/

 

 

Konservative Kräfte sprachen bereits vor Jahrzehnten von „Rotfunk“, die FDP als Partei der Liberalisierung aller Märkte hatte schon immer ein zwiespältiges Verhältnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und die in weiten Teilen rechtsextreme AfD betrachtet ARD und ZDF ohnehin als natürliche Feinde. Auf diese Weise ist eine Allianz entstanden, die mit Macht an den Grundfesten des Systems rüttelt.

Eine der wichtigsten Säulen dieses Systems sind die vor elf Jahren in „Rundfunk-“ oder „Haushaltsbeitrag“ umbenannten Gebühren. Es handelt sich ausdrücklich nicht um Steuern, um die politische Unabhängigkeit von ARD, ZDF und Deutschlandradio zu gewährleisten: Laut Bundesverfassungsgericht sind die öffentlich-rechtlichen Sender essenziell für die Demokratie, weshalb die gesamte Gesellschaft von ihnen profitiere; doch das ist natürlich kein Argument für jene, die die Demokratie abschaffen wollen. Zwar müssen Beitragsänderungen von den Länderparlamenten abgesegnet werden, aber die Höhe der Abgabe wird von der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) berechnet. Ende 2020 hatte Sachsen-Anhalt eine Erhöhung von 17,50 Euro auf 18,36 Euro pro Monat abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht wertete dies im Sommer 2021 als Verletzung der Rundfunkfreiheit. 
 


Nun steht die nächste Runde an: Ab 2025 soll der Beitrag um weitere 58 Cent steigen. Da selbst eine Erhöhung nicht ausreichen würde, um die gestiegenen Kosten zum Beispiel für Personal und Energie auszugleichen, müssen die Sender in jedem Fall sparen, was sie in der Tat schon längst tun. Das allein genügt nach Ansicht der Medienpolitik jedoch nicht. Bei ihrer Konferenz im Oktober haben die führenden Köpfe der Bundesländer daher entschieden, die Anzahl der Programme zu reduzieren. Davon sollen auch 3sat und Arte betroffen sein. Das könnte schwierig werden: Beide Sender werden gemeinsam mit ausländischen Partnern betrieben, sind durch den geltenden Medienstaatsvertrag beauftragt und machen mit ihrem Programmangebot – Sendungen zu Kultur und Bildung, ergänzt um anspruchsvolle Spiel- und Dokumentarfilme – den Kern des öffentlich-rechtlichen Auftrags aus. Seit die Pläne bekannt geworden sind, gibt es erhebliche Proteste durch prominente Kulturschaffende.
 

„Aus zwei mach eins“

Vom Tisch ist seit der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immerhin die Idee, den Kinderkanal sowie das nur online verbreitete Angebot funk für junge Erwachsene zusammenzulegen. Weitere Vorschläge betreffen die vier Infosender Tagesschau24, Phoenix, ARD alpha und ZDFinfo, die zu zwei Programmen verschmelzen sollen. „Aus zwei mach eins“ wird es wohl auch für den in der Tat verzichtbaren ARD-Wiederholungskanal One und den erfolgreichen ZDF-Ableger ZDFNeo heißen, der regelmäßig mit erfrischenden Serien erfreut. Nicht geklärt wurde hingegen die Frage des Rundfunkbeitrags; das soll im Dezember nachgeholt werden. Einige unionsregierte Länder hatten schon vorher erklärt, dass sie einer Erhöhung nicht zustimmen würden.

Ein sogenannter Referentenentwurf der Rundfunkkommission der Länder sieht außerdem eine deutlich engere Zusammenarbeit von ARD, ZDF und Deutschlandradio in den administrativen und technischen Bereichen vor. Diese Kooperation würde jedoch nach Ansicht von Fachleuten nicht zu wesentlichen Einsparungen führen. Von den sieben heiligen Kühen der ARD, den dritten Programmen, ist in dem Entwurf ohnehin keine Rede. Joachim von Gottberg, bis 2018 Geschäftsführer der von den Privatsendern gegründeten und finanzierten Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), hätte eine Idee, die er im Rahmen der Recherche für diesen Artikel skizziert: ein gemeinsames drittes Programm, in dem sich zu bestimmten Uhrzeiten regionale Fenster öffnen würden. Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger unterstützt die Idee: „Die ‚Dritten’ bestehen ohnehin zu großen Teilen aus Wiederholungen von Shows, Filmen und Serien aus dem ‚Ersten’, also kann man sie auch gleich zusammenschalten“, sagte er während eines Interviews für diesen Artikel. Ergänzend kann er sich ein regionales „virtuelles drittes Programm“ im Rahmen der ARD-Mediathek vorstellen. Mediatheken werden zwar gerade vom älteren Teil des Publikums oft als zu kompliziert empfunden, aber Hallenberger sieht das digitale Angebot als „Mittelding zwischen linearem Fernsehen und klassischer Mediathek, also beschränkt auf Sendungen, die heute in den ‚Dritten’ laufen, und analog zu den vertrauten Programmschemata angeordnet.“ 
 


Es gibt allein zehn Jugendwellen, die sich bloß durch die Musikfarbe unterscheiden: hier mehr Techno, dort mehr Hip-Hop.“



Von außen wird seit Jahren immer wieder eine Fusion des Saarländischen Rundfunks mit dem SWR sowie von Radio Bremen mit dem NDR ins Spiel gebracht, aber das würde nach Ansicht von Gottberg auf erheblichen Widerstand in den betroffenen Ländern stoßen. Bei einer anderen Maßnahme haben die Bundesländer weniger Skrupel: Die Zahl der derzeit 70 Hörfunkwellen soll reduziert werden. Jede ARD-Anstalt dürfte demnach künftig nur noch vier Radioprogramme betreiben. Für Mehr-Länder-Sender wie NDR, MDR oder SWR könnte es jedoch ebenso Sonderregeln geben wie für Sender mit großem Sendegebiet. Würden die Länder diesen Spielraum ausnutzen, blieben immer noch 55 Wellen übrig. Hallenberger würde daher noch drastischer kürzen, gerade bei den Hörfunkangeboten mit weitgehend identischem Musikprofil, „zumal außer Musik in diesen Programmen tatsächlich nicht viel geboten wird. Muss wirklich jede ARD-Anstalt eine eigene Popwelle, ein Rentnerradio und einen Schlagersender mit jeweils sehr überschaubarem regionalem Anteil betreiben? Hier würde ein jeweiliges bundesweites Angebot völlig genügen. Es gibt allein zehn Jugendwellen, die sich bloß durch die Musikfarbe unterscheiden: hier mehr Techno, dort mehr Hip-Hop. Diese Zahl ließe sich leicht verkleinern, dann könnte man außerdem musikalische Schwerpunkte setzten.“ 
 

Finanzierung der Landesmedienanstalten

Eine weitere Reformidee, die allerdings nur selten offen zur Sprache kommt, betrifft die Finanzierung der Landesmedienanstalten. Sie sind für die Aufsicht der Privatsender zuständig und werden überwiegend aus den Mitteln des Rundfunkbeitrags finanziert. Derzeit sind das knapp 1,9 %. Das klingt überschaubar, aber 1,9 % von über neun Milliarden Euro entsprechen einer Summe, mit der sich 100 Fernsehfilme produzieren ließen. Auch hier sieht von Gottberg jedoch keine Bereitschaft der Länder, an der derzeitigen Konstellation etwas zu ändern, obwohl sich die Rahmenbedingungen seit Gründung der Landesmedienanstalten in den 80er-Jahren grundlegend verändert haben: „Ihre Ursprungsfunktion lag darin zu überprüfen, ob private Anbieter, die sich um Frequenzen bewarben, die Voraussetzungen des Rundfunkstaatsvertrags erfüllen. Weil die Zahl der Anträge auf Sendelizenzen sehr viel höher war als die verfügbaren Frequenzen, brauchte man dafür ein transparentes, pluralistisches Verfahren.“ Außerdem sollen die Medienanstalten überwachen, dass gesetzliche Bestimmungen wie etwa der Jugendschutz oder die Vorschriften zum Einsatz von Werbung eingehalten werden. Später, erklärt von Gottberg, bis 2020 Professor für Medienwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, seien andere Aufgaben hinzugekommen, etwa die Vermittlung von Medienkompetenz. Vor vier Jahren sei das Spektrum auf die Regulierung unter anderem journalistisch-redaktioneller Onlinemedien, Plattformen und Benutzeroberflächen ausgeweitet wurden. Es sei jedoch fraglich, „ob das Aufgaben sind, die unbedingt aus der Rundfunkgebühr bezahlt werden müssen. Medienpädagogik zum Beispiel gehört eigentlich in die Zuständigkeit der Bildungseinrichtungen der Länder.“
 


Auch andere Maßnahmen können laut von Gottberg frühestens in einigen Jahren wirksam werden: „Es gibt gültige Arbeitsverträge, bei deren Kündigungen wahrscheinlich erhebliche Abfindungen gezahlt werden müssten, auch Lizenzverträge und Sportrechte können nicht von heute auf morgen gekündigt werden.“ Bei den vorgeschlagenen Programmfusionen vermisst er eine Berechnung, wie viel Geld bis zu welchem Zeitpunkt tatsächlich eingespart werden könne. Alles in allem, resümiert der heutige Chefredakteur der medienwissenschaftlichen Zeitschrift „JMS-Report“, sei ein kurzfristiges Einsparen an relevanten Mitteln kaum möglich: „Man kann die Sache nur mittel- bis langfristig angehen.“ Den Vorschlag von CSU-Chef Markus Söder, Rundfunkorchester zu streichen, lehnt er ab: „So viel Kultur sollten wir uns leisten.“ 
 

Was ist mit Sport?

Aber auch so viel Sport und so viel Unterhaltung? Die Ausgaben für die Sportberichterstattung betrugen allein im ZDF laut KEF in den Jahren 2019 bis 2022 über eine Milliarde Euro. Trotzdem warnt Hallenberger davor, bei diesen Programmbereichen zu kürzen: „Damit wird die Akzeptanz des Systems noch stärker gefährdet.“ Ein weitaus größerer Teil des Publikums als ohnehin schon würde sich mit Recht fragen: „Warum zahle ich denn überhaupt Gebühren?“ Sein Gegenvorschlag: „Nicht bei den Inhalten, sondern bei den Strukturen sparen, etwa in Bereichen wie Bürokratie und Verwaltung. Und natürlich ist die Frage berechtigt, ob der WDR-Intendant wirklich ein höheres Gehalt bekommen muss als der Bundeskanzler.“ Hier den Rotstift anzusetzen, hält der Medienwissenschaftler für sinnvoller, „als die ohnehin schon äußerst knapp bemessenen Drehtage für Filme und Serien oder die Honorare der ohnehin schlecht bezahlten freien Mitarbeiter noch weiter einzuschränken.“
 


Nicht bei den Inhalten, sondern bei den Strukturen sparen, etwa in Bereichen wie Bürokratie und Verwaltung. Und natürlich ist die Frage berechtigt, ob der WDR-Intendant wirklich ein höheres Gehalt bekommen muss als der Bundeskanzler.“



Ein wichtiger Aspekt des Referentenentwurfs gilt der grundsätzlichen Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Hier schwebt den Ländern ein „Rationalisierungsmodell“ vor. Vereinfacht gesagt würde die KEF den von den Sendern angemeldeten Bedarf in Zukunft am Verbraucherpreisindex messen, abzüglich eines „Rationalisierungsabschlags“, damit das Sparen nicht vergessen wird. Bliebe der Bedarf unter der entsprechenden Summe, bräuchten die Landesparlamente nicht mehr abstimmen; es sei denn, einer der betroffenen Sender oder mindestens sechs Länder erhöben Einspruch, dann ginge alles seinen gewohnten Gang. Dies würde auch für den Fall gelten, dass der von der KEF ermittelte Betrag über dem Verbraucherpreisindex liegt. Dieses Modell ist jedoch umstritten, weil die Befugniseinschränkung der Parlamente als problematisch empfunden wird.

Hallenberger ist ohnehin der Ansicht, dass die Diskussion um die Rundfunkabgabe seit einiger Zeit bedenkliche Züge annehme: „Die Gebühren haben mittlerweile einen ähnlichen Status wie früher der Brotpreis. Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob ein Haushalt 58 Cent mehr pro Monat zahlen soll. Im Hintergrund gibt es eine merkwürdige politisch-ökonomische Gemengelage mit schwer zu identifizierenden Akteuren, deren Interessen nicht immer klar auszumachen sind, abgesehen natürlich von der AfD, die das gesamte öffentlich-rechtliche System abschaffen will. Welche Folgen das haben kann, verdeutlicht ein Blick in die USA, wo der Public Broadcasting Service (PBS) in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch keine Rolle spielt. In Großbritannien steht die BBC, einst Vorbild für den nach dem Zweiten Weltkrieg ausdrücklich als Mittel zur Demokratieförderung entwickelten deutschen Rundfunk, ebenfalls seit Jahren unter Dauerbeschuss. Für die Demokratie sind solche Entwicklungen nicht gut.“
 

Quellen:

Die Zitate stammen aus telefonischen Interviews oder schriftlichen Statements.