Hitlers Interviews

Der Diktator und die Journalisten

Lutz Hachmeister

Köln 2024: Kiepenheuer und Witsch
Rezensent/-in: Tilmann P. Gangloff

Buchbesprechung

Online seit 02.12.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/hitlers-interviews-beitrag-1123/

 

 

Hitlers Interviews

Diktatoren und Autokraten unserer Tage werden gern mit Adolf Hitler verglichen, was zwar legitim, aber nicht zielführend ist. Lohnend ist allerdings ein Vergleich der Methoden, weshalb Lutz Hachmeisters Buch stellenweise verblüffend aktuell wirkt. „Zum einen enthält es allerlei skurrile Anekdoten rund um Hitler, der auch als „völkische[r] Rabulistiker“ berüchtigt war, also als jemand, der enorm spitzfindig und rechthaberisch argumentiert. Die Ausführungen des im Sommer verstorbenen Medienforschers sind aber vor allem wegen ihres Bezugs zur Gegenwart interessant. Die Medienstrategien Trumps und Hitlers zum Beispiel wiesen, wie Hachmeister den Schriftsteller T. C. Boyle zitiert, „unheimliche Parallelen“ auf: Auch Donald Trump manipuliere die Menschen so stark mit Fake News, Propaganda und Hass auf Minderheiten, „dass sie am Ende gar gegen ihre eigenen Interessen wählen“ (S. 36).

Wie alle Männer seines Schlags hatte der „Führer“ ein äußerst zwiespältiges Verhältnis zum Journalismus. Natürlich war sich Hitler der Bedeutung der Presse bewusst, aber Interviews gab er kaum, zumal er die meisten Tageszeitungen als „Judenblätter“ betrachtete. Lieber verfasste er eigenhändige Beiträge für das NSDAP-Parteiorgan „Völkischer Beobachter“. Gegenüber ausländischen Publikationen war er aus Gründen des Politmarketings zugänglicher. Hachmeister hat über hundert Exklusivinterviews gezählt, die meisten für Zeitungen und Zeitschriften aus Großbritannien und den USA. Die größtenteils männlichen Interviewer beschreiben die jeweilige Gesprächsatmosphäre jedoch übereinstimmend als feindselig. Wenn man es wagte, sich kritisch zu äußern, konnte Hitler, der sich bis 1933 sogar für seine Antworten bezahlen ließ, offenbar auch mal aus der Haut fahren. Die Fragen hatten ohnehin vorab vorzuliegen.

Quasi nebenbei analysiert Hachmeister die von Joseph Goebbels geradezu perfekt genutzte Medienlandschaft jener Jahre. Ein Zitat von Gustave Le Bon, Begründer der Massenpsychologie, liest sich wie ein Kommentar zu den sogenannten sozialen Medien: „Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern“ (S. 17). Im ausführlichen Epilog veranschaulicht Hachmeister anhand mehrerer Beispiele, mit welchen Tricks zum Beispiel Wladimir Putin arbeitet, um seine Gesprächspartner zu verunsichern, aber auch, wie sich andererseits Narzissten aus der Reserve locken und vorführen lassen; vorausgesetzt, der Wortwechsel ist perfekt vorbereitet. Trotzdem rät Hachmeister davon ab: Interviews mit Diktatoren und Autokraten „ergeben sehr wenig Sinn“ (S. 39).

Tilmann P. Gangloff