„Ich renne eher hin, wenn ich einen Nazi sehe.“
Warum suchen Sie das Gespräch mit Rassist*innen?
Wir brauchen in der Gesellschaft den Dialog zwischen Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind und den jeweils anderen dafür nicht abwerten. Der andere wichtige Hauptgrund ist, dass ich mal eine Morddrohung von einer Neonaziband bekommen habe. Die Band hieß „White Aryan Rebels“, „weiße arische Rebellen“, und die haben in einem Lied gesungen: „Die Kugel ist für Dich, Mo Asumang“. Da muss man natürlich wachsam sein.
Wollten Sie damit Ihrer eigenen Angst entgegentreten?
Ja, einerseits wollte ich die Angst begreifen, aber andererseits wollte ich mich auch nicht total in dieser Angst verlieren. Man erkennt sich selbst nicht wieder, die Lebensfreude und die mentale Gesundheit gingen mir abhanden. Ich habe viel Zeit aufgewendet, mich im Negativen mit Rassismus auseinanderzusetzen, als ich in der Angstschleife war. Das hat sehr viel Energie geraubt für wirklich wichtige Dinge – z. B. sich mit der Schule auseinanderzusetzen, Hausaufgaben zu machen, zusammen ins Schwimmbad zu gehen. Selbst wenn ich dann im Schwimmbad war, habe ich darüber nachgedacht, ob der Typ, der neben mir sitzt, vielleicht ein Rassist ist.
Sie haben dann einen anderen Weg gefunden: Sie gehen ins Gespräch mit Rassist*innen.
Dadurch, dass ich einen Schritt gegangen bin, der für viele Leute mutig ist – mich mit Neonazis oder auch mit Anhängern des Ku-Klux-Klans in Amerika persönlich zu treffen –, hat sich etwas geändert. Ich musste es wagen, in diese fremde und gefährliche Welt einzutauchen. Das Dumme war nur: Ich hatte nicht wirklich ein Gesprächsvorbild. So etwas konnte man damals nicht googeln, wie man mit Rassisten und Nazis redet.
Worauf kommt es an, wie redet man mit Rassist*innen?
Man fängt tatsächlich nicht mit Reden an, sondern muss sich erst einmal bewusst werden, was das Thema mit einem gemacht hat. Wir haben bei mo:lab einen Workshop entwickelt, der „Dialogbotschafter*in“ heißt. Darin ist angelegt, dass man zunächst einmal seine eigene Held*innenreise gedanklich durchläuft. Wo ist einem das Thema „Diskriminierung“ überall begegnet? Wo hat man es ausgespart? Und wo kommt man einfach nicht mehr weiter? Dieses Sichbewusstmachen ist sehr wichtig. Ergänzend dazu schauen wir dann auch Videos an, in denen ich mich mit Rassisten konfrontiere, und es wird hinterfragt, was das mit einem macht, wenn sie sehen, wie ich angepöbelt werde. Da fallen dann z. B. Sätze wie: „Ich nehme dich mal mit in den Zoo, dann siehst du, wo du herkommst.“
Es ist für manch einen hilfreich zu entdecken, dass man diese Leute einfach nicht mag und daher, genau wie sie, eine Mauer aufbaut. Deshalb muss man sich andere Schritte hin zum Dialog überlegen und üben, sich in diese schreckliche Gesprächssituation hineinzubegeben. Die Idee ist, dass jeder sagen darf, was einen triggert, und das Gegenüber versucht, diesen Trigger vorsichtig, mit Zustimmung, zu bedienen. Ansonsten lernt man nicht wirklich dazu, wenn man das Übungsbeispiel zu harmlos macht. Das geht dann ganz schön ans Eingemachte. Aber es funktioniert. Solche Übungen haben auch Schüler*innen schon gemacht. Die sind total begeistert und danach engagiert für den Dialog.
Ändern die sogenannten Andersdenkenden auch ab und zu ihre Meinung?
Na klar. Man gibt ihnen auf jeden Fall etwas mit. Mein Kollege Frank Labitzke hat einmal anderthalb Stunden mit einer Person gesprochen, die dann gesagt hat, dass ihr noch nie jemand zugehört hätte, ohne sie abzuwerten. Das ist das, was ich in meinen Filmen immer mache. Ich höre zu, ohne abzuwerten. Und ich lade die Leute in die Reflexion ein. Wir gehen da zusammen rein, und ich nehme sie vor allen Dingen sehr ernst mit dem, was sie sagen. Als einer zu mir sagte: „Dein Vater ist ein Genentführer“, sagte ich nicht: „Stopp, hören Sie mal auf!“ Das wäre der normale Reflex. Dann fragte ich nach und tauchte in den Wahnsinn ein!
Das heißt, ich bin in der Lage, das böse Wort oder den bösen Satz auch in den Mund zu nehmen und dann noch einmal nachzufragen. Und das ist natürlich das Gegenüber nicht so gewohnt. Das bleibt schon hängen. Es gibt einen jungen Mann im Film Die Arier, mit dem ich mittlerweile befreundet bin. Er war ein Neonazi und ist mittlerweile aus der Szene ausgestiegen. Er sagte, ich habe ihm den Impuls zur Veränderung gegeben.
So etwas ist natürlich ein Riesenerfolg, aber die meisten Gespräche laufen ja wahrscheinlich eher so, dass das Gegenüber dann doch an seiner Meinung festhält, oder?
Das stimmt nicht. So, wie wir versuchen, den Dialog aufzubauen, ist es ja kein Disput oder eine Debatte, in der jeder versucht, die bessere Meinung zu haben. Wir versuchen erst einmal, selbst eine andere Haltung in uns zu entwickeln, und aus dieser anderen Haltung heraus gehen wir mit Neugierde auf einen anderen Menschen zu. Daraus entstehen Fragen, die sich immer auf das Gesagte des Gegenübers beziehen, z. B.: „Was meinst Du damit, wenn Du sagst, die sollen im Meer ertrinken? Kannst Du mir das erklären? Wie sieht das genau aus?“ Es geht dabei darum, in die Realität einzutauchen. Die meisten bedienen nur Floskeln, die sie einfach abspulen. Oft ist nix dahinter. Durch unsere Fragen werden sie gezwungen, sich Gedanken zu machen, und merken dann selbst, dass es Quatsch ist oder gefühllos, was sie erzählen.
Aber wenn es nicht klappt und Leute doch sehr stark an ihren rassistischen Überzeugungen festhalten, was denken Sie, woran liegt das?
Das sind meistens die Leute, die an der Spitze sind, die selbst Hass- oder Rassismusverkäufer sind. Das ist mir dann ganz klar, dass ich die da nicht rausholen kann. Die kann ich dann vielleicht zum Nachdenken bringen. Da bräuchten wir tatsächlich auch noch einmal ein Konzept, wie man Menschen, Politiker*innen, beim Ausstieg aus der AfD hilft. Sie wissen ja genau, wenn sie aussteigen würden, wären sie fertig, hätten keinen Job, keine Zukunft. Im Ernst, wer würde in diesem Wissen die AfD verlassen?
Werden Rassismus und Diskriminierung immer virulenter in Deutschland? Die Wahlergebnisse legen das nahe. Auch die sozialen Medien haben extreme Haltungen sehr verstärkt.
Ich finde, dass die Leute sich einfach immer mehr trauen, nicht nur im Netz, sondern auch vor Ort zu pöbeln. Ganz viele Menschen berichten mir davon. Ich selbst erlebe das nicht so, weil ich meinen Dialogmuskel über die Zeit viel mehr gestärkt habe anstatt den Wutmuskel. Ich renne eher hin, wenn ich einen Nazi sehe, als dass ich weglaufe. Aber ich erlebe es im Umfeld. Auch wenn ich in Schulen gehe oder mit dem mo:lab unterwegs bin. Ganz viele, vor allem auch junge Menschen, beziehen sich auf irgendwelche blöden Sprüche, die sie mal auf TikTok gehört haben, und lassen die einfach unreflektiert raus. Diese Menschen haben das Gefühl, dass sie viele sind.
Wichtig ist, dass darüber gesprochen wird, vor allem im Positiven. Also nicht nur erzählen, dass die Demokratie kaputtgeht, sondern wie wir sie stärken können. Immer wieder in den Dialog mit Menschen in unserem Umfeld gehen. Ich bin überzeugt, dass man durch sein eigenes Wirken und seine eigene Haltung ein Umdenken bewirken kann. Wir müssen versuchen, es vorzuleben.
Rechtsextreme Meinungen werden lauter geäußert, aber andererseits gibt es auch mehr kritische Stimmen, z. B. wird viel mehr als früher über strukturellen Rassismus gesprochen. Sind Alltagsrassismus und rechtsextreme Positionen zwei verschiedene Dinge – oder ist das ein Kontinuum?
Das eine gehört zum anderen dazu. Was ist eigentlich struktureller Rassismus? Fängt er schon da an, wenn man in der Schule keine einzige Lehrerin mit einer dunklen Hautfarbe hat? Wenn das struktureller Rassismus ist, dann ergibt sich daraus natürlich wahnsinnig viel. Ich sage immer: Schule ist das erste Parlament, das wir als junge Menschen kennenlernen. Ganz oben die Rektorin oder der Direktor. Dann auf der Ministerebene die Lehrer*innen, und das Fußvolk sind die Schüler und Schülerinnen. Wenn auf der Ministerebene keine Vielfalt vorhanden ist, dann weiß man unterbewusst als Kind, dass das nicht sein soll. Menschen mit Migrationsgeschichte sind da nicht, also hat man sie dort nicht hingelassen. Diese fehlende Sichtbarkeit ist ein Problem.
Allerdings muss man es auf der anderen Seite auch nicht übertreiben. Wenn man permanent nur über das Thema spricht, dann sind manche Leute genervt. Ich bin immer der Meinung, dass man versöhnlich miteinander umgehen sollte – das finde ich das Schönste.
Welche Rolle spielen die Medien Ihrer Ansicht nach im Hinblick auf Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland? Was könnte da besser laufen?
Da könnte auf jeden Fall besser laufen, dass man mehr positive Aspekte zeigt. Wenn es z. B. darum geht, eine Nazidemo zu dokumentieren, dann muss man nicht von 10 Minuten 9 Minuten die Nazidemo zeigen, und dann vielleicht noch mal irgendwie eine kurze Moderation und aber nur 30 Sekunden die Antinazidemo mit all den engagierten Menschen. Es müssen eher die Leute gestärkt werden, die sich da mutig hintrauen und die etwas organisieren und ihre Kraft und Energie da hineinlegen. Die Mutigsten von denen sind meiner Meinung nach sowieso die, die in kleinen Ortschaften wohnen, wo man mit Nachbarn noch einmal anders klarkommen muss. Wenn der Nachbar ein Nazi ist, ist es umso mutiger, den Mund aufzumachen. Medien sollten viel mehr solche Menschen porträtieren, zeigen, was sie machen, wie sie sich fühlen, und sie stärken.
Anmerkung:
1 Zeit Online: Forscher sehen zunehmende Polarisierung in EU-Staaten. In: Zeit Online, 17.06.2021. Abrufbar unter: https://www.zeit.de
Mo Asumang (Foto: Gaby Gerster)
Christina Heinen (Foto: sh/fotografie)