Im Bann der Erinnerung

Die Darstellung älterer Menschen im Film

Werner C. Barg

Foto des Autors Werner C. Barg

Prof. Dr. Werner C. Barg ist Autor, Produzent und Dramaturg für Film und Fernsehen sowie Honorarprofessor im Bereich Medienwissenschaft der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF.

Der Altersbericht der Bundesregierung hat es gerade wieder bestätigt: Deutschland wird immer älter (vgl. Altersbericht 2025). Auch die Altersstruktur des Kinopublikums hat sich in den letzten Jahren gewandelt (vgl. FFA 2021). Da ist es nicht verwunderlich, dass es immer häufiger auch Filme zu sehen gibt, in denen Probleme älterer Menschen thematisiert werden. Der Beitrag geht diesem Trend nach, u. a. unter Betrachtung des aktuellen Regiedebüts von Désirée Nosbusch, Poison, das gerade im Kino gestartet ist.

Online seit 30.01.2025: https://mediendiskurs.online/beitrag/im-bann-der-erinnerung-beitrag-772/

 

 

Lange Zeit stand das Alter im Film, zuvorderst im US-Mainstreamkino, für Weisheit, Weitblick, Besonnenheit und Entscheidungsfähigkeit aus Erfahrung. Junge Alte – der WHO-Definition zufolge sind das Menschen im Alter zwischen 60 und 74 Jahren (vgl. 50plus.at) –, vornehmlich Männer, spielten Entscheider, Präsidenten oder die Leiter von Sondereinsatzkommandos, Agentenringen etc. Allein Morgan Freeman verkörperte im höheren Alter schon dreimal US-Präsidenten, Anthony Hopkins zweimal. Ebenso wie Robin Williams. In der James-Bond-Kinoreihe wurde Judi Dench mit 61 zu „M“, der Chefin des 007-Agenten. Bis zur Episode Skyfall im Jahr 2012 überließ sie den Middle-Agern zumeist die Action, war aber der kluge Kopf im Hintergrund. Dann übernahm Endfünfziger Ralph Fiennes die Rolle des Agentenchefs „M“.
 

Der grantelnde Alte

Der grantelnde Alte, einst idealtypisch von Spencer Tracy als Vater der Braut (USA 1950) verkörpert, fand seine Renaissance in den Altersrollen von Robert De Niro, etwa in Dirty Grandpa (USA 2016), in Immer Ärger mit Grandpa (USA 2020) oder in Und dann kam Dad (USA 2023). Gleichfalls legendär ist die Verkörperung solch eines Altentyps durch Jack Nicholson als neurotischer älterer Schriftsteller in Besser geht’s nicht (USA 1997).
 

Differenzierte Blicke auf die Lebensphase des Alters

Dass die Blicke des US-Kinos auf die Lebensphase des Alters nach der Jahrtausendwende differenzierter wurden, zeigt beispielhaft Alexander Paynes About Schmidt (USA 2002). Es ist wiederum Jack Nicholson, der in Paynes ruhig erzähltem Drama durch sein eindringliches, oft stummes Spiel den Charakter eines „jungen Alten“ entwarf, der nach dem Ende seines Arbeitslebens und dem plötzlichen Tod seiner Frau den Übergang ins Alter hinbekommen muss.
 

Trailer About Schmidt (Anspruchsvolle Filme, 11.12.2013)



Liebe – ein Schlüsselfilm

Dass die Lebensphase des Alters herausfordernd ist, zeigt gleichfalls sehr eindringlich Michael Hanekes Liebe (F/D/A 2012). Nicht distanziert und mit kaltem Blick das Figurenhandeln sezierend wie in all seinen anderen Filmen, sondern mit großer Empathie und Sensibilität schaut der österreichische Regisseur auf ein altes Ehepaar. Das wird grandios verkörpert von den betagten Schauspielern Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant. Ruhe, routinierte Abläufe im Ehealltag und das Erinnern an ihr langes gemeinsames Leben mit ihrer immerwährenden Liebe zueinander prägen den Alltag des wohlhabenden Pariser Paars Georges und Anne. Als sie einen Schlaganfall erleidet, kümmert er sich aufopfernd um sie. Doch Annes Zustand verschlechtert sich zusehends, sodass Georges schließlich eine lebensverändernde Entscheidung trifft. Hanekes Drama darf für die Darstellung des Alters in zweifacher Hinsicht als Schlüsselfilm gesehen werden. Liebe löste eine Kontroverse aus, weil Georges am Ende des Films seine sterbenskranke Frau offensichtlich aus tiefer Liebe erstickt, um sie zu erlösen. Der Film plädiert für das Recht alter Menschen auf einen selbstbestimmten Tod; ein Motiv, das – wie später zu zeigen sein wird – auch in anderen Altersfilmen eine Rolle spielt.
 


Filmisches Erzählmuster für die Darstellung alter Beziehungen

Zum anderen prägte Liebe ein spezifisches Bild alter Beziehungen, das erzählerisch durch die Darstellung immer wiederkehrender Alltagshandlungen, Gewohnheiten und Rituale gekennzeichnet ist, wodurch das Zusammenleben der Alten als scheinbar vorhersehbar und überschaubar dargestellt wird. Hieraus, so zeigt es Haneke, erwächst dem alten Paar in seiner Erzählung Sicherheit und Ruhe für ihr Leben, das von der Rückschau dominiert wird. Die Erinnerungen an das gemeinsame Leben speisen die große emotionale Nähe und Zuneigung der Protagonisten.

Diesem Grundmuster des Erzählens, das in realistischer Weise das Leben älterer Menschen abzubilden versucht, wird im Folgenden weiter nachgegangen, denn es findet sich ähnlich oder in Varianten auch in anderen Filmen, in denen die Liebes- bzw. Ehebeziehungen älterer Menschen im Mittelpunkt stehen.
 

45 Years

In Andrew Haighs Ehedrama 45 Years (GB 2015) spielen Charlotte Rampling und Tom Courtenay das ältere Paar Kate und Geoff. Es hat sich nach dem Beginn des Ruhestands in sein Cottage auf dem Lande zurückgezogen. Wie in Hanekes Film bestimmen auch hier routinierte Abläufe das Leben. Erinnerungen spielen im Leben des Paares ebenfalls eine große Rolle, ja Kate bekennt sogar in einer Szene des Films: „Erinnerungen sind das, was zählt.“

So wie in Liebe die Erkrankung der Protagonistin den ruhigen Fluss des Ehealltags (zer‑)stört, so ist es in Haighs Film ein an Geoff adressierter Brief aus der Schweiz, den das Paar wenige Tage vor der großen Feier zu ihrem 45. Hochzeitstag erreicht. In deutscher Sprache wird Geoff mitgeteilt, dass die Leiche der Frau, mit der er 1962 zusammen war aufgrund der klimabedingten Eisschmelze in einer Gletscherspalte hoch oben in den Bergen gefunden wurde. Obwohl Kate insistiert, rückt Geoff nur zaghaft mit der Sprache heraus, was damals geschehen ist und welche Bedeutung die Frau namens Katja für ihn hatte. Als Kate bemerkt, dass sich Geoff nachts heimlich auf den Dachboden schleicht, beginnt sie in seiner Abwesenheit dort selbst in alten Unterlagen, Fotos nach der Vergangenheit zu suchen. Was sie findet, taucht die Erinnerungen an die 45 Ehejahre mit Geoff in ein trüberes Licht. Die Reaktionen von Kate in den Schlussszenen des Films, die die Feier zum 45. Hochzeitstag zeigen, lassen den Zuschauer in der Ungewissheit zurück, ob diese Ehe wohl noch lange halten wird.
 


Poison – Eine Liebesgeschichte

Die Ehe von Edith (Trine Dyrholm) und Lucas (Tim Roth) in Désirée Nosbuschs Regiedebüt ist definitiv schon lange passé. Lucas hat seine Frau im Stich gelassen. Vor zehn Jahren verließ er sie am Silvesterabend ohne jede Ankündigung. Nun trifft er Edith auf dem Friedhof wieder. Das Grab ihres gemeinsamen Kindes muss eventuell umgebettet werden, weil das Grundwasser in manchen Teilen des Friedhofs vergiftet ist. Erst will sie flüchten, als sie ihn bemerkt. Doch er hält sie auf. Nur mühsam entsteht ein Gespräch zwischen ihnen. Anziehung und Abstoßung zwischen den beiden wechseln sich ab, von Nosbusch mit Blicken und Gesten still und intensiv inszeniert, von Dyrholm und Roth mit präzisem psychologischem Spiel umgesetzt. Allmählich kristallisiert sich in den Gesprächen heraus, dass der Unfalltod ihres Kindes die Liebesbeziehung des Paares zum Bersten brachte. Während Edith noch immer im Trauma der schrecklichen Erinnerungen gefangen ist, weil Lucas ihr durch sein Fortgehen die Chance einer gemeinsamen Aufarbeitung nahm, hat der mit seiner alten Beziehung abgeschlossen und neu angefangen.

Zwei Lebensprinzipien prallen aufeinander: Weitermachen und die Trauer aufarbeiten oder alles hinter sich lassen und einen Neubeginn wagen. Die Frage, ob Edith und Lucas am Ende einen Weg finden, um ihre unterschiedlichen Lebensweisen zu verstehen und einander zu vergeben, prägt die zweite Hälfte von Nosbusch’ Verfilmung des Theaterstücks Gift der niederländischen Autorin Lot Vekemans.

Hierbei hat die Regisseurin die Mise en Scéne mit Bedacht gewählt: Die Tristesse der nüchternen unpersönlichen Einsegnungshalle unterstreicht zu Beginn des Films die spröde und von Sprachlosigkeit geprägte Wiederbegegnung des einstigen Liebespaars; das Ambiente der Kirchenkapelle rahmt später das mittlerweile in Gang gekommene Gespräch zwischen Edith und Lucas über Sinn- und Seinsfragen des Lebens an der Schwelle der beiden zum Übergang ins Alter. Visuelle Natursymbolik wie der prasselnde, auf den Scheiben schnell abfließende Regen beim versöhnlicheren Austausch in Lucas’ Auto oder das rasch fließende Wasser des Flusses, der neben der Straße verläuft, auf der die beiden ein weiteres Gespräch führen, unterstreichen den naturphilosophischen Leitsatz des panta rhei (alles fließt). Die Regisseurin deutet damit an, dass es den beiden Protagonisten durch die späte Aussprache nun vielleicht doch noch gelingen könnte, ihre alte Beziehung aus der Sackgasse zu führen und wieder – zumindest auf einer freundschaftlichen Ebene – in Fluss zu bringen.
 

Trailer Posion: Eine Liebesgeschichte (KinoCheck, 29.11.2024)



The Good Liar - Das alte Böse

Durch böse Erinnerungen ganz anderer Art sind die beiden Hauptfiguren in Bill Condons Thriller The Good Liar – Das alte Böse (USA 2019) miteinander verbunden. Über ein Datingportal macht sich der ältere Trickbetrüger Roy Courtnay (Ian McKellen) an die wohlhabende Witwe Betty McLeish (Helen Mirren) heran. Gegenüber der gebildeten Rentnerin spielt er den vollendeten Gentleman und gaukelt ihr seine Liebe vor. Doch in Wirklichkeit will er nur ihr Vermögen. Der Plan scheint aufzugehen. Schnell gewinnt er das Vertrauen der vermeintlich leichtgläubigen und naiven Ruheständlerin. Doch als Betty vorschlägt, im Rahmen einer Europareise mit Roy auch Berlin zu besuchen, wendet sich das Blatt. Kurz blitzen nun in Condons Thriller Elemente einer bislang verborgenen Plotline auf, die den Zuschauer erahnen lassen, dass auch Betty eine andere zu sein scheint, als sie vorgibt. Am Ende eines raffinierten Katz-und-Maus-Spiels zwischen den beiden Alten weist die überraschende Auflösung der Handlung auf Geschehnisse im Deutschland der 1940er-Jahre zurück und lässt Das alte Böse zu einer kompromisslosen Geschichte um Rache und Vergeltung werden.
 

Der Richter – Recht und Ehre

Im Bann schrecklicher Erinnerungen lebt gleichfalls die Titelfigur von David Dobkins Familiendrama Der Richter – Recht oder Ehre (USA 2014): Richter Joseph Palmer (Robert Duvall) hat es seinem Sohn Henry (Robert Downey Jr.) nie verziehen, dass er als Jugendlicher unter Drogeneinfluss einen schweren Verkehrsunfall verursachte, bei dem sein Bruder Glen (Vincent D’Onofrio) so schwer verletzt wurde, dass der seine erfolgversprechende Karriere als Baseballspieler aufgeben musste. Joseph belegte Henry seinerzeit mit einer schweren Jugendstrafe. Die Härte des Urteils beweist ihm, dass sein Vater ihn nicht versteht und ihn verstoßen möchte. Ihr Verhältnis zerbrach. Selbst später, nachdem Henry zu einem Staranwalt im fernen Chicago avanciert war, besuchte er seine Familie in Indiana nicht mehr. Erst der Tod der Mutter bringt ihn zurück. Da der eigensinnige Vater ihm weiterhin mit Ablehnung begegnet, will er schnell zurück. Doch dann wird gegen Joseph eine Mordanklage erhoben. Nur widerwillig akzeptiert der grantelnde Alte den eigenen Sohn als Verteidiger. Für Henry wird der Fall zu einer großen Herausforderung. Er wird begreifen müssen, dass die Motive für das Handeln seines Vaters viel mit seiner Tat als Jugendlicher zu tun haben. Und er wird mit der schweren Krebserkrankung seines Vaters und den Auswirkungen der Therapie auf dessen Leben konfrontiert.

In schonungslos offenen Bildern zeigt Regisseur Dobkin, wie Joseph orientierungslos durchs Schlafzimmer wankt, nicht weiß, wo er ist, fantasiert und seine Exkremente nicht mehr bei sich behalten kann. Er wird von Gedächtnislücken geplagt, kann aber nicht zugeben, die Kontrolle über sich und die Situation verloren zu haben. Nur widerwillig lässt sich der starrsinnige Vater von seinem Sohn helfen. Erst sehr viel später, kurz vor seinem Tod, ist Joseph bereit, sich mit dem Sohn zu versöhnen.
 


Die Kontrolle behalten

Die Angst, im höheren Alter die Kontrolle zu verlieren, treibt auch Jan (Johan Leysen) in dem niederländischen Film Pink Moon (NL 2022) in der Regie von Floor van der Meulen um. Gleich zu Beginn des Films verkündet er den Familienmitgliedern, dass er in wenigen Monaten, nach seinem 75. Geburtstag, seinem Leben selbst ein Ende setzen wird. Der Entschluss löst erst Schock, dann Entsetzen aus. Doch während Sohn Ivan (Eleco Smits) die Entscheidung des Vaters scheinbar schnell zu akzeptieren scheint, kämpft Tochter Iris (Julia Akkermans) verzweifelt darum, den Vater umzustimmen. Doch Jan bleibt „lebensmüde“. Schließlich akzeptiert sie, dass der Vater über seinen Tod die Kontrolle behalten möchte. Sie begleitet ihn auf seinem letzten Weg, während Ivan die Situation nicht erträgt und das Haus kurz vor dem Todesmoment des Vaters verlässt.

Wie vor ihm schon Hanekes Liebe wurde nun auch Pink Moon bei Kinostart kontrovers vom Publikum aufgenommen. Der Film lief 2022 in den niederländischen Kinos vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Debatte um die Frage, ob ältere Menschen mit Medikamenten ihrem Leben selbst ein Ende setzen dürfen. Regisseurin van der Meulen merkt in einem Interview an, dass für sie bemerkenswert sei, wie unterschiedlich verschiedene Generationen auf ihren Film reagierten. Während die älteren Zuschauer eher Verständnis für die Hauptfigur hatten, bezeichneten viele jüngere Zuschauer das Verhalten der Filmfigur als „verantwortungslos“ (vgl. Arte 2025).

Die Diskussion um Pink Moon zeigt beispielhaft, dass Filme über das Alter nicht zwangsläufig oder gar ausschließlich Menschen in dieser Lebensphase als Zielgruppe haben. Oft stehen – wie in Pink Moon oder auch in Der Richter – jüngere Protagonisten im Zentrum der Erzählung. Die Älteren oder Alten agieren als Nebenfiguren und schaffen die Anlässe für die Jüngeren, sich mit den Themen des Alters wie Erinnerungen, Krankheit, Sterben und Tod zu beschäftigen. Diese Konstellation kennzeichnet neben den zuvor beschriebenen Filmen, in denen der Alltag älterer Menschen, ihre Liebesbeziehungen, ihre Erinnerungen u. Ä. im Zentrum stehen, ein zweites zentrales Erzählmodell, mit dem in Filmen über das Alter Generationskonflikte thematisiert werden, aber auch der Dialog der Generationen evoziert werden soll.
 

Trailer Pink Moon (AFISilverTheatre, 14.11.2022)



Konflikt und Dialog der Generationen

Ein weiteres Beispiel für diese Art des Altersfilms ist die Netflix-Produktion Drei Töchter (USA 2023), in der drei Schwestern sich um den im Sterben liegenden Vater kümmern, hierbei Erinnerungen an das Leben mit ihm Revue passieren lassen und über den nahen Tod des Vaters nachdenken.

Dass die Begegnung zwischen Alt und Jung komische Seiten haben kann, zeigt u. a. Ralf Westhoffs Komödie Wir sind die Neuen (D 2014). Die jungen Alten Anne (Gisela Schneeberger), Eddi (Heiner Lauterbach) und Johannes (Michael Wittenborn) gründen eine Alters-WG. Schnell geraten sie im Haus in Konflikt mit einer WG von jungen Studierenden. Doch aus dem Generationskonflikt wird schließlich ein Dialog der Generationen und eine Annäherung durch gegenseitige Hilfe.

Ähnlich funktioniert die Dramaturgie der französischen Komödie Gemeinsam wohnt man besser (F 2016) von Regisseur François Desagnat. Hier spielt André Dusollier den wohlhabenden Ruheständler Hubert, der sich nach dem Tod seiner Frau verbittert in seiner großen Pariser Altbauwohnung verkrochen hat. Durch eine Verwechslung lernt er die junge Manuela (Bérengère Krief) kennen, die angesichts der großstädtischen Wohnungsnot dringend eine Bleibe sucht. Sie kann ihn überreden, ihr und schließlich noch zwei weiteren jüngeren Wohnungssuchenden ein Zimmer zu vermieten. Nach anfänglichen Konflikten nähern sich die Generationen einander an. Die quirlige Manuela, der Anwalt Paul (Arnaud Ducret) und die Krankenschwester Marion (Julia Piaton) bringen neue Lebensperspektiven in Huberts tristes Dasein. Und er wiederum kann mit seiner Lebenserfahrung den Mitbewohnern in manchen Situationen helfen. Doch schließlich wird es Hubert mit den immer turbulenter werdenden Lösungen der Konflikte, die die Jüngeren in sein geruhsames und wohlgeordnetes Leben hineintragen, einfach zu viel. Er schmeißt sie wieder raus, fühlt sich nun aber schnell einsam und von der Welt vergessen. Schließlich findet er eine Möglichkeit, mit seinen ehemaligen Mitbewohnern freundschaftlich verbunden zu bleiben, sodass sie ihr weiteres Leben eigenständig aufbauen und er sein bisheriges Leben ungestört genießen kann.
 

The Father

Einer der eindrücklichsten Filme zur Situation alter Menschen in der Auseinandersetzung mit ihrem sozialen Umfeld ist The Father (B/F 2020). Der französische Dramatiker und Regisseur Florian Zeller hat diese Verfilmung nach seinem eigenen Theaterstück auf Grundlage eines gemeinsam mit Christopher Hampton geschriebenen Drehbuchs gedreht. Anne (Olivia Colman) hat jahrelang ihren demenzkranken Vater Anthony (Anthony Hopkins) betreut. Aber jetzt geht sie der Liebe wegen nach Paris und Anthony muss in ein Pflegeheim ziehen.

Das Faszinierende an Zellers Erzählweise ist, dass The Father fast durchweg aus der Perspektive des demenzkranken Vaters erzählt wird, sodass die realistischen Elemente der Vater-Tochter-Geschichte in der Handlung nur dann immer wieder mal kurz durchblitzen, wenn Anthony sie erinnert. In seiner Wahrnehmung vermischen sich vielmehr vermeintlich reale Situationen mit seinen Fantasien, seinen Erinnerungen und seiner Angst, allein gelassen zu werden. Diese etwa lässt er in seiner Vorstellung u. a. durch Annes vermeintlichen Freund Paul (Rufus Sewell) aussprechen, den er als Bedrohung wahrnimmt. So wie er sich in einer anderen Szene in seiner Wohnung durch einen fremden Mann (Mark Gatiss) ebenfalls bedroht fühlt. Auch erkennt er in einer weiteren Szene seine Tochter Anne nicht mehr, sondern verwechselt sie mit seiner Pflegerin Catherine (Olivia Williams). Und der fremde Mann stellt sich am Ende des Films ebenfalls als Teil des Pflegepersonals in dem Altersheim heraus, in dem Anthony nun auf der Realebene des Films schon viele Monate lebt.

Durch das Verwirrspiel mit falschen Erinnerungen und den Verwechslungen der Personen gelingt es Regisseur Zeller, dem Zuschauer das grausame Drama der Demenzerkrankung für die Betroffenen, aber auch für deren Angehörige sehr nahezubringen. Zellers Film zeigt, wie groß die Belastung für Anne ist, mit dem verzweifelt um Kontrolle ringenden und dabei oft herrisch auftretenden Vater zurechtzukommen. Wenn Anthony aber am Ende des Films seine Situation im Pflegeheim klar wird, er daraufhin völlig zusammenbricht und von Pflegerin Catherine im Arm gehalten werden muss, wird dem Zuschauer durch das intensive Spiel von Anthony Hopkins die ganze Tragik dieser Krankheit deutlich. Zellers Film zeigt, dass sie sich ins Unermessliche steigert, wenn die Alten von den ihnen vertrauten Angehörigen getrennt sind oder gar allein gelassen werden.
 


Fazit

Anhand der Beispiele wurden zwei zentrale Erzählstrategien herausgearbeitet, die für die Darstellung der Lebensphase des Alters im Spielfilm bedeutsam sind: Zum einen lassen sich in Filmen, die die Situation alter und älterer Menschen realistisch darzustellen beabsichtigen, Elemente eines wiederkehrenden Erzählmusters auffinden, die entsprechend der Dramatisierung der Erzählung variiert werden wie etwa in Liebe oder 45 Years. Zum anderen zeigen Filme über das Alter ein Erzählmodell, in dem durch die Begegnung jüngerer Protagonisten mit dem Alter Generationskonflikte thematisiert werden, deren sowohl dramatische wie komödiantische Auflösung Anlass bietet, Verständnis und Respekt für die Lebenssituation der Alten wie der Jungen zu entwickeln.
 

Quellen:

50plus.at: Alter WHO Einteilung. In: 50plus.at. Abrufbar unter: www.50plus.at (letzter Zugriff: 28.01.2025)

Altersbericht: Der Neunte Altersbericht der Bundesregierung. Alt werden in Deutschland – Vielfalt der Potenziale und Ungleichheit der Teilhabechancen. In: neunter-altersbericht.de, 09.01.2025. Abrufbar unter: www.nunter-altersbericht.de (letzter Zugriff: 28.01.2025)

Arte: Ein Gespräch mit Floor Van Der Meulenüber "Pink Moon". In: Arte Kino conversations. Abrufbar unter: www.arte.tv (letzter Zugriff: 28.01.2025)

FFA: Kinobesucher*innen 2021. Strukturen und Entwicklungen auf Basis des GfK-Panels. In: FFA, Mai 2022. Abrufbar unter: www.ffa.de (letzter Zugriff: 28.01.2025)