Jugendbehörden verweigern die Umsetzung des neuen JMStV

Die Übernahme von FSF-Bewertungen wird weiterhin blockiert

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Chefredakteur der Zeitschrift „tv diskurs“.

Es war ein langer, holpriger Weg. Doch nun ist es sicher: Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) wird wie vorgesehen am 1. Oktober 2016 in Kraft treten. Kernpunkte des neuen Gesetzes sind verbesserte Bedingungen für die Anerkennung und die Entwicklung von Jugendschutzprogrammen im Internet sowie die Übernahme von Altersfreigaben der Selbstkontrollen, vor allem der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) durch die Obersten Landesjugendbehörden (OLJB) bzw. die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) für Kino und DVD. Doch die Behörden wollen diese gesetzliche Bestimmung nur zu einem Teil erfüllen.

Online seit 26.09.2016: https://mediendiskurs.online/beitrag/jugendbehoerden-verweigern-die-umsetzung-des-neuen-jmstv/

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Die gute Nachricht: Nach jahrelangem Streit tritt nun endlich am 1. Oktober 2016 ein novellierter Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) in Kraft. Nachdem seit ungefähr zehn Jahren über das Thema „mediale Konvergenz“ diskutiert worden ist (verbunden mit der Forderung, die Altersfreigaben nach Inhalten und nicht nach ihrem Verbreitungsweg zu vergeben), formuliert § 5 Abs. 2 des neuen Gesetzes nun unmissverständlich:

Von der KJM [Kommission für Jugendmedienschutz, Anm. d. Red.] bestätigte Altersbewertungen von anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle sind von den obersten Landesjugendbehörden für die Freigabe und Kennzeichnung inhaltsgleicher oder im Wesentlichen inhaltsgleicher Angebote nach dem Jugendschutzgesetz zu übernehmen (§ 5 Abs. 2 JMStV).

Ziel dieser neuen Bestimmung ist es, sinnlose Doppelprüfungen durch die FSF und die FSK zu vermeiden. Noch wichtiger ist, dass durch die Gültigkeit einer Prüfentscheidung der FSF für Kino und DVD unterschiedliche Freigaben vermieden werden können. Diese können bei Jugendschutzprüfungen durch verschiedene Ausschüsse oder Institutionen durchaus vorkommen, weil es sich gerade in Grenzfällen um subjektive Bewertungen handelt. Divergierende Freigaben führten in der Vergangenheit für Anbieter und Aufsichtsbehörden immer wieder zu Rechtsunsicherheiten.

Jugendbehörden wollen gesetzliche Bestimmung nur teilweise erfüllen

Die schlechte Nachricht: Die für die Freigabe im Hinblick auf Kino und DVDs zuständigen OLJB, die jahrelang jeden Versuch, untergesetzlich eine Anerkennung der FSF-Freigaben zu ermöglichen, verweigert und auch alles daran gesetzt haben, die neue gesetzliche Regelung zu verhindern, wollen diese nun nur halb erfüllen. Und das ist schon ein Kompromiss. Denn die Hardliner innerhalb der Behörden wollten die gesetzlich vorgeschriebene Übernahme komplett verweigern. Begründung: Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag könne sie gar nicht an die von der KJM bestätigten FSF-Entscheidungen binden, da sie nach dem Jugendschutzgesetz (JuSchG) arbeiteten. Und das fällt in die Zuständigkeit des Bundes. Aufgrund der Regelungskompetenz des Bundes für Trägermedien (Kino, DVD, Computerspiele) sei die neue Bestimmung der Länder verfassungswidrig. Der Bund beeilte sich, durch eine Änderung im Jugendschutzgesetz die neue Bestimmung mittels einer entsprechenden Regelung zu ermöglichen. Doch momentan sieht es so aus, dass diese Änderung in der laufenden Legislaturperiode voraussichtlich nicht mehr verabschiedet werden kann.

Viele Juristen, viele Meinungen

Die Juristen streiten darüber, ob die Länder ihre eigenen Behörden an bestimmte Entscheidungen, die innerhalb von Ländergesetzen getroffen werden, binden können. Während die einen die Auffassung vertreten, durch das Jugendschutzgesetz seien ausschließlich die OLJB für die Altersfreigaben zuständig und es müsse alleinig ihrem Ermessen unterliegen, nach welchen Kriterien und Bewertungen die Freigaben erteilt werden, meinen die anderen, dass die infrage stehende gesetzliche Bestimmung daran im Prinzip ja gar nicht rüttele. Auf jeden Fall müssten die Länder in der Lage sein, in ihren eigenen Gesetzen den ihr unterstehenden Behörden die Übernahme einer bestimmten Entscheidung vorzuschreiben, die aus Sicht des Gesetzgebers qualitativ auf vergleichbarem Wege zustande gekommen ist. Es handele sich hier um einen „gebundenen Verwaltungsakt“, der erteilt werden muss, wenn bestimmte Voraussetzungen – hier die Entscheidung einer Selbstkontrolle mit Bestätigung durch die nach dem Gesetz zuständige Aufsicht – vorliegen.

Solch eine Bindung an Entscheidungen Dritter ist im Jugendschutz nicht völlig neu. So ist nach § 18 Abs. 6 JuSchG die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) verpflichtet, von der KJM gestellte Anträge bezüglich Telemedien in eine Indizierung umzuwandeln. Das der Prüfstelle ansonsten zustehende Ermessen wird auf die Fälle beschränkt, in denen der Antrag offensichtlich unbegründet ist. Auch die von den OLJB angeführte Argumentation, durch die Übernahme von 16er- oder 18er‑Inhalten würden sie einen Schutz vor der Indizierung bieten, wobei sie die Kriterien der Bundesprüfstelle berücksichtigen müssten, was bei FSF und KJM nicht der Fall sei, ist nicht schlüssig. Denn in § 18 Abs. 8 JuSchG heißt es:

Absatz 1 ist außerdem nicht anzuwenden, wenn die zentrale Aufsichtsstelle der Länder für den Jugendmedienschutz über das Telemedium zuvor eine Entscheidung dahin gehend getroffen hat, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien nach Absatz 1 nicht vorliegen. Hat eine anerkannte Einrichtung der Selbstkontrolle das Telemedium zuvor bewertet, so findet Absatz 1 nur dann Anwendung, wenn die zentrale Aufsichtsstelle der Länder für den Jugendmedienschutz die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien nach Absatz 1 für gegeben hält.

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Praktisch heißt das: Die Obersten Landesjugendbehörden und die KJM sind schon jetzt nach dem Jugendschutzgesetz in Bezug auf den Ausschluss der Indizierung gleichgestellt. Dies wird die KJM sicherlich bei der Bestätigung von FSF-Freigaben berücksichtigen und ähnlich verfahren wie die Obersten Landesjugendbehörden.

Nun kommt es in der Demokratie häufiger vor, dass die Abgrenzungen von Bund- und Länderkompetenzen unterschiedlich bewertet werden, im Zweifelsfalle entscheidet dann das Bundesverfassungsgericht. Dass also die OLJB in dem vorliegenden Fall dezidiert anderer Meinung sind als die Kolleginnen und Kollegen in den Staatskanzleien oder in den Parlamenten, mag auf Beteiligte wie die FSF zwar unerträglich stur wirken, aber abgesehen davon ist es ihr gutes Recht. Für Fälle solcher Art gibt es in unserer Demokratie den Rechtsweg. Der Bund kann klären lassen, ob § 5 Abs. 2 des neuen JMStV unerlaubterweise in seine Kompetenzen eingreift oder nicht. Bis dahin müssen sich die Behörden aber an die gesetzlich geltenden Regelungen halten. Man kann ja als Normalbürger auch nicht einfach die Zahlung seiner Steuern ganz oder teilweise verweigern, weil man der Meinung ist, die entsprechende Regelung des Steuerrechts sei verfassungswidrig. Auch hier gilt: unter Vorbehalt zahlen und eine gerichtliche Klärung abwarten. So sollte es auch bei den OLJB sein.

Eigentlich sollten Jugendschützer – und das sind die OLJB, zumindest was die Aufsicht über die FSK angeht – ein Vorbild dafür sein, den Respekt vor den konsensualen Werten unserer Gesellschaft zu stärken. Selbstjustiz – worunter die Umgehung gesetzlicher Regeln aus einem von der gesetzlichen Norm abweichenden Gerechtigkeitsempfinden heraus verstanden wird – gilt gemeinhin als jugendschutzrelevant. Nun gut, trotz einer gewissen Verärgerung will niemand die OLJB mit Charles Bronson in Ein Mann sieht rot vergleichen. Aber es ist doch bedenkenswert, Behörden, die Gesetze nicht vollständig respektieren, die Aufsicht über den Jugendschutz zu überlassen.

Verbesserte Bedingungen für Jugendschutzprogramme

Ach übrigens: Das Gesetz hat noch einen zweiten wichtigen Schwerpunkt. Es geht um die Verbesserung der Bedingungen für Jugendschutzprogramme. Schon seit 2003 wird das System der Sendezeitbeschränkungen des Fernsehens auf das Internet übertragen: Inhalte, die für Jugendliche unter 16 Jahren beeinträchtigend sein können, dürfen im Netz nur zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr verfügbar sein. Nicht jugendfreie Inhalte darf man nur zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr zugänglich machen. Da der Vorteil des Internets allerdings gerade in der zeitlichen Unabhängigkeit liegt, stellt bereits der bisher geltende JMStV die technische Kennzeichnung für anerkannte Jugendschutzprogramme als Alternative zur Zeitbeschränkung zur Verfügung. Durch eine solche Kennzeichnung in Verbindung mit Jugendschutzprogrammen soll verhindert werden, dass Kinder und Jugendliche diese Inhalte wahrnehmen können. Bereits 2010 wollte man die hohen Ansprüche an Jugendschutzprogramme auf das technisch und praktisch Machbare reduzieren, um diesem System eine Chance zu geben. Damals war der JMStV in letzter Sekunde durch die Ablehnung des Landtages von Nordrhein-Westfalen gescheitert.

Bedrohung der Freiheit des Internets?

Neben der damals labilen Pattsituation im nordrhein-westfälischen Landtag – Hauptgrund für die Ablehnung – gab es an der Regelung auch inhaltliche Kritik. Die Politik versuche, die klassischen Vertriebsbeschränkungen der analogen Welt eins zu eins auf die digitale Welt zu übertragen, so vor allem die Piraten, aber auch Teile von CDU, FDP, Linken und Grünen.

Das funktioniere nicht, außerdem schränke man damit die Freiheit des Netzes ein. Vor allem Blogger, die von Jugendschutzprogrammen noch nie etwas gehört hätten, würden ihre Inhalte nicht kennzeichnen und seien damit für Kinder und Jugendliche, deren Eltern Jugendschutzprogramme auf die schärfste Stufe gestellt hätten, nicht mehr zugänglich. Auch die Zeitschriftenverleger wehrten sich vehement gegen das Gesetz, weil die identischen Inhalte, die in Printmedien frei veröffentlicht werden könnten, plötzlich unter die Jugendschutzbestimmungen des JMStV fielen, wenn sie online veröffentlicht würden. Die Bedenken sind nicht unberechtigt. Allerdings muss klar sein, dass in der Optimierung des Systems der Jugendschutzprogramme die einzige Chance liegt, die Grundidee des Jugendmedienschutzes – jugendbeeinträchtigende Programme zu identifizieren und dann ihren Zugang zu erschweren oder zu verhindern – auch im Internet umzusetzen. Ob man das als Gesellschaft möchte oder nicht – darüber kann gestritten werden. Aber solange es dafür eine politische Mehrheit gibt, sollte alles versucht werden, um diesem System eine Chance zu geben.

Auf die Erwartungen von Eltern und Jugendlichen achten

Mit dem neuen Gesetz wird die jahrelange Rechtsunsicherheit darüber, ob Jugendschutzprogramme weiterhin als Ersatz für Zeitbeschränkungen gelten und wie konkret die Bedingungen dafür sind, beendet. Nun sollte alles darangesetzt werden, sie funktionsfähig und attraktiv zu machen. Gleichzeitig sollten die Anbieter beginnen, möglichst umfangreich ihre Inhalte zu kennzeichnen. Um die Anerkennung zu erleichtern, können nach dem neuen Gesetz nicht nur die KJM, sondern auch die Selbstkontrollen die Anerkennung erteilen. Doch hier gibt es schon den nächsten Streit: Die öffentlich-rechtlichen Sender wählen in ihren Mediatheken das Zeitmodell und verweigern die Kennzeichnung für Jugendschutzprogramme. Ihre Begründung: Wegen der geringen Verbreitung der Jugendschutzprogramme sei eine Kennzeichnung wertlos. Das Zeitmodell stelle den einzigen effektiven Jugendschutz dar. Ganz falsch ist diese Begründung nicht. Allerdings ist diese Argumentation auch gleichzeitig Teil des Problems: Wenn die Welt des Internets nur aus der Mediathek von ARD und ZDF bestünde, wäre das Einhalten der Zeitgrenzen perfekt. In der tatsächlichen Vielfalt des Netzes stellen diese Mediatheken allerdings nur einen minimalen Bruchteil dar. Abgesehen davon halten sie sich bezüglich ihrer Jugendbeeinträchtigung in Grenzen. Für die Masse der entwicklungsbeeinträchtigenden Angebote gilt jedoch, dass sie aus dem Ausland stammen und über deutsche Gesetze nicht zu regulieren sind. Da ist zumindest im Hinblick auf jüngere Kinder die Idee, durch Jugendschutzprogramme nur Inhalte durchzulassen, die unproblematisch für die Jüngsten sind, einen Versuch wert. ARD und ZDF könnten durch entsprechendes Bewerben in ihren Programmen – ähnlich wie das in der Vergangenheit die privaten Sender gemacht haben – Jugendschutzprogramme unterstützen, um deren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Dann werden sie eines Tages vielleicht auch von mehr als den bisher geschätzten 2 % der relevanten Eltern genutzt.

Kooperation statt Konfrontation

Das Gesetz hat immerhin in zwei wichtigen Bereichen Fortschritte gebracht. Nun ist es an den beteiligten Institutionen, das Gemeinsame und nicht das Trennende in den Vordergrund zu stellen. Den betroffenen Eltern wird es relativ egal sein, ob die Altersfreigabe einen Verwaltungsakt darstellt oder ob sie über die FSK oder die FSF entstanden ist. Hauptsache, sie ist nachvollziehbar und hilft, Entscheidungen für die Mediennutzung ihrer Kinder zu treffen. Ein gutes und von den Eltern und den Jugendlichen akzeptiertes Jugendschutzangebot sollte das Ziel der Jugendschutzinstitutionen sein. Die hier geschilderten Streitereien kosten Zeit und Energie – und lenken genau vom Erreichen dieses Ziels ab.

Anmerkung:

§ 18 Abs. 1 JuSchG lautet:
„Träger- und Telemedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden, sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in eine Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien sowie Medien, in denen
1. Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert dargestellt werden oder
2. Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe gelegt wird.“