Jugendmedienschutz durch den Digital Services Act

Eine zivilrechtliche Perspektive

Jürgen Bering

Jürgen Bering ist Leiter des Centers for User Rights bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

Der Digital Services Act (DSA) gilt nun seit etwas mehr als einem Jahr für diverse Onlineplattformen. Wie gelingt die Durchsetzung des Regelungswerks? Und welche Rolle wird dabei der Zivilgesellschaft zuteil? Zeit für ein erstes Zwischenfazit.

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 4/2024 (Ausgabe 110), S. 78-79

Vollständiger Beitrag als:

Die Verpflichtungen des DSA

Auch wenn der DSA nicht als „Grundgesetz des Internets“ bezeichnet werden kann, enthält er eine Vielzahl an Verpflichtungen für diverse Plattformen, von sozialen Medien über Marktplätze bis hin zu Suchmaschinen. Der Großteil der Verpflichtungen betrifft Transparenz sowie die Schaffung von Verfahren, durch die Nutzer*innen ihre Rechte durchsetzen können. Dazu gehören etwa Meldewege für rechtswidrige Inhalte oder Beschwerdemöglichkeiten, wenn eigene Inhalte gesperrt wurden. Der Schutz von Minderjährigen wird in einem eigenen Artikel behandelt (Art. 28). Demnach müssen Maßnahmen ergriffen werden, um ein hohes Maß an Privatsphäre, Sicherheit und Schutz zu gewährleisten. Zudem darf zielgerichtete Werbung nicht auf minderjährige Nutzer*innen ausgerichtet sein. Plattformen, die sich an Minderjährige richten, sind außerdem verpflichtet, ihre Nutzungsbedingungen in besonders verständlicher Sprache zu formulieren.

Eine zentrale Rolle spielen außerdem Risikobewertungen, die nur für VLOPs (Very Large Online Platforms) verpflichtend sind. Dabei müssen sogenannte systemische Risiken der Plattformen identifiziert werden. Neben Risiken für die Ausübung von Grundrechten wie Meinungsfreiheit und Datenschutz gehört dazu auch der Schutz von Minderjährigen. Werden Risiken festgestellt, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um diese zu minimieren.


Wer setzt den DSA durch und welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft?

Der DSA sieht vor, dass die Europäische Kommission die Aufsicht über die besonderen Verpflichtungen der VLOPs übernimmt. Für andere Plattformen sind nationale Behörden zuständig. In Deutschland ist dies primär die Bundesnetzagentur, für die speziellen Vorschriften zum Schutz Minderjähriger hingegen die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ).

Die Kommission hat von Beginn an großen Eifer gezeigt und bereits erste Verfahren eingeleitet. Auch die Bundesnetzagentur zeigt Engagement, allerdings fehlen hier noch die nötigen Strukturen, um eine effektive Durchsetzung zu gewährleisten. Die Person, die die unabhängige Abteilung der Bundesnetzagentur leiten wird, ist ebenfalls noch nicht benannt.

Daneben kommt der Zivilgesellschaft eine bedeutende Rolle zu. Der DSA sieht explizit vor, dass sich Nutzer*innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen vertreten lassen können. Zudem können diese Organisationen Beschwerden bei der Bundesnetzagentur einreichen oder als sogenannte Trusted Flagger rechtswidrige Inhalte melden, die dann beschleunigt entfernt werden müssen.

Die Europäische Kommission hat zivilgesellschaftliche Organisationen auch darum gebeten, Nachweise oder Hinweise auf Rechtsverstöße zu übermitteln. Zudem trifft sich die Kommission regelmäßig mit der Zivilgesellschaft, um Informationen zu erhalten und über eigene Tätigkeiten zu berichten. Auch in Deutschland setzen sich mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen für die Durchsetzung des DSA ein. Die Verbraucherzentralen untersuchen beispielsweise Plattform-Designs, die Verbraucher*innen benachteiligen. Die Organisation HateAid nutzt den DSA, um gegen digitale Gewalt vorzugehen.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat das Center for User Rights gegründet, um Grundrechte im Netz zu schützen. Eine Aufgabe des Centers besteht darin, zu analysieren, ob Plattformen die neuen Regeln umsetzen und wie der DSA sowie andere Regelwerke genutzt werden können, um den Grundrechtsschutz im Netz zu verbessern. Das Center dient auch als Anlaufstelle für Nutzer*innen, Forschende und andere zivilgesellschaftliche Organisationen, um diesen bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Plattformen und gegebenenfalls auch gegenüber Behörden zu helfen.

Ein Schwerpunkt liegt dabei darauf, die Möglichkeit aus Art. 86 DSA zu nutzen, Nutzer*innen rechtlich zu vertreten. Das betrifft auch interne Beschwerden, beispielsweise gegen Sperrungen. Hier erfordert Art. 86 Abs. 2 DSA, dass Plattformen Vorkehrungen treffen, damit Beschwerden von Organisationen priorisiert behandelt werden. Dieser Verpflichtung waren die meisten Plattformen aber nicht nachgekommen. Nicht nur, dass keine Priorisierung stattfand. Vielmehr war es teilweise überhaupt nicht möglich, als Organisation eine Beschwerde gegenüber den Plattformen einzureichen. Nach einer Beschwerde des Centers setzt eine zunehmende Anzahl von Plattformen diese Verpflichtung jedoch um, sodass auch dieser Teil der Arbeit langsam beginnen kann. Eine zweite Beschwerde, die gemeinsam mit anderen europäischen Organisationen eingelegt wurde, betraf Werbung auf LinkedIn, die auf der Bildung von Profilen basierte. So konnten Personen beispielsweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder politischen Einstellungen gezielt angesprochen werden. LinkedIn hat diese Möglichkeit als Reaktion auf die Beschwerde eingestellt.
 

Es gibt noch viel zu tun

Auch wenn bereits erste Fortschritte sichtbar sind, liegt noch ein weiter Weg vor uns. Wie zu erwarten war, gibt es Plattformen, die sich bemühen, die neuen Verpflichtungen einzuhalten, und andere, die sich mit allen Mitteln dagegen wehren. Die vom DSA geforderten ausführlichen Begründungen, etwa bei der Sperrung eines Accounts, sind nach wie vor die Ausnahme. Die Meldewege, die das Vorgehen gegen rechtswidrige Inhalte erleichtern sollen, sind größtenteils noch unzureichend. Auch die Risikobewertungen führen bisher allenfalls zu minimalen Verbesserungen.

Neben dem (Un‑)Willen der Plattformen gibt es weitere Gründe für diese Verzögerungen. So nimmt die Arbeit der Bundesnetzagentur als DSA-Aufsichtsbehörde erst langsam Fahrt auf, und an vielen Stellen sind noch Durchführungsrechtsakte erforderlich, um den abstrakten Verpflichtungen des DSA Geltung zu verschaffen. Auch im Bereich „Jugendschutz“ besteht gemäß Art. 28 Abs. 4 DSA die Möglichkeit, Leitlinien zu erlassen, um näher zu definieren, wie die sehr abstrakten Ziele von Privatsphäre, Sicherheit und Schutz in der Praxis umgesetzt werden können. Ob der DSA in diesem Bereich letztlich als Erfolgsgeschichte gelten wird, muss sich also erst noch zeigen