Jugendmedienschutz als rechtliche Schranke für Onlinewahlwerbung?
Der Beschluss des VG Potsdam zu einem AfD-Wahlwerbespot
Laut einer Studie des Zentrums für Generationenforschung beziehen 52 % der Deutschen unter 25 Jahren ihre politischen Informationen ausschließlich aus sozialen Medien (vgl. Jugendwahlstudie 2025). Festgestellt werden konnte auch, dass die AfD durch ihre starke Internetpräsenz auf Plattformen wie TikTok ihre Reichweite unter jungen Wählerinnen und Wählern erheblich ausbauen konnte. Eine Studie der Universität Potsdam vom September 2024 hat gezeigt, dass die AfD auf TikTok bei „Erstwählerinnen und Erstwählern doppelt so erfolgreich ist wie alle anderen Parteien zusammen“ (uni-potsdam.de 2024).
Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass Social Media und Onlinewahlwerbung wichtige Quellen für die politische Meinungsbildung junger Menschen geworden sind. Das Verwaltungsgericht (VG) Potsdam hatte im Februar 2025 im Rahmen eines Eilverfahrens über ein Video zu entscheiden, das die AfD vor den Landtagswahlen in Brandenburg im Herbst 2024 über die sozialen Medien verbreitet hatte.
Zum Sachverhalt
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hatte im November 2024 einen in den sozialen Medien verbreiteten Werbespot des AfD-Landesverbandes Brandenburg als Verstoß gegen § 5 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) untersagt. Das Video trug den Titel „Wochenmarkt oder Drogenmarkt […]“. Der Spot war mittels Künstlicher Intelligenz erstellt worden und zeigt u. a. Szenen, in denen im Schatten stehende Männer mit Migrationshintergrund als Bedrohung inszeniert wurden.
Im Januar 2025 hatte die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) die Entscheidung der KJM durch eine Untersagungsverfügung gegenüber der AfD umgesetzt. Die KJM war der Auffassung, der Spot verstoße gegen § 5 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 und 4 JMStV, da durch die Art der Darstellung Vorurteile geschürt, Vorverurteilungen gefördert und Menschen mit dunkler Hautfarbe stigmatisiert werden. Diese Darstellung sei geeignet, bei Kindern und Jugendlichen ein Grundmisstrauen zu etablieren oder zu verstärken, was der Entwicklung zu einer gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entgegenstehe. Der Bescheid untersagte der AfD, das streitgegenständliche Video weiterhin zu verbreiten, ohne dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche es üblicherweise nicht wahrnehmen.
§ 5 JMStV Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote
(1) Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. […]
Gegen den Bescheid hat die AfD Klage erhoben und außerdem Eilrechtsschutz beantragt. Der Beschluss im Eilverfahren ist laut Auskunft der mabb rechtskräftig. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht noch aus.
Wie hat das VG Potsdam argumentiert?
In verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren wird eine Abwägung vorgenommen, bei der es primär um eine vorläufige Abwägung der Interessen und die Frage geht, ob der Vollzug des Bescheids ausgesetzt werden soll oder nicht. Gerichte treffen im Eilverfahren kaum abschließende Aussagen zu entscheidenden Rechtsfragen, um das Hauptsacheverfahren nicht vorwegzunehmen.
Im vorliegenden Fall hat das VG relativ deutlich festgestellt, dass die Bescheide der mabb nach summarischer Prüfung wohl rechtmäßig seien. Durch die sachverständige Bewertung des Videos durch die KJM bestünden keine durchgreifenden Zweifel daran, dass das Video geeignet sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen. Die AfD sei dieser Expertise auch nicht gutachterlich entgegengetreten. Dabei sei diese sachverständige Aussage nur mit dem gleichen Aufwand infrage zu stellen, der notwendig sei, um die Tragfähigkeit fachgutachtlicher Äußerungen zu erschüttern. Es liegen keine Gründe vor, aus denen sich ergeben könnte, dass die Auffassung der KJM nicht verwertbar sei. Auch inhaltlich bestünden keine Anhaltspunkte, um an der sachverständigen Äußerung zu zweifeln, dass der Spot rassistische Stereotypen bediene und diese Darstellung geeignet sei, entwicklungsbeeinträchtigend zu sein.
Durch die sachverständige Bewertung des Videos durch die KJM bestünden keine durchgreifenden Zweifel daran, dass das Video geeignet sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen.
Im Übrigen stellte das VG dann fest, dass die AfD keine technischen Maßnahmen ergriffen habe, die verhindern, dass Kinder oder Jugendliche das Video üblicherweise wahrnehmen. Dies wäre auf einer Website beispielsweise mit einem technischen Alterskennzeichen möglich gewesen.
Gibt es schon ähnliche Entscheidungen?
Das VG Potsdam war nicht das erste Gericht, das sich mit der Thematik auseinandersetzen musste. So gab es in jüngster Zeit z. B. kurz vor der Europawahl 2024 eine Entscheidung des VG Frankfurt (Beschl. v. 15.05.2024, Az. 1 L 1559/24.F). Ein wichtiger Unterschied zur Entscheidung des VG Potsdam ist, dass es hier um die Ausstrahlung eines Rundfunkspots genau in der Zeit des Wahlkampfes und nicht um eine Entscheidung der KJM ging. Ein Radiosender hatte es abgelehnt, die Wahlwerbung zu senden, da ein Verstoß gegen den JMStV vermutet wurde. Das VG Frankfurt betonte hier, dass vorgelegte Wahlspots in Zweifelsfällen zur Ausstrahlung freizugeben sind.
Auch das VG Mainz urteilte im Rahmen des Bundestagswahlkampfs 2025 über einen Wahlwerbespot (Beschl. v. 13.02.2025, Az. 4 L 87/25.MZ). In dem Spot, dessen Ausstrahlung das ZDF ablehnte, wurde eine fiktive Vergewaltigungsszene zwischen Charlotte und Friedrich Merz angedeutet. Das VG Mainz beschäftigte sich mit dem Persönlichkeitsrecht der Eheleute Merz, nicht mit jugendmedienschutzrechtlichen Bestimmungen. Auch hier wurde entschieden, dass der Spot gezeigt werden muss. Er sei zwar „grenzwertig und geschmacklos“, aber von der Meinungsfreiheit gedeckt. Es sei klar, dass es sich gegenständlich um Satire handeln würde.
Bewertung
Der Beschluss des VG Potsdam (VG 11 L 74/25) illustriert eine einschränkende Anwendung jugendmedienschutzrechtlicher Bestimmungen auf politische Inhalte, in einem brisanten Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit, Wahlwerbefreiheit, Jugendmedienschutz und Persönlichkeitsrechten. Je rauer der Ton in der politischen Kommunikation wird, desto häufiger werden gerichtliche Entscheidungen notwendig sein, um die rechtlichen Grenzen dessen, was politisch gesagt werden darf, neu zu bestimmen. Durch den Einsatz von KI, gezieltem Framing und emotionalisierender Zuspitzung wird dies verstärkt. Entscheidungen zu Wahlplakaten wird es trotzdem auch weiterhin geben.
Dabei gilt: In jedem Einzelfall muss sorgfältig differenziert werden. Ein zentrales Kriterium muss die Aktualität der Wahlwerbung sein. Während in den dargelegten Fällen des VG Frankfurt und VG Mainz das Argument der Aktualität und der unmittelbaren Relevanz der Werbespots starkes Gewicht hatte, lag die Situation im Fall des VG Potsdam anders. Es handelt sich bei Entscheidungen der KJM/der Landesmedienanstalten aufgrund der Ex-post-Entscheidungen in der Regel nicht um unzulässige Einschränkungen aktueller politischer Kommunikation. Dafür sind die Entscheidungsprozesse bei der KJM nicht ausgelegt, da sie in der Regel zu lange dauern (Anhörung durch Landesmedienanstalt, Vorlage an die KJM, Entscheidung der KJM, Ausfertigung des Bescheids durch die Landesmedienanstalt). Zu berücksichtigen ist auch, dass die Eingriffsintensität im Fall des VG Potsdam gering ist, da die KJM keine Unzulässigkeit, sondern nur eine Verbreitungsbeschränkung für bestimmte Altersgruppen festgestellt hat.
Der Jugendmedienschutz dient nicht nur als Schutzinstrument gegen Gewalt oder sexualisierte Inhalte, sondern kann auch als normative Grenze gegenüber rassistischen, stigmatisierenden und entwicklungsbeeinträchtigenden Darstellungen in politischen Kontexten gelten.
Die Entscheidung des VG Potsdam zeigt, wie vielfältig die zu beurteilenden Inhalte der KJM/der Landesmedienanstalten sind. Der Jugendmedienschutz dient nicht nur als Schutzinstrument gegen Gewalt oder sexualisierte Inhalte, sondern kann auch als normative Grenze gegenüber rassistischen, stigmatisierenden und entwicklungsbeeinträchtigenden Darstellungen in politischen Kontexten gelten. Gleichzeitig eröffnet der Beschluss Fragen für künftige Verfahren: Wie hätte das VG Potsdam entschieden, wenn ein Rundfunkveranstalter sich geweigert hätte, den Spot vor einer Wahl auszustrahlen? Muss bei unmittelbarer Wahlwerbung im Rundfunk in der heißen Phase ein anderer Maßstab gelten als bei einer längerfristigen rein digitalen Präsenz? Und wie wird das VG Potsdam den oben genannten Fall im Hauptsacheverfahren entscheiden?
Literatur:
Jugendwahlstudie: Jugendwahlstudie 2025. Die Generation der Erstwähler. In: Institut für Generationenforschung, 01.02.2025. Auszüge abrufbar unter: generation-thinking.de (letzter Zugriff: 16.04.2025)
uni-potsdam.de: Die AfD dominiert TikTok – Studie zur Sichtbarkeit der Parteien in den Sozialen Medien 2024. In: Medieninformationen der Universität Potsdam, 02.09.2024. Abrufbar unter: uni-potsdam.de (letzter Zugriff: 16.04.2025)