Juristische Urteile (Ausg. 95)

Redaktion Recht

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Medienaufsichtliche Beanstandung bei Beteiligung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) nach Ausstrahlung einer Sendung

N24 versus Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM): In dem Rechtsstreit geht es u.a. um die Frage, ob eine nach Ausstrahlung einer Sendung, aber vor Entscheidung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ergangene FSF-Bewertung eine Sperrwirkung für ein Tätigwerden der KJM nach § 20 Absatz 3 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) (analog) entfalten kann.

Zunächst zum Sachverhalt: In den Fokus der KJM/Landesmedienanstalt rückte die Verbreitung der 8. Episode des Formats Science of Stupid – Wissenschaft der Missgeschicke. Ausgestrahlt wurde die besagte Episode am 11. Oktober 2015 in der Zeit von 8.30 bis 9.00 Uhr und in der Wiederholung am 1. Januar 2016 in der Zeit von 9.15 bis 9.40 Uhr. Eine Prüfgruppe der KJM stellte am 24. Februar 2016 fest, dass die besagte Episode einen entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalt für unter 12‑Jährige aufweise, und bereitete eine entsprechende Vorlage für den KJM-Prüfaus­schuss vor. Währenddessen hatte der Sender die Episode bei der FSF zur nachträglichen Prüfung eingereicht. In zweiter FSF-Instanz erhielt die Folge am 10. Mai 2016 eine Freigabe ab 12 Jahren/Tagesprogramm. Am 17. September 2016 erließ die Landesmedienanstalt – nach einem entsprechenden Beschluss des Prüfausschusses der KJM – jedoch die Beanstandung der Sendung. Gegen diesen Beanstandungsbescheid klagte der Sender und verlor. Das Verwaltungsgericht München (VG München) sah den Bescheid der Medienanstalt als formell und materiell rechtmäßig an.

Nunmehr beantragte der Sender die Zulassung der Berufung. Es gebe, so der Sender, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Absatz 2 Nr. 1 – 3 VWGO). Der Verwaltungsgerichtshof München (VGH München) sah keinen dieser Gründe als gegeben an und entschied, dass der Antrag des Senders auf Zulassung der Berufung keinen Erfolg hat.

Im Einzelnen: Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sieht der Sender u.a. darin, dass das VG München die Vorlage der KJM für den KJM-Prüfausschuss als hinreichend begründet ansieht, obwohl diese keine konkrete inhaltliche Darstellung der einzelnen sieben Segmente der Sendung umfasst. Der VGH München tritt der Auffassung des Senders entgegen und führt aus: „Nach § 17 Absatz 1 Satz 3 und 4 JMStV sind die Beschlüsse der KJM zu begründen; in der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen. Eine umfassende inhaltliche Wiedergabe des dem Prüffall zugrundeliegenden Sachverhalts ist nach dem Wortlaut der Norm nicht gefordert. Vielmehr muss die Begründung (nur) erkennen lassen, von welchen wesentlichen tatsächlichen Voraussetzungen und Erwägungen die Behörde ausgegangen ist (vgl. Tiedemann in Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand 01.07.2020, § 39 Rz. 32). Die Verwendung der Formulierung ‚wesentlich‘ zeigt zudem, dass sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht (lediglich) die tragenden Gründe anzugeben sind, von denen die KJM bei ihrer Entscheidung ausgegangen ist.“

Als weitere Zweifel an der Richtigkeit des Urteils legt der Sender dar, dass sich die Zusammensetzung des KJM-Prüfausschusses mit zwei von der Exekutive entsandten Mitgliedern als verfassungswidrig darstelle, da sie dem Gebot der Staatsferne widerspreche. Doch auch diese Auffassung greift nach Ansicht des VGH München nicht. Hierzu wird u.a. ausgeführt: „Anhaltspunkte dafür, dass die Zusammensetzung der KJM bzw. ihrer Prüfausschüsse gegen das rundfunkrechtliche Gebot der Staatsferne verstoßen, sind bereits deshalb nicht ersichtlich, weil der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag nicht auf eine Beherrschung eines Rundfunkunternehmens oder auf eine politische Instrumentalisierung des Rundfunks gerichtet ist. Zweck des Staatsvertrags ist nach § 1 JMStV der einheitliche Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden, sowie der Schutz vor solchen Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen. Dieser Zweck und die Regelungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags schränken nach Artikel 5 Absatz 2 GG zulässig die durch Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG gewährleistete Rundfunkfreiheit ein (vgl. BVerwG, U.v. 31.05.2017 – 6 C 10.15 – BverwGE 159, 49 Rn. 16 f.).“

Weiter moniert der Sender, dass das VG München verkannt habe, dass eine Sperrwirkung für Aufsichtsmaßnahmen durch die KJM als Organ der Beklagten nach § 20 Absatz 3 Satz 1 JMStV analog bestanden habe, weil nach Ausstrahlung der Sendung, aber noch vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids der FSF-Berufungsausschuss am 10. Mai 2016 die Sendung für eine Ausstrahlung ab 12 Jahren im Tagesprogramm freigegeben habe. Auch hiermit gelingt es dem Sender nicht, berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des VG München zu wecken. So sieht der VGH München die für eine analoge Anwendung (des § 20 Absatz 3 Satz 1 JMStV) notwendige „planwidrige Regelungslücke“ als nicht gegeben an. Er führt entsprechend aus: „Für das Vorliegen einer Gesetzeslücke gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Die von der Klägerin analog § 20 Absatz 3 Satz 1 JMStV angenommene Sperrwirkung für aufsichtliche Maßnahme bei vorlagefähigen, vor Ausstrahlung jedoch nicht der FSF vorgelegten Sendungen würde dem eindeutigen Wortlaut des § 20 Absatz 3 JMStV sowie dem darin zum Ausdruck kommenden System der sog. ‚regulierten Selbstregulierung‘ widersprechen.“ Und der VGH erklärt zudem: „Dem Sinn und Zweck des Gesetzes, einen effektiven Jugendmedienschutz zu gewährleisten, würde dann nicht Genüge getan, wenn über den Wortlaut des Gesetzes hinaus eine positive Stellungnahme einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle nach Ausstrahlung der vorlagefähigen Sendung, aber noch vor einer entsprechenden Maßnahme der KJM ausreichend wäre, um die Aufsichtsbefugnisse der Medienaufsicht nach § 20 Absatz 3 Satz 1 JMStV zu beschränken.“

Quelle:

VGH München (7. Senat), Beschluss vom 01.09.2020 – 7 ZB 18.1183
 



Facebook darf Konten im Verdachtsfall vorübergehend sperren

Auf der Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) sind soziale Netzwerke verpflichtet, Inhalte ganz oder vorübergehend zu sperren, die beispielsweise Hassreden beinhalten könnten. Facebook setzt dazu intelligente Programme ein, die auf bestimmte Reizwörter reagieren und vorsorglich automatisch ein Konto sperren können. Dabei kann es allerdings zu Fehlern kommen, da diese Programme die Kontexte nicht erkennen und berücksichtigen können. So ist es einem Facebook-Nutzer aus Ludwigshafen ergangen, der im Oktober 2019 in seinem Facebook-Account den Beitrag eines Satiremagazins mit der Überschrift geteilt hat: „Schrecklicher Verdacht: war Hitler ein Gamer?“ Die Überschrift war auf einem Foto von Adolf Hitler zu sehen, der auf einem Sofa sitzt und scheinbar den Controller einer Spielkonsole in der Hand hält. Facebooks intelligente Programme haben einen Verdacht erkannt und Alarm geschlagen: Der Beitrag wurde kurzfristig gesperrt – ebenso wie der Account des Nutzers. Allerdings wurde die Sperrung noch am selben Tage, offenbar nach Überprüfung durch einen fachkundigen Mitarbeiter, wieder aufgehoben.

Der Nutzer vertrat die Auffassung, dass die Sperrung durch Facebook rechtswidrig gewesen sei und forderte 1.500,00 Euro Schmerzensgeld. Facebook wies darauf hin, aufgrund seiner Gemeinschaftsstandards dazu berechtigt zu sein, in Fällen einzugreifen, in denen der Verdacht bestehe, dass Hassreden oder Beiträge von Hassorganisationen geteilt werden.

Das Landgericht (LG) Frankenthal gab Facebook recht und wies die Klage ab. Die Plattform habe das Recht, bereits im Verdachtsfall überprüfte Beiträge zu sperren und das Nutzerkonto zu deaktivieren. Facebook habe annehmen können, der Nutzer würde durch die Verbreitung eines Bildes von Adolf Hitler Nationalsozialisten unterstützen. Bei einem solchen Verdacht habe eine schnelle Reaktion durch soziale Netzwerke Vorrang vor den Interessen des Nutzers, der sein Konto nur privat nutze, sodass kein finanzieller Schaden zu verzeichnen gewesen sei. Deshalb komme in solchen Fällen ein Schadensersatz ohnehin nicht infrage. Der Nutzer hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.

Quelle:

LG Frankenthal, Urteil vom 08.09.2020, Az. 6 O 23/20
 



Missbräuchliche Verwendung freiwillig zugesandter Selfies

Die 19-jährige O. war verliebt und schickte ihrem Freund A. ein Selfie, auf dem sie sich nackt auf ihrem Bett rekelte, um A. damit eine Freude zu machen. Nach einem Streit trennten sich beide und A. verschickte das Bild an zehn Freunde mit der Unterschrift: „Na, darum ist es schade, aber sonst bin ich froh, dass ich sie los bin.“ O. klagte dagegen, weil sie der Meinung war, dass durch die Bildaufnahme ihr höchstpersönlicher Lebensbereich verletzt worden sei. Sie sah darin einen Verstoß gegen § 201a Nr. 4 Strafgesetzbuch (StGB). Das Landgericht gab ihr recht, A. legte gegen dieses Urteil Revision ein.

Nach § 201a Absatz 1 Nr. 4 ist es verboten, Aufnahmen anderer Personen in ihrer Privatsphäre herzustellen oder zu verbreiten, durch die der „höchstpersönliche Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt“ wird. Das Problem in diesem Fall besteht darin, dass das Bild nicht durch A. aufgenommen wurde, sondern vom Opfer selbst, und es A. von diesem – allerdings unter anderen Umständen – freiwillig zugeschickt wurde. Der BGH verwirft jedoch die Revision als unbegründet und vertritt die Meinung, dass unter den gegebenen Umständen durch die Vorschrift auch Selbstaufnahmen des Tatopfers betroffen seien. Denn es komme nicht darauf an, wer die Aufnahme gemacht habe, sondern darauf, dass in der Weitergabe des Bildes ein Vertrauensmissbrauch liege, der das geschützte Rechtsgut verletze, unabhängig davon, wer die Aufnahme gemacht habe, zumal zu diesem Zeitpunkt das Verhältnis zwischen O. und A. noch ein anderes gewesen sei.

Quelle:

BGH, Beschluss vom 29.07.2020 – 4 StR 49/20, BeckRS 2020, 26378