Juristischer Aufsatz (Ausg. 95)

Redaktion Recht

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 1/2021 (Ausgabe 95), S. 84-85

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Staatlicher Jugendschutz für Apps und parallele Regeln der App-Stores

Bisher ist das Jugendschutzrecht national geregelt, doch die Zeiten von Kino, DVD und national begrenzten Fernsehsendern sind vorbei und Inhalte aus dem Netz machen vor nationalen Grenzen nicht mehr halt. Die Betreiber von App-Stores, insbesondere Apple und Google, haben inzwischen eigene Regeln und eigene Systeme entwickelt, die Anbieter von Apps einhalten müssen, wenn sie ihre Angebote in dem jeweiligen Store unterbringen wollen. Christian Rauda stellt nun auch angesichts des aktuellen Entwurfs des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) die Frage, wie mit dem Spannungsverhältnis von gesetzlichem Jugendschutz und den Maßnahmen der Anbieter umzugehen ist.

Bisher bezieht sich das Jugendschutzgesetz ausschließlich auf Trägermedien, sodass es auf Apps, die nur online über das Internet verfügbar sind, keine Wirkung entfaltet. Einschlägig ist dagegen der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Bundesländer. Nach § 5 Absatz 1 JMStV müssen Anbieter dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche entwicklungsbeeinträchtigende Angebote üblicherweise nicht wahrnehmen. Die gesetzliche Regelung fordert kein Verbot solcher Inhalte, sondern eine erschwerte Wahrnehmung durch Jugendliche in gefährdeten Altersphasen, z.B. bei Fernsehsendungen durch Sendezeitbeschränkungen. Das Gesetz lässt aber ausdrücklich technische Sperrmöglichkeiten zu. Während das JuSchG die Abgabe von Trägermedien an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von Freigaben durch die Obersten Landesjugendbehörden der Länder abhängig macht, die allerdings in der Praxis von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) für Kinofilme und DVDs und von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) für Spiele durchgeführt werden, ist nach dem JMStV im Bereich des Fernsehens und des Internets eine Selbsteinschätzung durch die Anbieter möglich, die im Bereich des Internets jeweils durch Jugendschutzprogramme erkannt und nach Aktivierung durch die Eltern eingestellt werden kann. Die Anbieter können sich auch Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle bedienen, die sowohl für die Anerkennung von technischen Lösungen (Jugendschutzprogramme) als auch für die Bewertungen der Inhalte zuständig sein können.

Die USK ist sowohl für Trägermedien (Spiele) nach dem JuSchG zuständig, unterhält aber auch für elektronisch verbreitete Spiele den Bereich „USK.online“, dieser wurde von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) anerkannt. Bisher haben sich 45 Unternehmen USK.online angeschlossen, Tendenz steigend. Mitglieder von USK.online können den Service und die Beratung der USK in rechtlichen und technischen Fragen nutzen, ihre selbst vergebenen Alterskennzeichnungen können zwar von der KJM, der nach dem Gesetz zuständigen Aufsicht, verändert werden, allerdings kann sie kein Bußgeld erheben. Wenn die USK selbst geprüft hat, ist eine Freigabe der USK für die Aufsicht bindend, es sei denn, ein vertretbarer Beurteilungsspielraum wurde überschritten.

Die USK hat sich dem internationalen IARC-System angeschlossen, das in Deutschland die aus dem Bereich der USK entlehnten Alterskennzeichnungen (ab 0, ab 6, ab 12, ab 16 oder ab 18 Jahren) verwendet. Alle Anbieter, die hier angeschlossen sind, verwenden auf ihren Plattformen die mit Altersfreigaben versehenen Hinweise. Wer eine App einstellen will, muss einen bestimmten Fragebogen ausfüllen, der abschließend eine Altersfreigabe errechnet. Das System ist in der Lage, diese Altersfreigabe an die jeweils unterschiedlichen Gefährdungsschwerpunkte der beteiligten Länder anzupassen bzw. umzurechnen. In Stichproben oder nach Beschwerden überprüft die USK, ob die Freigaben den deutschen Vorstellungen entsprechen. Durch die Verwendung der Alterskennzeichnung des JuSchG könnte der Nutzer allerdings den Eindruck bekommen, die Kennzeichnung sei nach dem gleichen System wie die des Jugendschutzgesetzes entstanden – durch pluralistisch besetzte Fachgremien unter Beteiligung eines Ständigen Vertreters der Obersten Landesjugendbehörden. Außerdem ist die Nutzung des Systems durch die App-Stores nicht verpflichtend, der Store von Google ist Mitglied von IARC, der von Apple hingegen nicht. Dadurch kann es zu unterschiedlichen Einstufungen desselben Inhalts kommen. So ist WhatsApp im App-Store von Google mit „USK ab null Jahren“ eingestuft, bei Apple mit „12+“. Aus Datenschutzgründen ist die App in Europa ab 16 Jahren erlaubt, außerhalb der EU ab 13 Jahren. So gibt es für eine einzige App insgesamt vier verschiedene Alterseinstufungen. Das gilt auch für die App von Netflix, nach den Nutzungsbedingungen von Netflix selbst muss man wiederum 18 Jahre alt sein, um überhaupt Mitglied des Netflix-Dienstes zu werden

Weder das IARC- noch das von Apple genutzte System besitzen eine Anerkennung durch die KJM. Diese hat nur die Jugendschutzsysteme von Nintendo und Netflix inzwischen anerkannt, für Apps gibt es noch kein anerkanntes System. Faktisch sorgen aber alle Systeme trotz fehlender Anerkennung für die im Gesetz geforderten Wahrnehmungshindernisse und geben Eltern die Möglichkeit, beeinträchtigende Inhalte in App-Stores zu erkennen und durch die Tools des Programms zu unterbinden. Die Anerkennung ist nach dem Gesetz auch nicht unbedingt erforderlich, wichtig ist nur, dass die materiellen Anerkennungsvoraussetzungen des § 11 Absatz 3 JMStV erfüllt sind. Für die Anerkennung fordert der Gesetzgeber vor allem, dass Jugendschutzprogramme in der Lage sind, nach Altersstufen zu differenzieren und so zu Telemedien einen dem Stand der Technik entsprechenden Zugang zu ermöglichen. Dies ist nach Meinung des Autors auch für die von Google oder Apple genutzten Systeme der Fall, die er mit den von der KJM anerkannten Programmen für qualitativ gleichwertig hält.

Der Autor beschäftigt sich anschließend mit den im aktuellen Entwurf des neuen Jugendschutzgesetzes geplanten Änderungen, wonach die Kennzeichnungspflicht von Trägermedien auch auf digitale Spiel- und App-Plattformen ausgeweitet werden soll, also auch auf Plattformen wie den Apple Store oder den Google Play Store. Zudem sollen nach dem Entwurf auch die Gründe angegeben werden, die zu einer Altersfreigabe geführt haben. Darin sollen auch sogenannte Interaktionsrisiken, bei denen es weniger um die klassischen Gefährdungsrisiken des Jugendschutzes geht, sondern z.B. darum, ob ein Nutzer finanziell oder durch Mobbing gefährdet werden kann, berücksichtigt werden. Auch eine mögliche Suchtentwicklung durch ein Spiel ist einzubeziehen.

Der Autor geht anschließend darauf ein, dass sowohl das System von Google als auch das von Apple im Hinblick auf den Jugendschutz wirkungsvoll sei, allerdings beide nach dem gegenwärtigen JMStV weder mit einem anerkannten Jugendschutzprogramm noch mit den zukünftig vorgesehenen gesetzlichen Regelungen kompatibel seien. Es seien reine Systeme der Selbstkontrolle, die aber durch die möglichen Sperrungen weiter reichten, als es im Gesetzentwurf vorgesehen sei. Außerdem ziele der Gesetzentwurf nicht auf die Entwickler ab, sondern wolle die Plattformen, auf denen die Apps vertrieben werden, in die Pflicht nehmen. Deren Problem bestehe aber darin, dass nicht nur die deutschen Regeln, sondern auch die Vorschriften anderer Staaten berücksichtigt werden müssten.

Insgesamt gibt der Beitrag einen guten Überblick über die gegenwärtige Problematik, allerdings beschäftigt er sich ausschließlich mit den Beschränkungen durch die Selbstkontrollen bzw. angestrebte gesetzliche Vorschriften. Das Problem der unterschiedlichen Sichtweisen auf die Gefährdungen und die Notwendigkeit, dass Eltern und Jugendliche den Sinn solcher Beschränkungen auch nachvollziehen können, wird außer Acht gelassen. Das ist aber in der Praxis ein sehr wichtiger Punkt, denn Jugendschutzbeschränkungen sollten nicht als willkürlich wahrgenommen werden. Die Nutzer werden sie nur dann akzeptieren, wenn vernünftige und plausible Gründe für eine Altersbeschränkung erkennbar sind. Dass im Zweifelsfall eine strengere Regelung die bessere wäre, führt in die Irre. Eltern, die beispielsweise bei Netflix eine offensichtlich für Kinder produzierte Serie schauen, die dann aber eine Alterskennzeichnung ab 12 oder ab 16 Jahren besitzt, werden sich wahrscheinlich zukünftig nicht mehr an diesen Altersfreigaben orientieren. Es besteht die Gefahr, dass sowohl strenge Regeln der Selbstkontrolle als auch Vorschriften des Gesetzes zwar scheinbar die Probleme lösen, aber faktisch ins Leere laufen, weil sie im konkreten Fall von den Nutzerinnen und Nutzern nicht als sinnvoll wahrgenommen und damit entsprechend nicht beachtet werden.

Quelle:

Rauda, C.: Staatlicher Jugendschutz für Apps und parallele Regeln der App-Stores. Konkurrenz zwischen dem Jugendschutz nach dem JMStV und den Richtlinien von Google und Apple für Publisher von Apps. In: MMR-Beilage, 8/2020, S. 13 – 17