Ladies in Arms
Women, Guns, and Feminisms in Contemporary Popular Culture
Bielefeld 2024: transcript
Rezensent/-in:
Lothar Mikos
Bewaffnete Frauen
Frauen, die mit Waffen posieren, kennen wir in unserem europäischen Kulturkreis in der Regel nur aus Filmen und Fernsehserien. Das ist in den USA anders. Wie die Amerikanistin Axelle Germanaz in ihrem Beitrag zeigt, werben vor allem republikanische Frauen mit Waffen für ihre politischen Anliegen. Sie hat die Werbevideos von vier republikanischen Kandidatinnen untersucht, darunter die von Marjorie Taylor Greene und Lauren Boebert, über die als treue Trump-Anhängerinnen auch hierzulande berichtet wurde. Germanaz stellt fest, dass republikanische Kandidatinnen sich in einer Form hegemonialer Maskulinität inszenieren, indem sie ihre physische und moralische Stärke, ihre Autorität und ihren Unternehmergeist herausstellen (vgl., S. 103). Sie stellen dabei eine robuste (rugged) Weiblichkeit, einen rauen Individualismus dar, aber auch traditionelle weibliche „Tugenden“ wie Mutterschaft und Häuslichkeit, stützen sich aber gleichzeitig auf den amerikanischen Waffenmythos und seine Ikonografie (vgl. S. 105). Die eigene Darstellung mit Waffen soll dabei nicht nur amerikanische Härte und Ordnung repräsentieren, sondern sendet auch eine Botschaft an Sympathisanten – wenn nötig, selbst die Waffe in die Hand zu nehmen – und Gegner – die Waffengesetze nicht zu verschärfen (vgl. S. 111). Die Autorin kommt zu dem Schluss, „dass die Waffen der Frauen in der politischen Werbung paradoxerweise für weibliche Selbstermächtigung und weiße weibliche Wut ebenso stehen wie für eine rechte Fantasie der politischen Gewalt und der drohenden konservativen Erneuerung und damit als Hilfsmittel sowohl zu nationaler Stärke als auch zur Zerstörung des Staates“ (S. 117).
Diese Art der weiblichen Selbstermächtigung hat wenig mit Feminismus zu tun. In seinem Beitrag zum Memoir einer US-Soldatin, die im Irakkrieg aktiv war und die ihr Gewehr gewissermaßen als Prothese begriff, argumentiert der Amerikanist Martin Holtz, dass Waffen lediglich ein „pseudo-feministischer Schlüssel zu einer Welt männlicher Privilegien, eine Emanzipation durch Nachahmung“ seien (S. 82). Die Verwendung des Plurals „Feminismen“ im Titel des Buches hat daher durchaus seine Berechtigung.
Andere Beiträge widmen sich den „gun women“ bzw. den „women warriors“ aus historischer Perspektive, zum Beispiel den bewaffneten Frauen im chilenischen Widerstand gegen das Pinochet-Regime oder Frauen im 19. Jahrhundert, die die Pariser Commune unterstützten. Die meisten Beiträge beschäftigen sich mit bewaffneten Frauen in Filmen, Fernsehserien und der Populärkultur.
So befasst sich die Kulturwissenschaftlerin Stefanie Mayer mit der Darstellung von Frauen in Filmen, die in der kolumbianischen Narco-Kultur spielen und in denen Frauen sich an Männern rächen, die Gewalt ausgeübt haben. Sie kann zeigen, „dass die aktive Rolle der Heldinnen limitiert ist und in patriarchalen Mustern des Denkens wurzelt“ (S. 137).
Die Amerikanistin Hana Vrdoljak analysiert ein Video von Cardi B., in dem die Rapperin als unbarmherzige Killerin inszeniert wird. Vrdoljak meint, dass solche künstlerischen Abbildungen von Gewalt auch eine politische Dimension haben: „Sie können als eine Art von feministischer Gangsta-Rachefantasie gegen eine von Weißen dominierte Gesellschaft verstanden werden“ (S. 149). Darin liege ihr emanzipatorisches Potenzial.
Der Romanist Jörg Türschmann beschreibt, wie in Filmen des französischen Regisseurs Luc Besson die Waffen und die Schützinnen in den Körpern der Heldinnen verschmelzen. Sie kämpfen in der Regel für ihre persönliche Freiheit, um sich aus repressiven Strukturen zu befreien (vgl. S. 223).
Die Anglistin Hridaja Ajgaonkar zeigt in ihrer Analyse von Bollywood-Filmen, dass gewalttätige Frauen marginalisiert werden, weil sie sich durch eine moralische Ambiguität auszeichnen. Sie sind komplexe Figuren, deren Handeln aber für andere Frauen zur Ermächtigung beitragen kann (vgl. S. 213).
Die Amerikanistin Stefanie Schäfer setzt sich mit der von Nora Tschirner dargestellten Figur im Tatort aus Weimar auseinander. In der Episode „Der höllische Heinz“ muss sie undercover in einem Westerndorf in Thüringen ermitteln. Hier werden alle Stereotype sowohl des amerikanischen Western als auch der ost- und westdeutschen Westernfilme verarbeitet und variiert. Als Cowgirl trägt die Figur zwar einen Colt, der kommt aber nicht in einem finalen Duell zum Einsatz. Stattdessen kulminiert die Episode in einer Gesangseinlage im Saloon (vgl. S. 193).
Die Historikerin Dagmar Ellerbrock stellt fest, dass die Darstellung bewaffneter Frauen sehr divers ist und die Frauen verschiedenste Rollen einnehmen. Dabei müsse zwischen militärischen und zivilen Rollen unterschieden werden. Sie stellt fest: „Wir treffen auf die Ambivalenz der wilden, unzivilisierten Frauen, die gleichzeitig als mächtig wahrgenommen werden und für übergeordnete moralische Prinzipien kämpfen“ (S. 286).
Die einzelnen Beiträge des englischsprachigen Bandes zeigen die ganze Bandbreite der verschiedenen Rollen bewaffneter Frauen und ihrer Darstellung in den Medien. Die Leser*innen bekommen zahlreiche Anregungen, das Bild bewaffneter Frauen zu überdenken und in einen kulturhistorischen Kontext einzuordnen.
Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos
