Langeweile. Einführung ins Titelthema

Joachim von Gottberg

Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und tv-diskurs-Chefredakteur.

Warum und mit welchen Schwerpunkten wird das Thema „Langeweile“ in tv diskurs behandelt?

Printausgabe tv diskurs: 21. Jg., 1/2017 (Ausgabe 79), S. 24-25

Vollständiger Beitrag als:

Ältere Menschen beklagen sich oft darüber, dass die Zeit mit den Jahren viel schneller vorbeigeht als noch zur Kinderzeit. Zudem erinnern sich die meisten daran, dass man zu Hause, in der Schule oder im Kindergarten oft unendliche Langeweile empfand, also das Gefühl hatte, dass die Zeit stillsteht und einfach nicht vorbeigeht. Es ist schwer zu klären, ob das unterschiedliche Zeitgefühl von Kindern und Erwachsenen Einbildung oder Realität ist. Schließlich ist es eher subjektiv und hat in der Regel wenig mit der realen, auf Uhren abzulesenden Zeit zu tun. Es gibt die These, dass die ersten 18 Jahre gefühlt so lang sind wie der Rest des Lebens. Womit könnte dies zusammenhängen?

Eines scheint klar: Wenn das Gehirn beschäftigt ist, wird die Zeit nicht empfunden. In einem interessanten Gespräch unter Freunden oder beim Schauen eines spannenden Films geht sie sogar (zu) schnell vorbei. Dagegen spüren beispielsweise Schüler beim Schulunterricht von Fächern, die sie wenig interessieren, oder bei den Hausaufgaben, die danach zu erledigen sind, quälend jede Sekunde. Bekannt ist aber auch, dass die Zeit dann schneller vergeht, wenn wir Routinen erledigen. Bei einer längeren Autoreise kommt einem die Rückfahrt meist kürzer vor als die Hinfahrt. Zusammenfassend könnte man zu dem Ergebnis kommen: Je stärker das Gehirn durch neue Reize angestrengt wird und je mehr Routinen erledigt werden, desto schneller geht die Zeit vorbei. Habe ich dagegen nichts zu tun oder muss ich mich mit Dingen neu beschäftigen, die mich zudem nicht besonders interessieren, scheint sie stillzustehen.

Wenn uns unerträglich langweilig ist, überlegen wir uns Aktivitäten, um diesen Zustand möglichst schnell zu beenden. Dazu benötigen wir Reize oder Informationen, die unser Gehirn von sinnlosem Zeitvertreib ablenken. Das allgegenwärtige Smartphone bietet hierfür ein reichhaltiges Angebot. Statistiker haben beobachtet, dass der Mensch im Durchschnitt 88 Mal pro Tag auf sein Handy schaut. Die überwiegende Motivation sei Langeweile, so heißt es.

tv diskurs will dem Phänomen der Langeweile und den Strategien, sie zu überwinden, ebenso nachgehen wie der Frage, was die Langeweile eigentlich für den Menschen bedeutet: Ist sie ein quälendes, fruchtloses Zeittotschlagen oder hat sie einen besonderen Nutzen? Motiviert sie vielleicht dazu, kreativ zu werden und etwas zu erfinden, was das Gehirn neu beansprucht und fordert? Ist die Fähigkeit, Langeweile zu ertragen, möglicherweise eine wichtige Überlebensstrategie? Erlernt man dadurch Geduld und Frustrationstoleranz? Man merkt es gleich: Langeweile ist ein äußerst interessantes Phänomen, bei dessen Durchdenken einem ganz sicher nicht langweilig wird.

> tv diskurs 79, 1/2017: Langeweile. Zeit für ein unterschätztes Phänomen