Leben in der digitalen Gesellschaft
Ausgewählte Befunde der „Shell Jugendstudie“
Medien im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Wie in anderen bekannten Studien zum Alltag der Jugend, etwa der JIM-Studienreihe mit Fokus auf den Medienumgang 12- bis 19-Jähriger, belegen auch die Ergebnisse der Shell Jugendstudie den markanten Wandel der Freizeitwelten junger Menschen in Deutschland. Im Ranking der häufigsten Freizeitbeschäftigungen von Jugendlichen und jungen Erwachsen steht aktuell das Hören von Musik ganz vorn. Es folgen das Anschauen von Videos, Filmen und Serien sowie die persönlichen Treffen mit anderen – allesamt Beschäftigungen, die gut die Hälfte der 12- bis 25-Jährigen zu ihren fünf häufigsten Freizeitaktivitäten zählt. Auch im Weiteren sind es vor allem mediale Beschäftigungen, das Surfen im Internet, die Nutzung sozialer Medien, das Fernsehen, die Computerspiele und das Lesen von Büchern. Gemessen an der Häufigkeit können nur das Training im Fitnessclub oder Sportverein bzw. das Sporttreiben in der Freizeit, familiäre Unternehmungen und das Chillen bzw. Nichtstun mithalten (vgl. S. 161), das für die Alltagszufriedenheit junger Menschen nicht unwichtig ist.
Im Vergleich mit den vorherigen Ausgaben der Shell Jugendstudie haben das Musikhören und Fernsehen in den letzten 20 Jahren deutlich und das Treffen von Leuten etwas an Relevanz verloren. Auch beim klassischen Surfen im Internet liegt das Hoch schon länger zurück. Diese Entwicklungen sind im Kontext der stark zugenommenen Nutzung von Videos, Filmen und Serien im Streaming und von Social Media im weitesten Sinne zu sehen; vor allem die Jüngeren verbringen nach der Coronapandemie noch immer (viel) mehr Zeit online mit ihren Freund*innen und Bekannten als zuvor (vgl. S. 162). Für die Zufriedenheit mit dem eigenen Freundeskreis spielt der sozioökonomische Hintergrund weiterhin die zentrale Rolle. Wie in den vorherigen Studien festgestellt, sind insbesondere Jugendliche aus der Unterschicht und unteren Mittelschicht unzufrieden mit ihrem Freundeskreis, was auffällig häufig auch mit Einsamkeit und der Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben insgesamt einhergeht (vgl. S. 138 f.).
![Daniel Hajok: Leben in der digitalen Gesellschaft: Ausgewählte Befunde der „Shell Jugendstudie“ Tabelle „Nachwirkende Folgen der Pandemie“ (Shell Jugendstudie 2024)](/data/_processed_/d/f/csm_Bildschirm_foto_2024-12-30_um_14.16.33_5dd127a914.png)
Wegen unterschiedlicher Dinge im Netz unterwegs
Gerade im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat die Nutzung von Internet und Onlinediensten in den letzten Jahren über ein breites Spektrum von Anwendungen hinweg an Bedeutung gewonnen. Dies zeichnet die aktuelle Shell Jugendstudie im Vergleich der Daten aus den Jahren 2015 und 2019 für unterschiedliche Bereiche nach – für die Unterhaltung und Entspannung junger Menschen ebenso wie für den kommunikativen Austausch untereinander und die Vernetzung mit anderen, für die Zugänge zu alltagspraktischer und politischer Information sowie für die Aneignung von (abgefordertem) Wissen. Die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen nutzen mittlerweile mehrmals täglich nicht nur die Messengerdienste, sondern auch Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok. Mindestens einmal am Tag suchen die meisten nach Information, die sie gerade benötigen und nutzen das Netz für Schule, Ausbildung oder Beruf, zum Hören von Musik, oder um sich online Videos, Filme und Serien anzuschauen (vgl. S. 169).
Beim Gaming zeigt sich indes eine gewisse Sättigungstendenz – noch immer tauchen aber zwei Fünftel der 12- bis 25-Jährigen täglich in digitale Spielewelten ein. Der Austausch via E‑Mails hat in den letzten Jahren interessanterweise wieder etwas zugenommen; Onlineshopping bleibt trotz leichter Zugewinne nur für die wenigsten eine häufig wahrgenommene Option. Ebenso zeigt sich die Jugend eher verhalten, was das öffentliche Posten eigener Inhalte anbetrifft – nur jede*r Fünfte ist zumindest wöchentlich auf diese Weise aktiv. Die Bedeutung von Internet und Onlinediensten als niedrigschwelliger Zugang zu politischen und gesellschaftlich relevanten Themen hat demgegenüber deutlich zugenommen. Gab im Jahr 2015 jede*r achte Befragte an, sich täglich zu Politik und Gesellschaft im Netz zu informieren, war es 2024 schon fast jede*r Dritte. Gleich ob online oder offline – als zentrales Ergebnis der Studie wird herausgehoben: „Erstmals informiert sich eine Mehrheit der Jugendlichen aktiv über Politik“ (S. 170). Fast alle medialen Informationsquellen haben dabei im direkten Vergleich zu 2019 an Relevanz gewonnen, allerdings greift mittlerweile jede*r Zehnte zur politischen Information ausschließlich auf Onlinemedien zurück.
![Daniel Hajok: Leben in der digitalen Gesellschaft: Ausgewählte Befunde der „Shell Jugendstudie“ Tabelle „Informationskanäle: Wo sich Jugendliche über aktiv über Politik informieren (Shell Jugendstudie 2024)](/data/_processed_/c/d/csm_shell-studie-tabelle-2_509cb54127.png)
Medien als Quelle der politischen Information
Wie andere Studien stellt auch die aktuelle Shell Jugendstudie die gestiegene Bedeutung der verschiedenen medialen und nicht zuletzt digitalen Angebote heraus. Ein differenzierter Blick auf die wichtigen nicht-medialen bzw. personalen Informationsquellen (Schule, Elternhaus, Familie, Peers etc.) erfolgt indes nicht. Grundsätzlich steigt das politische Interesse junger Menschen auch nach den aktuellen Daten im Verlauf des Jugendalters an und ist bei den Heranwachsenden mit hohem sozioökonomischen Hintergrund am weitesten verbreitet. In der längerfristigen Betrachtung zeigt sich, dass das politische Interesse der jungen Generation seit dem absoluten Tief im Jahr 2002 insgesamt deutlich zugenommen hat: Aktuell zeigt sich gut die Hälfte der Jugendlichen und jungen Erwachsen für Politik allgemein (stark) interessiert (vgl. S. 44 ff.). Dass junge Männer – wie viele Jahre konstatiert – politisch interessierter sind als junge Frauen, konnte in der Studienreihe allerdings erstmalig nicht festgestellt werden, wohl aber, dass sich die männlichen Heranwachsenden öfter online zu Politik und Gesellschaft informieren als die weiblichen (vgl. S. 170).
Bei den genutzten Kanälen zur Information steht das Fernsehen mit deutlichen Zugewinnen bei den Jugendlichen wie bei den jungen Erwachsenen weiterhin ganz vorn: Mittlerweile informiert sich hier fast jede*r Dritte 12- bis 25-Jährige aktiv über Politik. Mit nur wenig Abstand folgen wie bereits im Jahr 2019 die Nachrichtenwebsites, Newsportale oder Pushnachrichten, die in der Abfrage zu einer Quelle gebündelt und – insgesamt betrachtet – auch wieder deutlich häufiger genutzt wurden. Die größten Zugewinne als Informationskanal der jungen Generation hat Social Media im weitesten Sinne. Aktuell nutzt jede*r Vierte soziale Netzwerke oder Messengerdienste auch als Quelle politischer Information. Jeweils um die 20 % der 12- bis 25-Jährigen informieren sich über Suchmaschinen, Radio und Podcasts sowie Nachrichtenkanäle auf YouTube aktiv über Politik. Erst dann folgen gedruckte Zeitungen und Zeitschriften (vgl. S. 171). Mit dem (im Verlauf des Jugendalters) steigenden politischen Interesse der Heranwachsenden werden alle medialen Informationsquellen wichtiger. Zu Beginn des Erwachsenenalters haben sich dann ihre höchste Relevanz.
Dass junge Männer – wie viele Jahre konstatiert – politisch interessierter sind als junge Frauen, konnte in der Studienreihe allerdings erstmalig nicht festgestellt werden, wohl aber, dass sich die männlichen Heranwachsenden öfter online zu Politik und Gesellschaft informieren als die weiblichen (vgl. S. 170)."
Zwischen Vertrauen und Misstrauen
Auch wenn die öffentlich-rechtlichen Fernsehnachrichten, die großen überregionalen Zeitungen und auch das Radio bzw. die Podcasts ein sehr hohes und auch deutlich höheres Vertrauen als die Onlinemedien genießen, haben die genutzten Angebote im Netz in dieser Frage seit 2019 aufgeholt. Die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehen die Informationskanäle auf YouTube als sehr/eher vertrauenswürdige Informationsquellen. In dieser Hinsicht sind für gut jede*n Dritten auch Social-Media-Angebote wie Instagram und TikTok vertrauenswürdig und für gut jede*n Vierten Kommunikationsplattformen wie X, dem Nachfolger des zuvor auch bei der Jugend nicht gänzlich irrelevanten Twitter (vgl. S. 173). Wie bereits 2019 festgestellt, haben die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus den ostdeutschen Bundesländern ein deutlich größeres Misstrauen gegenüber den klassischen Informationskanälen (Fernsehnachrichten und überregionalen Zeitungen) als die Gleichaltrigen im Westen (vgl. S. 174).
Bezieht man die zu einer Typologie geclusterten Einstellungen zu Staat und Gesellschaft mit ein, mit der sich die 12- bis 25-Jährigen dem Mainstream, den Progressiven, den Verunsicherten, den Selbstbezogenen und den Verdrossenen zuordnen lassen (vgl. S. 85 ff.), dann zeigt sich: Vor allem die als selbstbewusst, gestaltungs- und veränderungsorientiert gelabelten Progressiven informieren sich aktiv über Politik und Gesellschaft und bringen den klassischen Informationskanälen auch das mit Abstand größte Vertrauen entgegen. Bei den als negativ, distanziert-ablehnend, staats- und gesellschaftskritisch beschriebenen Verdrossenen ist das Misstrauen erwartungsgemäß am größten. Zwei von drei Heranwachsenden aus dieser Gruppe informieren sich auch nicht aktiv über Politik (vgl. S. 175). Im Hinblick auf die Herausforderungen durch Fake News bzw. Desinformationskampagnen im Netz besteht indes weitgehende Einigkeit: Unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer Herkunft wünschen sich neun von zehn Jugendlichen, dass der Umgang mit Medien allgemein und das Erkennen von Fake News speziell verpflichtendes Thema in der Schule sein sollte.
Unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer Herkunft wünschen sich neun von zehn Jugendlichen, dass der Umgang mit Medien allgemein und das Erkennen von Fake News speziell verpflichtendes Thema in der Schule sein sollte."
Perspektiven auf Künstliche Intelligenz
Auch im Hinblick auf den zunehmenden Einsatz von KI-basierten Verfahren, die spätestens mit ChatGPT nicht nur im Bewusstsein der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sondern auch in ihrem Alltag angekommen sind, wird eine (angemessene) pädagogische Thematisierung und Bearbeitung angemahnt. Zumindest wünschen sich die meisten – drei von fünf 12- bis 25-Jährigen um genau zu sein –, dass auch der Umgang mit KI in der Schule unterrichtet wird. Die Forderung nach Wissens- und Kompetenzvermittlung in diesem Bereich wird in der Shell Jugendstudie als Erwartung der jungen Generation gelesen, in der Schule (noch) besser auf die Veränderungen seitens zentraler Technologien vorbereitet zu werden, die sowohl mit Chancen als auch mit Risiken einhergehen (vgl. S. 178f.). Besonders wichtig ist den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in diesem Zusammenhang, dass die Anwendung der neuen Technologien zunächst einmal transparent gemacht wird – in ihren beliebten Social-Media-Welten war das in der Vergangenheit keineswegs immer so. Gut drei Viertel der befragten 12- bis 25-Jährigen stimmen damit überein, dass der Einsatz von KI immer gekennzeichnet sein sollte.
![Daniel Hajok: Leben in der digitalen Gesellschaft: Ausgewählte Befunde der „Shell Jugendstudie“ Tabelle „Wie Jugendliche über den Einsatz von KI denken“ (Shell Jugendstudie 2024)](/data/_processed_/e/5/csm_shell-studie-tabelle-3_14f15cd260.png)
Hinsichtlich der Chancen und Risiken durch die neue Technologie zeigt sich ein ambivalentes, unterm Strich aber eher positives Bild: Gut zwei Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehen das Potenzial, dass die Anwendung von KI den Alltag erleichtert, etwa bei der Nutzung von Haushaltsgeräten, der Einkaufsplanung oder der Auswahl von Musik. Jede*r zweite nimmt die besondere Relevanz für die Zukunft in den Blick und glaubt, dass KI die Welt in vielen Bereichen (Medizin, Verkehr, Bildung etc.) besser machen wird. Knapp zwei Drittel stimmen aber auch der Auffassung zu, dass KI kein Einfühlungsvermögen besitzt und (daher) unmenschliche Entscheidungen treffen kann. Mehr Zustimmung als Ablehnung wird nicht zuletzt zu der Frage geäußert dass KI zu mehr Arbeitslosigkeit führen wird – vor allem die niedriger Gebildeten äußern diese Befürchtung. Insgesamt betrachtet sehen aber nur wenige KI insgesamt negativ und vor allem die männlichen und höher gebildeten Heranwachsenden rücken die Chancen in den Vordergrund (vgl. S. 179ff.)
Quellen:
Albert, M./Quenzel, G./de Moll, F./Leven, I./McDonnell, S./Rysina, A./Schneekloth, U./Wolfert, S.: Jugend 2024 – 19. Shell Jugendstudie. Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt. Weinheim 2024