Lethe-Effekte

Forensik des Vergessens in Literatur, Comic, Theater und Film

Gudrun Heidemann (Hrsg.)

Paderborn 2021: Brill | Fink
Rezensent/-in: Lothar Mikos

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 3/2022 (Ausgabe 101), S. 82-82

Vollständiger Beitrag als:

Forensik des Vergessens

Der Fluss Lethe aus der griechischen Mythologie, dessen Trank vergessen lässt, ist das Leitmotiv des von der Germanistin Gudrun Heidemann herausgegebenen Bandes. Ausgangspunkt ist die Feststellung: „Unumstritten wirkt das Vergessen bei unserer individuellen, aber auch bei der kollektiven Identitätsbildung mit“ (S. 3). In den Medien wird Vergessen als ein Prozess inszeniert, in dem von Tabus und Traumata, Demenz und Tod, Schweigen und Rausch erzählt wird. Während die meisten Beiträge sich mit literarischen Werken befassen, stechen zwei Aufsätze hervor, die sich mit dem Vergessen in Filmen befassen. Irina Gradinari zeigt am Beispiel des russischen Films Flügel: „Der Krieg wird nicht allein als traumatisch, nicht als Zerstörung und Invasion erlebt, sondern als ein Sehnsuchtsort intensiver Gefühle und einer radikalen Sprengung jeglicher sozialer und Geschlechterordnungen“ (S. 105). Doch Filme verdrängen nicht nur Traumata oder deuten sie um. Filme können auch Traumata heilen, wie Sabine Hänsgen in ihrem Beitrag unter dem Stichwort „Montage als Psychotherapie“ zeigt (S. 76 ff.). Alle Beiträge machen deutlich, wie wichtig das Vergessen als dynamischer Prozess zur Verarbeitung von Traumata und Tod für alle Kunstformen (Comic, Film, Literatur und Theater) ist.

Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos