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Let’s talk about sex, KI!

Das Cyberbrothel in Berlin

Eva Lütticke im Gespräch mit Matthias Smetana

Das Cyberbrothel in Berlin bietet ein Erlebnis der besonderen Art. In dem Bordell können Kund*innen mit lebensechten Sexpuppen interagieren, kombiniert mit VR-Erotikspielen. In den immersiven Sessions wird – je nach Angebot und Wunsch – auch KI für die Kommunikation zwischen Puppe und Kund*in genutzt. Matthias Smetana ist Teilhaber und verantwortlich für die Entwicklung einer sexpositiven, queeren KI. Im Gespräch mit mediendiskurs berichtet er von den Herausforderungen und gibt einen Einblick in den Alltag des Bordells.

Online seit 20.02.2025: https://mediendiskurs.online/beitrag/lets-talk-about-sex-ki-beitrag-772/

 

 

Wie ist das Projekt Cyberbrothel entstanden?

Es war ursprünglich ein Kunstprojekt, das Kokashi hieß. Die Idee dahinter war, einen schamfreien Raum zu schaffen, in dem man Sexualität offen und experimentell erleben kann. Ich fand das von Anfang an spannend, weil es Themen wie Sexualität, Technologie und Gesellschaft miteinander verbindet. Meine erste Aufgabe war es damals, Ordnung in die Unterlagen zu bringen, denn das Projekt entwickelte sich von einem künstlerischen Ansatz hin zu einem kommerzielleren Modell. Seitdem hat sich viel getan, und wir arbeiten inzwischen an Technologien, die weit über das hinausgehen, was damals angedacht war.

Wie kam die Idee auf, KI in das Konzept einzubinden? War das von Anfang an Teil der Vision?

Die Idee war tatsächlich von Anfang an da, aber damals hatten wir noch nicht die technischen Möglichkeiten, die es heute gibt. Das Projekt startete mit einer Art „analoger KI“: Wir hatten Sprecherinnen, die über Mikrofone mit den Kunden gesprochen haben. Diese Sprecherinnen haben bestimmte Rollen übernommen und waren auch in der Lage, spontan auf Wünsche einzugehen. Das war natürlich nicht wirklich KI, aber es hat den Gästen den Eindruck vermittelt, mit einer anderen Persönlichkeit zu interagieren.

Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem ein Kunde enttäuscht war, weil er herausgefunden hatte, dass die Stimme, mit der er sprach, zu einer echten Person gehörte und nicht zu einer KI. Das hat uns gezeigt, dass die Erwartungshaltung bei vielen Leuten schon sehr stark in Richtung KI geht. Heute entwickeln wir eine KI, die diese Interaktionen ergänzen soll. Es geht nicht darum, die Sprecher*innen zu ersetzen, sondern das Erlebnis zu erweitern – etwa durch KI-gestützte Sessions, die auch dann möglich sind, wenn keine menschlichen Sprecherinnen verfügbar sind.

Was ist genau die Aufgabe der Sprecherinnen und welche Rolle übernimmt die KI dabei?

Unsere Sprecherinnen arbeiten mittlerweile oft aus dem Homeoffice. Sie loggen sich über eine Plattform ein und führen die Sessions von dort aus. Die Sessions sind sehr individuell, das heißt, sie passen sich den Wünschen der Kunden an. Wir geben zwar Vorlagen für bestimmte Rollenspiele, aber die Details werden meistens direkt mit den Kunden abgesprochen. Es ist uns wichtig, dass die Sprecherinnen selbst entscheiden können, wie weit sie gehen möchten, und auch die Möglichkeit haben, eine Session abzubrechen, wenn sie sich unwohl fühlen. Bisher ist das aber noch nie vorgekommen.

Die KI kommt ins Spiel, um diese Voice-Sessions zu ergänzen. Es gibt viele Kunden, die sich unwohl fühlen, wenn sie wissen, dass eine echte Person mit ihnen spricht. Eine KI kann hier eine Art Barriere abbauen und den Einstieg erleichtern. Gleichzeitig bietet sie uns die Möglichkeit, das Angebot zu erweitern, da wir organisatorisch natürlich begrenzt sind. Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich Menschen auf eine KI reagieren. Manche öffnen sich ihr gegenüber viel leichter als einer echten Person, was in gewisser Weise auch etwas über unsere Gesellschaft aussagt.
 

Was ist der zeitliche Buchungsrahmen solcher Sessions?

Unsere Buchungszeiten sind flexibel: Die kürzeste Session dauert 30 Minuten, was meist als Einstieg dient. In der Regel buchen unsere Gäste jedoch eine Stunde, während längere Sessions von zwei bis drei Stunden eher die Ausnahme sind. Besonders bei Voice-Sessions kann es vorkommen, dass diese länger dauern, da die Interaktion oft Zeit braucht, um in Gang zu kommen. Für diejenigen, die ein intensiveres Erlebnis suchen, bieten wir außerdem Night-Sessions an, die von 23:00 Uhr bis 14:00 Uhr am nächsten Tag dauern können.

Sie meinten, es braucht einen Moment, um sich auf die Situation einzulassen. Aber diejenigen, die kommen, sind neugierig und offen für das Ganze, oder?

Ja, absolut. Die meisten bringen eine gewisse Neugier und Offenheit mit. Aber es ist trotzdem eine Sache, neugierig zu sein, und eine ganz andere, tatsächlich in den Raum zu treten. Dort steht dann eine Puppe in lebensgroßer Dimension vor dir, die ziemlich realistisch aussieht – und dann beginnt sie auch noch, mit dir zu sprechen. Das ist ein Moment, der viele erstmal umhaut. Man braucht oft 15 bis 20 Minuten, um sich daran zu gewöhnen. Für unsere Sprecherinnen liegt die größte Herausforderung darin, dieses anfängliche Unwohlsein zu überwinden und das sogenannte Uncanny Valley zu überbrücken – also diese seltsame Grenze zwischen künstlich und lebensecht.

Was genau ist ihre Vision für die KI, und was bedeutet „sexpositive, queere KI“ in diesem Zusammenhang?

Unsere Vision ist es, eine KI zu entwickeln, die sexpositiv und queerfreundlich ist. Das bedeutet, dass sie offen für alle Arten von Sexualität und Identitäten ist und nicht wie viele kommerzielle Sprachmodelle bestimmte Themen blockiert. Ein Beispiel: Wenn man ein herkömmliches KI-Modell nach sexpositiven Orten oder Swingerclubs fragt, bekommt man oft keine Antwort, weil solche Themen als unangemessen gelten. Das ist problematisch, weil es eine verzerrte Sicht auf Sexualität vermittelt. Unsere KI soll genau das Gegenteil tun: Sie soll offene und ehrliche Antworten geben, ohne zu zensieren.

Mit welchen Daten wird das KI-Modell trainiert?

Wir zeichnen – natürlich mit dem Einverständnis unserer Kunden – die Sessions auf. Diese werden lokal gespeichert, um daraus später die neue KI zu trainieren. Der Prozess läuft in mehreren Schritten: Zuerst die Datenerhebung, dann die Bereinigung, um sicherzustellen, dass alles sauber und korrekt ist. Das heißt, ich gehe die Daten durch, entferne alle Namen und schaue, dass keine personenbezogenen Informationen enthalten sind. Danach werden die Daten in verschiedene Kategorien eingeteilt, die anschließend gemeinsam mit einem Team aus Philosoph*innen, Ethiker*innen und Techniker*innen geprüft werden, um die bestmögliche Grundlage für das KI-Modell zu schaffen.

Was sind weitere Herausforderungen in der Entwicklung?

Die technische Umsetzung. Wir wollen, dass unsere KI lokal läuft, also nicht von externen Servern abhängig ist. Das erfordert leistungsstarke Hardware und viel Entwicklungszeit. Trotzdem ist es uns wichtig, unabhängig zu bleiben, um maximale Kontrolle über unsere Daten und Prozesse zu haben.

Ein weiteres Thema ist Konsens. Wie bringt man einer KI bei, zu verstehen, wann etwas okay ist und wann nicht? Das ist besonders in Rollenspielen oder bei dynamischen Interaktionen wichtig. Wenn ich dir jetzt sage: „Okay, du darfst mich in einem Rollenspiel beleidigen, du darfst mich ‚dummer Elefant‘ nennen, weil mich das total antörnt“, dann ist das vielleicht für diesen Rahmen und die nächsten 20 Minuten in Ordnung.
 

Wir wollen eine KI schaffen, die nicht nur technisch überzeugt, sondern auch ethisch vertretbar ist.“

 

Hat die zunehmende Zensur in KI-Sprachmodellen langfristige Auswirkungen auf unsere Gesellschaft?

Absolut. Ich sehe die Zensur in vielen KI-Modellen als gefährlichen Trend. Sie schränkt nicht nur den Zugang zu Informationen ein, sondern verhindert auch wichtige gesellschaftliche Diskussionen. Themen wie Sexualität oder queere Identitäten werden oft einfach ausgeklammert, obwohl sie ein zentraler Bestandteil des menschlichen Lebens sind. Das führt dazu, dass Menschen sich nicht repräsentiert fühlen und bestimmte Themen weiterhin tabuisiert bleiben.

Für mich ist das vergleichbar mit einer Plattform wie Truth Social, die von Donald Trump ins Leben gerufen wurde. Wenn staatliche Kommunikation nur noch über solche Plattformen läuft, wird automatisch ein großer Teil der Gesellschaft ausgeschlossen. Das Gleiche passiert, wenn KI-Sprachmodelle Themen wie Sexarbeit oder queere Kultur blockieren. Es ist wichtig, dass wir diese Technologien so gestalten, dass sie die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln und nicht zensieren.

Ab wann wird die KI zum Einsatz kommen?

Bis nächsten Sommer soll unser eigenes, lokales Modell fertig sein. Man kann schon jetzt mit der KI interagieren – das System steht soweit. Wir sind gerade in der finalen Evaluierungsphase und überlegen, wie wir den Launch am besten gestalten.

Welche Kundschaft besucht das Cyberbrothel?

Der Großteil unserer Kunden gehört tatsächlich der Altersgruppe von 45 bis 60 Jahren an und besteht überwiegend aus heterosexuellen Cis-Männern. Wir versuchen jedoch, unser Angebot breiter zu gestalten und das Konzept stärker in Richtung eines „Adult Playgrounds“ zu entwickeln.

Unser Ziel ist es, einen sexpositiven Raum zu schaffen, der für jede*n offen ist – unabhängig von Geschlecht oder Identität. Wir haben ein bunt gemischtes Team und sind grundsätzlich offen für alle. Dennoch machen Männer aktuell den Großteil unserer Kundschaft aus und tragen somit maßgeblich dazu bei, die laufenden Kosten zu decken.

Trotzdem erweitern wir stetig unser Angebot. Wir bieten den Raum zunehmend auch für Playrooms, sexpositive Veranstaltungen und gelegentlich sogar Orgien an. Es kommt auch vor, dass Paare gemeinsam zu uns kommen, um den Raum zu nutzen und neue Erfahrungen zu machen. Wir hatten auch schon Gäste, die ihren Hochzeitstag mit einer Gruppe von vier Personen hier gefeiert haben.

Wenn man sich die Puppen anschaut, muss man sagen, dass sie ziemlich stereotyp wirken und aus einer männlichen Perspektive gestaltet sind. Ist das eine bewusste Entscheidung, oder wie kommt es dazu?

Natürlich ganz bewusst – schließlich sind wir ja tief in uns drin Sexisten! Nein Spaß beiseite, das ist eine berechtigte Frage, und sie wird tatsächlich oft gestellt. Es gibt dafür mehrere Gründe. Einer der größten und vielleicht etwas ernüchternden Gründe ist schlicht die finanzielle Seite. Die Standardpuppen, die wir verwenden, sind im Vergleich zu männlichen Puppen deutlich günstiger. Eine männliche Puppe kostet fast das Dreifache, und das liegt einfach an Angebot und Nachfrage.
 

Wo werden sie hergestellt?

Alle Puppen kommen aus Shenzhen, China. Es gäbe Alternativen, wie etwa handgefertigte Puppen aus Frankreich, aber die liegen bei rund 7.500 Euro pro Stück. Das ist für uns nicht machbar, wenn wir unsere aktuellen Preise halten wollen. Verfügbarkeit und Kosten sind für uns daher große Themen. Trotzdem arbeiten wir daran, unser Angebot zu erweitern, und wir haben kürzlich auch wieder männliche Puppen bestellt.

Warum die Puppen so aussehen, hat aber auch mit praktischen Gründen zu tun – vor allem mit dem Gewicht. Die Puppen, die wir hier haben, wiegen etwa 30 Kilogramm. Würden sie größer oder realistischer proportioniert sein, kämen sie schnell auf 50 bis 60 Kilogramm. Das macht das Handling extrem schwierig. Diese Puppen sind ursprünglich für den Hausgebrauch gedacht, nicht für Betriebe wie unseren.

Zwar haben wir hier vor Ort Kräne und andere Hilfsmittel, aber für Privatpersonen wäre eine 50-Kilo-Puppe kaum praktikabel. Stell dir vor, du müsstest allein einen 50-Kilo-Dildo aufs Bett hieven – das wäre alles andere als einfach.

Dann kommt natürlich auch unsere Zielgruppe ins Spiel: Der Großteil unserer Kunden sind Männer. Die Puppen, wie sie derzeit gestaltet sind, sprechen diese Zielgruppe einfach stärker an. Klar, es gibt auch ausgefallenere Designs, die ich persönlich spannend finde, wie Aliencharaktere mit oder ohne Tentakel oder Puppen mit mehreren Genitalien. Aber das ist eher mein persönlicher Geschmack und momentan noch nicht so stark nachgefragt.

Trotzdem arbeiten wir kontinuierlich daran, diversere Puppentypen anzubieten. Wir haben bereits damit begonnen, das Handling durch verbesserte Kräne und Ausrüstung zu erleichtern, sodass schwerere Puppen leichter genutzt werden können. Bei jeder neuen Bestellung achten wir darauf, mehr Vielfalt ins Sortiment zu bringen. Es ist ein Prozess, aber wir sind dran.
 

Wo sehen Sie die Zukunft für Cyberbrothels und die Rolle von Technologie darin?

Ich glaube, dass Cyberbrothels eine wichtige Rolle dabei spielen können, wie wir über Sexualität nachdenken und sie erleben. Technologie bietet uns die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu schaffen und gleichzeitig gesellschaftliche Tabus abzubauen. Unsere Vision ist es, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen sich ausprobieren können – sei es mit Virtual Reality, KI oder anderen Technologien. Ich hoffe, dass wir damit auch einen Beitrag zu einer offeneren und toleranteren Gesellschaft leisten können.

Und was wäre ihr persönlicher Zukunftswunsch?

Mein Wunsch für die Zukunft? Ich träume von einer sexuell befreiten Welt, in der Menschen offen über Sexualität sprechen können, ohne dafür verurteilt zu werden. Einer Welt, in der die ganze Genderdebatte wirklich vom Tisch ist, weil es schlicht egal ist, welches Geschlecht jemand hat. Es geht darum, dass Menschen mehr sind und weniger darstellen – dass sie authentischer sein können.

Vielleicht könnte Technologie dabei helfen, dass wir uns selbst besser verstehen, gerade in Bezug auf unsere Sexualität. Natürlich klingt das romantisiert, und vermutlich wird es so nicht passieren. Aber die Vorstellung, dass durch solche Technologien ein kleiner Beitrag dazu geleistet wird, dass Menschen herausfinden, was sie wirklich wollen oder was ihnen fehlt, finde ich ganz schön.

Matthias Smetana verbindet eine technische Ausbildung als Elektroniker mit einem Studium der Betriebswirtschaftslehre, spezialisiert auf Business Modeling und Innovationsmanagement. Neben seiner Tätigkeit als Teilhaber im Cyberbordell ist er freiberuflich als Künstler aktiv und tritt unter dem Namen „Gauklair“ auf.

Eva Lütticke studierte Medienwissenschaften (M.A.) an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Zurzeit arbeitet sie als Redakteurin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).