Mediale Aufmerksamkeit

Einführung ins Titelthema

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg ist Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Chefredakteur der Fachzeitschrft tv diskurs.

Das Titelthema der 84. tv diskurs-Ausgabe dreht sich um Aufmerksamkeit. Welche Strategien wenden wir an, um auf uns aufmerksam zu machen? Wie erregen Medieninhalte unsere Aufmerksamkeit? Und hat sich in dieser Hinsicht im Laufe der Zeit gesellschaftlich etwas geändert?

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 2/2018 (Ausgabe 84), S. 32-33

Vollständiger Beitrag als:

Wenn wir so aussehen und uns so verhalten wie alle anderen in unserer Gruppe auch, bleiben wir bestenfalls Mittelmaß. Wer besonders sein und etwas erreichen will, muss auffallen, sich in irgendeiner Weise von den anderen abheben. Der erste Eindruck, den wir von einem Menschen haben, ist das Aussehen, der Geruch und vielleicht die Art der Bewegung. Dabei fallen uns vor allem die auf, die deutlich vom Durchschnitt abweichen, also besonders schön oder besonders hässlich sind oder besonders angenehm oder unangenehm riechen. Der Geruch als einer unserer ältesten Sinne wird dabei oft unterschätzt, weil wir seine Signale meist nicht bewusst wahrnehmen.

Je größer die Gruppe ist, die als Vergleichsmaßstab herangezogen werden kann, desto schwieriger ist es, aufzufallen. In einer durch moderne Verkehrsmittel und Medien wie Satellitenfernsehen und Internet globalisierten Welt konkurrieren wir nicht nur mit Menschen aus unserer Umgebung, sondern mit den weltweit Schönsten, Klügsten, Besten oder solchen, die durch besondere Leistungen auffallen. Lange Zeit galt beispielsweise der Auftritt in einer Fernsehsendung bereits als Zeichen dafür, dass man sich von der Masse abhob. Das erklärt auch die hohe Bewerberzahl in Castingsendungen, in denen man mit negativen Bewertungen rechnen muss. Durch das Internet kann sich nun jeder medial präsentieren, sodass es angesichts der immer größer werdenden Masse der Konkurrenten immer schwieriger wird, sich durch positive Leistungen oder besonders kluge Gedanken von den anderen abzuheben. So ist es wahrscheinlich zu erklären, dass der Anteil derer, die negativ gesetzte Grenzen zu überschreiten versuchen, immer größer wird: Wer rassistische Kommentare in sozialen Netzwerken veröffentlicht, fällt allein deshalb auf, weil sich Andersdenkende lauthals empören: lieber eine negative Reaktion als gar keine.

Eine besondere Bedeutung haben Aufmerksamkeitsstrategien im Wirtschaftsleben. Je mehr Marken es gibt, deren Qualitätsunterschiede immer geringer werden, desto wichtiger ist es, durch eine besondere Form des Marketings auf sich aufmerksam zu machen. Fernsehsender und soziale Netzwerke haben inzwischen eine Währung entwickelt, durch die Aufmerksamkeitserzeugung in Geld umgerechnet werden kann: die Einschaltquoten, die Klicks oder die Likes.

Das Bedürfnis, aufzufallen und sich von anderen abzuheben, bestimmt heute mehr denn je unser Leben, sei es privat, sei es beruflich. Wer einen Job haben will, für den sich auch viele andere Menschen beworben haben, hat das gleiche Problem wie ein Politiker, Schauspieler oder Fernsehsender: Wer sich nicht von seinen Konkurrenten abhebt und auffällt, wird keinen Erfolg haben. Die Medien, auch das klassische Theater, nutzten oft das Tabu der Nacktheit, durch dessen Übertretung Aufmerksamkeit gewiss war. Aber alle Reize nutzen sich irgendwann ab. tv diskurs stellt unterschiedliche Strategien vor und fragt, welche Folgen dies für die Entwicklung unserer Gesellschaft haben kann: Müssen wir uns auf eine weitere Eskalation einstellen oder schaffen wir es, dies kulturell zu bändigen? Fällt man vielleicht eines Tages dadurch auf, dass man normal ist?