Medien und Bildung

Grundzüge einer bildungstheoretischen Medienpädagogik

Volker Ladenthin

Baden-Baden 2022: Ergon
Rezensent/-in: Bernward Hoffmann

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 1/2023 (Ausgabe 103), S. 95-96

Vollständiger Beitrag als:

Medien und Bildung

Das vorliegende Buch thematisiert in sieben relativ eigenständigen Kapiteln die Relation zwischen Pädagogik und Medien, Bildung als Regulativ von Medien, Herausforderungen der Digitalisierung, Bildung oder Formung durch Medien und Medienwirkungen vor der Möglichkeit des Verstehens. Damit soll eine pädagogische Medientheorie für eine bildungstheoretische Medienpädagogik grundgelegt werden. In weiten Teilen des Buches greift der Autor auf bereits publizierte Aufsätze bzw. Vorträge zurück. Sie sind angepasst, aber einen durchgehenden inhaltlichen Faden durch das Buch muss der Lesende rekonstruieren.

Der Autor, bis zur Emeritierung Professor für Allgemeine und historische Erziehungswissenschaft an der Universität Bonn, wird der sogenannten transzendentalkritischen Pädagogik zugerechnet; sein besonderer Fokus ist die Sprachkritik. Sprache kann als „die grundlegende Vermittlungsform im Verhältnis zur Welt und damit in allen pädagogischen Prozessen angesehen werden“ (S. 13). Durchgängige Bezüge zu beispielsweise Kant und Adorno kennzeichnen das Abstraktionslevel der Reflexionen. In Tradition des Kant’schen Aufklärungsbegriffs gilt Sprache als Voraussetzung von Verstehen und von Verständigung auf dem Forum von Öffentlichkeit. Dabei sind beide Kernbegriffe, die eine (Ur‑)Sprache und die universale Öffentlichkeit, idealistische Konstrukte, die dennoch als Maßstab für konkrete Ausformungen von Sprachen, Medien und Öffentlichkeit gelten. Der Mensch, so Kants Menschenbild, hat als höchstes Gut seine Vernunft. Seine Fähigkeit zu lernen, seine Bildsamkeit geben ihm Bildung als Aufgabe: „sich so viel Welt wie nützlich, nötig und sinnvoll anzueignen, um sein Handeln gültig zu gestalten“ (S. 120). Bildung als das selbsttätige Mündigwerden des Menschen durch Aufklärung ist Kern und Ziel pädagogischen Handelns. Dieses Bildungsverständnis soll, so Ladenthin, zum Regulativ des Medieneinsatzes im Unterricht und zur Bewertung der Qualität von Medien im Erziehungsprozess werden. Denn pädagogisches Handeln ist auf Interaktion und somit auf Medien als Werkzeuge angewiesen.

Alle Gegenstände, Werkzeuge, Materialien, Sprachsysteme, Gesten etc. sind als „Medien“ zu betrachten. Es gibt keine medienfrei vermittelbaren Inhalte, und Medien sind niemals wertoffene neutrale Vermittler, sondern bestimmen mit, was vermittelt werden kann. Medien, ihr Einsatz im Unterricht, aber auch sie selbst sind unter dem Regulativ der Bildung zu begründen: „Welchen Beitrag leistet ein Instrument dazu, dass der Benutzer nicht nur richtig, sondern verantwortungsvoll handeln lernt?“ (S. 30). Weil mit je spezifischen Medien eine Gesellschaft nur die Themen behandeln kann, die diese Medien zulassen, fordert der Autor eine Pädagogik der Öffentlichkeit, damit Vernunft einen Ort und eine Zeit zur Artikulation hat (vgl. S. 67).

Leider lässt das Buch jede Einlassung auf medienwissenschaftliche Diskussionen, etwa um den Medienbegriff oder Prozesse der Mediatisierung, außer Acht. Der prinzipiell offene Medienbegriff wirkt an vielen Stellen des Buches merkwürdig schwammig. Mal wird mit einem Spiegel ein nicht intuitives Medium vorgestellt (S. 71), mal werden Montessori-Materialien und ihre Kriterien als Medien-Modell benannt (S. 30), mal werden „digitale Medien“ pauschal attackiert. Ebenfalls fehlen Bezüge zu (medienpädagogischen) Debatten um Medienbildung und ‑kompetenz.

Im Kapitel zur Digitalisierung, das für das Buch neu geschrieben wurde, wird der Digitalpakt exemplarisch attackiert. Zitiert wird mehrfach aus dem Text in leichter Sprache, womit der Autor unterschwellig dieses Bemühen um Verständlichkeit ironisiert. Das Kapitel enthält eine Reihe grober Verallgemeinerungen. Exemplarisch sei eine Tabelle genannt, was digitale Medien häufiger bzw. weniger beanspruchen (S. 80). Die daraus gezogene Folgerung ist meines Erachtens so pauschal unsinnig: „Das in digitalen Medien erstellte Wissen ist nicht ans Denken, sondern ans Sehen und Hören gebunden“ (S. 81). Mit Anlehnung an Postmans Fernsehkritik wird den „neuen Medien“ pauschal vorgeworfen, sie wollten die Sprache als Instrument zum Begreifen von Realität ersetzen.

Als Beispiele für schlechte Medien werden zwei in der Tat fragliche Beispiele von „Erklärvideos“ vorgeführt. Gleichzeitig wird digitalen Medien pauschal unterstellt, eine Selbsttätigkeit sei ihnen gegenüber bzw. mit ihnen nicht möglich. Der gesamte Bereich aktiver Medienarbeit auch in Unterrichtskontexten wird damit ignoriert.

Viele kritische Konkretisierungen und Fragelisten zu Medien in pädagogischer Sicht sind lohnenswert, etwa ein Abgleich zwischen Influencer und Lehrer (Tabelle S. 76) oder die gedachten Parallelen zwischen Fake News und einer Pädagogik der Lüge. Man kann diese Fundstücke herauspicken oder nutzt die Grundlagentheorie, um die Reflexionen auf verschiedene Formen pädagogischen Handelns und die Rolle von Medien dabei nachzudenken. Das pädagogische Ideal, die Verbindung von Lernen und lebensweltlich folgenreichen Handlungsvollzügen, ist in der Schule kaum gegeben; aber Medienwelten sind Lebenswelten mit Folgen, Gefährdungen und Möglichkeiten. Die jeweiligen in einer (pädagogischen) Situation relevanten Medien sind zweifellos als beeinflussende Kontexte von Bildungsprozessen zu bewerten.

Prof. i. R. Dr. Bernward Hoffmann