Medienkultur und Öffentlichkeit

Meinungs- und Medienbildung zwischen Engagement, Einfluss und Protest

Marion Brüggemann, Sabine Eder, Markus Gerstmann, Horst Sulewski (Hrsg.)

München 2021: kopaed
Rezensent/-in: Hans-Dieter Kübler

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 4/2022 (Ausgabe 102), S. 86-87

Vollständiger Beitrag als:

Medienkultur und Öffentlichkeit

Meinungs- und Medienbildung zwischen Engagement, Einfluss und Protest lautete der Untertitel des erstmals online abgehaltenen 37. Forums Kommunikationskultur der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) im November 2020. Das ist etwas treffender für die zwölf dokumentierten Beiträge als der kaum thematisierte Klammer-Titel. Wie immer bei solchen Tagungsbänden sind die Beiträge recht disparat, sodass sie auch die Herausgeber*innen in der Einleitung nur mit vagen Labels wie gesellschaftliche und technische Entwicklungen (Digitalisierung, Plattformen, Big Data, KI), Krisen der Demokratie, speziell Krise durch die Pandemie, neue Erkenntnisse und Aufgaben, schließlich Herausforderungen, aber auch Chancen der Medienpädagogik, die nun auch als „Akteurin der politischen Bildung“ beschrieben wird (das war sie für viele Protagonist*innen schon immer), umreißen können.

Diese Divergenz, wenn nicht Beliebigkeit findet sich besonders im ersten Teil, mit „Konzeptionelle Zugänge“ angekündigt:

Zunächst referiert der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zink über seine jährlich durchgeführte repräsentative Mitte-Studie 2020/21, die Einstellungen und demokratische Identifikationen der bundesdeutschen Bevölkerung erhebt, besonders angesichts der Pandemie als Krisensituation. Obwohl die Daten relativ stabile Kontinuitäten und nur an den Rändern Verhärtungen und Radikalisierungen vermelden, hält er diese Polarisierungen zumal hin zum Rechtsradikalismus, Völkisch-Autoritären und Menschenfeindlichen für demokratiegefährdend und wünscht sich dagegen Aufklärung in den Medien.

Eine Medienbildung 2021 im sogenannten „post-digitalen Zustand“ oder in der „post-digitalen Kultur“ (was immer diese Labels angesichts der unterschiedlich bewerteten Digitalisierung sein sollen) fordert der Erziehungswissenschaftler Benjamin Jörissen in recht abstrakten, geschraubten Sentenzen und überkomplexer Terminologie: „DIE“ Medienpädagogik sei im „Zuge digitaler Disruption“ selbst vulnerabel geworden und müsse ihre (ehedem) emanzipatorischen Ziele „post-kritisch“ (sic!) überprüfen (S. 29). Doch am Ende steht die etwas lapidare Erkenntnis, dass Erziehende oder Unterrichtende vom „Axiom gleicher Intelligenzen“ (S. 39) gegenüber den „Educandi“ (S. 34; falscher Plural) bei ihrem Tun ausgehen sollten – ein im Grunde uraltes reformpädagogisches Postulat, das bislang allerdings nicht mit dem fragwürdigen, pseudonatürlichen Prädikat der Intelligenz drapiert wurde und wird.

Danach gibt die Publizistin Ingrid Brodnig – gewissermaßen als Kontrast – im Sachbuch-Duktus schlichte Ratschläge, wie sich Falschmeldungen über Klimakrise, Coronavirus und Migration entlarven und kontern lassen.

Schließlich zeigt die Berliner Medienwissenschaftlerin Claudia Wegener auf der Grundlage der bekannten empirischen Studien wie Shell und JIM seriös auf, wie sich die Mediennutzung und speziell das politische Informationsverhalten Jugendlicher ändert und sich stärker auf Online-, nicht lineare und mobile Angebote fokussiert.

Homogener und für die Praxis ergiebiger fallen die acht Beiträge aus der „Medienpädagogischen Praxis“ aus:

Der erste Beitrag sucht freilich als „Praxistheorie“ „neue Wege“ für eine partizipative Forschung über Medienbildung und identifiziert dafür „Irritation“ alltäglicher Routinen und performative „Überschüssigkeit“ als Möglichkeiten „digitaler Souveränität (S. 77 ff.).

Angesichts der Attraktivität und Bedeutung von Netflix und anderen Streamingplattformen für Kinder und Jugendliche erweitert der nächste Beitrag die klassische Filmkunde auf die einschlägigen Serien, will aber auch medienkundliche und -kritische Aspekte über die Strukturen und Geschäftsmodelle der Plattformen in eine „plattformen-sensitive Medienpädagogik“ einbeziehen.

Wiederum in kulturkritische Abstraktionshöhen kehrt der als Essay gekennzeichnete nächste Beitrag zurück: Er wettert gegen Überwachungskapitalismus und Aufmerksamkeitsökonomie, über unbedachte, sich selbst verdatende Selbstinszenierung und naive Netzgläubigkeit und verlangt, dass Medienpädagogik als unzeitgemäßer „Disruptor“ Widerstand gegen die Internetgiganten wie Apple und Google leistet: Digitale Selbstverteidigung sei das Gebot der Stunde.

Dass in gängigen digitalen Spielen Widerstand und Rebellion als dramaturgische Elemente eingesetzt werden, greift der nächste Beitrag als pädagogische Anreize für Nachspiele, aber auch für fantasievolle Veränderungen auf. Jugendliche können sie aber auch als Vorbilder für eigene virtuelle Protestspiele nutzen.

Dagegen bricht die empirische Realität unvermittelt ein, wenn die amerikanisch-arabische Kommunikationswissenschaftlerin Maha Bashri über die Funktion und Bedeutung sozialer Medien für Frauen in der sudanesischen Revolution berichtet.

Wiederum in die ungefährliche, eher behütete Welt der Medienpädagogik führen die drei letzten Beiträge zurück, die allesamt die Partizipation der Beteiligten thematisieren: etwa in der „Medienbildung in Bibliotheken als Orte der gesellschaftlichen Teilhabe“, im neu gestalteten „Jugendmedienschutz“ sowie in der außerschulischen Medienbildung. (Medien-)pädagogische Handlungsfelder und damit Gestaltungs- und Bildungsaufgaben sind demnach unbegrenzt – und entsprechend werden noch weitere Foren der Kommunikationskultur folgen.

Prof. i. R. Dr. Hans-Dieter Kübler