Notizen gegen Desinformation? – Wohl eher nicht
Community Notes sind Notizen, die Tweets, die als falsch oder irreführend bewertet werden, angeheftet werden können, um Kontextinformationen zur Verfügung zu stellen. Solche Notizen werden zudem denjenigen Nutzenden zugesandt, die mit dem betreffenden Tweet interagieren, also, diesen etwa weitergeleitet oder kommentiert haben. Die Idee zu diesem Verfahren entstand 2019. Sie geht auf die Beobachtung zurück, dass sich neben allen anderen Herausforderungen, mit denen Faktenchecks zu kämpfen haben, auch ein Vertrauensproblem stellt. Offenbar halten viele die Faktenchecks der sozialen Netzwerke für politisch einseitig und ignorieren sie deshalb. Community Notes sollten eine Antwort auf dieses Misstrauen geben, indem politische Neutralität bereits in das Überprüfungsverfahren eingebaut wird.
Community Notes sind Notizen, die Tweets, die als falsch oder irreführend bewertet werden, angeheftet werden können, um Kontextinformationen zur Verfügung zu stellen.
Als Vorbild für die ersten Prototypen diente das Crowdsourcing-Modell von Wikipedia: Statt professionellen Fact-Checkern sollten die Nutzenden selbst die Überprüfung von Inhalten übernehmen. Hinzu kam dann noch der sogenannte Bridging-Algorithmus, der sicherstellen soll, dass die Notizen die Einschätzung des gesamten politischen Spektrums repräsentieren. Veröffentlicht werden Community Notes nur, wenn sie von Nutzenden befürwortet werden, die erfolgreiche, aber substanziell unterschiedliche „Bewertungshistorien“ aufweisen. Die Autoren (es sind, wie bei Wikipedia auch, überwiegend Männer) unterliegen einem Reputationssystem, das die Qualität der Beiträge danach bemisst, wie viel Zustimmung sie in der Community finden. Der Bridging-Algorithmus bestimmt die Qualität der Notizen anhand ihrer Konsensfähigkeit, die quer zum ebenfalls berechneten Meinungsspektrum der Beitragenden ermittelt wird. Ein Beispiel für eine Erfolg versprechende Notiz wäre etwa der Hinweis, dass ein gepostetes Video ein anderes Ereignis darstellt, als im Tweet suggeriert. Community Notes genießen offenbar das Vertrauen der Nutzenden und gelten in dieser Hinsicht als erfolgreicher als Fact Checking Maßnahmen. Sie haben aber auch ihre Schattenseiten.
Zunächst stellt sich die Frage nach der Reichweite und der Wirksamkeit der Gemeinschaftsnotizen. Welche Inhalte werden mit Notizen versehen, wie hoch ist ihr Anteil am Gesamtaufkommen irreführender Beiträge und wen erreichen sie? X selbst veröffentlicht keine Statistiken zu diesen Fragen, und die wenigen vorliegenden Angaben sind schon aufgrund des schwierigen Datenzugangs bei allen sozialen Netzwerken mit Vorsicht zu genießen. Plausibel scheint aber, dass die Mehrzahl aller Falschnachrichten nicht mit korrigierenden Angaben versehen werden. Hinzukommt, dass die Notizen, auf die man sich einigen kann, die Öffentlichkeit nur in bescheidenem Umfang erreichen. Ein Grund dafür besteht nicht zuletzt darin, dass die meisten Nutzenden nur lesen, aber nicht aktiv auf Tweets reagieren. Im Übrigen sorgt der Bridging-Algorithmus ja dafür, dass nur mehrheitsfähige Notizen überhaupt an die Öffentlichkeit gelangen. Mehrheiten zu schaffen, braucht nicht nur Zeit, sondern ist im Ergebnis auch selektiv. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn sich die Gemeinschaft der Notizenschreibenden im Falle hoch kontroverser Themen nicht einig werden kann, dann bleiben Tweets, die besagen, dass die US-Wahlergebnisse im Jahr 2020 gefälscht sind, unkommentiert. Es ist mithin nur ein kleiner Ausschnitt problematischer Aussagen, die durch dieses Verfahren kommentiert werden. Berücksichtigt man, dass die Community der Notizenschreibenden überwiegend englischsprachig ist, dann schrumpft der Anteil kommentierter Tweets noch mehr zusammen.
Erwähnenswert sind auch die paradoxen Effekte, die diese Form der Inhaltemoderation erzeugt. Sowohl Faktenchecks als auch Gemeinschaftsnotizen führen dazu, dass Falschnachrichten einen herausgehobenen Status und damit insgesamt mehr Sichtbarkeit erhalten. Eine weitere unbeabsichtigte Wirkung besteht darin, dass offenbar das Vertrauen in die Verlässlichkeit öffentlich geteilter Informationen sinkt. Dies gilt auch für die stetigen Hinweise auf die Gefahr von Desinformation. Studien zeigen, dass die verschiedenen Verfahren zur Bekämpfung von Desinformation bei vielen Menschen Unsicherheit hervorrufen und unter Umständen auch die Glaubwürdigkeit professioneller Nachrichten verringern.
Fazit: Ein Allheilmittel stellt keines der Verfahren zur Eindämmung von Desinformation dar. Schon gar nicht können Community Notes andere Vorgehensweisen ersetzen, auch wenn die Pläne von Meta genau das nahelegen.