Peinlich vergnügt

Ein Gespräch mit Luisa, Kai und Viktoria

Es bereitet Freude und ist gleichzeitig mit Scham und Peinlichkeit besetzt: das Guilty Pleasure. Junge Erwachsene erzählen im Gespräch mit Eva Lütticke, was den Reiz daran ausmacht, was sie als Guilty Pleasure ansehen und welche Emotionen insbesondere bei der Trash-TV-Rezeption bei ihnen ausgelöst werden.

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 2/2021 (Ausgabe 96), S. 42-47

Vollständiger Beitrag als:

 

Luisa (23), Studentin

 

Was verstehst Du unter dem Begriff „Trash“?

Trash ist für mich gleichbedeutend mit Guilty Pleasure. Das sind Dinge, für die man sich schämt, die qualitativ nicht so hochwertig sind, z.B. Trash-Serien im Fernsehen. Es macht einem Freude beim Schauen, aber eigentlich ist klar: Das erweitert nicht meinen Horizont.

Hast Du auch Guilty Pleasures?

Auf jeden Fall. Insbesondere Reality-TV auf RTL bereitet mir richtig viel Spaß.

Was für Formate schaust Du dort?

Oh Gott. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. So richtig ins RTL-Game eingestiegen bin ich mit der 1. Staffel Der Bachelor, die ich mit meiner Mutter geschaut habe. Ich fand Liebesfilme schon immer toll und dann gab es auf einmal eine Show, die sich nur mit der Inszenierung von Liebe beschäftigte. Das machte total viel Spaß, sich da hineinzuversetzen. In den letzten Jahren fing es dann an, dass ich gemeinsam mit Freundinnen einen Trash-Abend veranstaltet habe. Dazu wurden Cocktails gemixt, Nachos gegessen, und dabei haben wir das Gesehene kommentiert. Irgendwann kamen noch andere Formate dazu wie das Dschungelcamp, Ex on the Beach, Temptation Island VIP und Sommerhaus der Stars. Sommerhaus der Stars finde ich ganz großartig. Da geht es nicht nur um die Suche nach Liebe, sondern auch darum, dass diese besteht.

Du würdest nicht alleine einschalten, um beispielsweise die neue Folge des Bachelors zu schauen?

Ich schaue das auch alleine! Mittlerweile arbeiten die so gut mit Cliffhangern, dass man wirklich Lust bekommt, das weiterzugucken. Es interessiert mich einfach, ob der Bachelor sich für die eine oder die andere Kandidatin entscheidet.

Ist Ablenkung vom Alltag ein Rezeptionsgrund für Dich?

Wenn ich den ganzen Tag am Schreibtisch sitze und Texte für die Uni lese, bei denen man einen Absatz dreimal lesen muss, damit man ihn versteht, dann ist Trash-TV für mich die perfekte Entspannung am Abend. Einen Film von Lars von Trier könnte ich mir nach so einem Tag nicht mehr anschauen.

Leidest Du mit, wenn Protagonistinnen, die Du ins Herz geschlossen hast, rausfliegen?

Wenn Kandidatinnen rausfliegen, die ich richtig sympathisch finde, bin ich schon enttäuscht. In solchen Momenten kann ich die Entscheidung des Bachelors nicht nachvollziehen. Richtung Finale wird das noch schlimmer, dann sitze ich vor dem Fernseher und bin sehr emotional dabei! Ich denke dann: „Nein, nein! Verlass ihn nicht! Bleib bei ihm! Sag jetzt etwas anderes!“

Kannst Du aus den Shows etwas für Deinen Alltag mitnehmen?

Ich merke definitiv immer wieder: Wenn man schlecht über jemanden redet oder jemanden anlügt, kommt das immer raus! Gerade beim Bachelor oder der Bachelorette sagen die nicht immer, wenn sie sich auf einem Date geküsst haben, sie wollen das verheimlichen. Am Ende aber wissen es doch alle.

Was macht allgemein den Reiz aus, sich diese Formate anzuschauen?

Menschen finden es interessant, andere Menschen zu beobachten und zu gucken, wie sie sich in sozialen Situationen verhalten. Wahrscheinlich steckt in jedem von uns ein kleiner Soziologe. Man sieht, wie sich jemand verhält, und kann über sich selbst sagen: „Ich bin ja viel besser. Ich bin nicht so schlimm wie die Leute da im Fernsehen.“ Einige fühlen sich vielleicht auch in dem, was sie tun, bestätigt, weil das Verhalten von der Person, mit der sie sich identifizieren, Erfolg hat. Die Kandidatinnen und Kandidaten sind Menschen, die relativ normal sind, sodass sich jeder mit irgendwem identifizieren kann.

Die Kandidaten wechseln auch innerhalb der Formate und erlangen darüber Bekanntheit. Daher sind es nicht nur unbekannte Gesichter, die man dort sieht.

Deswegen gucke ich auch mittlerweile mehr. Beispielsweise kannte ich beim Dschungelcamp die Hälfte der Kandidaten, weil ich in den letzten Jahren so viel Reality-TV geschaut habe. Es war ein bisschen beängstigend, vielleicht sollte ich doch mal andere Formate schauen. Aber durch dieses intertextuelle Universum, das RTL aufgebaut hat, hat man viel mehr Interesse, ein Format zu schauen. Die Personen sind aus anderen Formaten bekannt und man möchte sehen, wie es ihnen geht. Das ist dann eher wie eine neue Staffel Game of Thrones.

 

Kai (30), Erzieher, studierter Sozialarbeiter
 

Was verstehst Du unter dem Begriff „Trash“?

Trash ist für mich ein aus der Subkultur in die Popkultur überschwappender Begriff. Ich muss da vor allem an Dragqueens in New York denken, die mit billigen, trashigen Materialien etwas Neues geschaffen haben. Sie nehmen sich das, was andere als Müll bezeichnen, und machen daraus ihre eigene Kunst. Das hat einen empowernden und emanzipatorischen Aspekt. Im bunten Pop-Zusammenhang sehe ich den Begriff ambivalent. Ich gucke mir etwas an, kokettiere damit, finde das auch sympathisch, aber kann mich dagegen abgrenzen und damit eine Aufwertung meiner selbst stattfinden lassen.

Trash hat für Dich nichts mit schlechtem Geschmack zu tun, sondern vielmehr, sich diesen anzueignen und daraus etwas Eigenes zu kreieren?

Ja, es ist etwas ganz Eigenes! Gerade der Begriff „Trash“ hat sich so etabliert. Trash umschreibt ein eigenes Genre. Für mich hat es in der Kunst und im Alltag eine gleichwertige Wichtigkeit.

Trash-TV hat sich ebenfalls etabliert. Was hältst Du von den Formaten?

In Dating-Formaten finde ich diese Heterokultur, das Machogehabe und die Rolle der Frau richtig unangenehm. Gleichzeitig merke ich: Sie spielen Situationen nach, die ich auch kenne. In dem Format Prince Charming finde ich die Personen unmöglich. Aber die Situationen sind sehr viel ähnlicher zu meiner Biografie und zu ganz vielem, was ich erlebt habe.

Ist Prince Charming das Format, das Du am liebsten schaust?

Prince Charming ist das einzige Format, das ich komplett geguckt habe in der letzten Zeit. Meistens schaue ich zu sozialen Anlässen Trash-TV. Alleine ist der Unterhaltungswert nicht so groß und dieses Gefühl von Dabei-Erwischt-Werden ist allein nicht so schön wie zusammen (lacht).

Trägt Prince Charming Deiner Meinung nach zu mehr Diversität im TV bei?

In einer Szene beschmierten sich die Personen mit bunter Farbe und waren am Ende ein Regenbogen. Das war auf einem politischen Niveau von ’95. Das fand ich schon traurig bis zynisch-witzig. Für mich ist das so veraltet! Im Mainstreamfernsehen heißt es dann: „Wow, wir sind jetzt total am Nabel der Zeit! Schaut, was wir für die Offenheit der Menschen tun.“ Andererseits muss ich auch sagen, dass das kleine, kindliche Ich in mir denkt: Oh wie schön, endlich findet das im Fernsehen statt. Wenn ich mit solchen Formaten aufgewachsen wäre, dann wäre ich jetzt bestimmt schon weiter, als ich es bin.

Spielen soziale Medien auch eine Rolle bei der Rezeption?

Bestimmt, aber ich bin selbst nicht viel in sozialen Medien unterwegs. Eigentlich nur noch auf Twitter. Ich habe erst ganz spät herausgefunden, dass viele Protagonisten auch in den sozialen Medien präsent sind und die ganzen Beziehungsgeflechte, die sich aus dem TV-Format ergeben, dort weitergeführt werden. Da hat sich eine neue Fankultur gebildet. Die Personen sind zugänglicher, und Social Media vereinfacht das Interagieren oder zumindest das scheinbare Interagieren.

Wo liegt für Dich die ethische Grenze in solchen Formaten?

Als absolute ethische Grenze empfinde ich es, wenn Menschen vorgeführt werden, die nicht selbstbestimmt darüber entscheiden können. Das können Menschen sein, die alkoholkrank sind. Aber auch die Abbildung von Menschen mit geistiger Behinderung zur Belustigung und Vorführung finde ich nicht in Ordnung. Da war die Sendung Vera am Mittag ganz weit vorn.

Jan Böhmermann hat mit #Verafake im Zusammenhang mit einer anderen Sendung auf das Thema aufmerksam gemacht.

Es gab viele Geschichten, wo die ethischen Grenzen immer wieder überschritten wurden. Die Leute verdienen auch nicht wirklich Geld damit, obwohl sie es sich wahrscheinlich erhoffen. Und selbst, wenn ich darauf achte, wie ich mich präsentiere, weiß ich nicht, was aus mir gemacht wird. Durch das Editing kann ich auf einmal ganz anders dastehen. Trash-TV ist auf Skandale angewiesen.

 

Viktoria (26), Kauffrau für Bürokommunikation
 

Was verstehst Du unter dem Begriff „Trash“?

Unter dem Begriff „Trash“ verstehe ich simples Reality-TV-Fernsehen: wenig Qualität und alles sehr belanglos. Beim Schauen muss man sich nicht so anstrengen und kann abschalten. Selbst, wenn man nebenbei noch etwas anderes macht, bekommt man alles mit.

Ist der Begriff für Dich positiv oder negativ besetzt?

Ich gucke sehr gerne Trash-TV (lacht). Dafür treffe ich mich regelmäßig mit Freunden. Deshalb verbinde ich mit dem Begriff sowohl Positives als auch Negatives.

Schaust Du auch manchmal allein?

Nein, immer mit Freunden. Wir besorgen viele Snacks und machen daraus ein kleines Event in der Woche.

Tauscht Ihr Euch über das Format aus? Ist das für Dich ein wichtiger Aspekt?

Ja, schon. Insbesondere über das Verhalten der Teilnehmer tauschen wir uns aus.

Wie würdest Du die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschreiben?

Es gibt leider immer wieder die gleichen Stereotype. Frauen sind emotional, zeigen viel Gefühl und sind zickig. Männer sind prollig und machohaft, aber achten genauso viel auf ihr Aussehen wie die Frauen. Meistens sind die Leute weniger gebildet und können sich nicht klar artikulieren. Da denke ich oft: „Oh, Mann! Du bist Ende 20 und kannst keinen klaren Satz bilden.“

Wie würdest Du die Zielgruppe solcher Formate beschreiben? Was für Menschen schauen Trash-TV?

Ich habe mal gelesen, dass es eher Leute mit einem höheren Bildungsabschluss sind. Und weniger die, die den Teilnehmern ähneln.

Woran könnte das liegen?

Das gemeinsame Schauen mit Freunden als nettes Abendprogramm zum Abschalten und Darüber-Lästern, das könnte ein Grund sein. Vielleicht auch, damit man sich besser fühlt. Das sind nicht meine persönlichen Gründe. Mir geht es vor allem um die Unterhaltung. Irgendwie spiegelt Trash-TV auch viele Situationen des Lebens wider: die Gefühlsausbrüche, die Streitereien. Ich erinnere mich an Promis unter Palmen im letzten Jahr. Das war ziemlich heftig. Da wurde Claudia Obert gemobbt. Sie tat mir so leid. Ich konnte mich da so reinfühlen, das hat mich echt beschäftigt.

War es wichtig, dass das Thema „Mobbing“ in den Medien noch einmal aufgegriffen wurde? Hast Du das verfolgt?

Ja, das habe ich verfolgt. Da gab es einen Riesenshitstorm bei Andrej Mangold und Jenny Lange, seiner Ex-Freundin. Es ist wichtig, dass es noch mal aufgegriffen worden ist und auch der Sender sich gegen Mobbing positioniert hat. Aber es wurde ja trotzdem ausgestrahlt.

War das für Dich eine ethische Grenze, die überschritten wurde?

Ja, auf jeden Fall. Wenn man jemanden nicht ausstehen kann, dann darf man das natürlich zeigen – durch Ignoranz oder man geht der Person aus dem Weg. Aber was sowohl bei Sommerhaus der Stars als auch bei Promis unter Palmen abgelaufen ist, fand ich einfach zu viel. Da wurde wirklich gemobbt! Da sind auf jeden Fall mehrere Grenzen überschritten worden. Das hat mir überhaupt nicht gefallen, aber ich konnte auch nicht wegschalten! Ich habe jede Folge geschaut.

Sagt Dir der Begriff „Guilty Pleasure“ etwas?

Ja, und ich habe auch eins (lacht). Das ist für mich Reality-TV. Wenn ich Leute kennenlerne und erzähle, dass ich mich zum Schauen vom Bachelor mit Freundinnen treffe, werde ich oft komisch angeschaut. Danach bin ich dann doch peinlich berührt. Es ist schon ein schuldiges Vergnügen, was ich dabei empfinde. Dadurch, dass ich es mit einigen Freunden teile, ist es aber erträglich. Öffentlich mache ich das trotzdem nicht, weil das oft abgetan wird, als ob man nichts Besseres zu tun hätte.