Rassismus im Film und in der Medienkultur

Ömer Alkin

Dr. Ömer Alkin ist Professor für Angewandte Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Hochschule Niederrhein. Seine derzeitigen Arbeitsschwerpunkte sind Rassismus und Film, (Post-)Migration, Visuelle Kultur und Filmbildung.

Der Text plädiert für die Notwendigkeit einer differenzierten Auseinandersetzung mit Rassismus in audiovisuellen Medienkulturen. Er bietet eine Systematisierung zum Verhältnis von Rassismus und Film an. Weiterhin wird argumentiert, dass zensierende Praktiken erst mit sozialem Wandel in Anerkennung der Verletzlichkeit von menschlichem Leben sinnvoll sind. Gegenüber rassistischen Medieninhalten bedarf es bis dahin einer medientheoretisch reflektierten Media Literacy, da Rassismus kaum „eliminierbar“ ist. Schließlich verweist der Text darauf, Inklusion von rassialisierten Menschen auf der Ebene der medialen Institutionen zu denken sowie die Auseinandersetzung mit der Kategorie des weißseins zu bemühen, da diese eine markante Reflexionsstelle bleibt, die auf medieninhaltlicher wie ‑kultureller Ebene eng verwoben ist.

Printausgabe mediendiskurs: 28. Jg., 4/2024 (Ausgabe 110), S. 36-41

Vollständiger Beitrag als:

 

Drei Verhältnisse von Rassismus und Film

Der soziohistorische Zusammenhang zwischen Rassismus und Film ist seit den Anfängen des Mediums gegeben, da äußere Merkmale von Menschen im Film immer schon zur Anschauung gebracht wurden (vgl. Hund 2018). Im „neo-rassistischen Zeitalter“ (vgl. Terkessidis 2003), also im Zeitalter eines Rassismus, der nicht mehr nur die Merkmale rassialisierter Differenzen benötigt, sondern dem auch andere Differenzmerkmale wie religiöse oder kulturelle Zugehörigkeit genügen, hat sich nicht nur die Funktionsweise von Rassismus verändert. Der Phänomenbereich von Rassismus ist derart komplex geworden, dass eine eindeutige Definition des Rassismusbegriffs kaum möglich ist (vgl. Stender 2023).

Ein solcher Definitionsversuch muss nicht nur die individuelle wie strukturelle Dimension des Rassismus berücksichtigen (Rassismus schreibt sich in Strukturen ein und bleibt dort wirksam, unabhängig davon, ob eine Person [un‑]intendiert rassistisch handelt). Eine Definition muss auch die vielfältigen Mechanismen und deren Bezugssysteme erfassen, die über äußere Merkmale hinweg auch vielfältige weitere Kriterien heranziehen, anhand derer „[d]en als different Markierten […] unveränderliche, negative, kollektive Eigenschaften angedichtet [werden], die ihre Unterwerfung, ihren Ausschluss oder gar Vernichtung rechtfertigen“ (ebd., S. 63).

Ein operabler Umgang im Bereich Rassismus, der ein Verhältnis zum Medium Film denken möchte, muss also auf eine Reihe von Operationalisierungen zurückgreifen:
 

I. Rassismus durch Film

Mithilfe von Filmen wird rassistisches Wissen reproduziert und werden rassistische Ideologien verbreitet. Hierzu gehören beispielsweise rechtsextremistische Filme oder auch rassistische Propagandafilme wie diejenigen aus der NS-Zeit, z. B. Jud Süß (1940) von Veit Harlan. Rassismus stellt in diesen Filmen keinen Nebenschauplatz dar.
 

II. Filme über oder gegen Rassismus

Zweitens kann mit Filmen bezweckt werden, Rassismus etwas entgegenzusetzen oder ihn als Thema bzw. Diskurs narrativ zu reflektieren und zu verhandeln. Hierzu gehören Filme wie Nico (2021) oder Till – Kampf um die Wahrheit (2022). Nico erzählt von einer jungen Frau, die von drei Gewalttäter:innen rassistisch beschimpft und zusammengeschlagen wird. Nico ist dadurch massiv psychisch belastet und beginnt mit einem Selbstverteidigungskurs, um sich psychisch wieder zu stabilisieren. Till – Kampf um die Wahrheit basiert auf den wahren Ereignissen des brutalen Lynchmordes an dem Schwarzen Jungen Emmett Louis Till und erzählt den Kampf seiner Mutter um Gerechtigkeit gegenüber den weißen Täter:innen in den Südstaaten der USA der 1950er-Jahre.

I. und II. stehen sich in ihrem Ansinnen, also ihrer semantischen Absicht, diametral gegenüber und sind in der Charakterisierung eines Gesamtfilms eher auf Genreebene zu situieren.
 

Trailer Nico (KinoCheck Indie, 16.05.2022)



III. Rassismus im Film

Rassismus kann sich im Film ereignen, indem Filminhalte als rassistisch evaluiert werden oder rassistisch wirksam sind. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn eine Nebenfigur in einem Film eine rassistische Stereotype darstellt wie die entmenschlichte Figur des Arabers in US-Actionfilmen der 1980er- und 1990er-Jahre (vgl. Shaheen 2003) oder die Figur des indischen oder pakistanischen Taxifahrers in Hollywoodfilmen, der kein Englisch sprechen kann. Rassismus kann sich dabei nicht nur auf Figuren, sondern auch auf szenische Zusammenhänge beziehen, wie z. B. die Inszenierung von Verhaltensweisen dargestellter Personengruppen (eine Gruppe von Schwarzen ist kriminell tätig usw.). Rassistisch werden kann ein Film auch, wenn er beispielsweise der Logik des „White Savior Complex“ folgt (vgl. Sayed 2019) und so Themen, die im Grunde unmittelbar nicht weiße Figuren betreffen, aus der Sicht von weißen Protagonist:innen erzählt, um darüber zumeist scheinneutrale, hegemoniale Erzählpositionen statt unpopuläre kulturdifferente Erzählweisen zu erzeugen. Die Möglichkeiten rassistischer Szenen sind so mannigfaltig, wie Rassismus auch im sozialen Zusammenhang auftreten kann.

Rassismus kann als Thema im Dialog auftauchen, ohne dass dabei jemand selbst rassistische Thesen aufstellt. Oder es kann in einer Szene ein Fernseher mit einer rassistischen Sendung im Hintergrund laufen, die dann in einem eigentlich kaum rassistisch funktionierenden Film plötzlich rassistisches Wissen vermittelt: Es entstünde also akzidentiell die Reproduktion rassistischen Wissens, die mit der eigentlichen Erzählabsicht des Films gar nichts gemein hat.

Wichtig ist an dieser Stelle, die Komplexität filmischer Enunziation, also die Aussageinstanz eines Films, bestimmen oder mitdenken zu müssen. Wenn eine Figur innerhalb eines Films rassistische Äußerungen tätigt, sind dann die Filmemachenden ebenfalls rassistisch, weil sie die Dialoge implementiert haben? Sind die Macher:innen auch dann rassistisch, wenn sie die Szenen in einer neuen Variante löschen? Sind aus sogenannten Authentizitätsgründen rassistische Szenen inkludiert, macht das dann den Film rassistisch, weil in den Herstellenden und auch den Rezipierenden rassistisches Wissen stabilisiert wird oder stabilisiert ist? Wenn sich die Kamera von einer rassistischen Szene abwendet, sodass sie im Off verbleibt, ist das dann eine Rassismus meidende Haltung oder ist sie immer noch rassistisch, weil auf tonaler Ebene rassistisches Wissen (z. B. eine rassistische Aussage) getätigt wird? Bei diesen Fällen lässt sich Rassismus als zentraler Diskurs der filmischen Sinnstruktur nicht eindeutig bestimmen.

In dieser dreifachen Einordnung wird Film als eindeutige Kommunikationsinstanz zwischen den Urheber:innen/Herstellenden des Films und den Rezipient:innen angenommen. Ob also ein Film Rassismus zentral thematisiert, entscheidet in dieser Perspektive darüber, ob der Film heuristisch als solcher gelesen werden kann oder die Filmherstellenden selbst dazu Stellung beziehen. Dabei gehört es zu den Grundeinsichten der Filmwissenschaft wie ‑theorie, dass die Kommunikationsweisen von Film uneindeutig sind und so auch allgemeine charakteristische Bestimmungen eines Films weder für Zuschauer:innen noch für die Machenden kaum möglich sind.1

Wann wie Rassismus im Film thematisch wird, ist eine sogenannte medientheoretische Frage. Die Figurationen dahin gehend sind so vielfältig wie die einzelnen Film- und Genretheorien (vgl. Scheinpflug 2014), d. h., nur durch die Fokussierung einer Theorieperspektive werden Evaluierungen bestimmbar: Wie hängen Rassismus als Konzept und die Medialität von Film zusammen? Ist ein Film antirassistisch nur dann, wenn er sich selbst paratextuell so beschreibt? Hilfreich wären in diesem Fall also Paratexte wie Poster oder Werbematerialien, weil darin die diskursive oder genremäßige Einordnung der Herstellenden des Films explizit sichtbar wird.

Aber: Wie ist damit umzugehen, dass hinter der guten Absicht versteckte oder unreflektierte Anteile rassistischer Dynamiken verborgen sind, wie sie z. B. die Medienwissenschaftlerin Julia Dittmann in dem Drama Die weiße Massai (2005) und einer Reihe anderer nur scheinbar rassismuskritischer Filme herausstellen kann (Dittmann 2019)? So kann z. B. ein in heuristischer Sicht oder aus der Perspektive seiner Macher:innen dezidiert antirassistischer Film (also Fall II.) rassistische Szenen enthalten oder gar einer rassistischen Grunddynamik folgen (vgl. Sayed 2019). Die vorgeschlagene dreifache Einordnung versteht sich demnach zunächst als Operationalisierungsangebot, um das Verhältnis von Rassismus und Film auf der Ebene des Thematischwerdens zu systematisieren und zu vereinfachen. Wie aber wirkt rassistisches Wissen, wie wirken rassistische Repräsentationen?
 

Verletzung im Medium – Rassismus auf dem Bildschirm zuerst verstehen

Filme, in denen sich rassistische Darstellungen ereignen, können Praktiken der Verletzung und Gefährdung sein. In ihnen können Wissen und Gefühle wirksam werden, die eine soziale Trennung von ihr und wir erzeugen und das Wissen dieser Trennung stabilisieren. Diese Gefühle und Trennungen sind immer abhängig von der jeweiligen (körperlichen, kulturellen) Selbstverortung und der eigenen Subjektivität, die in Beziehung zu den dargestellten Figuren und Ereignissen gesetzt wird: Wenn eine rassialisierte Person ihre Herabwürdigung im Filmischen erlebt, weil Vorurteile aufgerufen oder Handlungszusammenhänge und Perspektiven erwähnt werden, die zu Gefühlen der Dehumanisierung der Person und ihrer Zugehörigkeitskategorie führen, so kann dies als ein sozialer Bruch verstanden und empfunden werden. Für Muslime hält die Filmkultur in Deutschland beispielsweise kaum positive Bindungsmöglichkeiten bereit, denn deutschsprachiges Fernsehen und Kino stellen im Falle der Thematisierung von Islam und Muslimischsein fast ausschließlich antimuslimisch rassistische Inhalte zur Verfügung (vgl. Alkin/Strohmaier 2024).

Rassismus hinterlässt traumatisierende Spuren, weil ein sozialer Bindungsabbruch entsteht, der die Struktur des Vertrauens in das Soziale erodieren lässt. In jedem kommunikativen Zusammenhang braucht es einen Vertrauensvorschuss der Nichtverletzung, es sei denn, dieser Bruch ist selbst Teil des kommunikativen Vertrags (z. B. im Genre des Horrorfilms oder bei Filmen, die einen Tabubruch schon ankündigen). Das Musikvideo Rote Linien (2022)2 des Sängers Conny führt dies eindrücklich vor Augen: Das Musikvideo beginnt mit einer sogenannten Triggerwarnung. Gezeigt wird eine Menge im Kinosaal, die rassistische Polizeigewalt auf der Leinwand bejubelt: Ein Schwarzer Mann wird verprügelt, während er versucht, einen Raum mit roten, Alarm auslösenden Laserstrahlen zu durchqueren. Diese Erzählkonstellation verschränkt das Thema rassistischer Gewalt mit metamedialen Zusammenhängen: Wir als Zuschauer:innen des Videos schauen selbst auf den Raum der Zuschauer:innen im Kinosaal. So kann die Kamera uns vielfältig in das Geschehen einbinden und vollführt permanent selbst eine Grenzüberschreitung, die nicht nur das Moment unserer ohnmächtigen Zeug:innenschaft aufruft, in das Gewaltgeschehen zu intervenieren. Bemerkenswert ist hier insbesondere die Bildeinstellung, in der der:die Wächter:in das Gesicht des am Boden liegenden Mannes tritt. Hier werden wir als Zuschauer:innen in der subjektiven Einstellung im Blick des am Boden liegenden Mannes positioniert: Der Tritt ins Gesicht richtet sich so auch gegen die Zuschauer:innen, deren Blick von der Gewalt des Films nicht verschont bleibt – die „vierte Wand“ wird im Tritt durchbrochen. Auch so werden „rote Linien“ überschritten.
 

Trailer Rote Linien (CONNY, 02.09.2022)



Noch gewaltvoller erscheint es womöglich für (rassistisch) von Polizeigewalt Betroffene – zuzusehen, wie die Kinomenge die Gewalt bejubelt, während mensch selbst als Zuschauer:in ohnmächtig zusehen muss, wie die Schwarze Person zu Tode getreten wird (irgendwann bewegt sich der Körper des Opfers nach den Schlägen nicht mehr). Es entsteht eine „Szene der Gewalt“ (vgl. Görling 2014), die vielfältige Bindungsabbrüche hervorruft (zwischen dem Opfer, der zuschauenden Menge, den Täter:innen, uns Zuschauer:innen). Das Musikvideo möchte diese möglichen Relationen vom Schauen, Bejubeln, Ohnmächtigsein gegenüber Rassismus zur Schau stellen.

Subjekte, die ihre Umwelt durchweg als bedrohlich erleben, können kaum Bindungen aufbauen, Geborgenheit und Sicherheit erfahren: Ein würdevolles Leben setzt voraus, dass ich davon ausgehen darf, nicht immer interpersonell oder strukturell diskriminiert zu werden. Räume der Sicherheit strukturieren unser Empfinden, genauso wie Räume der Gefährdung – besonders für postmigrantische Subjekte (vgl. Foroutan 2021). Das sind solche, die gar nicht selbst migriert sind, sondern die als kulturell anders eingeordnet werden, weil sie aufgrund unterschiedlicher Marker (Aussehen, Religion, Sprache usw.) als der Nation, in der sie leben, nicht zugehörig angenommen werden – sprich ge-othert bzw. rassialisiert sind (vgl. Siouti u. a. 2022): Menschen, die in keinem anderen Land als in Deutschland gelebt haben, empfinden ihre Existenz als bedroht, weil die Räume des Schutzgefühls und der Sicherheit ihnen gegenüber verschwinden. Gleichzeitig ist die Welt so beschaffen, dass Gewalt sich immer auch ereignet – intendiert oder nicht intendiert, z. B. durch strukturellen Rassismus oder eben in Filmen, die abwertende Repräsentationen von Menschen vollziehen und das Wissen über entwertetes Leben fortschreiben. Daher braucht es Räume der Sicherheit, im Leben wie auf dem Bildschirm oder der Leinwand.
 

Exklusion und Abwesenheit Rassialisierter – weißsein sichtbar machen

Darauf gibt es keine einfache Antwort, weil Medien und der Kontakt in die außerfilmischen Welten vielfältig sind. Gleichzeitig ist insbesondere der deutschsprachige Medienraum gezeichnet durch massive Abwesenheit rassialisierter Menschen. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben es seit Jahrzehnten nicht geschafft, größere Bevölkerungsteile auf dem Bildschirm und in seinen Strukturen zu integrieren (vgl. auch Neue deutsche Medienmacher*innen 2022): „Es geht um Möglichkeiten der Zugehörigkeitsentwicklung, die dadurch erschwert sind, dass bestimmte nationalkulturelle Inhalte als nicht-zugehörig jahrzehntelang ausgeklammert wurden und weiterhin ausgeklammert sind“ (Alkin/Özdilek 2024, S. 162). Das heißt, rassistische Strukturen sind auch dort wirksam, wo rassialisierte Menschen auf der Ebene der Institutionen sowie des Medieninhalts abwesend, ausgeschlossen oder unsichtbar sind. Doch warum ist es so schwierig, in diesem Punkt Veränderungen zu schaffen?

Die Frage nach dem Umgang mit Rassismus ist eine kulturelle Aushandlungsfrage. Diese wiederum lässt sich nicht von Machtfragen entkoppeln, denn Wünsche nach kulturellem Ausdruck sind manchmal unvereinbar, fordern bestehende Privilegien heraus oder bedeuten Widerspruch: Die Infragestellung hegemonialer Normen lässt vielfach Reibungsflächen entstehen, die affektive, materielle, zuerst auch scheinbar entharmonisierende Effekte mit sich bringen. Für eine produktive Auseinandersetzung mit Rassismus gerade im Medialen bedarf es der Adressierung hegemonialer Strukturen, für die die Rassismusforschung das Konzept des weißseins bereithält. Dabei bildet weißsein keine Bezugnahme nur auf physiognomische Merkmale, sondern bezeichnet zuerst eine strukturelle Kategorie kultureller Hegemonialität (vgl. Tißberger 2017). So kann in kulturellen Kontexten je nach Skalierungsgröße des Sozialen (national, regional) weißsein jeweils etwas anderes bedeuten (männlich, heterosexuell, bildungsbürgerlich sozialisiert usw.). Da Hegemonie mit Normalität und Normalisierung einhergeht, löst jede kritische Adressierung der Hegemonie selbst Effekte aus: Wenn die Normalität bröckelt, kann das meistens als ein Zustand der Gefährdung, des Angriffs erlebt und gefühlt werden: Insoweit weiße Menschen noch nie auf die Unsichtbarkeit ihrer strukturellen/kulturellen Zugehörigkeit angesprochen wurden, hat die Thematisierung dieser hegemonialen Identitätsaspekte stets affektive Begleiterscheinungen wie Wut oder Ungerechtigkeitsempfindungen zur Folge (vgl. Dyer 2005). Insbesondere die Verengung auf die hegemoniale Kategorie weiß erleben weiße Subjekte als Angriff und begegnen der Adressierung dieses Aspekts mit Widerstand. Der Grund hierfür könnte darin liegen, dass weiße Subjekte die Sichtbarmachung ihrer Unsichtbarkeit als Gefährdung empfinden, so wie jedes Aufdecken einer Unbewusstheitsstruktur, die die Subjektivität geradezu konstituiert, einen Zustand der Bedrohungsempfindung generiert.

weißsein gehört zur filmischen Kultur dazu wie Rassialisierung (vgl. ebd.). Wie der Filmwissenschaftler Richard Dyer aufgezeigt hat, braucht es eine Thematisierung von weißen Personen oder weißsein als „rassialisierter“ Konstruktion, um hierüber im Sinne bildender Auseinandersetzungen Rassismus überhaupt verhandeln zu können:

As long as race is something only applied to non-white peoples, as long as white people are not racially seen and named, they/we function as a human norm. Other people are raced, we are just people. […] At the level of racial representation, in other words, whites are not of a certain race, they’re just the human race” (ebd., S. 10 f.).

Doch wie in dem Musikvideo Rote Linien würde die Rassismuskritik dieses Moment der erlebten Gefährdung und Entdeckung der Unmarkiertheit der eigenen hegemonialen Position als ein notwendiges Moment evaluieren. Rassismus kann nicht als ein Problem der Rassialisierten selbst gelöst werden, sondern ist eine soziale, verwobene Beziehung, die es als Bildungsmoment genauso zu verhandeln gilt wie als gesellschaftlich-therapeutisches oder institutionell-strukturelles (vgl. Alkin 2020): Dafür muss weißsein zuerst sichtbar werden.
 

Die Grenzen einer eliminativen Strategie: Medienbildung statt nur Zensur

Der Umgang mit Film und medialen Inhalten – in der Rezeption wie ihrer Herstellung – lässt sich insofern nicht als von den Gewaltpraktiken ausgenommen pauschalisieren. Wie also mit dieser Struktur umgehen? Rassismus zu verlernen versuchen, wie es in den unzähligen Workshops und Diversitätsseminaren heißt, die in Unternehmen und Organisationen endlich möglich geworden sind? Ihn aus Filmen und der Gesellschaft tilgen/zensieren? Die ge-otherten anderen mit Darstellungen von Normalität flankieren, die Rassialisierte gesellschaftlich normalisieren? Oder diese Normalität sogar über eine Verschränkung von Produktion und Inhalten bemühen, wie z. B. in der Praxis des Color-blind-Castings der Serie Bridgerton (seit 2020), die rassialisierendes Wissen auf Inhaltsebene auszublenden versucht, indem sie das Thema „Rassismus“ schlichtweg ignoriert – und auf Produktionsseite dadurch ignoriert, dass sie Personen unabhängig einer möglichen Rassialisierung castet (vgl. Alkin/Strohmaier 2024)? Diese Strategie des Color-blind-Castings lässt sich rassismustheoretisch als Eliminativismus bezeichnen (vgl. Martinez Mateo/Lepold 2021, S. 13): Dieser geht davon aus, dass die Existenz von race wissenschaftlich nicht beweisbar ist; daher sei diesem Wissen Rechnung zu tragen und sollten entsprechende Konstruktionen unterlassen oder getilgt werden.
 

Trailer Bridgerton (Netflix, 14.12.2020)



Doch Stereotypen ist nicht nachhaltig mit dekonstruktiven Strategien beizukommen. Konstruktionen sind generell nicht mit Dekonstruktionen eliminierbar, jede Dekonstruktion hat neue Konstruktionen zur Folge oder beinhaltet Verschiebungen im Bedeutungssystem einer Gesellschaft. Bildwissenschaftliche Positionen gehen davon aus, dass sich Fantasien stets an Stereotype heften müssen, dass sie also Medien der Emotionen und der Identitätskonstitution wie ‑stabilisierung sind. Verkürzt gesprochen: Jede Gesellschaft sucht sich ihre eigenen Projektionsflächen und Vereinfachungen aus, über die sie ihre Affekte reguliert. Diese Affekte würden sich im Falle einer Elimination der Stereotype und damit auch von Projektionsflächen auf andere Differenzen richten. Rassismus wäre demnach nicht immer nur an spezifische Muster gebunden, sondern jeder Eliminierungsversuch der Projektions- und Konstruktionsflächen brächte immer wieder neue hervor. Das käme also der Rekonfiguration von Verhältnissen statt der Auslöschung ihrer Teile oder der Verhältnisse in ihrer Gesamtheit gleich. Hieraus ließe sich argumentieren, dass eine medien-zensurierte Praxis Rassismus nicht abschaffen, sondern lediglich eine Rekonfiguration gesellschaftlicher und sozialer Verhältnisse bewirken kann: Das menschliche Leid, das daraus resultiert, bliebe also allenfalls verschoben, nicht gemindert.

Eine eliminative Strategie muss mehr als die Vermeidung oder die Tilgung von Stereotypen leisten, denn (rassistische) Stereotype sind widerstandsfähig. Der Bildwissenschaftler W. J. T. Mitchell rekurriert für die Beschreibung der Wirkweise rassistischer Stereotype auf die Metapher des „Zombies“ (Mitchell 2017): Jede neue Bezugnahme auf das Stereotyp, sei es negierender, reflektierender oder eliminierender Art, erweckt die dumpfe, einfache Struktur (deswegen ist es ja ein Stereotyp, weil es reduziert und sein Referenzobjekt unbeweglich macht) wieder zum Leben, macht es nur noch stärker, wie Mitchell in Bezugnahme auf die antirassistische Mediensatire Bamboozled (2000) erörtert. In seinem Film erkundet Spike Lee anhand der Thematisierung der Minstrel Shows, Sendungen voller schwarzer rassistischer Klischees, ihre Ambivalenzen, die zwischen Hass und Liebe (Exotismus) changieren. Ein anderer filmischer Versuch jenseits satirischer Überdrehung ist z. B. Rassialisierungsumkehr wie in dem US-amerikanischen Drama White Man’s Burden (1995, Desmond Nakano), in dem eine Gesellschaft repräsentiert wird, bei der die Rollen von Schwarzer und weißer Gesellschaft verkehrt sind. Die Filmerfahrung solcher Rassismus reflektierenden Medienproduktionen ist zwar uneindeutig. Bezogen auf das kulturelle Wissen und seine Wirkweise bleibt offen, wie derartige Reflexionen antirassistisch wirksam sein können. Medientheoretische Positionen würden demnach weniger auf eine Veränderung der Repräsentationen verweisen, sondern auf die Notwendigkeit, Medienbildung voranzutreiben. Mitchell kann in seinen bildtheoretischen Auseinandersetzungen eindrücklich aufzeigen, dass selbst die modernsten Gesellschaften in ihrem Bildumgang nie modern gewesen sind, sondern über einen vormodernen Bildumgang verfügen: Um seine These zu illustrieren, weist Mitchell darauf hin, wie schwer es Menschen falle, die Augen auf dem Foto einer geliebten Person auszustechen. Das Zögern, eben genau das zu tun, begründet er mit der These, dass die visuelle Kultur von animistischen Überzeugungen geprägt ist, die bislang noch nicht rational verhandelt wurden (vgl. Mitchell 2008). Statt also zu zensieren, geht es eher darum, medienbildende Strukturen gesamtgesellschaftlich auszubauen: Media Literacy statt Zensur. Verbunden mit der Einsicht, dass die Struktur des weißseins ein zentrales Moment im Umgang mit Rassismus ist, kann hierin ein wichtiger Ausgangspunkt für eine rassismuskritische Gesellschaft liegen.
 

Anmerkungen:

1 Generell sind medienunabhängig Genrebestimmungen schwer vorzunehmen, wie die Genretheorie weiß.

2 Rote Linien (2022), Conny. Abrufbar unter: https://www.youtube.com (letzter Zugriff: 25.09.2024)

 

Literatur:

Alkin, Ö.: Sammelrezension: Rassismus. Kritische Weißseinsforschung und Film. In: MEDIENwissenschaft, Rezensionen, 2–3/2020/38, S. 269–273

Alkin, Ö./Özdilek, A.: Medienkulturelle Überlegungen zu Unterhaltungsformaten in der postmigrantischen Gesellschaft: „Neoosmanisches Histotainment“ und unberücksichtigte Medienbedürfnisse. In: V. B. Georgi/A. Y. Arani/L. Yildirim (Hrsg.): Osmanisch-deutsche Geschichte(n) in Bildung und Kultur. Interdisziplinäre Perspektiven. Bielefeld 2024 (im Erscheinen), S. 151–167

Alkin, Ö./Strohmaier, A. (Hrsg.): Rassismus im Film. Marburg 2024

Dittmann, J.: Ent-Täuschung des weißen Blicks. Rassismussensible Strategien für eine ideologiekritische Filmanalyse. Münster 2019

Dyer, R.: The Matter of Whiteness. In: P. S. Rothenberg (Hrsg.): White Privilege. Essential Readings on the Other Side of Racism. New York 2005, S. 9–15

Foroutan, N.: Die postmigrantische Gesellschaft. Ein Versprechen der pluralen Demokratie. Bielefeld 2021

Görling, R.: Szenen der Gewalt. Folter und Film von Rossellini bis Bigelow. Bielefeld 2014

Hund, W. D.: Rassismus im Film. In: A. Geimer/C. Heinze/R. Winter (Hrsg.): Handbuch Filmsoziologie. Wiesbaden 2018, S. 1–18

Martinez Mateo, M./Lepold, K.: Einleitung. In: K. Lepold/M. Martinez Mateo (Hrsg.): Critical Philosophy of Race. Ein Reader. Berlin 2021, S. 7–34

Mitchell, W. J. T.: Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur. München 2008

Mitchell, W. J. T.: Lebende Farbe. Rassialisierung und Animation in Spike Lees Bamboozled (2000). In: Ö. Alkin (Hrsg.): Deutsch-Türkische Filmkultur im Migrationskontext. Wiesbaden 2017, S. 169–188

Neue deutsche Medienmacher*innen e. V.: Welche Gesellschaft soll das abbilden? Mangelnde Vielfalt in Rundfunkräten und was dagegen hilft. Berlin 2022

Sayed, L.: Weiße Helden im Film. Der „White Savior Complex“ – Rassismus und Weißsein im US-Kino der 2000er Jahre. Bielefeld 2019

Scheinpflug, P.: Genre-Theorie. Eine Einführung. Berlin/Münster 2014

Shaheen, J. G.: Reel Bad ArAbs. How Hollywood Vilifies a People. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, 1/2003/588, S. 171–193

Siouti, I./Spies, T./Tuider, E./Unger, H. von/Yildiz, E.: Methodologischer Eurozentrismus und das Konzept des Othering. In: I. Siouti/T. Spies/E. Tuider u. a. (Hrsg.): Othering in der postmigrantischen Gesellschaft. Herausforderungen und Konsequenzen für die Forschungspraxis. Bielefeld 2022, S. 7–30

Stender, W.: Rassismuskritik. Eine Einführung. Stuttgart 2023

Terkessidis, M.: Wir selbst sind die Anderen. Globalisierung, multikulturelle Gesellschaft und Neorassismus. In: C. Butterwegge/G. Hentges (Hrsg.): Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik. Opladen 2003, S. 231–252

Tißberger, M.: Critical Whiteness. Zur Psychologie hegemonialer Selbstreflexion an der Intersektion von Rassismus und Gender. Wiesbaden 2017