Rassismus in den Medien
Warum es sich lohnt, die andere Perspektive einzunehmen
Rassismus zu erkennen, ist nicht immer einfach. Aber es ist wichtig, seinen Horizont zu erweitern, genauer hinzuschauen und das Thema zu verstehen. Rassistische Stereotype auch im Rahmen der Jugendschutzarbeit zu identifizieren und in den Häusern eine Diskussion anzuregen, kann ein Anfang sein, um Rassismus in den Medien einzudämmen.
Ich selbst habe erst spät damit begonnen, mich intensiver über Rassismus zu informieren und ihn mitzudenken – auch im beruflichen Kontext als Mitarbeiterin bei RTL Deutschland. Der Input durch Workshops, Gespräche und Medien hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, das Thema „Rassismus“ für sich aufzugreifen und möglichst viel darüber zu wissen.
Rassismus in den Medien findet statt – auch wenn er nicht immer offensichtlich ist. Um ihn zu erkennen, muss man einen Perspektivwechsel vornehmen. Es lohnt sich, das Thema zu verstehen, um daran mitzuwirken, diskriminierende Stereotype dekonstruieren zu können.“
Ich plädiere dafür, dass wir uns alle mit dem Thema „Rassismus“ beschäftigen. Warum?
- Speziell weiß sozialisierte Menschen in Deutschland wissen zu wenig darüber.
- Gerade weil wir in den Medien arbeiten, haben wir eine Verantwortung dafür, das Thema zu verstehen.
- Indem wir selbst sensibel sind für das Thema, können wir an der Dekonstruktion diskriminierender Stereotype arbeiten.
Diskriminierung als Thema unserer Gesellschaft
Die Tötung von George Floyd im Mai 2020 in den USA hat dafür gesorgt, dass auch in Deutschland mehr über Rassismus gesprochen wurde. In der Folge wurden bei SUPER RTL 2021 für alle Mitarbeitenden Workshops angeboten, um für Rassismus zu sensibilisieren. Für mich persönlich haben die Workshops viele Erkenntnisse gebracht und mich sensibilisiert. Ich habe verstanden, dass Rassismus unter allen Diskriminierungsdimensionen einen besonderen Stellenwert hat. Und dass es in Deutschland Alltagsrassismus gibt, auch wenn viele Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft dies nicht wahrhaben wollen.
Diskriminierung definiert sich als Ungleichbehandlung, die alle Lebensbereiche der Betroffenen berührt – das soziale, politische, wirtschaftliche, kulturelle und öffentliche Leben von Menschen(gruppen).“
In vielen Unternehmen wird Rassismus eingeordnet als eine von mehreren Diskriminierungsdimensionen, für die man sensibilisieren möchte. Positiv gewendet geht es darum, Vielfalt zu propagieren. Zahlreiche Firmen schließen sich deshalb der Charta der Vielfalt an, die die sieben verschiedenen Dimensionen von Vielfalt umfasst: Alter, ethnische Herkunft & Nationalität, Geschlecht & geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion & Weltanschauung, sexuelle Orientierung und die soziale Herkunft. Diese Dimensionen sind nahezu unveränderbare Eigenschaften einer Person und haben einen großen Einfluss auf Ausgrenzung und mögliche Diskriminierung. Es gibt Aktionen wie das Bündnis „Medien für Vielfalt“ – und auch der Bertelsmann-Konzern (zu dem RTL Deutschland gehört) bekennt sich dazu. Alle Mitarbeitenden von Bertelsmann müssen ein Training durchführen zum Thema „Unconscious Bias“. Dabei geht es darum, Schubladendenken zu erkennen und zu lernen, wie man eine Umgebung schafft, in der alle Menschen eine faire Chance haben.Diskriminierung definiert sich als Ungleichbehandlung, die alle Lebensbereiche der Betroffenen berührt – das soziale, politische, wirtschaftliche, kulturelle und öffentliche Leben von Menschen(gruppen). Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer (vgl. Heitmeyer 2024) spricht von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – aus meiner Sicht ein starker Begriff, der deutlich macht, worum es geht. Nämlich um feindselige Einstellungen zu Menschen und um Ungleichwertigkeit. Diskriminierung trifft Menschen also aufgrund von tatsächlichen oder zugeschriebenen Merkmalen.
Warum Rassismus uns alle angeht
Rassismus ist eine Art von Diskriminierung. Durch Rassismus werden Menschen z. B. wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Haare, ihres Namens oder ihrer Sprache diskriminiert, ausgegrenzt und abgewertet. Von Rassismus betroffen sind vor allem Black and People of Color (BPoC), diesen Begriff werde ich im Folgenden verwenden. Dem Rassismus unterliegt die Idee/die Erfindung, dass es Menschen unterschiedlicher „Rassen“ gibt. Und dass diese „Rassen“ eine Ordnung oder eine Reihenfolge haben.
Rassismus zu bekämpfen, heißt zunächst einmal, ihn zu verstehen und zu wissen, woher er kommt. Seinen Ursprung hat er im Kolonialismus und Imperialismus des 15. Jahrhunderts. Die weißen eroberten die Kontinente und versklavten weite Teile der Welt. Es entstanden „Rassen“theorien als ideologisches Denksystem, das Hautfarbe und Religion als Marker nutzte, um Menschen in „Rassen“ einzuteilen. Das hatte eine Abwertung von BPoC und eine Aufwertung der weißen zur Folge. In meiner Schulzeit wurde die Kolonialzeit im Geschichtsunterricht sehr unreflektiert behandelt.
Auch in anderen Fächern wurde nicht über Rassismus gesprochen. Uns wurde suggeriert, dass es das in Deutschland nicht gibt, weil ja alle weiß sind. Aber natürlich existiert er. Auch ich habe als Kind Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann gespielt, zu Kindern mit Migrationshintergrund „die Ausländer“ gesagt oder Zehn kleine N***lein gesungen. Alles, ohne es zu hinterfragen. Und selbstverständlich würde ich für mich beanspruchen, keinesfalls rassistisch zu sein. Aber schon als Kind wurde ich geprägt von Bildern und mir wurde vermittelt, was „die Norm“ ist – auch über mediale Inhalte.
Wir müssen davon ausgehen, dass der Rassismus in jedem gesellschaftlichen Bereich vorhanden ist. Das liegt nicht daran, dass es so viele Rassisten im oben genannten Sinne gibt, sondern vielmehr daran, dass nicht hinterfragte Vorurteile und rassistische Wissensbestände in der Bevölkerung, aber auch in den Strukturen der Institutionen, weit verbreitet sind, und damit systematisch ausgegrenzt wird, ohne systematisch ausgrenzen zu wollen“ (El-Mafaalani 2014).
Die Hintergründe für Rassismus in Deutschland beschreibt Noah Sow sehr anschaulich in ihrem Buch Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus (Sow 2018). Ich habe verstanden, dass ich als weiße Privilegien habe, derer ich mir nicht bewusst war. Und dass diese Privilegierung eher nicht dazu führt, dass ich mich verändere. Sondern dass sie geradezu einen Unwillen auslöst, das eigene Verhalten und Gewohnheiten zu hinterfragen. Umso wichtiger ist es, sich damit zu konfrontieren und Ableitungen auch für das berufliche Wirken zu treffen. Es geht darum, bei der eigenen Reflexion anzufangen.
Rassismus in Deutschland
Als Folge der ARIC-Workshops1 habe ich mich in meiner Profession als Marktforscherin auch empirisch mit dem Thema beschäftigt. Im Rahmen der Kinderwelten-Tagung, die sich an die Medienbranche richtet, bat ich Theresa Ebel (damals Marktforscherin bei september – Strategie & Forschung), einen Vortrag zu Alltagsrassismus zu halten (Ebel 2022). Sie zitierte Ergebnisse einer repräsentativen Studie aus dem Jahr 2022, die zeigen, dass es Rassismus in Deutschland gibt. 21 % der 2.075 Befragten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren glauben, dass Menschen sich auf Basis von „Rasse“ voneinander unterscheiden. Mehr als zwei Drittel finden es übertrieben, wenn Bücher oder Kinderlieder mit rassistischen Wörtern umgeschrieben werden. Und 60 % nervt es, dass man aufpassen muss, was man über Menschen mit anderer Herkunft sagt. Die Studie zeigt auch auf, dass Stereotype weiter fortgeschrieben werden. Und Theresa Ebel appellierte an das Publikum, sich mit der eigenen Kindheit zu befassen und sich bewusst zu machen, dass wir alle rassistisch sozialisiert sind.
Fast sieben von zehn Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte haben Alltagsrassismus erfahren. Je dunkler die Hautfarbe, desto höher die Wahrscheinlichkeit, davon betroffen zu sein.“
Eine weitere Studie ergänzte die Daten um die Perspektive von Kindern und Jugendlichen. Maya Götz ließ 1.461 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 19 Jahren nach ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismen befragen (Götz 2021). Zusätzlich führte sie 22 Fallstudien mit Kindern zwischen 8 und 12 Jahren durch. 39 % aller Heranwachsenden unter 18 Jahren in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Fast sieben von zehn Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte haben Alltagsrassismus erfahren. Je dunkler die Hautfarbe, desto höher die Wahrscheinlichkeit, davon betroffen zu sein. Sieben von zehn Beleidigungen kommen von Mitschüler:innen und anderen Kindern und Jugendlichen. Jede:r dritte Heranwachsende mit Zuwanderungsgeschichte kennt das Gefühl, als „fremd“, „ausländisch“ oder „anders“ wahrgenommen zu werden. Besonders berührend fand ich die Schilderungen aus den Fallstudien, in denen Kinder von ihren eigenen Erfahrungen mit Rassismus berichten. Davon, dass sie aufgrund ihres Aussehens angefeindet, körperlich angegriffen oder des Diebstahls bezichtigt werden. Oder dass man ungefragt ihre Haare anfasst oder sie nicht mitspielen lässt.
Man braucht den Perspektivwechsel
Die Studien und Daten helfen, den Perspektivwechsel vorzunehmen. Ich muss die Perspektive wechseln, mich in BPoC hineinversetzen und lernen, was ihre Lebensrealität ist. Für mich selbst musste ich erkennen, dass ich auf jeden Fall rassistisch sozialisiert bin und Leugnung und Abwehr nicht weiterhelfen. In den ARIC-Workshops haben wir uns viel mit Stereotypen und Schubladendenken beschäftigt. Unsere Aufgabe – auch in den Medien – muss es sein, die Stereotype zu dekonstruieren; ihnen etwas entgegenzusetzen und die Verantwortung anzunehmen.
Gerade im Kinderfernsehen haben wir eine besondere Verantwortung. Im Rahmen der redaktionellen Arbeit stellen sich oft Fragen, welche Bildwelten wir Kindern vermitteln wollen, welche Sprachvorbilder, welche Protagonist:innen, welche Themen etc. Medien sind ein Teil der Sozialisation von Heranwachsenden. Sie geben Impulse dafür, was Kinder als Realität konstruieren und dann als Jugendliche und Erwachsene als objektiv wahrnehmen. Wir prägen Bilder für Generationen. Wir liefern sprachliche Vorbilder. Rassistische Stereotype werden auf vielfältige Weise in den Medien vermittelt. „Eltern mit rassistisch markierten Kindern stehen vor der Herausforderung, ihre Kinder in einer Gesellschaft großzuziehen, die sie benachteiligt“ (siehe den Beitrag von Balcı/Pevec-Zimmer/Juang in mediendiskurs 110, S. 20–25). Medien können hier eine Unterstützung sein, um Heranwachsende auf ein Leben in einer Gesellschaft der Vielfalt vorzubereiten. Das kann das Selbstbewusstsein der BPoC stärken.
Gerade im Kinderfernsehen haben wir eine besondere Verantwortung. Im Rahmen der redaktionellen Arbeit stellen sich oft Fragen, welche Bildwelten wir Kindern vermitteln wollen, welche Sprachvorbilder, welche Protagonist:innen, welche Themen etc.“
Auch Erwachsene in den Blick nehmen
Da Kinder und Jugendliche natürlich nicht nur Kinderfernsehen konsumieren, sehe ich es als Aufgabe aller Medien an, sich diesem Thema zu stellen. Und aus meiner Sicht geht es nicht ausschließlich darum, Heranwachsende zu schützen. Stattdessen sollten wir auch erwachsene Medienkonsumenten aus der Gruppe der BPoC mit in den Blick nehmen. Auch sie werden durch rassistische Stereotype möglicherweise getriggert, herabgesetzt und diskriminiert. Diese Stereotype werden über viele Inhalte unserer Medienlandschaft bedient. Sie finden sich auch in alten Serien oder Spielfilmen, die in großer Zahl im Fernsehen oder den Mediatheken und Streamingdiensten bereitstehen. Wie wir damit umgehen (auch aus Sicht des Jugendschutzes), ist – Stand heute – nicht eindeutig zu beantworten. Es ist eine Ermessenssache. Und die Verantwortung dafür liegt nicht nur beim Jugendschutz.
Aber es ist gut, darüber zu sprechen und im besten Fall eine vergemeinschaftete Sichtweise zu erlangen. Wenn wir eine Basis, ein gemeinsames Verständnis über Rassismus haben, wenn der Perspektivwechsel gelungen ist und wir durch neue Erkenntnisse gestärkt in die Debatte gehen, erst dann sollten wir überlegen, welche Aspekte des Themas etwas mit Jugendschutz zu tun haben. Durch Sensibilisierung für das Thema wissen wir, was wir in unsere Unternehmen geben, wo Redaktionen, Programmverantwortliche und viele andere sich Gedanken dazu machen müssen, welche Inhalte sie der diversen Gesellschaft anbieten wollen. Die Verantwortlichen im Jugendschutz sehe ich als Anstoßgeber und Multiplikatoren, sie sind in der Rolle, aufzuhorchen und Fragen zu stellen. Einfache Antworten und Handlungsanweisungen gibt es nicht, aber es ist toll, sich auf den Weg zu machen. Mai Thi Nguyen-Kim spricht in einem aktuellen Video mit dem Titel Rassismus wissenschaftlich geprüft davon, dass es darum gehen muss, aktiv antirassistisch zu sein (Nguyen-Kim 2024). Ich möchte enden mit einem Appell unseres Redakteurs Enos Rakumo (selbst BPoC), der die Mitarbeitenden bei SUPER RTL aufgefordert hat: „Hört euren BPOC/PoC-Bekannten zu, wenn sie über ihre Probleme und Erfahrungen sprechen, und informiert euch und euer Umfeld. So werdet ihr auch zum Teil der Lösung!“
Anmerkung:
1 Workshops des Anti-Rassismus Informations-Centrums in Duisburg (ARIC-NRW)
Literatur:
Balcı, O./Pevec-Zimmer, S./Juang, L.: Zwischen Bildschirm und Selbstbild. Rassismus in den Medien und seine Wirkung auf die Identität und psychische Gesundheit von rassistisch markierten Kindern und Jugendlichen. In: mediendiskurs, Ausgabe 110, 3/2024, S. 20–25
Ebel, T.: Warum Rassismus uns alle angeht. In: Kinderwelten, 02.06.2022. Abrufbar unter: www.ad-alliance.de
El-Mafaalani, A.: Im gesellschaftlichen Abseits. In: Qantara.de, 02.04.2014. Abrufbar unter: https://qantara.de
Götz, M. (Hrsg.): „Wenn du mich noch einmal ‚braune Schokolade‘ nennst!“ Erleben von Alltagsrassismus bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. München 2021. Abrufbar unter: https://izi.br.de
Heitmeyer, W.: Soziologe Wilhelm Heitmeyer über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. In: T. Jung/A. Theiler: Jung & Naiv (Podcast), 25.04.2024. Abrufbar unter: https://jung-naiv.podigee.io
Nguyen-Kim, M.: Rassismus wissenschaftlich geprüft. In: MaiThink X, 15.09.2024. Abrufbar in der ZDF-Mediathek unter: www.zdf.de
Rakumo, E.: Werkstattgespräch: Wie Diversität im Kindercontent mitgedacht wird. In: Kinderwelten, 18.05.2022. Abrufbar unter: www.ad-alliance.de
Sow, N.: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. Norderstedt 2018
Weiterführende Links:
ARIC-NRW e. V.: www.aric-nrw.de
Charta der Vielfalt: www.charta-der-vielfalt.de