Rausch – Sucht – Film

Visualisierung zwischen Faszination und Abschreckung

Marcus Stiglegger

Prof. Dr. Marcus Stiglegger ist Film- und Kulturwissenschaftler, lehrt an verschiedenen Hochschulen und veröffentlichte zahlreiche Bücher zu Filmgeschichte, -ästhetik und -theorie. Er ist Mitgründer des Podcasts „Projektionen – Kinogespräche“. Info: stiglegger.de

Die Darstellung von Drogenkonsum war lange ein Tabu des Kinos. Es galt als moralisch inakzeptabel, auch nur den Konsum von Alkohol auf der Leinwand zu inszenieren. Dennoch spielten Kriminalfilme und auch Melodramen immer wieder auf Drogen an, thematisierten oft indirekt Drogenhandel und ‑konsum. Erst nach 1960 ist die Präsenz von Drogen im internationalen Film hoch, vor allem im Kontext von Genrestrukturen. Der Beitrag untersucht aus filmhistorischer Perspektive und an Schlüsselbeispielen, wie sich die filmische Umsetzung von Sucht und Rausch im Spielfilm entwickelte.

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Tabuisierung von Drogenkonsum im klassischen Hollywoodkino

Es galt als moralisch nicht akzeptabel, auch nur den Konsum von Alkohol auf der Leinwand zu inszenieren. Dabei waren gerade die ersten Jahrzehnte des 20.  Jahrhunderts erschüttert von drogeninduzierten Bandenkriegen. Die Prohibitionsära bot Gangstern wie Al Capone eine Existenzgrundlage, denn so hatten sie ein Monopol auf den Verkauf von Alkohol. Auch härtere Drogen wie Kokain und Heroin waren bereits präsent  – bis in die Hollywoodstudios hinein. Doch bereits 1922 gab es Ambitionen, einen Codex für alle nordamerikanischen Filmstudios zu etablieren, der die Möglichkeiten der Darstellung tabuisierter Aktivitäten verbindlich regelte. Zuvor war es Autoritäten vor Ort überlassen, Filmzensur durchzusetzen. Selbst Filmvorführer stellten in der Stummfilmära von ihnen favorisierte Schnittfassungen her.

Im Jahr 1934 konnten die Hollywoodstudios schließlich einen einvernehmlichen Zensurcode verabschieden, den Hays-Code. Er war bis 1967 in Kraft und prägte die Inszenierung von Hollywoodfilmen nachdrücklich, auch wenn ab Ende der 1950er-Jahre die Richtlinien immer öfter ausgeweitet oder überschritten wurden. Die konkreten Regeln des Hays-Codes besagten:

  1. Das Gesetz darf nicht besiegt werden.
  2. Die Innenseite der Schenkel darf nicht zu sehen sein.
  3. Spitzenunterwäsche ist untersagt.
  4. Tote dürfen nicht zu sehen sein.
  5. Drogenkonsum ist untersagt.
  6. Auch Alkoholkonsum.
  7. Brüste dürfen nicht gezeigt werden.
  8. Glücksspiel soll nicht zu sehen sein.
  9. Das Zielen einer Schusswaffe soll nicht zu sehen sein.
  10. Maschinenpistolen sind untersagt. 

 

Trailer Scarface (1932) (Rotten Tomatoes Classic Trailers, 10.01.2012)

Ein Pre-Code-Film wie Scarface (1932) von Howard Hawks unterlief noch zahlreiche dieser Tabus. Und auch in der Ära des Film noir der 1940er-Jahre wurden einige Paragrafen überschritten. Doch die meisten Hollywoodfilme vermieden die tabuisierten Darstellungen, auch jene von Drogenkonsum.



Drogen im Film – eine kleine Phänomenologie

Dennoch spielten Kriminalfilme und auch Melodramen immer wieder auf Drogen an, thematisierten so oft sehr indirekt Drogenhandel und ‑konsum – etwa wiederum Howard Hawks in seinem Detektivfilm Tote schlafen fest (1946), in dem Drogenkonsum, Pornofotografie und Mord ausdrücklich vorkommen, allerdings nur indirekt Darstellung finden.

Nach 1960 ist die Präsenz von Drogen im internationalen Film hoch, vor allem im Kontext von Genrestrukturen. Dabei folgt die Thematisierung verschiedenen narrativen Mustern:

  1. Drogenhandel als Verbrechen, speziell im Gangsterfilm und Polizeifilm
  2. Drogenkonsum als Lifestyle, u. a. im Gangsterfilm, Psychodrama, Thriller und später in Coming-of-Age-Filmen
  3. Drogenkonsum als soziales Problem im Sozialdrama, Coming-of-Age-Film, Gangsterfilm und Polizeifilm
  4. Drogen als utopisches Element im Science-Fiction-Film
  5. Drogenkonsum als Ritual, etwa im Abenteuerfilm, Fantasyfilm oder Horrorfilm (hier speziell dem Folkhorrorfilm, etwa Midsommar, 2019)
  6. Drogenkonsum als Komik in der Komödie und
  7. Drogenkonsum als medizinisches Phänomen, etwa im Psychodrama oder Sozialdrama.

Diese grundlegende Liste zeigt, wie im modernen Kino zwischen 1960 und 1980 und im postklassischen und postmodernen Kino seit den frühen 1980er-Jahren die unterschiedlichen Aspekte des Drogenkonsums eine explizite Darstellung finden. Und so wie Film im Sinne der Filmsoziologie als Spiegel gesellschaftlicher Tendenzen gesehen werden kann, so ändert sich die konkrete Darstellung auch mit der steigenden Nutzung und Verbreitung von Drogen in der Realität. Das wird vor allem auffällig mit der Verbreitung von Psychedelika in den 1960er-Jahren, von Heroin in den 1970er-Jahren, Kokain in den 1980er-Jahren und dem Boom von Tabletten wie Ecstasy in den Jahren nach 2000. Kaum ein US-amerikanischer oder europäischer Spielfilm kommt ohne zumindest einen marginalen Hinweis auf Drogenkonsum aus.
 


Formen des Drogenkonsums im Film

Seit der Aufhebung des Hays-Codes werden alle bekannten und populären Formen von Drogen auf der Leinwand gezeigt. Dazu gehören die sogenannten „weichen Drogen“ wie Marihuana, Alkohol und Nikotin, die psychedelischen Drogen LSD und Acid, „Partydrogen“ wie Ecstasy und schließlich die „harten Drogen“ Kokain, Heroin und Crystal Meth. Alkoholkonsum und Rauchen sind zwar in einigen Ländern tabuisiert, werden aber in westlichen Filmen häufig gezeigt, auch in positiven Kontexten. Allerdings ändert sich die Darstellung des Drogenkonsums analog zu den gesellschaftlichen Tendenzen, da Film hier wie ein gesellschaftlicher Seismograf funktioniert. Mit dem Ende des Hays-Codes Ende der 1960er-Jahre waren es zunächst die Drogen der Counterculture, die auf der Leinwand auftauchten, also Marihuana und LSD. In den 1970er-Jahren wurden die USA und Europa von einer Welle an Heroinsucht heimgesucht, was bereits den oscarprämierten French Connection – Brennpunkt Brooklyn (1971) von William Friedkin prägte, einen ambivalenten Polizeifilm über den bis dahin größten Heroinfund der Kriminalgeschichte. Allerdings lag der Fokus weniger auf einer Darstellung der Sucht, als vielmehr auf der Strafverfolgung der Dealer. Serpico (1973) von Sidney Lumet erzählte diese Geschichte aus der Sicht eines Undercover-Cops (Al Pacino), der selbst als Dealer agiert und schließlich von seinem eigenen Kollegen angeschossen wird. Doch auch Rausch und Sucht selbst geriet analog in den Fokus einiger Werke.
 


Drogenkonsum im populären Spielfilm

So ungewöhnlich es erscheint, kam ein Vorläufer der modernen Drogenfilme bereits im klassischen Hollywood heraus, allerdings inszeniert von einem deutschen Exilanten: In Der Mann mit dem goldenen Arm (1955) inszenierte Otto Preminger Frank Sinatra als einen Spieler und Jazzmusiker, der zugleich unter einer Heroinsucht leidet. Der Drogenkonsum wird hier erstmals in einem größeren Umfang dargestellt – einschließlich der Entzugserscheinungen –, blieb jedoch ein Nebenaspekt des Unterweltdramas.

Nicht zufällig war es der Produzent Roger Corman, der bereits seit Ende der 1950er-Jahre mit seinen B-Movies ein junges Publikum gewinnen konnte und sich stets an populären Themen orientierte. Surfer, Biker, Teenager aller Art waren seine Protagonisten, und Ende der 1960er-Jahre war es die psychedelische LSD-Kultur, die jene Counterculture repräsentierte, die man heute als Hippie-Ära bezeichnet. Mit Peter Fonda und Dennis Hopper inszenierte Corman Der Trip (1967). Und mit Psych-Out (1968) schuf Richard Rush für den Produzenten Corman den nächsten Prototyp einer Reihe von sogenannten „Head-Filmen“, die von der Selbstauflösung der Protagonisten (u. a. Jack Nicholson) in ihren Drogenerlebnissen erzählten (Zion 2018, S. 20 ff.). Nicholson tat sich mit Dennis Hopper und Peter Fonda zusammen, die er aus den Corman-Produktionen kannte, und gemeinsam drehten sie die Bikerparabel Easy Rider (1969), in dem zwei Motorradfahrer Drogen von der Westküste nach Osten schmuggeln. Auch hier ist die einprägsamste Szene ein Drogenmoment: Fonda und Hopper nehmen zusammen mit zwei Prostituierten (Karen Black und Toni Basil) in New Orleans auf einem alten Friedhof LSD, was zu einem ausufernden kollektiven Trip führt. Gedreht in körnigem Filmmaterial und vollständig improvisiert, war das Team nach eigenen Aussagen tatsächlich auf LSD. Bis heute gilt der Film als Kultfilm und Lifestyledokument einer Ära, die frei mit Sex und Drogen umging. (Buscombe 2002, S. 512)

Ebenfalls im Kontext des New Hollywood jener Jahre entstand das Heroindrama Panik im Needle Park (1971) von Jerry Schatzberg, in dem Al Pacino noch vor seinem Durchbruch mit Der Pate (1972) als junger Junkie in Manhattan brilliert. Schatzberg pflegt hier einen rohen, dynamischen Kamerastil, fokussiert auf einen sozialen Realismus, der den Alltag der Sucht auf intensive Weise vermittelt. Gerade retrospektiv erweist sich dieser Film als wegweisend in seiner schonungslosen Darstellung von Drogenkonsum, der nie als Lifestyle oder Coolness missverstanden werden kann (Stiglegger 2019, S. 19). Fast das Gegenteil stellen die Komödien um das Kifferduo Cheech und Chong beginnend mit Cheech & Chong – Viel Rauch um nichts (1978) dar. Hier ist es vor allem der Kult um den Graskonsum, der diese Filmreihe noch heute für ein junges Publikum attraktiv macht.
 

Trailer Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1981) (Shot in Berlin Trailer, 12.06.2021)



Einen endgültigen Paradigmenwechsel mit weltweiter Auswirkung ermöglichte dann ein deutscher Film: Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1981) von Uli Edel. Diese Adaption eines Buches über die Jugend von Christiane Felscherinow im Westberlin der 1970er-Jahre, das zunächst als Serie im Magazin Stern erschienen war,  war nicht nur mit sehr jungen Darstellerinnen und Darstellern besetzt, sondern bediente sich auch sonst eines harschen Realismus, der Drogensucht, Rausch und Anschaffungskriminalität gleichermaßen darstellte (Tast 1981, S. 95). Hier wurden alle Vorgänge explizit ins Bild gesetzt, untermalt von der finsteren Musik von Brian Eno und David Bowie. Was als Warnung gemeint war, hatte dennoch einen ambivalenten Effekt, denn selbst das Heroinelend dieses Films schien ein junges Publikum zu faszinieren, was auf lange Sicht den „Heroin Chic“ auch in der Modeszene etablierte (vgl. zum Einfluss auf das Berlin-Bild im Film: Jung/Stiglegger 2021). Auch wurde die reale Protagonistin, die den Film inspiriert hatte, immer wieder rückfällig. Bis heute gingen nur wenige Filme so weit wie dieser in der Intimität mit der Sucht. Der große Erfolg des Films zog einige Plagiate nach sich, u. a. den italienischen Angel in the Dark (Hanna D. – La ragazza del Vondel Park, 1984) von Rino di Silvestro, doch es blieb Edels Film vorbehalten, gerade den Kontext der verlorenen Kindheit mit der Sucht zu verbinden. Seine Hauptdarstellerin Natja Brunckhorst war erst 13 Jahre alt.

Mit dem Gangsterfilm Scarface (1983) von Brian De Palma entstand nach dem Drehbuch von Oliver Stone ein brutaler Gangsterfilm, der sich des wachsenden Drogenhandels in Miami annahm. Al Pacino spielte den Gangster als kokainabhängigen und drogendealenden Soziopathen – der bald zum Vorbild ganzer Generationen von Gangsterrappern und Drogendealern wurde, die das Kokaingeschäft zum coolen Lifestyle verklärten.

Auch Pulp Fiction (1994) von Quentin Tarantino spielt im Gangstermilieu, doch hier bleibt das Suchtmotiv an die Figur des heroinabhängigen Killers (John Travolta) gebunden, der mit der Frau seines Bosses (Uma Thurman) ausgeht. Sie verwechselt sein Heroin mit Kokain und erleidet einen Kreislaufzusammenbruch, der mittels einer Adrenalinspritze ins Herz behandelt wird. Wie alles bei Tarantino ist auch der Drogenaspekt hier in postmodernen Anführungszeichen zu sehen: Es geht nicht um Realismus, sondern um Dramatisierung. Aus einem ähnlich verspielten Kontext speiste sich wenig später Trainspotting – Neue Helden (1996) von Danny Boyle, der den harschen Drogenrealismus in der Darstellung einer Clique aus Schottland mit einer poppigen Videoclipästhetik und einem Hitsoundtrack kombinierte. Auch hier werden die finsteren Aspekte der Sucht inszeniert – beim großen Publikum wurde der Film jedoch als Lifestyle-Event gefeiert und gilt noch heute als Kultfilm. Erst die weniger erfolgreiche Fortsetzung arbeitete die melancholischen Aspekte deutlicher heraus.
 


In der Literatur waren William S. Burroughs (Junkie) und Hunter S. Thompson zweifellos prägend, wenn es um die Beschreibung von Drogenwirkung und Sucht geht. Beide galten lange als unverfilmbar angesichts der visionären und surrealen Aspekte ihrer Prosa. Der englische Exzentriker Terry Gilliam wagte in Angst und Schrecken in Las Vegas (1998) einen albtraumartigen Blick in die veränderte Wahrnehmung zweier Drogenkonsumenten (Johnny Depp und Benicio del Toro). Doch ähnlich wie bei Tarantino und Boyle gerät seine Gonzo-Journalismus-Farce bald zum ironischen Kultfilm, dem der Drogenaspekt eher als Anlass für aufwendige Computeranimationen dient. So überzeichneten die Kultfilme der 1990er-Jahre die Drogensucht vor allem hin zur Chaoskomödie. Eine spätere Variante dieses Ansatzes bietet auch Spun (2002) von Jonas Åkerlund, der Drogenhandel und ‑sucht gleichermaßen ironisiert.

Um 2000 setzte erneut ein Paradigmenwechsel ein. Wichtig hierfür war der an Christiane F. orientierte Requiem for a Dream (1999) von Darren Aronofsky, die Verfilmung eines Romans von Hubert Selby Jr. (Curry 2013, S. 7 ff.) Der Ästhet Aronofsky verlegte das deprimierende Suchtdrama aus den 1970er-Jahren in die Gegenwart der späten 1990er und führt Sucht und Verfall einer Gruppe von New Yorkern vor: zwei junge Männer, die sich im Heroin verlieren, sowie die Freundin und die Mutter des einen. Dabei werden mehrere Suchtformen explizit dargestellt: Heroin, Kokain, Psychopharmaka, Alkohol, Sex und zudem Medienkonsum. Auch dieser Film bedient sich einer postmodernen Collageform, die jedoch anders als in Trainspotting nicht komödiantisch aufgelöst wird. Stattdessen folgt der Film einer Abwärtsspirale, die auch den Tod einschließt (siehe Bär/Schneider 2012).

Ähnlich stilisiert und ebenso harsch geht der Argentinier Gaspar Noé in seinem Enter the Void (2009) vor: Wir lernen den Alltag eines Drogendealers in Tokio kennen, erleben aus subjektiver Sicht einen LSD-Trip mit, bis der Protagonist bei einer Razzia unvermittelt erschossen wird. Doch nun löst sich die „Seele“ ab, und der Film zeigt uns die vom Tibetanischen Totenbuch inspirierte Seelenreise bis zur Wiedergeburt in aufwendigen Kamerainszenierungen. Noé, der auch später (in Climax, 2018, und Vortex, 2021) immer wieder Sucht behandelte, interessiert sich hier aber vor allem für den visionären Aspekt des subjektivierten Drogenerlebens. So gerät ihm der Film selbst zum Rauscherlebnis.

Einen der radikalsten Ansätze bis heute bietet Mad Love in New York (2014) von Josh und Ben Safdie, ein intimer und schmerzhaft realistischer Einblick in das Leben einer Gruppe New Yorker Junkies. Basierend auf dem Leben der Protagonistin Arielle Holmes, zudem gespielt von der Autorin selbst in der fiktionalisierten Rolle der jungen Frau Harley, erleben wir hier den bis heute wohl distanzlosesten und überzeugendsten Blick in den Alltag von Süchtigen, ihre täglichen Dramen, die Beschaffungskriminalität, Euphorie und Depression. Gefilmt mit einer dynamischen Handkamera, unterlegt von verstörenden Elektroniksoundtracks und rückhaltlos gespielt, müssen sich spätere Filme über Sucht und Rausch auch an diesem Werk messen lassen.
 

Trailer MAD LOVE IN NEW YORK (Filmtoast Trailer, 18.05.2021)



Film als gesellschaftlicher Seismograf

Die vorangehenden Ausführungen können nur einen schlaglichtartigen Überblick über einige Schlüsselwerke der Filmgeschichte bieten, zeigen aber, wie schwer sich die internationalen Filmproduktionen mit der Darstellung von Sucht und Rausch tun. Oft ist das Thema nur ein Nebenaspekt der Handlung, wird ironisiert oder zu einer Metapher erhoben. Realistische Blicke in den Alltag des Drogenkonsums sind selten. Mit dem filmsoziologischen Blick von Siegfried Kracauer können wir feststellen: Auch hier wird Film als gesellschaftlicher Seismograf deutlich erkennbar– er zeigt aber vor allem die Hilflosigkeit der Industrienationen im Umgang mit Suchtproblemen.

Über die sechs Jahrzehnte seit den 1960er-Jahren ist Drogenkonsum auf der Leinwand tendenziell zu einem Lifestyle-Element geworden, das selten problematisiert wird. Drogen gehören dazu, können sich punktuell auswirken – doch der Blick auf das Thema bleibt meist kursorisch. Meist werden die negativen Auswirkungen nur marginal vermittelt. Daher wird das Problembewusstsein vom Lifestyle-Effekt überdeckt. Das Publikum hat sich auf diese Weise an eine komische oder „coole“ Darstellung des Drogenkonsums gewöhnt – der Film als „Warnung vor Drogenkonsum“ ist daher nur sehr bedingt effektiv. Es bleibt Filmen wie Christiane F. oder Mad Love in New York vorbehalten, einen schonungslosen Blick auf die triste Realität des suchtbeschädigten Lebens zu werfen. Doch solche Ansätze sind selten geblieben.
 

Literatur:

Bär, P./Schneider, G.: Darren Aronofsky. Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie. Band 9. Gießen 2012.

Buscombe, E.: Easy Rider. In: S. J. Schneider: 1001 Filme. Zürich 2004, S. 512

Curry, R. R.: Beautiful Junkies: Images of Degradation in Requiem for a Dream. In: Imaginations: Journal of Cross-Cultural Image Studies, 1/2013/4, S. 7–16

Jung, S./Stiglegger, M.: Berlin Visionen. Filmische Stadtbilder seit 1980. Berlin 2021

Koch, F.: „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ – ein Film für die Drogenerziehung? In: J. Bastian: Drogenprävention und Schule. Grundlagen, Erfahrungsberichte, Unterrichtsbeispiele. Hamburg 1992, S. 157 ff.

Stiglegger, M.: Wir Kinder vom Needle-Park. Wie New Hollywood die Drogenszene entdeckte. In: ders.: Jenseits der Grenze. Im Abseits der Filmgeschichte. Berlin 2019, S. 19–25

Tast, H.-J.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Multimedienreizklima. Zur Subgeschichte eines Markterfolges. In: medium, 5/1981, S. 25–29

Zion, R.: Roger Corman. Die Rebellion des Unmittelbaren. Norderstedt 2018, S. 229–238