Risiken und Nebenwirkungen

Claudia Mikat

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Claudia Mikat, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), über Abwägung und Angemessenheit von Warnhinweisen in den Medien.

Printausgabe mediendiskurs: 27. Jg., 1/2023 (Ausgabe 103), S. 1-1

Vollständiger Beitrag als:

Darf man das?

Winnetou-Filme ansehen, beim Risiko-Spiel um die Weltherrschaft würfeln, eine „geile“ Bordellbesitzerin besingen? Das vergangene Jahr war wieder reich an solchen Aufregerthemen, an denen sich immer wieder die Geister scheiden: Rassismus, Militarismus, Sexismus sagen die einen, Cancel Culture und Zensur die anderen. Oft folgen emotional geführte Scheindebatten über das vermeintliche Ende der Meinungs- oder Kunstfreiheit, ausgelöst durch den „Tugendfuror“ einiger weniger.

Jenseits plakativer Schlagworte und Boykottaufrufe stellt sich die Frage, wie heute mit problematischen Medieninhalten angemessen umgegangen werden kann. Im angloamerikanischen Sprachraum sind Vorabhinweise üblich, die ideologisch gefärbte Inhalte, auch sexistische oder rassistische Stereotype in einen zeitgemäßen Kontext einordnen sollen. Hinzu kommen Warnungen vor drastischen Bildern und solchen Inhalten, die retraumatisieren oder selbstschädigendes Verhalten auslösen können. Auch in Deutschland finden sich immer häufiger Warnungen und Hinweise auf vermeintlich problematische Inhalte, sowohl in den Medien als auch im Kunst- und Kulturbetrieb.

Nicht immer vermögen die Ergebnisse zu überzeugen. Man stößt auf Warnungen, wo keine Drastik vorhanden, oder auf Einordnungen, wo der Inhalt selbsterklärend ist. Manche Hinweise scheinen weniger der Aufklärung zu dienen, sondern eher aus Angst davor entstanden zu sein, etwas falsch zu machen und einen Shitstorm zu riskieren. Andere wirken selbst aus der Zeit gefallen. Schließlich stehen auch die Versuche, potenziell Desorientierendes einzuordnen, in einem zeitlichen Kontext. In den friedensbewegten 1980ern war es opportun, die Anleitungen eines Strategiespiels zu redigieren, sodass Länder nicht mehr „erobert“, sondern „befreit“ wurden. Angesichts aktueller Kriegsrhetorik und Tatsachenverdrehung wirken solche Veränderungen der Sprechweise eher naiv oder zynisch. Auch das vermeintlich kinderfreundliche Umdichten eines „Saufliedes“ dürfte ohne Wirkung bleiben, solange die Mehrheitsgesellschaft die Ausstrahlung der „unzensierten“ Version im öffentlich-rechtlichen ZDF-Fernsehgarten bejubelt.

Fest steht: Für eine Welt ohne Gewalt und Diskriminierung braucht es mehr als einen Zweizeiler oder ein neues „Wording“. Es ist auch nicht die eine Karl-May-Verfilmung, die das Bild einer Generation vom Wilden Westen geprägt hat, sondern ein ganzes Genre, das den Gründungsmythos der USA verklärte und mit dem Narrativ der „guten“ Siedler:innen und „wilden“ Indigenen Stereotype beförderte. Um Fakt und Fiktion zu unterscheiden, braucht es kritische Kompetenz, echte Debatten und Information.

Über den Bedarf an Warnung, Inhaltsinformation und Kontextualisierung ist wenig bekannt. Einer Umfrage des British Board of Film Classification (BBFC) zufolge finden von Diskriminierung betroffene Erziehungsberechtigte Hinweise zu rassistischen filmischen Inhalten sinnvoll – um sich auf diese vorzubereiten, sie für ihre Kinder einzuordnen oder sie zu meiden. Auch hierzulande sollte man darüber ins Gespräch kommen, bei welcher Art von Produkt welcher Hinweis angebracht ist – möglichst lösungsorientiert und ohne Schaum vor dem Mund.

Vieles spricht gegen einen inflationären Gebrauch von Warnungen und Hinweisen, vor allem die Vermutung, sie könnten dann weniger ernst genommen werden. Vielleicht verhält es sich aber auch wie mit den Packungsbeilagen von Medikamenten: Für Menschen ohne Vorerkrankungen und Unverträglichkeiten erscheinen sie verzichtbar, während andere, die sensibel auf bestimmte Inhaltsstoffe reagieren, auf die Information angewiesen sind.

Ihre
Claudia Mikat