Soziales Medienhandeln

Integrative Perspektiven auf den Wandel mediatisierter interpersonaler Kommunikation

Christine Linke, Isabel Schlote (Hrsg.)

Wiesbaden 2019: Springer VS
Rezensent/-in: Lothar Mikos

Buchbesprechung

Printausgabe mediendiskurs: 26. Jg., 2/2022 (Ausgabe 100), S. 98-98

Vollständiger Beitrag als:

Soziales Medienhandeln

Die 18 Beiträge des Bandes (sieben in englischer Sprache) verteilen sich auf sechs Abschnitte, die sich mit verschiedenen Aspekten der Verschränkung von medialer und interpersonaler Kommunikation befassen. Dabei geht es um eine integrative Perspektive auf soziales Medienhandeln. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich „die Bedeutung von Medien […] in den zwischenmenschlichen Beziehungen und in den sozialen Gruppen, in Organisationen und im öffentlichen Raum“ entfaltet (S. 1), wie die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung schreiben. Damit ist auch der Grundtenor der Beiträge benannt.

Die Texte im ersten Teil blicken auf den Medienwandel. Ausgehend von seinem Mediatisierungsansatz argumentiert Friedrich Krotz, dass „die Medien der interpersonalen Kommunikation einerseits als Prozess zu verstehen [sind], die andererseits in ihrer Bedeutung für die Menschen und für Alltag, Kultur und Gesellschaft wesentlich auch durch ihre Organisations- und Nutzungskontexte bestimmt sind“ (S. 13, H. i. O.). Das macht er dann am Beispiel des Wandels der Kommunikation per Brief deutlich, die seiner Ansicht nach auf einen „allmählichen Kontrollverlust des Autors über die in seinem Namen verschickten Texte“ hinauslaufen wird (S. 17). Rich Ling befasst sich in seinem Beitrag mit der Nutzung des Smartphones während des Gehens auf öffentlichen Plätzen. Anhand zahlreicher Beobachtungen kommt er zu dem Schluss, dass sich die Balance in der gemeinsamen sozialen Verantwortung im öffentlichen Raum verschoben hat (vgl. S. 36). Richard Harper beschäftigt sich mit der Frage, was es heißt, „in Kontakt zu bleiben“ (S. 39). Es gibt viele Wege, dies zu tun, wie er feststellt. Die mobile Kommunikation hat neue Möglichkeiten geschaffen, aber die Funktionen sind weitgehend die gleichen geblieben, von der Weiterleitung von Nachrichten bis hin zur Bestätigung von gemeinsamen Vorhaben.

Im zweiten Teil geht es um die Erweiterung menschlicher Interaktion durch Smartphones und sogenannten social robots. So zeigt Satomi Sugiyama, wie sich technische Medien wie das Smartphone anthropomorphisieren, also quasi menschlich werden (vgl. S. 61 ff.). Am Beispiel von Pepper, einem social robot in Japan, der in verschiedenen sozialen Situationen eingesetzt wird und auch Gefühle erzeugen kann, wird deutlich, wie sehr in sozialen Interaktionen mit Maschinen auch Emotionen eine Rolle spielen. Jane Vincent spricht in ihrem Beitrag gar von „elektronischen Emotionen“ (S. 70), die durch Technik oder Medien hervorgerufen werden können. Allerdings weist sie auch darauf hin, dass diese Emotionen nicht allein durch die Technik entstehen, sondern immer Teil sozialer Interaktionen sind (vgl. S. 77). Das wird dann besonders in den Beiträgen des dritten Teils deutlich. Christine Linke setzt sich mit dem Wandel der interpersonalen Kommunikation auseinander, denn „der Wandel sozialer Beziehungen ist eng mit dem Wandel von Kommunikation und Medien verbunden“ (S. 85). Die Mediatisierung hat hier zu einigen Veränderungen geführt. Die Smartphonenutzung hat die Auseinandersetzung mit der permanenten Erreichbarkeit virulent gemacht, nicht nur in beruflichen, sondern auch in privaten Zusammenhängen. Auf diese Weise werden auch andere Formen von Nähe und Distanz bzw. „Intimität und Isolation“ ausgehandelt (S. 97). Maren Hartmann verhandelt in ihrem Beitrag das Verhältnis von Zu-Hause-Sein und (digitalem) Nomadentum, bei dem es offenbar ein „Laptop-Haus“ gibt (S. 108). Juliane Kirchner beschreibt in ihrem Beitrag den Verzicht auf soziale Medien und stellt dabei Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten der „Nicht-mehr-Nutzenden“ und der „Noch-nie-Nutzenden“ fest (vgl. S. 121 ff.).

Während sich die Beiträge im vierten Teil um die mediatisierte interpersonale Kommunikation im Gesundheitswesen drehen, wird im sechsten Teil über den „visual turn“ (S. 213) in der Kommunikationsforschung sowie über Feldforschung in der Medienkommunikation diskutiert. Der fünfte Teil widmet sich globalen Perspektiven. Der Beitrag von Kai Hafez befasst sich mit transnationaler Geschäftskommunikation. Anne Grüne hingegen widmet sich der Gruppenkommunikation in der globalisierten Welt. Dabei ist ihr wichtig: „Globale Erfahrungen können so gesehen erst soziale Bedeutung erlangen, wenn sie auch Teil von Wissenssystemen in der intersubjektiven Alltagswelt sind“ (S. 189). Hier zeigt sich die Verbindung von (globaler) Medienwelt und interpersonaler Kommunikation.

Der Band liefert vielschichtige Perspektiven gerade auf den Medienwandel und die Rolle von persönlichen Beziehungen und Interaktion, denn „wo Interaktion ist, sind heutzutage die Medien nicht weit“ (S. 2).

Prof. i. R. Dr. Lothar Mikos