Sozialismus im Kino
Filmische Erinnerungen an die DDR und die Sowjetunion zwischen Politik, Kunst und Kommerz
Bielefeld 2024: transcript
Rezensent/-in:
Andy Räder
Filmische Erinnerungsräume des Sozialismus
Die an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichte Dissertation von Daria Gordeeva untersucht, wie die DDR und die Sowjetunion im sogenannten Geschichtsfilm seit den frühen 1990er-Jahren dargestellt werden, welche „Akteure, Strukturen, Ressourcen und Machtverhältnisse“ (S. 8) entscheidend sind und welchen Beitrag die Filme „zum historisch-politischen Erinnerungsdiskurs“ (ebd.) in beiden Ländern leisten.
In einer sehr persönlichen Einleitung, in der sie auf ihre eigene Herkunft Bezug nimmt, skizziert Gordeeva ihre interdisziplinäre Herangehensweise. Sie verortet ihre Arbeit innerhalb der Kommunikationswissenschaft. Konkret analysiert sie „20 publikumsstarke nationale Spielfilme, die zwischen 1990 und 2021“ (S. 10) in deutschen und russischen Kinos liefen, unduntersucht deren filmimmanente sowie ‑externe erinnerungskulturelle Diskurse. Zu Recht hebt sie hervor, dass diese vergleichende Analyse beider Länder eine bestehende Forschungslücke schließt.
Für ihre umfassenden Untersuchungen bedient sie sich des diskurstheoretischen Ansatzes nach Michel Foucault, integriert erinnerungskulturelle Perspektiven und wendet ein film- und medienanalytisches Verfahren an, das sowohl Produktions- als auch Rezeptionsaspekte berücksichtigt. Die Besonderheit dieser Forschungsstrategie zeigt sich in der systematischen undäußerst präzisen Vorgehensweise. Kommunikationswissenschaftliche Werkzeuge der qualitativen Forschung, etwa die Erstellung eines Kategoriensystems, unterstützen sie dabei, die filmischen und erinnerungspolitischen Diskurse zu operationalisieren. Dieses innovative Vorgehen, das in einer Typologie filmischer Geschichtsinszenierungen mündet, stellt eine zentrale Stärke der Arbeit dar. Auf diese Weise gelingt es der Autorin, die einzelnen Filmanalysen schlüssig miteinander zu verknüpfen und diskurstheoretische Perspektiven, Ansätze der Gedächtnisforschung sowie Fragestellungen der Erinnerungskultur miteinander zu verbinden.
Kritisch zu hinterfragen istjedoch die Verwendung genre- bzw. gattungsspezifischer Begriffe wie „Geschichtsfilm“ oder „Erinnerungsfilm“, die ohne Rückbindung an den aktuellen film- und medienwissenschaftlichen Diskurs zum Genrefilm auf den eigenen Untersuchungsgegenstand übertragen werden (vgl. S. 50). Etwas spekulativwirkt auch Gordeevas Versuch, auf Grundlage ihrer Analyse eine „Formel für den Kinotriumph“ (S. 283 f.) zu entwickeln.
Insgesamt überzeugt die Arbeit durch einen präzisen und differenzierten analytischen Blick auf die ausgewählten Filme. Die interdisziplinäre Herangehensweise eröffnet dabei neue Perspektiven auf zentrale, vielfach diskutierte Fragen der deutschen und russischen Erinnerungskultur.
Dr. Andy Räder
Daria Gordeeva: Sozialismus im Kino. Filmische Erinnerungen an die DDR und die Sowjetunion zwischen Politik, Kunst und Kommerz. Bielefeld 2024: transcript. 344 Seiten; 50,00 Euro
