Special Effects in der Wahrnehmung des Publikums

Beiträge zur Wirkungsästhetik und Rezeption transfilmischer Effekte

Michael Wedel (Hrsg.)

Wiesbaden 2016: Springer VS
Rezensent/-in: Marcus Stiglegger

Buchbesprechung. Die Printversion (=PDF) ist gegenüber der Onlineversion leicht gekürzt.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 2/2018 (Ausgabe 84)

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In den 1980er-Jahren galt der Filmhistoriker Rolf Giesen als Pionier der Erforschung visueller Effekte und Special Effects. Er schrieb über die technischen Hintergründe vor allem des fantastischen Films in zahlreichen Publikationen, bevor er seine Forschung in Ausstellungen über Special Effects im Allgemeinen und über den Pionier Ray Harryhausen im Besonderen der Öffentlichkeit vorstellte. In Giesens zweifellos wichtigen Beiträgen – so betont auch der Potsdamer Filmwissenschaftler Michael Wedel in der Einleitung des nun vorliegenden Buches Special Effects in der Wahrnehmung des Publikums – spielt die Wirkungsästhetik dieser filmischen Sonderformen nahezu keine Rolle. Selbst das heute recht verbreitete Handbuch Visual Effects. Filmbilder aus dem Computer (Marburg 2008) von Barbara Flückiger konzentrierte sich noch auf die Beschreibung technischer Verfahren und ästhetischer Resultate, ohne das Publikum speziell in den Fokus zu nehmen. Die Textsammlung des Herausgebers Wedel soll diese Lücke nun konstruktiv füllen mit einzelnen Untersuchungen über Aspekte visueller und Special Effects und deren avisierte Wirkungsästhetik und Rezeption.

Das Buch gliedert sich in „theoretische Grundlagen“ sowie „Analysen und Fallstudien“. Im ersten Beitrag diskutiert Frank Kessler zwei historische Essays von Georges Méliès und Christian Metz auf dem Hintergrund eines ideologiekritischen Impetus. Scott Bukatman untersucht anschließend die utopische Bildkultur des Science-Fiction-Films unter dem Aspekt der „kaleidoskopischen Wahrnehmung“ seit dem 19. Jahrhundert. Ein Text von Stephen Prince liegt hier erstmals in deutscher Übersetzung vor, in dem die Wahrnehmung von Special Effects als eine neue Herausforderung auch an die Filmtheorie betrachtet wird, denn digital simulierte Bildwelten wirken heute für das Publikum „realer“ denn je. Jan Distelmeyer dagegen kennzeichnet mit dem Neologismus „Digitalizität“ (S. 87) die eigenartige Dynamik im Fluss zwischen analogen und digitalen Bildern, die etwa im Morphing bereits in den 1990er-Jahren miteinander verschmolzen wurden. Schwindet also die Unterscheidungsfähigkeit des Publikums zusehends? Distelmeyer und auch Werner C. Barg deuten in diesem Zusammenhang die Frage an, welche ideologischen Implikationen diese Umsetzung des vermeintlich „Unmöglichen“ im digitalen Bild mit sich bringen könnte. Ein interessantes Phänomen untersucht Katrin von Kapp-herr in ihrem Beitrag, der zeigt, dass computergenerierte Effekte heute – anders als die historischen analogen Effekte – zugleich „Unsichtbarkeit“ behaupten, wie auch die eigene „Sichtbarkeit“ ausstellen – etwa durch die begleitende Dokumentation des „Gemachten“ im Making-of. Mit Distelmeyer könnte man hier vom Film als einem „einzigen großen Spezialeffekt“ ausgehen (S. 100). Auch Thomas Schick untersucht an der in The Matrix (1999) perfektionierten „Bullet-Time“ solche Doppelstrategien der Effekt-Wahrnehmung – hier unter emotionalen Aspekten (Staunen, Bewunderung). Einen ideologiekritischen Impetus verfolgen schließlich Lothar Mikos und Claudia Töpper in ihrem Beitrag, in dem sie die globale Attraktivität des effektlastigen Blockbusterkinos untersuchen, die mitunter in lokalen Kontroversen mündet. Dabei betrachten sie dieses Blockbusterkino als eine Art Metagenre mit eigener Formensprache, die sich u.a. aus Special Effects speist (S. 149).

Die Einzelstudien beginnen mit Chris Wahls Darstellung der Tradition der Zeitlupe als Special Effect, wie sie Christian Metz bereits eingeordnet hatte. Auch hier spiele der Paralleleffekt von Faszination und Emotionalisierung eine wichtige Rolle in der Rezeption. Malte Hagener untersucht am Stilmittel des Splitscreens historisch basiert die Entwicklung einer inneren Montageform, die eine Flexibilisierung der Perspektiven mit sich bringe. Peter Krämer konzentriert sich dann auf Stanley Kubricks bahnbrechenden SF-Film 2001: A Space Odyssey (1968), dessen Special Effects die Perspektive des Publikums geweitet hätten. Michael Wedel diagnostiziert einen weiteren wirkungsästhetischen Doppeleffekt, u.a. in der Night at the Museum-Reihe (2006 ff.), wo eine effektbasierte Komik an die Medienkompetenz des Publikums appelliere. Jörn Krug untersucht die Bedingungen der Publikumsakzeptanz bei komplett computergenerierten Figuren wie Gollum. An das Konzept eines „perzeptiven Realismus“ (Prince, S. 82) schließen Jesko Jockenhövel und Claudia Wegener in ihrem empirisch basierten 3-D-Kapitel an. Die Perspektive vom Kino weg erweitern die beiden abschließenden Texte: Arne Brücks untersucht die Bedeutung von Effekten in Fanvideos und Susanne Eichner die Steigerung des immersiven Erlebens in filmästhetisch operierenden Computerspielen.

Nicht alle Texte sind auf dem gleichen Niveau sorgfältig recherchiert. So schreibt Chris Wahl in seinem Aufsatz zur Zeitlupe (S. 159 ff.), Akira Kurosawa hätte 1954 in Die sieben Samurai „bereits mit Zeitlupen bei Schwertkämpfen experimentiert“, „allerdings nur zurückhaltend und lange nicht so konsequent“ wie Sam Peckinpah etwa (S. 162). Hier setzte Kurosawa die Zeitlupe nicht in Kampfszenen ein, sondern danach. In Kampfszenen dagegen kommt Zeitlupe bereits 1943 in seiner Judo-Saga vor, was das Bild historisch letztlich etwas verändert. Allerdings bleiben insgesamt derartige Schwächen selten.

Michael Wedels Band ist wohl vor allem für ein akademisches Publikum interessant, das mit der verwendeten Terminologie vertraut ist – für den interessierten Laien könnte die Lektüre stellenweise anstrengend werden. Wissenschaftlich ist das Buch als Gewinn zu betrachten, füllt es doch jene in der Einleitung bereits inkriminierte Lücke zwischen der phänomenologischen Aufarbeitung von Rolf Giesen und dem Handbuchformat von Barbara Flückiger. Formal punktet der fast 300-seitige Band mit einem sehr lesbaren Layout und hervorragend reproduzierten Farbabbildungen. Wie immer im Springer VS Verlag ist das Buch auch in einzelnen Kapiteln oder als E-Book-Datei im Internet verfügbar.