Stilles Sterben

Tilmann P. Gangloff

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.

Produzenten klagen immer, lästert man in den Sendern gern. Derzeit wären solche Bemerkungen jedoch nicht angebracht. Viele unserer Mitgliedsunternehmen, teilt die Produktionsallianz mit, „berichten von massiven Auftragsrückgängen.“ Bei den TV-Sendern ist man sich keiner Schuld bewusst. „Wir waren in der Vergangenheit und werden auch in Zukunft ein verlässlicher Auftraggeber für Produktionsfirmen sein“, heißt es übereinstimmend. Auch die Streamingdienste versichern, sie investierten kräftig. Tatsache ist dennoch: Kleinere Produktionsfirmen werden auf der Strecke bleiben. Für die Vielfalt ist das nicht gut.

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Vor zehn Jahren, sagt ein erfahrener ARD-Redakteur, habe ein Tatortnoch 1,5 Mio. Euro gekostet, mittlerweile nähere man sich der Zwei-Millionen-Marke. Inflation, Tariferhöhungen, Intimacy Coaches, Green Producing: All das treibe die Kosten in die Höhe. Einige ARD-Sender hätten die Zahl ihrer Beiträge für den Sonntagskrimi bereits eingeschränkt. Außerdem habe Qualität ihren Preis: „Einen ausgezeichneten Kameramann kriegen Sie nicht für den Tariflohn.“ Eine weitere Herausforderung sei der digitale Transformationsprozess, also die Verlagerung vom linearen Fernsehen in die Mediathek: „Einzelstücke lösen geringere Impulse aus als Reihen und Serien, also werden mehr Serien produziert. Serien sind aber teurer als Fernsehfilme. Dieses Geld muss irgendwie eingespart werden. Wenn es nicht zu einer Beitragserhöhung kommt, werden wir noch stärker in der Bredouille stecken.“

Auch Marcus Ammon, Geschäftsführer Content der Bavaria Fiction GmbH, beschönigt nichts: „Die Lage ist ernst. Die Kosten in allen Bereichen steigen, die Auftragslage geht merklich zurück, Sender und Streamer müssen sparen beziehungsweise achten mehr denn je auf Rendite. Eine benötigte Erhöhung des Rundfunkbeitrags ist nicht in Sicht, bereits zugesagte Beauftragungen werden zurückgenommen. Das sind Entwicklungen, die eine Veränderung der Produktionslandschaft zur Folge haben werden und die zwingend politische Impulse nötig machen, wenn man Deutschland als attraktiven Standort für Film- und Fernsehproduktionen halten möchte.“ Der Markt, fasst Björn Böhning, Geschäftsführer der Produktionsallianz, die allgemeine Stimmung zusammen, „wird durch große Unsicherheit und Zurückhaltung beherrscht. Die Umsetzung der Filmförderreform dauert an, deshalb müssen viele Produktionen auf die lange Bank geschoben werden. Dazu kommen jährliche Kostensteigerungen von mindestens 6 %, die kaum refinanziert werden können.“
 


„Gut unterwegs“

Wirtschaftlich starke und breit aufgestellte Produktionsfirmen können mit dieser Herausforderung besser umgehen als kleine Firmen. Die UFA zum Beispiel, sagt Unternehmenssprecher Christian Körner, sei „in forderndem Umfeld gut unterwegs.“ Aktuell sehe man sogar ein leichtes Wachstum, das man ausbauen wolle: „In einem insgesamt angespannten Markt profitieren wir von der Bandbreite unserer Genres. Ebenso zentral ist unser Mix aus langlaufenden Programmmarken und neuen Formaten bei allen großen Sendern und Streamern.“ Johannes Züll, Geschäftsführer der Studio Hamburg GmbH, rechnet dagegen aktuell mit einem prozentualen Auftragsrückgang im hohen einstelligen Bereich, allerdings auf Basis der sehr hohen Werte im Jahr 2023. Trotzdem sei man 2024 insgesamt recht gut ausgelastet, „auch wenn es im Bereich Fiktional und im Dokumentarischen unter Vorjahr liegt.“

Bei kleinen Unternehmen sieht die Lage ganz anders aus. Für sie stelle die derzeitige Entwicklung eine existenzielle Bedrohung dar, sagt Uli Aselmann, Geschäftsführer der film GmbH: „Die großen Firmen können ihre Umsätze vielleicht auf andere Aktivitäten verschieben, aber wir sind auf Kino- und Fernsehfilme spezialisiert, wir können nicht plötzlich anfangen, Entertainmentformate zu entwickeln und zu produzieren.“ Ähnlich ist die Lage bei Viafilm. Der Schwerpunkt der unabhängigen Produktionsfirma liegt bei kommerziellen und künstlerischen Filmen für Kino und TV. Bis Ende des ersten Halbjahrs 2023 habe man dank zweier Serienprojekte gut zu tun gehabt, sagt Geschäftsführer Benedikt Böllhoff. „Im zweiten Halbjahr hat sich auch bei uns die Lage verändert. 2024 haben wir uns sehr genau überlegt, was wir entwickeln, weil sich einige geplante Projekte nicht umsetzen beziehungsweise finanzieren ließen. Tatsächlich haben wir in diesem Jahr keinen eigenen Film gedreht. Wir sind daher gezwungen, sparsam zu wirtschaften und das vorhandene Budget sehr intelligent zu investieren.“
 


„Die großen Firmen können ihre Umsätze vielleicht auf andere Aktivitäten verschieben, aber wir sind auf Kino- und Fernsehfilme spezialisiert, wir können nicht plötzlich anfangen, Entertainmentformate zu entwickeln und zu produzieren.“ Uli Aselmann, Geschäftsführer der film GmbH


 

Sky sorgte für einen Schock

Als Sky im Sommer 2023 ankündigte, keine deutschen Filme und Serien mehr in Auftrag zu geben, war das für die gesamte Branche ein Schock. Zu Beginn dieses Jahres folgte Paramount+. Einige Produktionen waren bereits in Auftrag gegeben und wurden kurzfristig abgesagt. Im inoffiziellen Gespräch schieben die Sender den Schwarzen Peter prompt zu den Streamingdiensten. Eine Netflix-Sprecherin versichert jedoch: „Wir investieren als langjähriger Partner der deutschen Kreativbranche seit vielen Jahren massiv in deutschsprachige Filme, Serien sowie Non-Fiction-Programme und werden das auch in Zukunft tun.“ Zum Beweis fügt sie eine umfangreiche Liste mit geplanten oder bereits fertigen Produktionen bei. Amazon schickt ein Statement von Christoph Schneider, Country Director Prime Video Deutschland: „Prime Video hat sein Auftragsvolumen für deutsche Produktionen über die letzten Jahre kontinuierlich gesteigert, zuletzt um mehr als 20 Prozent zum Vorjahr. Bis zum Ende des Jahres werden wir 17 von Amazon MGM Studios entwickelte sowie für Prime Video exklusiv produzierte deutschsprachige Formate bei Prime Video gestartet haben. Für 2025 planen wir mit einem ähnlichen Volumen.“ Auch Schneider ergänzt die Mitteilung um eine eindrucksvolle Übersicht. Aselmann ist dennoch skeptisch: „Bei Amazon, Netflix und Disney ist wahrnehmbar, dass bei der Beauftragung deutscher Produktionen mit angezogener Handbremse gefahren wird.“

Im Vergleich zur enormen Menge öffentlich-rechtlicher Aufträge wirkt die Anzahl der Streaming-Produktionen ohnehin überschaubar. Auch die beiden großen Privatsenderfamilien spielen als Auftraggeber eine wichtige Rolle, selbst wenn sie bei Filmen und Serien längst nicht mehr so rührig sind wie in früheren Jahren. Henrik Pabst, als Chief Content Officer der ProSiebenSat.1 Media SE verantwortlich für alle Inhalte auf Joyn und den linearen Sendern des Konzerns, lässt mitteilen: „Für die Season 24/25 produzieren wir als Gruppe mehr fiktionale Programme als in den vergangenen fünf Jahren zusammen.“ RTL, sagt ein Sprecher, habe die Zahl der Aufträge ebenfalls nicht verkleinert: „Wir konnten unsere großen Investitionen in Programminhalte in den vergangenen Jahren trotz erheblicher wirtschaftlicher Herausforderungen steigern und verstetigen.“ Man investiere jährlich über eine Milliarde Euro in Inhalte.


„Für die Season 24/25 produzieren wir als Gruppe mehr fiktionale Programme als in den vergangenen fünf Jahren zusammen.“ Henrik Pabst (ProSiebenSat.1 Media SE )



Das ZDF investiert sogar mehr als bisher

Auch beim ZDF, teilt eine Sprecherin mit, zeige sich aktuell kein Auftragsrückgang. Das Volumen an Auftragsproduktionen, Koproduktionen und Kofinanzierungen habe in den letzten Jahren vielmehr zugenommen, das Gesamtvolumen sei zuletzt von 760 Mio. Euro (2021) auf 795 Mio. Euro (2022) gestiegen. Für 2023 habe die Planzahl bei 820 Mio. Euro gelegen. Derzeit werde der Jahresabschluss für 2023 erstellt, es zeichne sich sogar eine leichte Steigerung ab. Der Planwert für 2024 betrage 846 Mio. (Nettozahlen zuzüglich Mehrwertsteuer). Es sei davon auszugehen, dass das Volumen für 2025 stabil bleiben werde, vorausgesetzt, „dass die Beitragserhöhung kommt und die Gremien des ZDF dem Haushaltsplan zustimmen.“

Thomas Schreiber, Geschäftsführer der ARD-Tochter Degeto, holt angesichts des „wirklich sensiblen Themas“ etwas weiter aus. Er bezeichnet die aktuelle Situation als Spagat zwischen stagnierenden Etats und einer Kostensteigerung, die viele in der Branche überrascht habe, weil man nach der Überhitzung des Marktes in den Jahren 2021/22 offenbar auf „ruhigere Fahrwasser“ gehofft habe. Der von den neun Landesrundfunkanstalten zur Verfügung gestellte Degeto-Etat sei in den vergangenen Jahren „im Großen und Ganzen stabil geblieben.“ Für die von der ARD-Tochter redaktionell verantworteten Sendeplätze, darunter die Donnerstags-Krimis und die Freitagsfilme, stünden jährlich 180 Mio. Euro zur Verfügung. Allerdings habe der interne Leistungsplan mehrfach an aktuelle Entwicklungen angepasst werden müssen. So habe zum Beispiel die Pandemie den Etat in den Jahren 2020 bis 2023 mit Mehrkosten in Höhe von 25,2 Mio. Euro belastet. Insbesondere 2022 sei es zudem zu massiven Kostensteigerungen gekommen: „Honorare, Energiekosten durch Ukrainekrieg, Fachkräftemangel, Inflation etc.“ Die Anzahl an Produktionen sei daher leicht reduziert worden. Aktuell komme es erneut zu erheblichen Mehrausgaben. So sei zum Beispiel auch das Drehen im Ausland deutlich teurer geworden: Ein Drehtag in der Schweiz (Der Zürich-Krimi) koste heute knapp 20 % mehr als vor einem Jahr. Ein weiterer Punkt sei der Etat für die ARD-Mediathek. Alle diese Faktoren hätten „in der Konsequenz zu weniger Erstsendungen auf etablierten Sendeplätzen geführt“; unter anderem sei die Zahl der Freitagsfilme von 38 Produktionen im Jahr 2020 auf 26 geplante Filme im kommenden Jahr reduziert worden.
 

„Fair ist das nicht“

Wie es weitergeht, kann niemand vorhersagen. Die Entwicklung hängt von zwei Fragen ab: Welchen Effekt wird die Reform der Filmförderung haben? Und werden die Länder einer Erhöhung des Haushaltsbeitrags zustimmen? Für das Jahr 2025 sehe man laut Züll „bei den Akquisitionsbemühungen eine deutliche Zurückhaltung der Sender wie auch der Streamer. Parallel werden Entscheidungen immer kurzfristiger getroffen, was die Planungen nicht gerade vereinfacht.“ Der Umbau der Filmförderung sei „für die Branche und damit auch für uns von herausragender Bedeutung.“ Die Studio Hamburg Gruppe sei stolz darauf, einen starken Fokus auf Beschäftigung im Inland zu legen. „Damit dies auch weiterhin der Fall sein kann, ist eine international wettbewerbsfähige Filmförderung unerlässlich.“ Das betont auch Böhning: „Der Filmstandort Deutschland braucht die große Reform der Filmförderung als Gesamtstrategie mit Steueranreizmodell und Investitionsverpflichtung, sonst wird er dauerhaft vom internationalen Wettbewerb abgehängt.“ Bislang gebe es für Netflix und Co. keinerlei Verpflichtung zur Beauftragung deutscher Produktionsunternehmen; „fair ist das nicht.“
 


„Der Filmstandort Deutschland braucht die große Reform der Filmförderung als Gesamtstrategie mit Steueranreizmodell und Investitionsverpflichtung, sonst wird er dauerhaft vom internationalen Wettbewerb abgehängt.“  Björn Böhning (Geschäftsführer der Produktionsallianz)



Unterstützung erhält die Produktionsallianz von Helge Lindh, SPD-Obmann im Ausschuss für Kultur und Medien im Bundestag: „Internationale Streamingdienste machen Milliardenumsätze mit Abos in Deutschland, müssen den Großteil hier aber weder versteuern noch reinvestieren. Das muss sich ändern. Wir brauchen die große Filmförderungsreform mit Steueranreizmodell und Investitionsverpflichtung. Die steuerliche Förderung soll dabei über eine Rückerstattung von 30 % der Körperschafts- und Einkommenssteuer erfolgen. Das entlastet Produktionsunternehmen finanziell und setzt Anreize für mehr Investitionen. Mehr Produktionen bedeuten mehr Wertschöpfung vor Ort und am Ende höhere Steuereinnahmen.“ Frankreich habe vorgemacht, welche Auswirkungen die Verzahnung mit einer Investitionsverpflichtung inklusive gesetzlich verankertem Rechterückbehalt habe; dort sei der Beitrag der Streamingdienste nach Einführung der Investitionsverpflichtung sprunghaft von 21 Mio. Euro auf 345 Mio. Euro gewachsen. Auch Aselmann geht davon aus, dass es nur mit der Kombination aus Investitionsverpflichtung und Steueranreizmodell zu einer Belebung im deutschen Markt kommen werde: „Wir sehen am automatisierten Fördermodell Österreichs, wie gut das funktionieren kann. Österreich ist inzwischen auch für Koproduktionen in ganz Europa ein beliebter Partner.“
 

„Der Abwärtstrend wird anhalten“

Für dieses Jahr sieht der Produzent dagegen keine Besserung: „Der Abwärtstrend wird anhalten.“ Im Kinobereich seien laut Böllhoff viele Projekte in der Warteschleife: „Die Unternehmen hoffen auf die Reformen. Wenn sie kommen, wird es zumindest im Kino zu einem gewissen Aufschwung kommen. Für die gesamte Branche wird jedoch viel davon abhängen, wie die öffentlich-rechtliche Gebührenfrage beantwortet wird.“ In dieser Hinsicht ist Aselmann allerdings wenig optimistisch:„Ob sich die Rahmenbedingungen für ARD und ZDF verbessern werden, steht in den Sternen.“ Er bezweifelt, dass die empfohlene Beitragserhöhung um 58 Cent pro Monat mit der nötigen Einstimmigkeit durchgewunken werde.

Kleine Firmen, sofern sie größtenteils für ARD und ZDF produzieren, hingen daher „erheblich in der Luft“, sagt Böllhoff, „weil völlig unklar ist, welche Budgets den Sendern in Zukunft zur Verfügung stehen.“ Selbst eine Beitragserhöhung werde für manche zu spät kommen: „Es wird keinen öffentlichen Aufschrei geben, allenfalls eine Notiz in der Fachpresse; kleine Unternehmen verschwinden eher still. Aber die Produktionsbranche ist ohnehin ein Hoffnungsgeschäft, also hoffen wir alle das Beste.“
 

Anmerkung:

Dieser Artikel erschien zuerst bei epd medien.

Quellen:

Die Zitate stammen aus telefonischen Interviews oder schriftlichen Statements.