Umgehen mit Verfassungsfeinden

Radikale Medien im Visier des Staates

Joachim von Gottberg

Prof. Joachim von Gottberg war bis Dezember 2023 Chefredakteur der Fachzeitschrift „mediendiskurs“ und ist aktuell Chefredakteur der Zeitschrift „Jugend Medien Schutz-Report“.

In Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) wird eine sehr weitgehende Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit garantiert. Es heißt dort: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Allerdings ist diese Freiheit nicht grenzenlos. So heißt es in Abs. 2: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Stößt das Recht auf Meinungsfreiheit auch dann an Grenzen, wenn Medien die verfassungsrechtliche Ordnung bekämpfen wollen und sich offen für den Sturz des Systems aussprechen?

Online seit 21.10.2024: https://mediendiskurs.online/beitrag/umgehen-mit-verfassungsfeinden-beitrag-772/

 

 

Verfassungsfeindliche Medien gibt es sowohl von rechts als auch von links. Aufgrund des Erstarkens der AfD bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist der Staat, vertreten durch das Bundesinnenministerium (BMI) und dessen Ministerin Nancy Faeser, gegenüber rechtsradikalen Medien besonders wachsam. Am 16. Juli 2024 wurde das rechtsradikale Blatt „Compact“ verboten. Das Magazin spricht Rechtsextremisten, Putin-Freunde und Verschwörungserzähler an und erscheint nach eigenen Angaben in einer Auflage von 40.000 Exemplaren pro Ausgabe. Es hetzt und agitiert gegen Jüdinnen und Juden, wettert gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und schimpft gegen die parlamentarische Demokratie. Zu dem Magazin gibt es eine Website. In dem dazugehörigen YouTube-Kanal mit rund 345.000 Abonnenten erklärt Jürgen Elsässer, Verleger und Chefredakteur, freimütig: „Und auch noch ein wichtiger Unterschied zu anderen Medien ist: Also wir wollen einfach das Regime stürzen.“ Und das soll mithilfe der AfD geschehen, die von Elsässer unterstützt wird.
 


Das Magazin spricht Rechtsextremisten, Putin-Freunde und Verschwörungserzähler an und erscheint nach eigenen Angaben in einer Auflage von 40.000 Exemplaren pro Ausgabe. Es hetzt und agitiert gegen Jüdinnen und Juden, wettert gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und schimpft gegen die parlamentarische Demokratie.“


 

Faeser: Compact verstößt gegen die Verfassung

Laut „Compact“ sind die Migranten und Flüchtlinge schuld an allen Missständen und Gewalttaten in Deutschland. Formulierungen wie „Asylbombe“ werden verwendet, auch die von Teilen der AfD vertretene Theorie des „großen Austausches“, den sie „Umvolkung“ nennen, wird vertreten: Es gebe einen geheimen Plan, die weiße Bevölkerung durch Migranten zu ersetzen. „Deutsch“ sei keine Frage der Staatsangehörigkeit, sondern es gebe „richtige“ Deutsche und „Passdeutsche“. Deshalb sei auch die deutsche Nationalmannschaft nur dem Namen nach die Nationalmannschaft von Deutschland.

Das alles reichte nach Auffassung von Faeser aus, das Magazin sowie dessen Website zu verbieten. Am 5. Juni 2024 erließ sie eine Verbotsverfügung, die am 16. Juli 2024 bekannt gemacht wurde: Das Innenministerium unter Nancy Faeser verbot die Compact-Magazin GmbH, die Conspect Film GmbH und alle dazugehörigen Kennzeichen und Symbole (Logos). Da ein Verbot von Zeitungen gesetzlich nicht vorgesehen ist, hat Faeser nach dem Vereinsrecht den Herausgeber und damit als Folge auch das Magazin verboten. Das wirft rechtlich allerdings die Frage auf, ob in diesem Fall das Presserecht nicht vorgeht, da das Vereinsverbot ja vor allem auf das Verbot des Magazins abzielt. Faesers Aussage in ihrer Videobotschaft auf X legt das jedenfalls nahe: „Ich habe heute das rechtsextremistische Compact-Magazin verboten“ (Faeser 2024).

„Als einen von vielen Belegen führt das BMI eine Aussage des Compact-Chefredakteurs Jürgen Elsässer in einer November-Ausgabe der Sendung ‚COMPACT. Der Tag‘ an. Über Grünen-Chef Omid Nouripour sagte er, dieser sei ‚auch kein Sachse oder kein Schwabe, sondern ich glaub ist Pakistani oder irgendwas‘. Compact stelle damit Menschen, die nicht dem rechtsextremen Bild ‚echter Deutscher‘ entsprechen, als ‚Gefähr für die autochthone deutsche Bevölkerung‘ dar. Damit nähre das Magazin die international verbreitete rechte Verschwörungserzählung eines ‚Großen Austausches‘ (Great Exchange).“ Das Motiv: Die biodeutschen Wähler kann man von der Politik nicht mehr überzeugen, deshalb importiere sich die Politik ein neues Volk und neue Wähler. (Begründung des BMI laut Zimmermann et al., 2024)

„Die COMPACT-Magazin GmbH missbraucht ihre Medienerzeugnisse gezielt als Sprachrohr, um ihre verfassungsfeindlichen Zielsetzungen reichweitenstark zu verbreiten. … Als Beleg für die Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung legt das BMI anhand von zahlreichen Zitaten aus Compact-Beiträgen dar, dass das Magazin ein ‚völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept‘ vertritt, indem zwischen in den Beiträgen anhaltend zwischen nur ‚Passdeutschen‘ mit Migrationshintergrund und ‚Biodeutschen‘ unterschieden werde.“ (ebd.)

„Compact schreibe von ‚Deislamisierung‛, ‚Dominanz der eigenen Kultur‘ und deutscher ‚Leitkultur‛. Im Übrigen setze das Magazin auf eine ‚patriotische Massenbewegung‛ und wünsche sich die AfD an die Macht. Geschehen soll dies durch eine ‚Abwahl der Herrschenden‛. Die neue Regierung möge dann ‚massenhaft abschieben‛ und dafür ein ‚Remigrationsministerium‛ schaffen.“ ( Begründung des BMI laut Zimmermann et al. 2024)

Compact eröffne dem BMI zufolge keinen freien „Meinungsmarkt“, was aber Aufgabe der Medien sei. Vielmehr veröffentliche das Magazin laut BMI ausschließlich Beiträge, die der vor allem von Elsässer „inhaltlich vorgegebenen Linie“ folgen. (ebd.)
 


Es besteht kein Zweifel daran, dass ‚Compact‘ rechtsextremistisch war. Doch die Frage, ob das Verbot rechtmäßig ist, ist in diesem Fall alles andere als abwegig. Denn es gibt durchaus Argumente dagegen: die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit – Grundrechte also. “ (Michael Götschenber)


 

Fällt das alles noch unter die Pressefreiheit?

Der Leverkusener Anwalt und Mitglied des Stadtrates, Markus Beisicht, dessen Verein „Aufbruch Leverkusen“ ebenfalls als rechtsextremistisch vom Verfassungsschutz beobachtet wird, steht mit Elsässer seit Jahren in engem Austausch. Beisicht hält das Zeitschriftenverbot für rechtswidrig und sieht es als „einen völlig unverhältnismäßigen Angriff auf die Pressefreiheit, wenn regierungskritische Organe in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durch die Regierung einfach verboten werden. Da müsste jeder Demokrat eigentlich hellhörig werden“ (WDR aktuell 2024).

Aber die Kritik kommt nicht nur von rechts außen. Dazu der Terrorismusexperte der ARD, Michael Götschenberg: „Es besteht kein Zweifel daran, dass ‚Compact‘ rechtsextremistisch war. Doch die Frage, ob das Verbot rechtmäßig ist, ist in diesem Fall alles andere als abwegig. Denn es gibt durchaus Argumente dagegen: die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit – Grundrechte also. […] ‚Compact‛ war der Ort, wo waschechte Rechtsextremisten wie Martin Sellner von der ‚Identitären Bewegung‛ eine Plattform hatten, wo aber auch die AfD ihre Botschaften unwidersprochen verbreiten konnte – in einem pseudo-journalistischen Kontext. Und das mit erheblicher Reichweite. Und die Reichweite war das eigentlich Gefährliche an ‚Compact‛“ (Götschenberg 2024).

Auch der Welt-Journalist Deniz Yücel spricht sich klar gegen das Verbot aus. Er sieht in „Compact“ zwar ein „abstoßendes Magazin“, das „sich an keinerlei presseethische Codes hält. Das ist hetzerisch, es ist demagogisch. […] Aber das Presserecht ist ein hohes Gut […], das schützt auch Publikationen, die, so heißt es in einem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 1976, […] auch Aussagen und Informationen, die den Staat oder Teile der Bevölkerung schockieren und verletzen“ (Yücel 2024). Yücel vermutet, dass das Verfassungsgericht das Verbot kippen wird, zumal es gegen „Compact“ bislang keine einzige rechtskräftige Verurteilung wegen eines offiziellen Delikts wie Volksverhetzung gegeben habe.

Sowohl Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) als auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) äußerten sich skeptisch bezüglich der Umsetzung des Verbotes. Kubicki moniert, dass per Vereinsrecht ein Magazin verboten wurde – und warnt vor möglichen Klagen. Auch Hendrik Zörner, Sprecher des DJV, sieht Risiken in einem Rechtsstreit: „Wenn die Begründung des Innenministeriums nicht hieb- und stichfest ist, dann könnte ein Gerichtsverfahren zum PR-Coup für ‚Compact‛ werden“, sagte Zörner zum Tagesspiegel (Matzner et al. 2024).
 

Befürworter des Verbots

Manche sahen von Anfang an ein Problem darin, dass eigentlich nicht das Magazin „Compact“ verboten wurde, sondern der Verlag, der als Verein organisiert ist. Das ist nach dem Grundgesetz möglich: Nach Art. 9 GG können Vereine verboten werden, wenn sie entweder strafrechtlich relevant sind oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Da braucht es kein Verbot, denn sie sind per se verboten. Und so hat die „Compact“-Magazin GmbH eine Feststellungsverfügung bekommen, ihr Vermögen wurde beschlagnahmt und die Gesellschaft aufgelöst. Ob das am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat, bezweifeln viele Juristen.

Die Reaktionen auf das Verbot von „Compact“ sind allerdings sehr unterschiedlich. Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler an der Uni Kassel, hält das Zeitschriftenverbot für richtig, es komme nur zu spät. Die Pressefreiheit sei ein hohes Gut, aber wenn „Compact“ die Pressefreiheit nutze, um die Demokratie zu bedrohen, zu unterminieren oder mit dem Ziel, sie sogar zu zerstören, sei die Grenze der Pressefreiheit überschritten. Der Extremismusexperte Steffen Kailitz rechnet sogar mit weiteren staatlichen Schritten gegen die rechtsextreme Szene. Auch Herbert Reul, Innenminister in NRW, begrüßt das Verbot durch Nancy Faeser: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die rechtsextremistische Szene mit ihren menschenverachtenden Ideologien und Verschwörungsmythen die Gesellschaft vergiftet. Heute hat der Rechtsstaat Zähne gezeigt, dieses Magazin hat seine Botschaften im großen Stil verbreitet, damit ist jetzt Schluss“ (ebd.).

„Compact“ ist 2010 gestartet. Der rechtsextreme Charakter war von Anfang an deutlich zu erkennen. Darüber, warum das Verbot ausgerechnet jetzt durchgeführt werden soll, kann man nur spekulieren. Vermutlich hängt es mit dem Erstarken der AfD zusammen, wodurch man sich zum Handeln gedrängt fühlt. Es wurde bisher seitens der Innenminister von Bund oder Länder noch nie gegen konkrete, offensichtlich verfassungsfeindliche Artikel des Magazins gerichtlich vorgegangen. Das Totalverbot kam völlig überraschend.
 


Wir dürfen nicht zulassen, dass die rechtsextremistische Szene mit ihren menschenverachtenden Ideologien und Verschwörungsmythen die Gesellschaft vergiftet. Heute hat der Rechtsstaat Zähne gezeigt, dieses Magazin hat seine Botschaften im großen Stil verbreitet, damit ist jetzt Schluss“ (Herbert Reul)


 

Klage gegen das Verbot teilweise erfolgreich

Elsässer klagte beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig gegen das Verbot und hatte damit am 14. August 2024 zumindest teilweise Erfolg: Das sofortige Verbot der rechtsextremen Zeitschrift „Compact“ wurde im Eilverfahren vorläufig außer Vollzug gesetzt. Damit kann das Blatt vorerst wieder erscheinen. Eine endgültige Entscheidung über ein Verbot wird allerdings erst im Hauptsacheverfahren fallen – und das kann Jahre dauern.

Zwar ist die Verbotsverfügung nach Meinung des Gerichts formell wahrscheinlich rechtmäßig, ob das Magazin aber gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoße, könne in der Kürze des Verfahrens nicht abschließend beurteilt werden. Das Verbot sei vermutlich nicht verhältnismäßig, weil das Magazin auch eine Reihe von Artikeln enthält, die verfassungsrechtlich unbedenklich seien. Das BMI sieht das anders: „Das verfassungsfeindliche und aggressiv-kämpferische Agieren der „Compact“-Magazin GmbH, wie es in der Verbotsverfügung formuliert ist, wurde durch das Beweismaterial der Sicherheitsbehörden eindeutig belegt. Das Gericht hingegen sieht zwar „Anhaltspunkte insbesondere für eine Verletzung der Menschenwürde“, aus vielen Beiträgen lasse sich „eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen“ herauslesen. Es sei aber zweifelhaft, dass dies derart prägend ist, dass ein generelles Verbot verhältnismäßig sei.“ (Zimmermann et al.2024)
 

Verbote schwer durchsetzbar

1994 wurde im Verfassungsschutzbericht die in Berlin ansässige Zeitschrift „Junge Freiheit“ als verfassungswidrig aufgeführt. Die Zeitschrift klagte dagegen und verlor in zwei Instanzen. Die „Junge Freiheit“ legte beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschwerde ein und hatte damit Erfolg. Nach § 3 Abs. 1 Gesetz über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) werden Personen oder Institutionen in den Bericht aufgenommen, die „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben.“ In den Verfassungsschutzberichten von 1994 und 1995 wurde die „Junge Freiheit“ – ähnlich wie auch in den Folgejahren – ausführlich behandelt. Die Veröffentlichung erfolgte 1994 unter der Rubrik „Rechtsextremismus“ mit der Untergliederung „rechtsextremistische Publikationen, Verlage, Vertriebe, Medien“ und 1995 unter der Rubrik „rechtsextremistische Organisationen, Gruppierungen und Strömungen“.

Die „Junge Freiheit“ klagte dagegen und forderte, dass der Verfassungsschutzbericht nicht veröffentlicht werden dürfe, ohne dass die entsprechenden Passagen über die „Junge Freiheit“ entfernt worden seien. Die Klage wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen, eine Berufung ließ das Oberverwaltungsgericht nicht zu. Das BVerfG sah das jedoch anders. Während das Land Nordrhein-Westfalen sowie die Verwaltungsgerichte der Meinung waren, durch die Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht sei die Zeitschrift nicht in ihren Rechten beschränkt, bezog sich das Gericht auf die Pressefreiheit. Prüfungsmaßstab ist vorwiegend die Pressefreiheit: „Die staatliche Maßnahme trifft das Presseerzeugnis selbst und beeinflusst die Rahmenbedingungen pressemäßiger Betätigung. Gegenstand der Verfassungsschutzberichte ist der Hinweis auf den Verdacht, dass die Beschwerdeführerin bestrebt sei, mit Hilfe der Zeitung die freiheitliche demokratische Grundordnung in Bund und Ländern zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Die Verfassungsschutzberichte greifen zum Beleg des angenommenen Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen einzelne Artikel aus der ‚Jungen Freiheit‛ heraus, um auf dieser Grundlage ein Gesamturteil über die Zeitung und die hinter ihr stehende Gruppierung zu begründen: Die negative Beurteilung der Bestrebungen gilt der Organisation, die sich der Zeitung als Sprachrohr bedient. […] Maßgebend ist, ob der Schutzbereich eines Grundrechts berührt wird und ob die Beeinträchtigung einen Eingriff oder eine eingriffsgleiche Maßnahme darstellt. Das ist bei der Nennung der Beschwerdeführerin im Verfassungsschutzbericht zu bejahen“ (BVerfG 2005).

Trotz dieses Urteils erging es nun der Zeitschrift „Junge Welt“ ähnlich wie ihrer Konkurrenz von rechts, der „Jungen Freiheit“. Sie bezeichnet sich selbst als „linke, marxistisch orientierte überregionale Tageszeitung.“ Die Zeitschrift wird durch den Bundesverfassungsschutz schon seit 25 Jahren beobachtet und taucht auch jedes Jahr im Verfassungsschutzbericht auf.

Die „Junge Welt“ wurde in der DDR 1947 gegründet und war damals das offizielle Organ der „Freien Deutschen Jugend“, also der Jugendorganisation der DDR. Sie hatte in den 1980er-Jahren teilweise eine Auflage von 1,6 Mio. Das ist allerdings nach der Wende dramatisch nach unten gegangen, 1995 war sie vorübergehend pleite. Heute hat die „Junge Welt“ eine Auflage von gut 20.000 Exemplaren. Der marxistisch gefärbte ideologische Redaktionstext zeigt zum Beispiel eine starke Russlandnähe, den Ukraine-Konflikt sieht man völlig anders als in den meisten anderen Zeitungen. Auch der Rückblick auf die DDR ist positiv verklärt, ebenso werden Regime wie in Kuba oder Venezuela verteidigt. Bundesverteidigungsminister Pistorius wird als Kriegsminister Pistorius tituliert. Im Übrigen habe die Zeitschrift Kontakte zu Personen der linken Szene. Aber rechtfertigen diese Vorwürfe die Beobachtung durch den Bundesverfassungsschutz? Stefan Huth, der Chefredakteur der „Jungen Welt“, verneint das. Der Verfassungsschutz, so Huth, sehe die Zeitschrift nicht als ein Medium, die Mitarbeit werden nicht als Redaktion, sondern als Personenzusammenschluss oder eine Gruppierung gesehen. Er sieht das Blatt dagegen als Presseprodukt und als Tageszeitung an (vgl. Wagner 2024).

Die „Junge Welt“ klagte nun beim Berliner Verwaltungsgericht gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht, aber die Klage wurde am 18. Juli 2024 abgewiesen, eine Berufung wurde nicht zugelassen. „Richter Peters folgte letztlich einer historischen Betrachtung: Die ‚Junge Welt‛ setze sich in eine Tradition mit Lenin, der mit seinen Ideen wohl die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft hätte. Wenn man öffentlich mit dieser Figur Nähe und Sympathie zeige, dann eigne man sich auch dessen Ideen an. Außerdem zeige die Zeitung erkennbar eine innere Verbundenheit zur DDR. Auch dort sei der Marxismus-Leninismus die herrschende Ideologie. Diese positive Haltung werde auch in der Tageszeitung transportiert“ (Abdulsalam 2024).
 

Freiheit der Medien als hohes Gut

Für das BVerfG scheint, jedenfalls legt es das Urteil zur „Jungen Freiheit“ nahe, die Freiheit der Medien ein hohes Gut zu sein. Und das BVerwG ist im Fall „Compact“ dieser Linie des Bundesverfassungsgerichts gefolgt. Der DJV lobte die Entscheidung des Gerichts als klares Bekenntnis zum Grundrecht der Pressefreiheit. Mika Beuster, Bundesvorsitzender des DJV, sagte: „Damit steht fest, dass das ‚Compact‛-Verbot ein politischer Schnellschuss war. … Vor den Konsequenzen habe der Verband bei Bekanntgabe des ‚Compact‘-Verbots gewarnt.“ (Tagesschau 2024)
 

Fazit

Hinter der Haltung des Bundesverfassungsschutzes steht wohl die Befürchtung, rechts- oder linksradikale Zeitschriften könnten in der Bevölkerung verfassungsfeindliche Ideen und Vorstellungen implementieren. Gegen diese Auffassung spricht allein schon die verhältnismäßig geringe Auflage zum Beispiel von „Compact“ mit 40.000 und der „Jungen Welt“ mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren. Vermutlich verfügen die Leser schon vor der Lektüre über eine rechts oder links orientierte Gesinnung. Der Prozentsatz derer, die ausschließlich durch die entsprechende Lektüre zum Verfassungsfeind werden, dürfte ausgesprochen gering sein. Die Freiheit der Medien und der Meinungen ist aber ein essenzielles Element der Demokratie. Dazu gehört auch, dass Menschen eine andere gesellschaftliche Ausrichtung der Bundesrepublik Deutschland präferieren dürfen. Wie aber ist zu bewerten, wenn sie tatsächlich einen Umsturz planen? Die Demokratie sollte die Stärke haben, so etwas so weit wie möglich auszuhalten und argumentativ darauf zu reagieren. Aber auch darüber kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein.
 

Quellen:

Abdulsalam, M. K.: Die "Junge Welt" darf weiterhin vom Verfassungsschutz erwähnt werden. In: Legal Tribune Online, 18.07.2024. Abrufbar unter: www.lto.de (letzter Zugriff: 11.10.2024)

BVerfG: Beschluss vom 24. Mai 2005. 1 BvR 1072/01. Abrufbar unter: www.bundesverfassungsgericht.de (letzter Zugriff: 11.10.2024)

Faeser, N.: Beitrag auf X, 16.06.2024

Götschenberg, M.: Rechtsextreme Agitation mit gefährlicher Reichweite. In: tagesschau.de, 16.07.2024. Abrufbar unter: www.tagesschau.de (letzter Zugriff: 11.10.2024)

Matzner, M. V./Fröhlich, A./Hackenbruch, F.: Bundestagsvize Kubicki zu Compact-Verbot. „Sollte der Beschluss aufgehoben werden, ist ein Rücktritt der Innenministerin unvermeidlich“. In: tagesspiegel.de, 16.07.2024. Abrufbar unter: www.tagesspiegel.de (letzter Zugriff: 11.10.2024)

Meyer, M.: PRESSEFREIHEIT: Zeitung “Junge Welt” verfassungsfeindlich? In: Medienmagazin, 20.07.2024. Abrufbar unter: www.radioeins.de (letzter Zugriff: 11.10.2024)

Tagesschau: Compact-Verbot teils vorläufig außer Vollzug gesetzt. In: tagesschau.de, 14.08.2014. Abrufbar unter: www.tagesschau.de (letzter Zugriff: 11.10.2024)

WDR aktuell: Compact-Magazin verboten. Das sind die Gründe.In: youtube.de, 16.07.2024. Abrufbar unter: www.youtube.com (letzter Zugriff: 11.10.2024)

Yücel, D.: YÜCEL: „Zutiefst beunruhigend! Auch ‚Compact‘ ist durch das Pressegesetz geschützt“ Magazin. In: Welt Nachrichtensender, abgerufen am 10.08.2024. Abrufbar unter: www.youtube.com (letzter Zugriff: 11.10.2024)

Zimmermann, F., Sehl, M., Kolter, M.: So begründet das BMI das Com­pact-Verbot, In: Ligal Tribune Online (LTO), 18.08.2024, Abrufbar unter: www.Ito.de